Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon ganimed » Mo 14. Feb 2011, 22:20

Lumen hat geschrieben:Du möchtest also lieber eine stärkere Betonung des Heute, statt des Gestern. Gerade geht in den USA ja „Dominionism“ aber ist ja nicht so schlimm. Stimmt's? Muss ich noch Zitate von Volker Kauder oder Phillip Mißfelder raussuchen? Reaktionen der Christenheit zu Rushdie oder Karikaturenstreit? Oder zählt das alles auch nichts?

Doch das zählt was. Aber was? Sagen wir, deine ganzen Negativbeispiele und Problemfälle zählen zusammengenommen minus 1200 Punkte.
Aber was ist mit den Gegenden, wo es keine Probleme gibt? Wo 90% der Menschen gläubig sind und von denen wiederum sagen wir 80% positiv von ihrem Glauben sprechen würden? Wenn ich beschlagener in Geografie wäre, könnte ich sicher zigtausende Orte, Gemeinden und Gegenden aufzählen, in denen das Bild, wenn man die Menschen fragte, positiv ausfallen würde. Jetzt frage ich dich: zählt das nichts?
Wenn es etwas zählt, dann ist natürlich Frage, wie viel? Man kann nur schätzen. Aber verglichen mit den Millionen und Abermillionen zufriedenen Gläubigen erscheinen mir deine paar Problembeispiele wie ein Witz. Man gelangt zu völlig falscher Sichtweise, wenn man die positiven Dinge so konsequent ausblendet wie du. Du unterstellst sozusagen, dass die Suppe versalzen sei indem du unentwegt Salzkörner aufzählst. Aber deine gesamte Argumentation bleibt unvollständig, wenn du nicht mit berücksichtigst, wie groß die gesamte Flüssigkeitsmenge ist und was sonst noch in der Suppe ist. Du erscheinst eher einfach nur als Salzhasser und nicht als neutraler Lebensmitteltechniker.

Lumen hat geschrieben:Wenn man will, kann man auch Anhängern zweier verfeindeter Fußballvereine eine unterschiedliche Kultur andichten und dann lamentieren, die Identifikation zu dem Verein habe damit nichts zu tun sondern die unterschiedliche Kultur. Das ist doch Unsinn. Was ist denn großartig kulturell anders zwei Straßenzüge weiter in Jerusalem oder Belfast?

Ok, ich gebe zu, "Kultur" war in der Tat nicht das richtige Wort. In Jerusalem geht es um Religion, vielleicht auch Ethnien. Die Leute fühlen sich unterschiedlichen "Gruppen" zugeordnet, ob das nun kulturell, religiös, nationalistisch, vereinsgemäß oder völkisch definiert ist, spielt fast keine Rolle. Es gibt jedenfalls viele Bürgerkriege und Konflikte auf der Welt, bei denen, soweit ich weiß, die Religion keine Rolle spielt, dafür eine der anderen Gruppenkriterien. Religion ist also offensichtlich nicht die eigentliche Ursache für diese Konflikte, sondern man kann es verallgemeinern und von der Religion entkoppelt sehen.
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Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon ganimed » Mo 14. Feb 2011, 22:29

mat-in hat geschrieben:Natürlich hat Religion auch positive Effekte, aber die sind immer von Nebeneffekten begleitet: ... es gibt nichts, was die Kirchen nicht zu ihrem Eigennutz tun

Das stimmt in dieser Formulierung sogar. Kein Mensch tut etwas ohne Eigennutz. An dieser Stelle wäre nur die Frage, ob der Nutzen, den du den Kirchen unterstellst, wirklich der einzige ist. Wollen die Kirchen wirklich nur weitere Mitglieder werben bei allem was sie tun? Wollen sie alle Menschen indoktrinieren, wie du es nennst?
1) Sie wollen es bestimmt teilweise. Aber das will jeder, der glaubt eine gute Idee zu haben. Auch Brights reden davon, mehr Leute von ihrer Idee zu überzeugen, Plakate an Busse zu kleben und die eigenen Ideen zu verbreiten. Das ist also ein Allerweltsvorwurf, den man jedem machen müsste, und es deshalb besser bleiben lässt.
2) Die Missionierung und geistliche Gewinnung der Leute, denen man hilft, ist ganz sicher nicht die einzige Motivation. Sondern das Hauptmotiv ergibt sich aus dem Glauben. Man sieht in Not befindliche Menschen als Gottes Kinder an, man sieht sich selbst im Grunde als Gottes Handlanger mit göttlichem Auftrag. Der Eigennutz, weswegen kirchliche Organisation so viel helfen, ist eben auch teilweise der, dass man sich damit dann viel besser fühlt und glaubt, religiös erfolgreich gewesen zu sein indem man Gottes Willen tat, indem man eine gute Tat tat.

Ich finde es völlig unnötig, die guten Auswirkungen von Religion, so man sie überhaupt anerkennt, dann aber doch noch mit einem Vorwurf zu vergiften, dass das alles berechnende Schäfchenrekrutierung sei. Ein aufgeklärter Bright sollte in der Lage sein, das Gute im Feindesland ohne wenn und aber anzuerkennen. Zumindest habe ich nur einen einzigen Grund, atheistisch zu sein: weil es Gott relativ sicher nicht gibt. Jeder weitere Grund, der an den Haaren herbei gezerrt wird (die sind alle doof und wollen nur Böses und erwirken nichts wirklich Gutes) erscheint mir wie eine Kinderei.

mat-in hat geschrieben:Ich selbst habe fast 30 Jahre gebraucht mich vollständig aus der indoktrination und schönrederei herauszudenken in die man mich (gemäßigte hessische kath. kirchengemeinde) seit dem Kindergarten reingesteckt hat.

Und du glaubst wirklich, dass du jetzt nach 30 Jahren in einem Vakuum denkst? Dich also wirklich aus allem heraus gedacht hast? Viel wahrscheinlicher scheint mir zu sein, dass du dich von einem Schlamassel in den anderen manövriert hast. Wenn man bedenkt, wie abhängig unsere Gedanken und Vorstellungen von Erfahrungen, Umgebung, anderen Menschen und vor allem der frühkindlichen Umgebung sind (egal welcher, ob religiös oder sonstwas) kann man von Freiheit wohl kaum sprechen. Letztendlich ist es einfach eine Geschmacksfrage. Und es ist doch komisch, dass jeder Argumente findet, wieso seine Geisteshaltung die beste ist.
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Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon Lumen » Mo 14. Feb 2011, 23:34

Ich lese gerade Hitchens „God is not great” und bin dort heute an ein Kapitel angelangt, in dem er ebenfalls einen Ritt durch die Geschichte anstellt, und das Bild schön erweitert. Er geht dort recht umfassend auf die Sklaverei ein, wie die christliche (und islamische) Welt die Sklaverei unterstützte und ausbaute, jedenfalls von religiöser Seite nie Protest angemeldet wurde. Dann geht er etwas auf die frühe Geschichte der USA ein, wo religiöse Gruppen wie die Mormonen Anhänger um sich scharten und wohl (heute) zu den schnellsten wachsenden Gruppen zählen. Er entzaubert dort die Anfänge der Religion, denn der Gründer, ein gewisser Joseph Smith, war ein verurteilter Bankbetrüger. Er hatte dann diverse „Offenbarungen”, die ihm auch oft ganz gut zupass kamen. Die Christen in den USA; allen voran die Mormonen begründeten die Sklaverei damit, dass es sich bei den Sklaven aus Afrika um den “verlorenen Stamm” handelte — sie wurden also als die verfluchten Nachfahren Kains betrachtet. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden dann wohl plötzlich neue Offenbarungen „gefunden” die erklärten, dass Schwarze doch nicht verflucht seien (nachdem die Sache natürlich längst „durch” war). Eine ähnliches Muster wurde hier öfter aufgezeigt und lässt sich eigentlich beliebig wiederholen, heute steckt es bei der RKK noch bei den Frauen und Homosexuellen fest, wir sind also in dem Fall noch live dabei und sehen, wie die Kirchen hier den Errungenschaften hinterher hecheln und diese verschleppen (im Islam sieht es wahrlich trister aus).

Er macht ein paar gute Beobachtungen, z.B. stellt er fest, dass Gott seine Offenbarung dreimal in fast gleicher Weise gemacht haben muss (weil Bruchstücke und Bausteine in allen drei Werken auftauchen), wenn die drei großen Monotheismen recht haben wollen, wobei Gott sich jedes Mal Analphabeten aussuchte. Er beschreibt dann auch die Rolle Mohammeds, der wie ein früher Joseph Smith Offenbarungen ausdachte, die ihm gerade recht kamen, was wohl selbst unter Zeitgenossen aufgefallen war. Der Islam wurde aber die Ideologie zu einer Zeit der militärischen Erfolge und Expansion und aus dieser recht jungen Sonderstellung heraus, konnte er sich halten. Er geht dann weiter auf die diversen Spaltungen ein, die es anscheinend in jeder Religion gibt, und die fortwährend Ursache für Mord und Totschlag sind.

Hitchens erzählt auch aus seiner Zeit als Journalist vor Ort und beleuchtet die Lage um die Lord's Resistance Army in Uganda. Sie verschleppte Kinder und machte sie auf schreckliche Weise zu Kindersoldaten, dabei handelt es sich um eine christliche Vereinigung, geleitet von Joseph Kony, der behauptet Wunder wirken zu können und damit die Leute an sich band. Hitchens attestiert, dass die Religion maßgeblich dazu beiträgt, Kony sowohl das Selbstvertrauen zu geben, als auch die Kontrolle (also ähnlich wie bei religiösen Führern zu allen Zeiten der Geschichte).

Entzaubert wird auch Ghandi, den er als rückwärtsgewandten Ideologen beschreibt, der Indien am liebsten in der dörflichen Steinzeit belassen wollte. Ghandi kam zu einer Zeit, in der das Kolonialreich ohnehin dem Untergang geweiht war. Auch Andernorts wurden Rufe nach Unabhängigkeit laut und traten auch dort ohne vergleichbare Ghandis ein. Dieser hatte durch sein Wirken die Situation geschaffen, dass sich Pakistan als muslimischer Staat abspalten konnte und somit der Konflikt von Kaschmir entstand, der noch immer schwelt (und der wahrscheinlichste Ort für einen Nuklearkrieg ist, wie Hitchens anführt).

Wobei ich noch hinzufüge, das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Buch. Die früheren Kapitel gehen auf religiöse Beschneidungen und Kindesmisshandlungen, auf Gruppenbildung mit ewiger Feindschaft und andere Themen ein. Er streifte noch kurz die Bigotterie, die dadurch entsteht, dass Gläubige den Glauben für gute Taten vorschützen, was im Umkehrschluss bedeutet, dass sie sich selbst als „opportunistisch“ (gutmütig) sehen. Denn nur die strenge Kontrolle durch Gott, sorgt dafür das diese Menschen sputen und nicht etwa das Gute „an sich” (auch wenn Pessimisten jetzt denken, dass es damit ohnehin nicht weit her ist).

Auch andere Stellen zeichnen ein sehr unangenehmes Bild. So laben sich Missionare oft am Leid anderer, die Naturkatastrophen heimgesucht wurden und bieten in deren größter Not ihren Gott in hinterhältigster Weise als Beschützer an. Umgekehrt geht Hitchens auch darauf ein, wie in den USA Naturkatastrophen, z.B. Katrina in New Orleans von einigen religiösen Autoritäten wie Pat Robertson als Strafe Gottes bezeichnet werden (womit dieser weites Gehör findet).

Bisher gut zu lesen, aber für die Apologeten hier nicht empfehlenswert.
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Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon musicman » Di 15. Feb 2011, 00:16

ganimed hat geschrieben: Zumindest habe ich nur einen einzigen Grund, atheistisch zu sein: weil es Gott relativ sicher nicht gibt. Jeder weitere Grund, der an den Haaren herbei gezerrt wird (die sind alle doof und wollen nur Böses und erwirken nichts wirklich Gutes) erscheint mir wie eine Kinderei.


So isses und ich wundere mich immer wieder aufs Neue, dass sich Leute die ansonsten einen ganz vernünftigen Eindruck machen, ihre Zeit damit verbringen, Belege für die Dummheit und hinterhältige Bosheit anderer zu suchen. Bei Dawkins, Hitchens und Co kann ich es ja verstehen, die verdienen ordentlich Kohle damit, die machen nichts anderes als Sarrazin, der Unterschied liegt nur in der Zielgruppe, der Mechanismus ist der selbe: man nehme eine Gruppe dresche auf sie ein und pupliziere es.
Argumente machen bei den Jüngern dieser Herrschaften genauso wenig Sinn, wie bei ihren Kollegen auf der Gegenseite den religiösen Fundis, sie haben ihre Weltsicht als die Wahre erkannt - und basta.
Wobei, der Gedanke läßt mich nicht los, es durchaus sein kann, dass einige die Sache mit Gott noch nicht so ganz auf der Reihe haben, denn das alles erweckt den Eindruck einer Hassliebe einer symbiotischen Beziehung, die ihrer Auflösung noch entgegensieht.
Man könnte das durchaus auch mal psychoanalytisch betrachten, aber das wäre ein eigener Fred.

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Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon Lumen » Di 15. Feb 2011, 00:41

ganimed hat geschrieben:Doch das zählt was. Aber was? Sagen wir, deine ganzen Negativbeispiele und Problemfälle zählen zusammengenommen minus 1200 Punkte.
Aber was ist mit den Gegenden, wo es keine Probleme gibt? Wo 90% der Menschen gläubig sind und von denen wiederum sagen wir 80% positiv von ihrem Glauben sprechen würden? Wenn ich beschlagener in Geografie wäre, könnte ich sicher zigtausende Orte, Gemeinden und Gegenden aufzählen, in denen das Bild, wenn man die Menschen fragte, positiv ausfallen würde. Jetzt frage ich dich: zählt das nichts?
Wenn es etwas zählt, dann ist natürlich Frage, wie viel? Man kann nur schätzen. Aber verglichen mit den Millionen und Abermillionen zufriedenen Gläubigen erscheinen mir deine paar Problembeispiele wie ein Witz. Man gelangt zu völlig falscher Sichtweise, wenn man die positiven Dinge so konsequent ausblendet wie du. Du unterstellst sozusagen, dass die Suppe versalzen sei indem du unentwegt Salzkörner aufzählst. Aber deine gesamte Argumentation bleibt unvollständig, wenn du nicht mit berücksichtigst, wie groß die gesamte Flüssigkeitsmenge ist und was sonst noch in der Suppe ist. Du erscheinst eher einfach nur als Salzhasser und nicht als neutraler Lebensmitteltechniker.


Das finde ich eine sehr erstaunliche Sichtweise. Christen haben in den USA noch bis in die 60er Jahre hinein die Diskriminierung der Schwarzen verteidigt und der Rassismus ist im “weißen Süden” der USA, wo die Frommen wohnen noch immer am größten. Die Rolle der Frau ist sowohl in der katholischen Kirche aber insbesondere im Islam noch lange nicht auf Niveau der Menschenrechte angekommen. Von Homosexuellen ganz zu schweigen. In den USA werden in diesem Augenblick noch religiöse Konflikte ausgetragen, unter anderem geht es um Hate Speech (wo dann Christen Beerdigungen von gefallenen Soldaten besuchen und skandieren, dass dies die Strafe für die Toleranz der Homosexualität sei). Hatte ich auf Dominionismus hingewiesen? Hier noch ein Artikel (Englisch) der die Situation in den USA ganz gut zusammenfasst.

Ich kann es halten wie ich will: wenn ich auf die Details eingehe, dann wird das als kleinlich und übertrieben empfunden, wenn ich die Sache eher gröber, aber übersichtlicher darstelle, ist es wieder zu holzschnittartig. Wie kann man die ganze Geschichte seit aufkommen der Monotheismen als “paar Problembeispiele” auffassen? Wir reden hier von einer Zeitspanne von rund 1000+ (!) Jahren und es geht völlig erwartungsgemäß weiter. Zugegeben empfinde ich das Mittelalter als das schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, was aber daran liegt, dass ich den Glauben zu der Zeit gut rekonstruieren kann und ernst nehme und es schlimmer faktisch kaum mehr geht. Wir sagen das so dahin, aber für Luther und seine Zeitgenossen waren Teufel, Höllenfeuer und Dämonen Realität, dass sich zusammen mit Ablasshandel, Krankheiten und Seuchen, Folter und Scheiterhaufen zur Hölle auf Erden verbandte. Falls du irgendwen kennst, der bereits verstorben ist, stell dir vor, dieser würde jetzt quasi bei lebendigem Leibe auf ewig irgendwo gekocht oder die Eingeweide herausgedreht, aber du kannst — in dem du Geld hier und da spendest und diese und jene Regel befolgst — entweder diesem Schicksal entgehen, oder es sogar für andere Leute lindern. Eine gute Sache? Eine Lappalie? Der Glaube als Trostspender?

Die Tatsache, dass es auch weniger fundamentale Gläubige gibt ist doch kein Argument für die Beschaffenheit einer Religion und der zweifelhaften Lehren. Dass die Konflikte im Nahen Osten religiöser Natur sind, darin besteht überhaupt kein Zweifel (Pro-Tipp: Warum sind die Juden nochmal dort?). In Afghanistan dieselbe Geschichte in Grün, in Pakistan wieder, in Nord-Irland auch. Im Kosovo war die Religion auch wieder mit im Spiel, nur wurde das gerne unterschlagen: die Serben sind orthodoxe Christen, die Kroaten katholisch und die Bosnier wurden (hach, welch Zufall) dann ab und zu auch als muslimisch benannt. Der Konflikt wurde oft als ethnischer Konflikt beschrieben, was aber Blödsinn ist, da alle eine slawische Identität haben, die auch hochgehalten wird.

Man muss mal anerkennen, dass manche Menschen die Inhalte ihrer Religion wirklich ernst nehmen und wirklich wirklich glauben. Da geht es nicht um Oberflächlichkeiten, oder vielleicht um eine Lappalie, wie das für Nicht-Gläubige erscheinen mag. Das Anfertigen von Karikaturen von Propheten kann dann schonmal über 100 Tote bedeuten. War das etwa wegen kultureller Differenzen oder anderweitigen Missverständnissen zwischen Dänen und Arabern?

Das mag jetzt wie ein Apfel/Birnen Vergleich daher kommen aber folgende Frage: ist die Nazi-Ideologie positiv aufzufassen, falls die Mehrheit der Anhänger friedlich bleibt? Sollte man das positiv finden und eine positive Haltung zur Nazi-Ideologie aufbauen, wenn es diesen vornehmlich Jugendlichen irgendwie hilft und sei es ihnen Selbstwert vorgaukelt, den sie sonst nicht hätten? Ich meine diese Frage ernst, denn nur durch den drastischen Vergleich wird deine außerordentliche Forderung deutlich.

Zweite Frage: Warum ist es in einer Demokratie offensichtlich anstößig, Anti-Theistisch zu sein? Es gibt offenkundig mehr Gründe Religion scheiße zu finden, als Justin Bieber. Also, was ist das Problem? So bestätigt ihr das Bild, was diverse Atheisten seit geraumer Zeit beobachtet haben: wird Religion kritisiert, hört der Spaß auf und die Apologeten werden sehr schnell wütend. Dennett oder Dawkins beobachteten sogar, dass vor allem „moderate“ Leute sich schwer tun.

Wenn man berechtigten Kritikern der Religion Hass unterstellt, sollte man diese kurzweilige deutsche Doku sehen. Aus mehrfachen Gründen, zum einen wegen dem „Argument“ das gegen die Kritiker geführt wird, zum anderen ist es passend zum Inhalt. Dabei sei gesagt: Wenn im Kinderbuch auch nur eine Stelle grausam ist, dann ist das gesamte Buch diskreditiert, quasi falsifiziert. Da hilft auch ein komplettes durcharbeiten und durchforsten nach Kontexten und Symboldeutungen nicht mehr. Daher ist es mir schleierhaft, wie die blutgetränkte monotheistische Gewaltfantasie noch als Vorbild herhalten kann.
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Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon stine » Di 15. Feb 2011, 07:47

Lumen hat geschrieben:Ich lese gerade Hitchens „God is not great” ...
Natürlich schürt es auch den Hass, wenn man mit einseitiger Lektüre den Abend verbringt. So entstehen keine Perspektiven.

musicman hat geschrieben:Bei Dawkins, Hitchens und Co kann ich es ja verstehen, die verdienen ordentlich Kohle damit, ...
erweckt den Eindruck einer Hassliebe einer symbiotischen Beziehung...
Es kann durchaus sein, dass Dawkins, Hitchens und Co abends dafür beten, dass der Absatz ihrer Bücher stimmig bleibt... :mg:

Lumen hat geschrieben:...aber für Luther und seine Zeitgenossen...
Die sind alle tot. Heute gibt es Theologen, die sehr wohl in der Lage sind, die religiösen Schriften so zu deuten, dass sie in das Hier und Heute passen. Die "Seelsorge" ist immer noch das Hauptgeschäft der Religionen. Vielleicht würde sogar der eine oder andere etwas mehr davon gut gebrauchen können...

Lumen hat geschrieben:Die Tatsache, dass es auch weniger fundamentale Gläubige gibt ist doch kein Argument für die Beschaffenheit einer Religion und der zweifelhaften Lehren.
Wieso nicht?

Lumen hat geschrieben:Wenn man berechtigten Kritikern der Religion Hass unterstellt,
Es ist immer berechtigt, Kritik zu formulieren, dabei sollte man aber die zwei Seiten einer Medaille durchaus in Betracht ziehen. Das Gute an der Religion als zufälligen Nebeneffekt hinzustellen und die Kehrseite als Hauptmerkmal finde ich schon etwas an den Haaren herbeigezogen, zumal die Zahlen, wie ganimed schon mehrmals erwähnt hat, nämlich genau das Gegenteil aussagen.

Ich finde der Atheismus ist eine berechtigte Denkweise im Zeitalter der Logik und des Realismus. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass der Mensch nicht nur aus Fleisch und Blut ist. Sein "bewusstes Sein" will ebenso gepflegt werden.

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Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon mat-in » Di 15. Feb 2011, 08:48

stine hat geschrieben:Das Gute an der Religion als zufälligen Nebeneffekt hinzustellen und die Kehrseite als Hauptmerkmal finde ich schon etwas an den Haaren herbeigezogen,

Ich habe doch oben gezeigt, warum Kirchen sich in Kindergärten engagieren, Brunnen bohren, Schulen bauen, oder? Das sind keine zufälligen Nebeneffekte, das ist gezielter Machterhalt mit dem Nebeneffekt zu helfen.

stine hat geschrieben:Die "Seelsorge" ist immer noch das Hauptgeschäft der Religionen. Vielleicht würde sogar der eine oder andere etwas mehr davon gut gebrauchen können...

Genau da sehe ich das Problem. Keine Seele bedeutet das Seelsorge auch Scharlatanismus ist. Leuten ein tolles Nachleben versprechen / verkaufen mit Kollekte, Kirchensteuer, Spenden den Leuten falsche Hoffnung machen und sie nach strich und Faden zu belügen, um mit dem Geld dann die Jugen weiter indoktrinieren. Das braucht niemand. Es gibt konfessionslose Therapeuten die ihren Job bestimmt genauso gut machen, es gibt staatliche Kindergärten und Schulen und auch Hilfsprojekte die unabhängig von Hautfarbe oder Konfession helfen.

Kirche braucht NIEMAND. Punkt.
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Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon stine » Di 15. Feb 2011, 09:16

Ein Interessensverein funktioniert so. Warum möchten Atheisten vom Atheismus überzeugen?
Was hat der "gemeine" Atheist davon, Interessensvereine die gut funktionieren und einen guten Nebeneffekt haben auszuhebeln?
Den Menschen innerhalb des Interessenvereins geht es doch offensichtlich ganz gut.
Wo ist das Problem?

Ich kann dich übrigens beruhigen: Christliche Kindergärten machen nichts anderes, als Weihnachten feiern und Ostereier bemalen. Ansonsten werden die Kleinen genauso bespielt, wie in weltlichen Kindergärten. Es werden auch areligiöse und andersreligiöse Kinder in zB katholischen Kindergärten aufgenommen, wenn die Eltern das wollen.
Und: Kirchliche Kindergärten und Schulen sind NICHT billiger, als andere, das Gegenteil ist der Fall, da sie als privat gelten. Und trotzdem ist der Run auf die "gute Erziehung" ungebrochen.

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Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon musicman » Di 15. Feb 2011, 09:34

Lumen hat geschrieben: die Serben sind orthodoxe Christen, die Kroaten katholisch und die Bosnier wurden (hach, welch Zufall) dann ab und zu auch als muslimisch benannt. Der Konflikt wurde oft als ethnischer Konflikt beschrieben, was aber Blödsinn ist, da alle eine slawische Identität haben, die auch hochgehalten wird.


Unterhalte Dich mal mit einem Kosovoalbaner darüber ob er nicht doch auch ein Serbe ist, oder mit einem Kroaten oder Bosnier und sag ihm ihr seid doch alle Slaven, ich hoffe für Dich er hat seinen Löffel daheim gelassen. :mg:

Das mag jetzt wie ein Apfel/Birnen Vergleich daher kommen aber folgende Frage: ist die Nazi-Ideologie positiv aufzufassen,


Das ist kein Apfel/Birnren vergleich, das ist die Disqulifikation aus einer halbwegs ernsthaften Diskussion, das steht immer am Schluß.
Da ich nicht religiös bin, sehe ich mich auch nicht veranlaßt, deiner Beweisführung nach Absurdistan zu folgen und klinke mich daher aus, aber diese einseitige schon in Ideologie ausufernde Weltsicht mancher Atheisten wird nur noch von religiösen Eiferern übertroffen, die dort stehen, wo weiter rechts nur noch die Wand ist.

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Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon Arathas » Di 15. Feb 2011, 09:35

mat-in hat geschrieben:Ich habe doch oben gezeigt, warum Kirchen sich in Kindergärten engagieren, Brunnen bohren, Schulen bauen, oder? Das sind keine zufälligen Nebeneffekte, das ist gezielter Machterhalt mit dem Nebeneffekt zu helfen.


Die Kehrseite daran: Viele bei diesem Machtapparat angestellte Menschen wollen tatsächlich helfen, und denen ist es egal, dass sie bei einem Machtapparat angestellt sind, dessen vorrangiges Ziel der Machterhalt ist. Und diese Menschen helfen dann auch, ganz unabhängig davon, dass diese Hilfe eigentlich nur ein Nebeneffekt ist.
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Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon mat-in » Di 15. Feb 2011, 10:07

Ich war selbst in einem christlichen Kindergarten und habe später auch Jugendarbeit gemacht. Natürlich ist der kath. Kindergarten was anderes als das Freikirchliche Jugendcamp und ich bin mir bewußt das mittlerweile auch nicht-katholiken ihre Kinder in so einen Kindergarten stecken können. Aber es hängen auch dort Kreuze, zu mindest bei uns wurde gebetet vor dem essen, ...

Die Jugendarbeit, bzw. davor das überleben einer Jugendgruppe (als ich noch selbst jung war) war schon immer schwierig. Das war eigentlich nur möglich, weil wir einen frischen, liberalen Pfarrer hatten, der zwischen den Jugendgruppen und "der Kirchengemeinde" sprich dem Altennachmittag und den "wir sind unglaublich wichtig, die welt dreht sich um uns, weil wir ein Amt haben im Pfarrgemeinderat" christen. Jeder unter 40 wurde systematisch gemobbt. Da wird ein Pfand für veranstaltungen verlangt (gute 100 DEM), das sei so beschlossen und das würde jetzt jeder zahlen. Dann findet man den Putzmittelschrank abgeschlossen vor (eigentlich wurde wenn wir dort waren immer alles abgeschlossen, manchmal sogar toiletten) und nächste woche bekommt man 20 DEM abgezogen, weil nicht geputzt war. Ein par wochen später findet man dann heraus, das der Altennachmittag und der Tanzabend der "wichtigchristen" beide kein Pfand zahlen und auch noch nie davon gehört haben... nur eine Momentaufnahme wie es einem dort geht, wenn man eine Gruppe leitet die jung ist, nicht nur aus katholiken besteht und nein es ist auch kein Einzelfall, ich kenne ähnliche Situationen aus anderen Gemeinden zum Beispiel der Gemeinde in die unser Pfarrer versetzt wurde, als man ihn hier "endlich los war". Aber das nur so als Momentaufnahme udn Randkommentar.

Mich stören daran, daß Kirchen sich mit ach so sozialen Hilfswerken schmücken, aber eigentlich andere Ziele verfolgen. Wenn man nicht neben jedem Brunnen eine Kriche baut, kann man einen weiteren Brunnen bauen. Dazu kommt, daß man sich - obwohl man geistig noch im Mittelalter zu stecken scheint und in vielerlei hinsicht auch daran festhalten möchte - anmaßt über moderne Themen moralische Aussagen treffen zu können und damit auch noch für alle Menschen zu sprechen. Das sind auch die beiden Hauptpunkte, die mich stören, sonst könnten die ja im stillen Kämmerlein tun und lassen was sie wollen: Reibungsverluste bei und Mißbrauch von (not)hilfe und Kinderausbildung sowie diese allgemeingültige, arrogante Art die mich zum Mensch 2. Klasse machen möchte.

Nein, ich bin nicht schon immer so gewesen. Nein, es geht mir nicht nur um meine Heimatgemeinde. Nein, ich möchte niemand seine Religion "wegnehmen".
Ja, ich finde Kirchen fürchterlich. Ja, ich denke man sollte den Menschen eine Alternative bieten die ihnen hilft, wenn sie das möchten.

Man könnte diese Hilfsmittel, diese Hilfsbereiten Leute, etc. viel sinnvoller einsetzen ohne Kirche drum rum. Aber "weil christen nun mal alle gut sind"...
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Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon stine » Di 15. Feb 2011, 12:23

Auch in alternativen Jugendeinrichtungen muss dafür gesorgt werden, dass Ordnung herrscht. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Gebäude mit Jugendeinrichtungen oft ziemlich heruntergewirtschaftet werden, weil sich von den Nutzern selbst niemand in der Pflicht sieht zu erhalten, was "niemandem" gehört.
Die meisten Pfarreien stellen Gemeindeunterkünfte für Jugendtreffs zur Verfügung, die auch gut angenommen werden. Dass die "Pfarrjugend" mehr Intersse an Party hat, als am sonntäglichen Kirchengehen, damit haben sich die Hauptamtlichen längst abgefunden. Das sind, so sagt man, die Christen der nächsten Generation.

Den Jugendlichen die in der Pfarrjugend tätig sind und waren, kommt es letztlich immer zugute, dass sie in ihrer Sturm- und Drangzeit stets wissen, wohin sie gehen können. Ich würde das nicht so verdammen, auch wenn zeitweiliger Pubertätsfrust die Stimmung trübt, handelt es sich doch um lebendige Gemeinde und man baut zwischenmenschliche Beziehungen auf, die mit gemeinsamen Aktionen gefördert werden können.
Die Jugendarbeit lehrt auch Verantwortung zu übernehmen und ist prinzipiell sinnvolle Freizeitgestaltung, ganz zu schweigen davon, dass man immer weiß wo man seine Freunde trifft. Die gegenseitige Hilfe und die Förderung durch Hauptamtliche ist ein zusätzlicher Pluspunkt für die Zugehörigkeit in eine feste Gemeinde.
Den Jugendlichen, die lediglich auf der Parkbank am Spielplatz ihre Flaschen leeren, gehts oft schlechter.

Dass Seniorentreffs und Krankentage ihren eigenen Stand innerhalb der Pfarrgemeinden haben ist bestimmt richtig auch dass der Putzmittelschrank abgesperrt wurde, wird seine Gründe gehabt haben, aber du darfst nicht vergessen, dass das Funktionieren einer Jugendgruppe immer von den Jugendgruppenleitern und der Jugend selbst abhängt. Sie können es sich und den anderen beweisen, dass sie es gut machen oder sie können den Kram hinschmeissen und bocken, beides ist eine Aussage, aber beides hat auch Konsequenzen. Gemeindeleben bleibt generationsübergreifend in Bewegung oder es stirbt.
Ich glaube nicht, dass der Zweifel an einem Gott oder der Zweifel an der Institution Kirche Grund sein sollte, lebendige Gemeinschaft nicht mehr zu leben. Die Welt funktioniert so, wie wir sie uns machen!

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Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon mat-in » Di 15. Feb 2011, 17:49

Auch wenn es jetzt sehr ins detail geht *zu überschrift schielt* aber beweisen, daß man es richtig machen kann? Wenn wir bei Cola und Wasser mit 16-25 Jährigen da rumhocken und Brettspiele spielen (übrigends an Tischen und sitzgelegenheiten die wir selbst privat erbettelt und dort hin getragen haben - so lernt man auch den Umgang mit was zu schätzen) und dann die betrunkene Gemeinderätin von der Mitarbeiterfeier - auf die in 10 Jahren Jugendarbeit keiner der Jugendleiter eingeladen war - herunter zu uns in den Raum torkelt, was abseilt das sie hofft das wir auch schön putzen nachher, uns alles voller Rotwein kleckert und dann wieder verschwindet... brauche ich dazu nicht mehr viel zu sagen, oder?
Das ging dort über ein jahrzehnt so, wir blieben tortz des Mobbings nur, in ermangelung einer Alternative die genug Raum bot. Die Stadtverwaltung hätte wohl sogar den Leitern ein par Euro bezahlt, wären wir umgezogen, aber der städtische Raum war einfach zu klein für 20 junge Leute. Das muß aber nicht für alle Städte gelten, ich kann nur hoffen das andere Leute denen es so geht eine Alternative finden.

Ich kann Gemeinschaft sehr gut ohne Kirche leben. Wichtigtuer gibt es da zwar auch, aber weniger und wenn sie meinen im Namen Gottes ermahnen zu müssen dies oder das nicht zu tun - ohne das Buch mal gelesen zu haben von dem sie sprechen - kann man sie dort auslachen ohne rausgeworfen zu werden.
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Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon ganimed » Di 15. Feb 2011, 19:13

Lumen hat geschrieben:Es gibt offenkundig mehr Gründe Religion scheiße zu finden, als Justin Bieber. Also, was ist das Problem? So bestätigt ihr das Bild, was diverse Atheisten seit geraumer Zeit beobachtet haben: wird Religion kritisiert, hört der Spaß auf

Tja was ist eigentlich das Problem? Ich meine, ich bin ja eigentlich deiner Meinung: Religion ist scheiße. Bei deiner Kritik, was sage ich, bei deiner Wand aus Kritik hört bei mir deshalb der Spaß auf, weil sie so einseitig ist. Du lässt kein gutes Haar an der Sache. Dir scheint wirklich absolut alles schwarz.
Ich für meinen Teil habe diese Selbstsicherheit nicht und bin immer etwas skeptisch gegenüber meiner eigenen Meinung. Stimmt das denn auch wirklich? Wenn meiner Meinung nach etwas vollkommen schwarz und negativ ist und kein gutes Haar dran ist, dann aber doch viele Millionen Menschen das nach eigener Aussage toll finden, sollte ich dann nicht zurecht skeptisch sein und meine Meinung stark in Zweifel ziehen? Da ist doch etwas nicht plausibel. Wie wahrscheinlich ist es, dass etwas so übles von so vielen Leuten gut gefunden wird?

Und dann ist da noch die eigene Erfahrung, die ich als Kirchenmitglied bis vor 10 Jahren machte. Ich sehe keines deiner vielen vielen Argumente auf diese meine damalige Situation zutreffen. Ich hatte keine Angst vor einem strafenden Gott, ich glaubte nicht an die Hölle oder den Teufel und ich fühlte mich von Gott nicht beobachtet oder unter Druck gesetzt. Ich fühlte mich nicht zu Gewalt und Krieg animiert. War ich damals wirklich eine große Ausnahme?

Ich habe Hitchens "God is not great" noch nicht gelesen, aber es hört sich nach deinen Worten so an, als habe er sich einen umfassenden Eindruck vom Glauben und seinen Inhalten gemacht. Nur ihn selbst erfahren hat er noch nicht. Es wird von ihm und dir viel geredet von psychologischen Mechanismen (Indokrinierung, Angst und Schuldgefühle, miese Machtbestrebungen und Selbstüberhöhung). Vielleicht gibt es ja noch einen weiteren psychologischen Mechanismus: jeder der nicht selber glaubt liegt grundsätzlich daneben mit seinen Einschätzungen wie sich Glaube anfühlt und was er für den Gläubigen bedeutet. Mir scheint es fast so.
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Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon ganimed » Di 15. Feb 2011, 19:23

mat-in hat geschrieben:die betrunkene Gemeinderätin von der Mitarbeiterfeier - auf die in 10 Jahren Jugendarbeit keiner der Jugendleiter eingeladen war - herunter zu uns in den Raum torkelt, was abseilt das sie hofft das wir auch schön putzen nachher

Diesen Beschreibungen entnehme ich hauptsächlich, dass Religion aus einem schlechten Menschen nicht unbedingt einen guten Menschen macht. Und genau so wurde bei uns in der Gemeinde auch geredet: wir sind alle Sünder und bleiben es auch und brauchen immer wieder (jede Woche symbolisch im Gottesdienst) die Vergebung aller Sünden. Ich finde das für sich genommen recht plausibel. Die Erwartung, dass kirchliche Würdenträger oder Amtsinhaber perfekte, nette, umsichtige Menschen seien, ist offenbar falsch. Aber wer weiß, vielleicht werden sie ja statistisch gesehen mit einer schwachen aber existenten Tendenz ein ganz klein wenig bessere Menschen, als sie es ohne Glauben wären.

Wie deine Schilderung auch zeigt, scheint diese üble Leitung trotz allem noch das beste Angebot für einen mitgliederstarken Jugendtreff gemacht zu haben. Sie mögen bigott und kleingeistig sein, aber immerhin werden Räume für eine gute Sache bereitgestellt. Ich verbuche das mit Abstrichen auf der guten Seite mit den positiven Auswirkungen von Religion.
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Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon stine » Di 15. Feb 2011, 20:07

@mat-in: Da hast du wirklich Pech gehabt. Ist aber nicht überall so. Meistens sind die Jugendlichen sehr gut aufgehoben und lernen schon früh mit anzupacken, Verantwortung zu übernehmen und sich das Umfeld zu gestalten. Habt ihr ja auch, so wie ich das rauslesen kann.
Bei uns organisiert die Jugend die Faschingsbälle, das Sommerfest und die Sektempfänge mit. Das macht allen Spaß und seit ich da bin werden sie auch ordentlich gelobt. :ja:
Solltest hierher kommen!

LG stine
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Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon mat-in » Di 15. Feb 2011, 21:00

Ja, wir hatten neben dem Treff auch Spieleabende, Disocs, Faschingsball, ... haben geholfen ohne belohnung den Sand im Kindergarten komplett zu tauschen, usw. wir unter uns waren immer ganz zufrieden, aber wir wurden wirklich bei jeder gelegenheit gemobbt. Außer der Erstkommunions-Indoktrinationsgruppe gibt es glaube ich dort jetzt keine Nachwuchsarbeit mehr :-( Liegt aber auch dran, das der Pfarrer der rausgeekelt wurde weg ist und der neue... nunja Erzkatholisch...

Es wundert mich schon ein bischen, das Religion aus schlechten Menschen keine guten macht... wo sie doch all diese tollen Vorgaben hat und man ohne so unmoralisch und unvollkommen und asozial ist.

Nein, es ist wohl wirklich so, gute Menschen kann eine Kriche organisieren, wenn sie sich treffen, arrogante wichtigtuer werden aber noch arroganter und pseudo-wichtiger. Wenn das keine Eigenschaft von Religion ist, sollte das doch auch ein Argument sein, das es ohne ganz gut geht? *fg*
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Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon stine » Di 15. Feb 2011, 21:40

Dass euch der erzkatholische Pfarrer rausgeekelt hat ist blöd - dafür haben wir jetzt unseren erzkatholischen Pfarrer in die Pampa geschickt. :mg:
Das Konzept der gegenseitigen Hilfe und der Gemeindearbeit ist prinzipiell gut und viele Alternativen außerhalb der Kirchen gibt es leider nicht. Meine Hoffnung ist, wenn sich viele für ein an und für sich gutes Konzept stark machenn, dann hätten solche
mat-in hat geschrieben:arrogante wichtigtuer
immer weniger Chancen sich wichtig zu machen.
Die Gemeinden leben von der Vielfalt und von den vielen Talenten die ihre Mitglieder einbringen.

Ich fände es schade, wenn die Jugendarbeit daran scheitern sollte, dass man "Gottesdiener" anbeten muss, die es nicht verdienen so genannt zu werden. Wenn Pfarrer oder Priester ihr Amt missbrauchen, müssen sie gehen, das steht außer Frage. Leider gibt es wegen vielerlei Bedingungen im Priesteramt immer weniger gute Anwärter auf dieses Amt. Gescheiterte Existenzen die im zweiten Anlauf Theologie studieren und als Spätberufene noch Chef hinter dem Altar werden, zeugen leider nicht von einer gesunden Entwicklung, genausowenig wie die vielen Flüchtlinge, die ihre Neigungen hinter dem Zölibat verstecken.

Das Leben in einer religiösen Gemeinde kann durchaus erfrischend und stärkend sein, wenn die Gemeinschaft trägt. Das hat für mich erstmal gar nichts damit zu tun, ob ich an Gott glaube oder zweifle. Selbst ein Atheist ist willkommen.

Einer der Firmlinge hier hat auf die Einladung zur Firmung geantwortet: I have seen god, she was black!
Er war trotzdem willkommen. :mg:

LG stine, die alles nicht so tierisch ernst nimmt
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Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon musicman » Di 15. Feb 2011, 22:07

stine hat geschrieben:Leider gibt es wegen vielerlei Bedingungen im Priesteramt immer weniger gute Anwärter auf dieses Amt. Gescheiterte Existenzen die im zweiten Anlauf Theologie studieren und als Spätberufene noch Chef hinter dem Altar werden, zeugen leider nicht von einer gesunden Entwicklung, genausowenig wie die vielen Flüchtlinge, die ihre Neigungen hinter dem Zölibat verstecken.


Die Geschütze sind positioniert, ich nehme an die Bastion Zölibat wird geschleift, die Frage ist nur wann, die RKK ist nicht so schnell, aber es wird kommen.
Der Priester hier im Ort der Gitarrenunterricht bei mir nimmt, weil er im Rahmen der Jugendarbeit eine Rockn Roll Band im Pfarrhaus betreibt und noch etwas Feinschliff benötigt, ein netter Mann, nannte mir allerdings ein gutes Argument für das Zölibat. Er meinte, es käme vor, dass er in seiner Tätigkeit als Seelsorger oft auch zu Witwen gerufen werde die des Trostes bedürfen. Wenn er nun vergleicht, welche Verwicklungen sich bei seinem verheirateten evangelischen Kollegen daraus ergeben können, bis hin zum ehelichen Eifersuchtsdrama, dann ziehe er doch aus diesem Grunde die Ehelosigkeit vor.
Die Überlegung ist nicht von der Hand zu weisen.

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Re: Ist Religion grundsätzlich gefährlich?

Beitragvon Lumen » Di 15. Feb 2011, 22:15

Eure Religionsverteidigung ist natürlich interessant, weil ihr einfach den Gegenstand wechselt. Ich habe zuvor extra darauf hingewiesen, dass es bestimmte, in bestimmten Religionen oft vorkommende Elemente sind, die das Problem darstellen (Himmel; Hölle; Fegefeuer; Jesus als Erlöser; himmlischer Polizeistaat mit Dauerüberwachung; das beliebige hin- und herschieben von Schuld und Verantwortung einschließlich dessen Monetarisierung; das Stützen von weltlichen Diktatoren; die Institutionalisierung der Folter; das Verhindern und Verschleppen von Menschenrechten; das Verhindern und Verschleppen von Medizin und anderen dem Wohlbefinden zuträglichen Errungenschaften usw.). Diese Dinge verschwinden nicht, indem man auf den örtlichen christlichen Tanzverein verweist.

Gleiches gilt auch für die umstrittenen Autoren. Diese benennen den Sachverhalt den sie dann kritisieren. Jemand der nicht an Jesus glaubt, oder an bestimmte (häufige) Vorstellungen dazu, der sieht sich auch nicht im Verdacht einer monströsen Idee aufzusitzen. Wenn aber manche Christen, wie im Falle der Deschner Doku z.B. zu Protokoll geben, Gott müsse die Menschen überwachen, da diese sich sonst fehl verhalten würden — dessen Ansicht kann völlig zu Recht kritisiert werden. Da ich das schon öfter gehört habe, schließe ich daraus, dass die Sichtweise unter wirklich Gläubigen nicht unüblich ist UND von diesen auch nicht als falsch empfunden wird.

Als Skeptiker sollte man auch aufpassen, sich nicht nur einen Schuh anzuziehen und dann zu meckern, dass da was nicht stimmt. Viele Christen haben kein Problem damit, dass ihre Religion die Hölle in Einzelheiten zu beschreiben weiß, aber der Himmel vage gehalten ist. In manchen Gegenden der Welt haben Menschen auch kein Problem damit, aus religiösen Gründen die Genitalien ihrer Kinder zu verstümmeln, was vor allem bei Mädchen sehr schmerzhaft sein dürfte und wohl auch deren Lustempfinden zielgerichtet ausschaltet. Manche Menschen haben eventuell kein Problem damit, überwacht zu werden, wenn sie sich dabei gleichzeitig behütet fühlen.

Nur das Ablehnen dieser Tatsachen, um dann vermeintlich bestimmte Ansichten zu schützen, führt offensichtlich in die Irre. Mit andern Worten, wenn die Haltung von Kampfhunden kritisiert wird, weil sie beißen könnten, dann führt es zu nichts, sich in zahmen Hunderassen zu ergehen, wenn es gleichzeitig Menschen gibt, die nicht nur Kampfhunde halten wollen, sondern deren Aggressivität und Bissigkeit sogar schätzen. Viele der angesprochenen zweifelhafte Aspekte der Religion sind zudem keine Randerscheinung, in den USA betrifft es mindestens die Hälfte aller Bürger, dazu der gesamte arabische Raum, und weite Teile Europas (vor allem der streng gläubigere Süden, viele ländliche Gegenden usw.), zusätzlich zum Gewicht der Geschichte hindurch.

Mit Verlaub: der gemäßtige christliche Dorfverein von Buxtehude ist ganz klar nicht repräsentativ, obwohl ich auch da die Wette eingehe, dass sich die eine oder andere bigotte Sichtweise findet.
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