Argumente für den Naturalismus

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Grotemson » Mi 16. Feb 2011, 18:47

Myron hat geschrieben:Die einen sagen ja, die anderen sagen nein.
Es gibt sogar Leute, die meinen, der metaphysische Naturalismus wäre mit dem metaphysischen Idealismus vereinbar. Oft wird der "Obernaturalist" Quine erwähnt, der nolens volens die Existenz abstrakter Mengen anerkannte. Dabei wird jedoch ebenso oft übersehen, dass Quine weniger ein ontologischer Naturalist denn ein ontologischer Szientist war, den das platonistische Indispensability Argument überzeugte.

Der arme Mann. Plötzlich waren eben Mengen Werte seiner gebundenen Variablen. Naja, was tut man nicht alles für Set-theory.
Aber gut, deine Version des Nat. wäre jetzt aber nicht völlig deckungsgleich mit Mat. Schließlich erwähntest du ja schon deine Affinität zu linguistischen Typen und interessanterweise Musik(soweit ich mich erinnere). Oder stehe ich immer noch auf dem Schlauch?

Myron hat geschrieben:Es kommt darauf an. Ein argumentum ad ignorantiam ist nicht immer unzulässig.

"[T]he ad ignorantiam argument is not always fallacious, and it is misleading to call it a fallacy. ... [T]he ad ignorantiam is a plausible, if weak, form of reasoning, depending on the context. ... If the conclusion of the argument is phrased in strong terms—for example, using the term 'definitely' or 'conclusively'—then that is a sign that the argument could be fallacious. If the conclusion is phrased as a plausible presumption, however, and the context of dialogue supports it, then these are signs that the argument from ignorance may be reasonable (nonfallacious). ... In short, then, as a weak (plausible) form of argument, an ad ignorantiam argument can sometimes be nonfallacious. It depends on the context. But the argument from ignorance can become weak or erroneous when it is taken as a stronger form of argument than the evidence warrants."

(Walton, Douglas N. Informal Logic: A Handbook for Critical Argumentation. Cambridge: Cambridge University Press, 1989. pp. 45-6)

Ich stimme nicht zu. Das Argument mag nicht invalid im strengen Sinne sein, aber immerhin geht es hier um eine ontologische Entscheidung und wenn etwas wirklich starke, am besten logisch gültige, Argumente und Kriterien braucht, dann ein ontologischer Streit. Für die Festlegung auf Entitäten ist ein a.I auf keinen Fall stark genug. Der Autor sagt ja hier selber, dass es genrell sehr schwach ist. Vor allem in Hinblick auf ontologische Entscheidungen, die ja wirklich Lichtschalter-Entscheidungen sind, sehe ich so gut wie keine rechtfertigende Kraft und wissenschaftstheoretisch im Hinblick auf Beweislastrelationen keine epistemische Verknüpfung zwischen "Prämissen" und Konklusion.

Myron hat geschrieben:Nein, es besteht ein Unterschied zwischen einer eliminativen und einer konservativen Reduktion:

1. ER: Es gibt keine Xe, sondern nur Ye.

2. KR: Es gibt Xe, aber sie sind Ye.

Gut, ich gestehe ein, dass man das so konstruieren, aber nur wenn es eine Möglichkeit gibt, ontische Abhängigkeit nicht nur logisch zu entwickeln, sondern auch mit Inhalt zu füllen. Ich verstehe immer noch, was das für eine Verbindung sein soll, die enige Entitäten existenziell abhängig macht. Und ordenet man ihnen dann eben nicht doch eine andere Stufe der Existenz zu. Folgendes ist doch, wenn ich es richtig verstehe, der Gedankengang: Was ist der Grund, warum man als Naturalist eine reduktionistische Position einnimmt? Weil man keine Entitäten annehmen möchte, die irgendwie den Anschein machen, nicht Teil von MERZ zu sein. Also macht man ihre Existenz mittels Reduzierbarkeit Teil von MERZ und ist zufrieden. Aber was meint man bitte, wenn man sagt: Es gibt Xe, aber sie sind Ye? Ich will klaren Inhalt zu diesem Satz! Einerseits scheint man die Identität zweier Entitäten auszusagen, andererseits sagt man aber, dass es sie beide gibt. Für mich ist das ein Widerspruch, den man nur erklären kann, wenn man irgendwie versucht zu sagen: Ja, Xe existieren schon- aber sie existieren halt anders als Ye. Sie haben quasi eine Art "eingeschränkte" Existenz. Damit hat man keine schlankere Ontologie, man hat einen meinongschen Dschungel. Die andere Art, sich rauszureden ist zu sagen, dass Alles von Etwas abhängig ist, d.h. das ist einfach ein Teil von Existenz. Aber das trivialisiert das Projekt völlig. Vielleicht war das Phänomen einen Regress zu nennen, terminologisch nicht geschickt. Was passiert ist doch folgendes: Wovon ist X ontisch abhängig? Von Y. Aber offensichtlich soll ontische Abhängigkeit eine transitive Relation sein. Wenn also X von Y und Y wiederum von Z abhängig ist, dann X plötzlich auch von Z abhängig. Aber Z ist wiederum von U abhängig usw. bis wir eine transitive Relationskette mit allen existierenden Entitäten haben und X bei sich selbst wieder ankommt. Aber dann ist nichts ausgesagt.
Wie gesagt: Man kann das stoppen, wenn man zugibt, dass es Dinge gibt, die nicht ontisch abhängig sind. Aber dann hat man meiner Meinung nach bereits verschiedene Arten des Existierens zugegeben, was für mich sinnlos klingt(ich finde sogar, es rückt sehr nahe eine heideggerianische Konzeption von Sein und Seiendem heran und da stellen sich bei mir die Haare zu Berge!).
Für mich sind solche Strategien immer noch eine Art, sich um Entscheidungen zu drücken, die schmerzlich sind.
Zu der mögliche Welten Konstruktion:

Myron hat geschrieben:Das sollte ein Materialist und wohl auch ein Naturalist bestreiten. Ist eine Welt, worin der mentalistische Immaterialismus, kurz Mentalismus, wahr ist, eine natürliche Welt? Eine Welt, worin nur Gott existiert, wäre eine solche Welt, was bedeutet, dass Materialisten/Naturalisten nicht nur die Tatsächlichkeit, sondern auch die Möglichkeit der Existenz Gottes leugnen müssten.

Ich sehe da eine implizite Zirkularität. Du hast ontische Abhängigkeit benutzt, um Naturalismus zu erklären und jetzt erklärst du den zentralen Begriff der ontischen Abhängigkeit wiederum mit Naturalismus. Anders ausgedrückt: Ontische Abhängigkeit klappt nur, als Argument für den Naturalismus, wenn man ausschließt, dass keine es Welten gibt, in denen nur Geistiges existiert. Diese Selektion kann aber nur durch naturalistische Annahmen erklärt werden. Ergo: Das Funktionieren des Argumentes setzt die Position voraus, die es plausibilisieren soll.
Die Frage nach einer Welt, in der Emotionen existieren ist natürlich rhetorisch klug gestellt, weil eine solche Welt keiner annehmen würde. Aber was- außer dem Naturalismus selbst- spricht gegen rein geistige Subjekte?( In möglichen Welten selbstverständlich )
Du sagst dazu:

Myron hat geschrieben:they consist of nothing, of no kind of stuff whatsoever—not even of some "mind-stuff", since the concept of immaterial stuff (material) is a contradiction in terms

I am not sure if the mention of a "contradiction in terms" isnt begging the question on the dualist. Just because we usually associate the notions of "stuff" and "consisting of something" as consisting of something material, does not mean these notions cannot be construed otherwise. To speak of "stuff" and to mean some form of matter is simply the way of talking we have become acustomed to. But it does not habe to bear that meaning by neccessity. Anyway: A dualist who takes his notion of existence seriously can dispense with the talk of consisting of something, that is so misleading for the materialist, altogether: He can simply say that there is a possible world where there is something that only has mental properties, meaning that only mental properties are instantiated in that world. There is nothing contradictory about this construal. To say that there must again be something that is the bearer of these properties is to pressupose some strange form of essentialism. But there is no "core of being" that bears the properties. The properties are all there is. Objects and Entitities consist entirely of properties and the relations they stand in. So actually the Anti-Dualist is the one holding strange beliefs about a "core of being". And if he is a naturalist- all the worse for him, for in his reply, he has pressuposed a conception of existence that has been overcome by modern science for some decades now.

Myron hat geschrieben:But now the big trouble with the concept of such things starts: ontologically speaking, pure subjects of consciousness/experience cannot conceivably be anything over and above the content of their consciousness, the stream of their experiences. This means that they are part of this content or stream, i.e. that they are experiences themselves. But no experience can possibly be an experiencer, a subject of experience, because experiencers are necessarily distinct from their experiences. No subject of experience is intelligibly reducible to one of its experiences

This argument again falls victim to how we usually speak. Of course: There must be a subject that experiences for there to be experiences. But even in a world where there is just an experiencer it does not follow that they are undistinguishable. The mistake here is to equate consciousness with the sum of its experiences. But to do this, is absurd. Consciousness is not the sum of its experiences. Although every experience is included in the consciousness having it and despite the fact that if the experiences were to disappear, nothing conscious would remain, they are not the same. Consciousness is a complex system in which adding up its propper parts isnt enough to reconstrucht the system. That is why there can be experiences distinct from the experiencer, but embedded in him.

Auf das Argument, materielose Geister könnten keine Erinnerung haben, gehe ich nicht ein, weil es offensichtlich voraussetzt, dass ein Erinnerungs/Informationsspeicher materiell sein muss- wozu es keinen Grund außer der Überzeugung gibt, dass alles letztenendes materiell sein muss.
ps. Pardon my english! It seemed to appropriate language for a response, but I do not have time to correct the numerous spelling mistakes!

Myron hat geschrieben:Der Satz ist genauso logisch unproblematisch wie der Satz "Es gibt Hunde und sie sind Säugetiere".
Die Menge der Hunde ist eine Teilmenge der Menge der Säugetiere, und analog kann man sagen, dass die Menge der psychischen Phänomene eine Teilmenge der Menge der physischen Phänomene ist.

Ich finde die Analogie hinkt etwas, da es sich bei deinem Beispiel um eine biologische Klassifizierung handelt, die nichts mit Reduktion zu tun hat. Jemand der sagt, Hunde seien Säugetiere, trifft ja keine Identitätsaussage erster Ordnung. Vielmehr sagt er: "Alle Hunde lassen sich unter das Klassifikationsmerkmal des Säugetiers unterordnen." Wenn aber nun einer genauso in der Ontologie vorginge und sagte: "Alle psychischen Phänomene lassen sich unter das Klassifikationsmerkmal der physischen Vorgänge unterordnen" dann würde er einen falschen Satz äußern. Psychische Phänomene und physische Vorgänge haben, auch unter Voraussetzung ihrer Reduzierbarkeit, verschiedene Klassifikationskriterien. Ein Satz über sie ist also kein "Metasatz" über Klassenzugehörigkeit, sondern ein Identitäts- oder zumindest Äquivalenzsatz bezüglich der Entitäten. Sonst wäre ja ein solcher Satz für den Naturalisten gar keine Rettung.

Myron hat geschrieben:Das Adjektiv "physisch" ist deshalb vorzuziehen, weil es missverständlich wirken kann, wenn man von materiellen Eigenschaften spricht. Denn Eigenschaften bestehen natürlich nicht aus Atomen, sind nicht räumlich ausgedehnt, und haben keine Masse oder Energie (sie sind ja selbst Massen oder Energien).

Wie gesagt, "Psychische Vorgänge sind physische Vorgänge" ist analog zu z.B. "Finanzielle Vorgänge sind ökonomische Vorgänge".

Lese ich aus dieser Ausdrucksweise(Eigenschaften sind selbst Massen oder Energien) heraus, dass du ontologisch auf Universale wie "Röte" oder "Vierbeinigkeit" verzichtest?
Benutzeravatar
Grotemson
 
Beiträge: 75
Registriert: So 16. Jan 2011, 21:22

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Grotemson » Mi 16. Feb 2011, 18:52

Ps. Bevor wieder irgendwer meint ich würde Fragen ausweichen oder sowas(habe den Vorwurf nicht ganz verstanden) Ja, ich lese Myrons neusten Beitrag bereits und ja ich habe vor, darauf zu antworten.
Benutzeravatar
Grotemson
 
Beiträge: 75
Registriert: So 16. Jan 2011, 21:22

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Myron » Do 17. Feb 2011, 23:32

TEIL 1:

Grotemson hat geschrieben:Aber gut, deine Version des Nat. wäre jetzt aber nicht völlig deckungsgleich mit Mat. Schließlich erwähntest du ja schon deine Affinität zu linguistischen Typen und interessanterweise Musik(soweit ich mich erinnere). Oder stehe ich immer noch auf dem Schlauch?


Na ja, einerseits könnte man diejenigen Abstrakta als natürliche Entitäten tolerieren, die von physischen Entitäten ontisch und ontogenetisch abhängig sind, aber andererseits frage ich mich, wie deren Produktion durch physische oder psychophysische Prozesse vonstatten gehen könnte. Nehmen wir den Buchstabentyp <A> als Beispiel. Die Produktion konkreter mündlicher oder schriftlicher Exemplare dieses Typs ist kinderleicht und völlig unrätselhaft, aber wie kommt zusätzlich der abstrakte Typ in die Welt?

Grotemson hat geschrieben:Ich stimme nicht zu. Das Argument mag nicht invalid im strengen Sinne sein, aber immerhin geht es hier um eine ontologische Entscheidung und wenn etwas wirklich starke, am besten logisch gültige, Argumente und Kriterien braucht, dann ein ontologischer Streit. Für die Festlegung auf Entitäten ist ein a.I auf keinen Fall stark genug. Der Autor sagt ja hier selber, dass es genrell sehr schwach ist.


Die Stärke einer Schlussfolgerung von der Abwesenheit von Beweisen für das Dasein von etwas auf dessen Nichtdasein ist kontextabhängig. Ein solches Argument kann stärker werden, wenn gilt:

"Wenn x existierte, dann wären erkennbare Anzeichen seiner Existenz zu erwarten."

Wenn ich z.B. behaupte, dass sich in meiner Wohnung kein Hund befinde, weil trotz gründlicher Suche nichts auf die Anwesenheit eines Hundes hindeute und im Falle der Anwesenheit entsprechende Beweise oder Hinweise zu erwarten seien, dann ist das eine höchst glaubwürdige Behauptung.

Douglas Walton unterscheidet drei grundlegende Argumentationstypen:

1. Deduktiv gültige Argumente.
2. Induktiv starke Argumente.
3. Präsumtiv glaubhafte Argumente.

"In a deductively valid argument, the link between the premisses and the conclusion is strict in the sense that the conclusion must be true in every case in which the premisses are true, barring any exception. In such an argument, the conclusion follows from the premisses by logical necessity. A traditional example is: 'All men are mortal; Socrates is a man; therefore Socrates is mortal'. The premisses don't have to be true, but if they are, the conclusion has to be true.

In an inductively strong argument, the link between the premisses and the conclusion is based on probability, so that if the premisses are true, then it can be said that the conclusion is true with a degree of probability (usually measured as a fraction between 0 and 1, the latter being the value assigned to a deductively valid argument, the limiting case).

In a presumptively plausible argument, the link between the premisses and the conclusion is based on burden of proof, meaning that it is not known whether the conclusion is true or not, but if the premisses are true, that is enough of a provisional, practical basis for acting as though the conclusion were true, in the absence of evidence showing it to be false. Presumptively plausible arguments are species of arguments from ignorance that should be treated with caution, because of their provisional nature, making them subject to default, and even in some cases fallacious."


("Arguments, Types of," by Douglas N. Walton. In The Oxford Companion to Philosophy, edited by Ted Honderich, 48-49. Oxford: Oxford University Press, 1995.)

Some arguments "are presumptive and plausibilistic in nature, meaning that if the premises are true (or acceptable), then the conclusion does not follow deductively or inductively, but only as a reasonable presumption in given circumstances of a case, subject to retraction if those circumstances should change. Moreover, such changes do not tend to be quantifiable as probabilities (except perhaps very roughly), because hard or objective evidence to back them up is not available. Instead, the basis of their support is subjective (i.e., based on a source, signs or other not-very-reliable indicators that are inherently open to critical doubt)."

(Walton, Douglas N. Argumentation Schemes for Presumptive Reasoning. Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum, 1996. p 13)

Sowohl in Alltagsdiskussionen als auch im philosophischen Diskurs spielen präsumtiv glaubhafte Argumente, deren Schlussfolgerungen glaubhafte Vermutungen oder Mutmaßungen sind, eine wichtige Rolle. Damit befasst sich die informelle Logik:

http://plato.stanford.edu/entries/logic-informal

Grotemson hat geschrieben:Ich verstehe immer noch, was das für eine Verbindung sein soll, die einige Entitäten existenziell abhängig macht.


"A ontologically depends on B iff it is impossible for A to exist without B existing, and the impossibility is due to the nature (essence) of A."

(Molnar, George. Powers: A Study in Metaphysics. Edited by Stephen Mumford. Oxford: Oxford University Press, 2006. p. 29)

Das heißt, die Daseinsabhängigkeit einer Sache gründet in ihrem Wesen.

Grotemson hat geschrieben:Und ordenet man ihnen dann eben nicht doch eine andere Stufe der Existenz zu.


Nein, denn:

"'[E]xistence' is univocal, in that although there are different types of thing which exist, there is only one type of existence[.]"

(Molnar, George. Powers: A Study in Metaphysics. Edited by Stephen Mumford. Oxford: Oxford University Press, 2006. p. 21)

Wenn A von B existenziell abhängig ist, dann bedeutet das nicht, dass B existiert und A bloß "subsistiert".

Grotemson hat geschrieben:Aber was meint man bitte, wenn man sagt: Es gibt Xe, aber sie sind Ye? Ich will klaren Inhalt zu diesem Satz! Einerseits scheint man die Identität zweier Entitäten auszusagen, andererseits sagt man aber, dass es sie beide gibt. Für mich ist das ein Widerspruch, den man nur erklären kann, wenn man irgendwie versucht zu sagen: Ja, Xe existieren schon- aber sie existieren halt anders als Ye. Sie haben quasi eine Art "eingeschränkte" Existenz.


"Xe sind Ye" impliziert natürlich "Zu jedem X gibt es ein Y, das mit X identisch ist".
Beispiel: "Hunde sind Säugetiere" impliziert "Zu jedem Hund gibt es ein Säugetier, das damit identisch ist".

Und wenn man beispielsweise sagt, dass makroskopische Dinge wie Tische auf Systeme mikroskopischer Elementarteilchen reduziert werden können, dann macht man Tische damit nicht zu "Entitäten zweiter Klasse".
Es sollte einleuchten, dass ein Tisch nicht weniger real sein kann als das reale Elementarteilchensystem, womit er identisch ist.

Konservative ontologische Reduktionen sind insofern keine ontologischen "Degradierungen", als sie nicht zu einer "verdünnten" Existenzweise der reduzierten Entitäten, sondern zu einer Subsumtion einer Entitätsklasse unter eine andere führen.

Grotemson hat geschrieben:Die andere Art, sich rauszureden ist zu sagen, dass Alles von Etwas abhängig ist, d.h. das ist einfach ein Teil von Existenz.


Die Theisten glauben, dass Gott existiert und von nichts anderem existenzabhängig ist.
Etwas ist genau dann absolut existenzunabhängig, wenn es eine mögliche Welt gibt, worin nichts außer ihm existiert. Ob es absolut existenzunabhängige Entitäten, insbesondere Substanzen gibt, ist freilich eine andere Frage.

Grotemson hat geschrieben:Was passiert ist doch folgendes: Wovon ist X ontisch abhängig? Von Y. Aber offensichtlich soll ontische Abhängigkeit eine transitive Relation sein. Wenn also X von Y und Y wiederum von Z abhängig ist, dann X plötzlich auch von Z abhängig. Aber Z ist wiederum von U abhängig usw. bis wir eine transitive Relationskette mit allen existierenden Entitäten haben und X bei sich selbst wieder ankommt. Aber dann ist nichts ausgesagt.


Richtig, die Beziehung der ontischen Abhängigkeit ist transitiv.
Das bedeutet aber keineswegs per se, dass alles von allem ontisch abhängig ist.
Was wovon direkt oder indirekt ontisch abhängig ist, muss im Einzelnen geklärt werden.
Ich bin z.B. nicht von dir daseinsabhängig und du nicht von mir.

Wichtig ist übrigens die Unterscheidung zwischen rigid ontological dependence und generic ontological dependence, d.h. zwischen

(ROD) "Das Individuum x kann nur dann existieren, wenn das Individuum y existiert"

und

(GOD) "Das Individuum x kann nur dann existieren, wenn mindestens ein Y, d.i. ein Element der Klasse der Ye existiert".

Grotemson hat geschrieben:Wie gesagt: Man kann das stoppen, wenn man zugibt, dass es Dinge gibt, die nicht ontisch abhängig sind. Aber dann hat man meiner Meinung nach bereits verschiedene Arten des Existierens zugegeben, was für mich sinnlos klingt(ich finde sogar, es rückt sehr nahe eine heideggerianische Konzeption von Sein und Seiendem heran und da stellen sich bei mir die Haare zu Berge!).
Für mich sind solche Strategien immer noch eine Art, sich um Entscheidungen zu drücken, die schmerzlich sind.


Man könnte eigentlich schon sagen, dass etwas Abhängiges in anderer Weise existiert als etwas Unabhängiges, sofern man dies nicht so auffasst, dass etwas Abhängiges in einem anderen Sinne des Wortes "existieren" existiert als etwas Unabhängiges. Denn Existenzabhängigkeiten führen nicht in den Meinong'schen "Dschungel".

Grotemson hat geschrieben:Ich sehe da eine implizite Zirkularität. Du hast ontische Abhängigkeit benutzt, um Naturalismus zu erklären und jetzt erklärst du den zentralen Begriff der ontischen Abhängigkeit wiederum mit Naturalismus. Anders ausgedrückt: Ontische Abhängigkeit klappt nur, als Argument für den Naturalismus, wenn man ausschließt, dass keine es Welten gibt, in denen nur Geistiges existiert. Diese Selektion kann aber nur durch naturalistische Annahmen erklärt werden. Ergo: Das Funktionieren des Argumentes setzt die Position voraus, die es plausibilisieren soll.


Deinen Zirkularitätsvorwurf kann ich nicht nachvollziehen.

Ich verwende die Begriffe der ontischen und (onto)genetischen Abhängigkeit im Definiens meiner Definition des Begriffs einer natürlichen Entität. Und deren Definition wiederum ist sowohl gegenüber dem Naturalismus als gegenüber dem Antinaturalismus vollkommen neutral.

Was die Behauptung betrifft, dass alles natürlich, d.i. physisch oder vom Physischen ontisch und ontogenetisch abhängig sei, so stellt sich freilich die Frage, wie sich diese begründen lässt. Dabei spielen sowohl philosophische Überlegungen als auch wissenschaftliche Erkenntnisse eine Rolle.
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Myron » Do 17. Feb 2011, 23:49

Teil 2:

Grotemson hat geschrieben:Die Frage nach einer Welt, in der Emotionen existieren ist natürlich rhetorisch klug gestellt, weil eine solche Welt keiner annehmen würde.


Ein lupenreiner Idealist/Mentalist glaubt an mögliche Welten, worin nichts außer psychischen Entitäten existiert.

Grotemson hat geschrieben:I am not sure if the mention of a "contradiction in terms" isnt begging the question on the dualist. Just because we usually associate the notions of "stuff" and "consisting of something" as consisting of something material, does not mean these notions cannot be construed otherwise. To speak of "stuff" and to mean some form of matter is simply the way of talking we have become acustomed to. But it does not habe to bear that meaning by neccessity.


Alltagssprachlich werden die Wörter "Stoff" und "Zeug" auch im nichtphysikalischen Sinne gebraucht, aber im philosophischen Kontext ergibt die Rede von aus einem immateriellen Stoff oder Zeug bestehenden immateriellen Substanzen keinen Sinn. Laut dem Grimm'schen Wörterbuch sind "stofflos" und "unstofflich" Verdeutschungen von "immateriell".

Grotemson hat geschrieben:Anyway: A dualist who takes his notion of existence seriously can dispense with the talk of consisting of something, that is so misleading for the materialist, altogether:


Ich habe nicht gesagt, dass ein Substanzdualist behaupten muss, dass eine immaterielle Substanz aus einem immateriellen Stoff besteht. Der Begriff einer unstofflichen immateriellen Substanz ist aber nicht weniger unsinnig als der einer stofflichen immateriellen Substanz.

Grotemson hat geschrieben:He can simply say that there is a possible world where there is something that only has mental properties, meaning that only mental properties are instantiated in that world. There is nothing contradictory about this construal. To say that there must again be something that is the bearer of these properties is to pressupose some strange form of essentialism. But there is no "core of being" that bears the properties. The properties are all there is. Objects and Entitities consist entirely of properties and the relations they stand in. So actually the Anti-Dualist is the one holding strange beliefs about a "core of being".


Die gute alte ontologische Debatte zwischen den Reduktionisten und den Antireduktionisten in Bezug auf Objekte/Substanzen steht über derjenigen zwischen den Materialisten/Naturalisten und den Antimaterialisten/Antinaturalisten.

Selbst wenn ich der Meinung wäre, dass sich Objekte und Substanzen sinnvoll auf substratlose Attributskonglomerate reduzieren lassen, würde ich verneinen, dass es rein psychische Eigenschaftsbündel gibt.

Dieser Meinung bin ich übrigens nicht, denn eine Eigenschaft ist eine Art und Weise des Seins, eine Beschaffenheit oder "Wielichkeit"; und mir ist völlig schleierhaft, wie sich aus einer Menge von Eigenschaften ein echtes Ding oder ein echter Gegenstand zusammenbauen lässt.
Außerdem erscheint es mir unsinnig zu sagen, ein Gegenstand bestünde aus seinen Eigenschaften. Eigenschaften sind keine Bestandteile wie Organe, Moleküle, Atome oder Elementarteilchen. Wer so redet, der macht sie stillschweigend und womöglich unbewusst zu Ersatzsubstanzen, zu Quasiobjekten – was Eigenschaften aber eben nicht sind.

Was die angeblich so mysteriösen Eigenschaftsträger oder -grundlagen (Substrate) anbelangt, so sind Objekte/Substanzen in meinen Augen keine an sich eigenschaftslosen Eigenschaftsträger, woran die Eigenschaften äußerlich "kleben", sondern schlicht eigenschaftstragende Eigenschaftsträger.
Es gibt weder eigenschaftslose Eigenschaftsträger noch trägerlose Eigenschaften.
(Was mir mysteriös erscheint, ist der synchrone und diachrone Zusammenhalt eines trägerlosen Eigenschaftsbündels. Da ist dann u.a. von der Beziehung der "compresence" die Rede, was mich aber nicht überzeugt.)

"Objects are bearers of properties. A property-bearer is not a 'thin particular' to which properties are affixed. A property-bearer itself has all the properties it 'supports' and no more. Property-bearers are not 'bare particulars'. A property-bearer is an object considered as something that is various ways, something that has various properties; properties are ways objects are. On one reading, Locke's substrata are my objects."

(Heil, John. From an Ontological Point of View. Oxford: Oxford University Press, 2003. pp. 172-73)


"It may be useful to have a dialogue at this point.

David: What is a substratum?

John: It is that about an object that is the bearer of properties. Being a bearer of properties is what a substratum is qua substratum.

David: This so-called bearer of properties sounds like a we-know-not-what. Surely, it must have other properties than just the property of bearing properties. What are they? And if you can't answer, aren't you just positing something totally obscure and unknowable, indeed, an unintelligible chimera?

John: I answer that qua substratum we are to take notice only in its leading or characteristical most general feature of being a bearer of properties. Of course, nothing could exist as an object possessing only that property. If you want me to answer what properties some substratum bears other than this, I answer, of course, the ones it happens to bear. In a particular case, for example, a substratum will bear the properties square, white, salty in taste, soluble in water, and more than you and I can mention. The properties borne need only the bearer of them to be the object itself. And the bearer needs only the properties it bears to be the object itself. The mystery is made only by your questions.

David: Why is the substratum needed at all? Why is not the object just a bundle or collection of properties?

John: You never listened to my answer. I shall not give it again now, except to say that you mistakenly treat properties as if they were objects in their own right to be bundled as so many sticks in a pile. Shape and size and solubility in aqua regia do not appear to me to be entities for any kind of simply grouping, collecting, or bundling. You speak as if the shape of an object is a part of it like its top half. I think that you have an incoherent idea of properties and that when you have made it coherent, you will see that properties have need not only of one another, but also each and all of a bearer to complete the notion of an object."


(Martin, C. B. "Substance Substantiated." 1980. Reprinted in Particulars, Actuality, and Identity over Time, edited by Michael Tooley, 37-44. New York: Garland, 1999. pp. 40-1)


Und was die Hume'sche Bündeltheorie des Geistes betrifft, so teile ich die Meinung Peter Ungers:

"Hume's bundle theory of ourselves may be seen, I think, to be perfectly absurd. Indeed, to my mind, the simplest consideration against the view is perfectly decisive: We must acknowledge the possibility of just a single thinking, or a solitary perceiving, or a lonely experiencing. As such a lonely experience is so perfectly solitary, it can't be part of any bundle or collection of perceptions. On a bundle theory, then, it must be an experiencing of no experiencer at all, which is obviously absurd. Nor will we be helped in avoiding absurdity, it's evident, by a clever logical dodge, as with defining 'minimal bundle' comprising just one single experiencing, which may somehow serve to comprise, or to compose, a being whose experiencing it is. For, it's also obviously absurd to think that an experiencing may be its own subject, or to think that there may be no difference at all between an experiencer, however small and impoverished, and, on the other side, the experiencing that this subject enjoys.
Please don't misunderstand me here. I'll allow that it's perfectly possible for there to be a person who only ever engages in extremely little experiencing. Just so, it's perfectly possible, I'll at least allow, for there to be someone who exists for only a tiny fraction of a single second, experiencing only just then, and then only in just a certain absolutely specific way, perhaps as simple as just experiencing bell-tonely, for instance. As I'll happily allow, this 'terribly fleeting' being won't ever enjoy, or he won't ever suffer, any more experiencing than just that, during his single existential moment. What I'm not prepared to allow, by contrast, is that there's ever any experiencing, or any (so-called) experience, that somehow constitutes an experiencer; no more than there's any experience, or any experiencing, really, that's not the experience of an experiencer. Rather, in every possible case, it's the experiencer that's quite basic, with the experiencing, or the (so-called) experience, only ontologically parasitical (on the sentient being). It may be helpful, I think, to put the point this graphically: An Almighty God, if Such there be, could make an experiencer who never enjoys any experience; maybe, during his very brief existence, he's always in absolutely deep sleep, say, and, for that reason, he's never experiencing. But, not even an Almighty God could make there be some experiencing (or, what's colloquially called some experience) that wasn't the experiencing (or the so-called experience) of an experiencer, who's ontologically more basic than the experiencing.
On views very different from bundle theories, as with Descartes's idea of substantial individual souls, there's no place for such absurd thoughts as that of an experiencing, or an experience, without any experiencer. (Nor is there any place for such an absurd idea as that of an experiencer who's identical with his experiencing.) Rather than an experience that's floating free of all souls, we should have each experience be an experience of a properly powerful individual, maybe a manifestation of the individual's power to experience. Though we may disagree with Descartes on many other matters, on this critical point, he is, apparently, right on the money. By contrast, Hume's bundle theory is wrong."


(Unger, Peter. All the Power in the World. Oxford: Oxford University Press, 2006. pp. 57-8)

Grotemson hat geschrieben:And if he is a naturalist- all the worse for him, for in his reply, he has pressuposed a conception of existence that has been overcome by modern science for some decades now.


Ich halte die Auffassung, dass sich Objekte/Substanzen nicht auf ihre Attribute reduzieren lassen, d.h. dass sich das Sein eines Dinges/Gegenstandes nicht im Sein seiner Eigenschaften erschöpft, immer noch für topaktuell und voll wissenschaftskompatibel.

"What I do deny is that a particular is nothing but a 'bundle of qualities', whatever that may mean. If a quality is an abstract object, a bundle of qualities is an object of an even higher degree of abstraction, not a particular. Philosophers have come to the opposite view through a false dilemma: they have asked, are these objects behind the bundle of qualities, or is the object nothing but the bundle? Neither is the case; this table is wooden, brown, in the room, etc. It has all these properties and is not a thing without properties, behind them; but it should not therefore be identified with the set, or 'bundle', of its properties, nor with the subset of its essential properties."

(Kripke, Saul A. Naming and Necessity. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1980. p. 52)

Grotemson hat geschrieben:Of course: There must be a subject that experiences for there to be experiences. But even in a world where there is just an experiencer it does not follow that they are undistinguishable. The mistake here is to equate consciousness with the sum of its experiences. But to do this, is absurd. Consciousness is not the sum of its experiences. Although every experience is included in the consciousness having it and despite the fact that if the experiences were to disappear, nothing conscious would remain, they are not the same.


Ein Bewusstsein ist erstens kein Ding, sondern eine Eigenschaft eines Dinges, und zweitens hat ein Bewusstsein keine Erlebnisse, sondern nur sein Träger. Und das Haben von Bewusstsein besteht im Haben von Erlebnissen – und umgekehrt.

Grotemson hat geschrieben:Auf das Argument, materielose Geister könnten keine Erinnerung haben, gehe ich nicht ein, weil es offensichtlich voraussetzt, dass ein Erinnerungs/Informationsspeicher materiell sein muss- wozu es keinen Grund außer der Überzeugung gibt, dass alles letztenendes materiell sein muss.


Damit übergehst du einen gewichtigen Einwand gegen den Substanzdualismus, nämlich denjenigen, dass ein Gedächtnis objektive Speicherkapazitäten für dispositionelle Eigenschaften voraussetzt, über die ein reiner Geist mit ausschließlich subjektiven Bewusstseinszuständen aber nicht verfügt. Ein reiner Geist kann somit kein Träger unmanifestierter Dispositionen (Erinnerungen, Überzeugungen, Wissen, Vorlieben) sein, die nicht in sein Bewusstsein fallen.

Grotemson hat geschrieben:Jemand der sagt, Hunde seien Säugetiere, trifft ja keine Identitätsaussage erster Ordnung. Vielmehr sagt er: "Alle Hunde lassen sich unter das Klassifikationsmerkmal des Säugetiers unterordnen."


Wie oben schon gesagt, "Alle Hunde sind Säugetiere" impliziert "Zu jedem Hund gibt es ein Säugetier, womit er identisch ist".

Grotemson hat geschrieben:Wenn aber nun einer genauso in der Ontologie vorginge und sagte: "Alle psychischen Phänomene lassen sich unter das Klassifikationsmerkmal der physischen Vorgänge unterordnen" dann würde er einen falschen Satz äußern. Psychische Phänomene und physische Vorgänge haben, auch unter Voraussetzung ihrer Reduzierbarkeit, verschiedene Klassifikationskriterien.


Wenn man alle psychischen Phänomene als physische Phänomene klassifiziert, dann macht man sie zu einer Unterklasse letzterer. Ob diese Unterordnung richtig und zulässig ist, darum dreht sich ja die ganze Diskussion zwischen den Materialisten und den Antimaterialisten.

Grotemson hat geschrieben:Lese ich aus dieser Ausdrucksweise(Eigenschaften sind selbst Massen oder Energien) heraus, dass du ontologisch auf Universale wie "Röte" oder "Vierbeinigkeit" verzichtest?


Ich bin Eigenschaftsrealist, aber kein Universalienrealist, d.h. für mich sind Eigenschaften und Beziehungen particularia (modi, tropes). Aber ich lehne, wie oben schon betont, die ontologische Reduzierung von Dingen/Gegenständen auf Eigenschaften ab. Ich vertrete also eine Substrat-Modus-Ontologie.
Substrate und Modi sind aber eigentlich in ultimativer ontologischer Hinsicht abstrahierte Aspekte von Substanzen (Objekten). Man könnte auch im aristotelischen Sinne sagen, dass ein Substrat die Materie einer Substanz bildet und die Modi die Form einer Substanz bilden. Man kann also abstrahierend zwischen der Dinglichkeit/Gegenständlichkeit und der Beschaffenheit eines Gebildes unterscheiden, wobei ein Gebilde ein einheitlicher Eigenschaftsträger mit Eigenschaften ist.
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Mark » Fr 18. Feb 2011, 02:43

das metaphysische Lebkuchenhaus.. lasst Euch nicht von der bösen Worthexe fressen.
Benutzeravatar
Mark
 
Beiträge: 1683
Registriert: Do 30. Nov 2006, 18:19
Wohnort: München

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Myron » Fr 18. Feb 2011, 19:37

Grotemson hat geschrieben:Aber dann ist doch Naturalismus wirklich nichts Anderes als Materialismus.


Na ja, jein. :blush2:

Der Naturalismus ist zweifellos nicht mit dem Idealismus/Mentalismus/Spiritualismus vereinbar, dem zufolge alles Physische entweder unwirklich oder wirklich, aber von Psychischem (einseitig) abhängig, abgeleitet, daraus hervorgegangen oder darauf zurückzuführen ist.
Aber er ist mit etlichen Ismen vereinbar, die ein (prophysikalisch) asymmetrisches oder symmetrisches Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Physischen und dem Psychischen postulieren.
Auch die folgenden exotischen Ismen sind eigentlich Naturalismus-kompatibel:

1. (extraphysikalisch-attributsdualistischer) Panpsychismus: Alle raumzeitlichen Dinge haben sowohl psychische als auch physische Eigenschaften, und alle psychischen Eigenschaften sind keine physischen Eigenschaften.

2. (intraphysikalisch-attributsdualistischer) Panphysiopsychismus: Alle raumzeitlichen Dinge haben sowohl psychische als auch physische Eigenschaften, und alle psychischen Eigenschaften sind physische Eigenschaften, aber nicht alle physischen Eigenschaften sind psychische Eigenschaften.

3. (psychophysikalisch-attributsmonistischer) Panphysiopsychismus: Alle raumzeitlichen Dinge haben sowohl psychische als auch physische Eigenschaften, und alle psychischen Eigenschaften sind physische Eigenschaften, und alle physischen Eigenschaften sind psychische Eigenschaften: Alle raumzeitlichen Dinge haben einheitliche psychophysische Eigenschaften.
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Myron » Fr 18. Feb 2011, 20:11

Myron hat geschrieben:1. (extraphysikalisch-attributsdualistischer) Panpsychismus: Alle raumzeitlichen Dinge haben sowohl psychische als auch physische Eigenschaften, und alle psychischen Eigenschaften sind keine physischen Eigenschaften.


Streng genommen trifft der Panpsychismus an sich keine Aussage über das Verhältnis von psychischen und physischen Eigenschaften; aber die meisten fassen ihn im Sinne von 1 auf. Es ist übrigens noch zwischen diesem atomistischen Panpsychismus und dem holistischen Panpsychismus zu unterscheiden, dem nach nicht alle Grundteile der Raumzeitwelt, sondern die Raumzeitwelt als Ganzes psychische Eigenschaften besitzt, sodass man von einem "Weltgeist" oder einer "Weltseele" sprechen kann. Wenn sie nicht reduktiv idealistisch/spiritualistisch, sondern materialistisch ausgelegt wird, dann ist selbst diese Form des Panpsychismus Naturalismus-kompatibel, denn dann ist die ganze Raumzeitwelt eine einheitliche, zusammenhängende physische Substanz mit psychischen Attributen.
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Grotemson » Mo 21. Feb 2011, 19:01

Damit die Debatte nicht weiter "zersplintert" mache ich jetzt mal den Versuch, einige ihrer Fäden wieder zusammen zu führen. So wie ich es sehe, gibt es drei Schauplätze(die sich unglücklicherweise langsam zu überschneiden beginnen). Sollte ich unbeantwortete Einwände weglassen, Dinge vereinfachen etc.: einfach protestieren!

1. Ich habe nicht verstanden, was "natürlich" überhaupt sein soll. Du, Myron, hast geantwortet, natürlich sei MERZ(Masse-Energie-Zeit-Raum). Ich habe immer noch nichts verstanden und wollte wissen, wie man denn zu Merz gehört. Außerdem habe ich behauptet, dass MERZ Gefahr läuft, auch übernatürliche Entitäten aufzunehmen. Ich habe Naturgeister genannt. Du hast als Kriterium für MERZ Befolgung der Naturgesetze genannt- und meinen Einwand mit den Naturgeistern entkräftet, indem du darauf hingewiesen hast, dass das keine übernatürlichen Entitäten, sondern falsche naturalistische Annahmen sind.
Ich war darüber hinaus besorgt, was denn MERZ mit den üblichen abstrakten Objecten macht. Du hast versucht sie zu retten, indem du sie als ontologisch abhängig konstruiert hast. Diese Konstruktion habe ich nicht verstanden und ihr dke übliche Skepsis entgegen gebracht. Daraus hat sich eine größere Diskussion erstens um mögliche Welten, in denen nur psychische Eigenschaften instanziiert sind und daraus dann um die Unmöglichkeit rein psychischer Entitäten. Ich muss ehrlich sagen, dass ich mich hier offensichtlich aufgrund meines Schwerpunktes auf Metaontologie und Wissenschaftstheorie sehr viel weniger auskenne, als du, und daher eine Diskussion höchstwahrscheinlich nicht lange überleben werde- obwohl ich denke, dass man die Position durchaus verteidigen könnte und ich Einwände gegen deine Einwände hätte. Da ich aber den Überblick über die Diskussionsherde verliere, gebe ich hier fürs Erste klein bei und erkenne hier ein Argument für den Naturalismus vorerst an- einfach aus mangelnder Informiertheit!
Meine kraftvolleren Einwände sind ohnehin die der Trivialität und Unverständlichkeit reduktionistischer Theorien in Bezug auf Existenz, die ich, wie ich beschreiben werde, durch deine Erwiderungen nicht widerlegt sehe.

2. Dein erstes Argument für den Naturalismus, war die Rekursion auf den Erfolg wissenschaftlicher Theorien. Ich habe dann behauptet, das funktioniere nur mit dem wissenschaftlichen Realismus, worauf du dich erst ein wenig dagegen gesträubt, das aber schließlich zugegeben hast. Dann ging es eine Weile um den Antirealismus, wo ich der Frage, wie es mit beobachtbaren Entitäten steht, sowie der Vereinbarkeit mit experimenteller Vorhersabarkeit steht. Schließlich hast du behauptet, dass man ja auch einfach den Erfolg des methodologischen Naturalismus herbeiziehen und damit die Wahrheit des ontologischen Naturalismus wiederum plausibilisieren kann. Zu diesem Versuch, sowie der Verbindung von ont. Nat. und meth. Nat., werde ich einiges sagen müssen.

3. Der dritte Punkt ist irgendwie untergegangen, obwohl ich ihn für sehr wichtig halte: Das dritte Argument für den Naturalismus war, dass er die Welt am besten beschreibt. Wir haben uns in Anschluss an den Punkt ein bisschen über die üblichen Metakriterien für Theoriewahl gezankt, aber mein Punkt war hier eigentlich ein anderer, sehr pessimistischer und relativistischer, nämlich dass so ein Argument nur klappt, wenn man von einer natürlichen Welt ausgeht. Für einen Theisten beschreibt der Nat. die Welt eben nicht am besten. Ich habe hier prima facie ontologische Relativität im Sinne. Ich gehe darauf bald genauer drauf ein.

Es folgen dann noch Nebengeplänkel, die alle irgendwie ins Thema passen, von denen ich aber nicht mehr weiß, wie sie mit den konkreten positiven Argumenten für den Naturalismus in Verbindung stehen. Z.B. das ad ignorantiam. Ich sag trotzdem was dazu.


Also:

1. MERZ und die Definition des Naturalismus
Hier möchte ich zuerst meinen Einwand der Trivialität von MERZ wiederholen: Selbst wenn wir konkrete Naturwesen(also Kobolde, Elfen, Monster etc.) als falsche naturalistische Annahmen ansehen, bleiben noch unzählige nicht körperliche Wesenheiten, von denen behauptet wird, sie stünden in kausalem Zusammenhang zur Welt. Inselgötter und Baumgeister werden auch oft als nicht körperliche Kräfte konstruiert. Konsistent oder nicht- diese Naturkräfte wären Teil von MERZ und würden die naturalistische Sicht infizieren.
Zweitens gibt es aber ein viel gravierenderes Problem. Das Zugehörigkeitskriterium von MERZ sind also Naturgesetze. Dann muss man aber auch Naturgesetze als Entitäten annehmen. Aber mit welchem Kriterium sind SIE wiederum Teil von MERZ? Sie folgen schließlich keinen Naturgesetzen, sie SIND die Gesetze. Man bemerke, dass auch eine Konstruktion mit ontischer Abhängigkeit hier absurd wirken würde. Naturgetze stecken den Rahmen dafür ab, wovon abstrakte Objekte(ich verwende Entitäten und Objekte unterschiedslos und vergesse Frege) abhängig sind. Sie nun selbst von MERZ ontisch abhängig zu konstruieren, würde ihnen genau die Eigenschaft wegnehmen, die sie zu Abgrenzungskriterien machte. Ich bemerke auch: Regressgefahr: Um die Naturgesetze mit einzubeziehen, müssen weitere (existente!) Gesetzmäßigkeiten anerkannt werden, die sich wiederum nicht selbst unterordnen können usw. ad infinitum.
Zu ontischer Abhängigkeit: Wenn man anerkennt, dass es wirklich gute, vom Nat. unabhängige Arumente gibt, die zeigen, dass mögliche Welten, in denen nur psychische Eigenschaften instanziiert sind, dann schlägt mein erstes Argument gegen diese Konstruktion fehl. Da ich, wie gesagt, zu wenig Ahnung von der Debatte in diesem Teil der Philosophie habe, muss ich mich hier zwangsläufig geschlagen geben. Zum Glück ist das nicht mein zentraler Einwand. Ich denke immer noch, dass ontische Abhängigkeit zwei meiner Meinung nach unlösbare Probleme hat:
(1) Transitivität ohne Maximum. Man nehme eine andere typisch transitive Relation: Größer als. Tatsächlich stehen die meisten Menschen implizit in dieser Relation zueinander: Angefangen bei einem beliebigen Punkt sind wir eben alle größer als Hans, wenn [hier n-stellige Transitivitätskette einfügen]. Und wenn wir nicht unter "größer als" fallen, dann unter "kleiner als" oder "genauso groß wie".
Es gibt aber mindestens zwei Unterschiede zu ontischer Abhängigkeit: Erstens, die größer als Relation besitzt ein empirisches Maximum an Stellen. D.h. irgendwann stoßen wir auf ein N, welches das letzte Glied in der Relationskette darstellt, weil es nichts gibt, was größer ist, als N. Du hast Recht, wenn du feststellst, dass theistische Argumente manchmal in diese Richtung gehen: Gott als die unabhängige "letzte" Existenz. Aber welches ist die letzte Existenz des Naturalisten? Elektronen, Quarks, Strings? Zweitens: Größer als ist insofern eine "lineare" Relation, als es immer nur ein Glied gibt, welches in direkter Relation steht. Dagegen kann A von mehreren Dingen, in "mehrere Richtungen" ontisch abhängig sein. Es kann also ohne weiteres passieren, dass Myron und Grotemson voneinander ontisch abhängig sind, ohne es zu wissen, immerhin haben wir es mit unzählbar langen Transitivitätsketten zu tun, von denen jedes Ding potentiell mehrere besitzen kann. Egal, ob man diesen Einwand versteht, (2) muss überzeugen:
(2) Es gibt keine klaren Kriterien dafür, wann A von B ontisch abhängt. Wir können existenzielle Abhängigkeit nicht empirisch prüfen und nicht logisch festlegen, da dann sofort der Selektionismus Einzug hielte. Warum soll eine Klasse von Dingen ontisch abhängig sein, und eine andere nicht? Wir wissen es nicht, weil sich die Vertreter dieser These einerseits einen empirischen Tatbestand ansprechen möchten, nämliches das Einges von dem, was e gibt, in Abhängigkeit steht, anderseits aber keine gerechtfertigten Kriterien angeben können, wie das zu messen sei.
Wovon zum Beispiel, sind Zahlen ontologisch abhängig? Und wie messe ich, dass sie es sind?
ps. Zwei Fragen: Ist die Relation ontischer Abhängigkeit symmetrisch? Intuitiv würde ich sagen: Ja, zumindest manchmal(wann?)(aber wie gesagt- für mich ist die gesamte Relation noch sehe unverständlich). Ist die Relation reflexiv? Nein, auf keinen Fall, sonst klappt die Konstruktion nicht.
Damit zu meinen Einwand bezüglich heideggerianischer Anwandlung in reduktionitischen Theorien:

Myron hat geschrieben:"Xe sind Ye" impliziert natürlich "Zu jedem X gibt es ein Y, das mit X identisch ist".
Beispiel: "Hunde sind Säugetiere" impliziert "Zu jedem Hund gibt es ein Säugetier, das damit identisch ist".

Und wenn man beispielsweise sagt, dass makroskopische Dinge wie Tische auf Systeme mikroskopischer Elementarteilchen reduziert werden können, dann macht man Tische damit nicht zu "Entitäten zweiter Klasse".
Es sollte einleuchten, dass ein Tisch nicht weniger real sein kann als das reale Elementarteilchensystem, womit er identisch ist.

Konservative ontologische Reduktionen sind insofern keine ontologischen "Degradierungen", als sie nicht zu einer "verdünnten" Existenzweise der reduzierten Entitäten, sondern zu einer Subsumtion einer Entitätsklasse unter eine andere führen.

Diese Subsumtion ist aber eine sehr besondere Subsumtion, weil sie zusätzlich auf magische Weise reduziert. Es gibt keine Säugetiere. Das ist nur ein abstraktes Klassifikationsmerkmal. Dafür gibt sehr wohl psychische Eigenschaften. Sie mit physischen Eigenschaften gleichzusetzen ist also etwas völlig anderes, als das Säugetierbeispiel.
Dingen, die in ontologischer Abhängigkeit stehen, fehlt ja zumindest eine basale Eigenschaft. Jetzt frage ich mich folgendes: Fehlt ihnen eine normale Eigenschaft? Die Eigenschaft der unabhängigen Existenz?(Dann stimme ich einfach mit der Existenzdefinition nicht überein) oder sagt man einfach: Z.b die Eigenschaften psychicher Entitäten sind nicht unabhängig instanziiert. Das verstehe ich dann nicht. Entweder ist etwas instanziiert, oder eben nicht. Wie soll da eine Abhängigkeit rein?



2. So, um meine Verwirrung zu steigern, habe ich es jetzt schon mit zwei Versionen des Naturalismus zu tun :^^: .
[1] Methodischer Naturalismus: Die Doktrin, dass in der wissenschaftlichen Forschung, keine übernatürlichen Entitäten angenommen werden sollen(weil sie keinen explanatorischen Wert haben)
[2] Ontologischer Naturalismus: Alles, was es gibt, ist Teil von MERZ.

Sehen wir mal von den internen Problemen der beiden ab(ich würde z.B als Wissenschaftstheoretiker nicht allen übernat. Entitäten alle Erklärungskraft absprechen), war ja jetzt ihre Verbindung deiner Meinung nach die Reformulierung des Argumentes ohne auf den wissenschaftl. Realismus zurückgreifen zu müssen:
Myron hat geschrieben:Ich behaupte, dass das Argument auch dann die Wahrscheinlichkeit des ontologischen Naturalismus erhöht, wenn man vom wissenschaftlichen Antirealismus (à la Fraassen) ausgeht.
Nur der methodologische Naturalismus hat zu angemessenen und erfolgreichen wissenschaftlichen Theorien geführt, die allesamt eine gänzlich natürliche Welt repräsentieren. Das ist eine Tatsache, die man auch dann nicht leugnen kann, wenn man die Frage offen lässt, ob sie wahr sind. Und dass sich die beobachteten Phänomene so gut, d.i. angemessen und erfolgreich, naturalistisch modellieren lassen, stärkt die Annahme der Abwesenheit übernatürlicher Faktoren. Die konkurrenzlose wissenschaftliche Fruchtbarkeit des methodologischen Naturalismus erhöht also die Glaubwürdigkeit des ontologischen Naturalismus nicht nur unter der Voraussetzung, dass der wissenschaftliche Realismus wahr ist.

Das bedeutet, worauf du dich verlässt, ist, dass der methodische Erfolg von [1] [2] plausibel macht. Ich glaube das reformuliert das alte Argument nur und basiert immer noch auf dem Realismus.
Erstens: Es ist sehr unklar, ob es wirklich dieses Prinzip ist, welches den Erfolg wissenschaftlicher Theorien ausmacht. Ich fürchte, bei einem derart kmplexen System verschiedene Theorien und dazugehöriger Forschungs- und Inferenzpraktiken lässt sich nicht ein einziges Prinzip ausmachen, welches alleinig für den Erfolg verantwortlich ist. Monokausal(im schwachen Sinne) lässt sich hier auf keinen Fall argumentieren. Es gibt zahllose Prinzipien, die mindestens genauso wichtig sind, wie [1], die aber nicht von naturalistischen Prämissen berührt werden.
Zweitens: Alles, was du sagst, wenn du behauptest, dass der Erfolg der Doktrin, dass übernatürliche Entitäten keinen explanatorischen Gehalt haben und deshalb nicht angenommen werden müssen, den Glauben an ihre Nichtexistenz, sowie an die Allheit von MERZ rechtfertigt, ist dass pragmatische Nützlichkeit auf Existenz und/oder Nichrexistenz schließen lässt. Unsere extrem erfolgreiche Methode diktiert uns, keine ünat. Entitäten anzunehmen, also gibt es sie auch nicht. Aber diese Diskussion hatten wir schon: Damit dieser Satz gerechtfertigt ist, musst du entweder deinen Wahrheitsrealismus aufgeben( Natürlich, wenn ich wissen will, ob der Satz: "Ball 12 ist rot" wahr ist, überprüfe ich Ball 12" Aber damit bist du meiner Frage ausgewichen! Was tust im Falle von Elektronen? Woher willst du wissen, dass sie und nichts anderes, deine ahrmacher sind?) oder annehmen, dass Theorien tatsächlich wahre Sätze über die Realität formulieren. Es ist sonst schlichtweg nicht verständlich, wieso eine Methode, die zwar wissenschaftlich erfolgreiche, aber dennoch nicht Aussagen über die tatsächliche Realität treffende Theorien ermöglicht, dafür sprechen soll, dass bestimmte ontologische Annahmen wahr sind. Der "ontologische Impetus" deines Argumentes ist nur durch den wissenschaftlichen Realismus möglich und mit der neuerlichen Konstruktion hast du zwar neue Worte gewählt, aber nur das alte Argument wiederholt.
Ohne den wissenschaftlichen Realismus ist die Verbindung von [1] auf [2] nicht gerechtfertigt. Ich fürchte, man muss sich dieses Argument als Naturalist einfach abschminken, auch wenn das evtl. die nat. Hauptstütze wegreißt.
Ich denke, ich muss jetzt auf zwei Probleme meines Antirealismus eingehen, die du schon angesprochen bist.
Erstens: Was ist mit Theorien über beobachtbare Dinge. Ich habe heute ein bisschen nachgedacht, welche Theorie heutzutage noch ohne Kraftfelder, Elektronen etc. auskommt, und mir ist nichts eingefallen. Die meisten Theorien arbeiten dann doch in letzter Konsequens mit Unbeobachtbaren. Wenn du mir ein Beispiel nennst, bin ich jedoch gerne bereit, mich dazu zu äußern.
Zweitens: Was ist mit der Fähigkeit der Vorhersage? Ich verstehe hier nicht, warum viele Philosophen hier immer noch davon sprechen, das sei der strongest case for scientific realism. Worauf ich als Antirealist ja hinaus will, ist genau, dass wissenschaftliche Theorien gute Instrumente sind, die phenomenale Wirklichkeit zu beschreiben und bei Bedarf zu erklären. Dass diese Wirklichkeit regelhaft- und wenn richtig beschrieben vorhersagbar ist, leugne ich ja gar nicht. On the contrary: Thats my point!

3. Worüber wir uns hier doch eigentlich und im Kern zanken, sind welches gute Kriterien dafür sind, eine Ontologie zu wählen. Offensichtlich scheiden sich hier die Geister. Zum Beispiel glaubst du, man könne die Abwesenheit von Beweisen als Kriterium wählen. Das streite ich ab. Du sagst,(wenn das Hauptargument stehen soll) man könne die Nützlichkeit anführen. Ich streite das ab.
Böse Zungen würde jetzt fordern: Ja dann sag doch, was deine Kriterien sind! Und ich würde entgegnen: Tja, das ist das Problem: Es gibt keine objektiven Kriterien einer Ontologiewahl. Ich bin damit auch (meta)ontologischer Antirealist. Es gibt ein Set von Dingen, die es unabhängig von uns gibt, aber da unsere Ontologiewahlen immer Sprachabhängig sind, können keine neutralen Kriterien gefunden werden(berühmte Kolporteure dieser Sicht sind Chalmers, Putnam und Hirsch). Ich arbeite derzeit daran, wie man die enorme Fundamentalität ontologischer Entscheidungen doch hintergehen kann(ein Mittel scheint methodische Skepsis zu sein), aber vorerst sieht es schlecht aus. Es folgt, dass der Naturalismus wirklich eine sehr nützliche Doktrin ist, aber von Wahrheit kann keine Rede sein.
Benutzeravatar
Grotemson
 
Beiträge: 75
Registriert: So 16. Jan 2011, 21:22

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Mark » Mo 21. Feb 2011, 20:23

Gib doch einfach mal ein Beispiel für die Erklärungskraft einer übern. Entität. Erklären bezieht sich doch auf natürliche Prozesse.. also wie soll das gehen ?
Benutzeravatar
Mark
 
Beiträge: 1683
Registriert: Do 30. Nov 2006, 18:19
Wohnort: München

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon ujmp » Mo 21. Feb 2011, 22:28

Grotemson hat geschrieben: Es folgt, dass der Naturalismus wirklich eine sehr nützliche Doktrin ist, aber von Wahrheit kann keine Rede sein.


Sag doch mal ein Beispiel für eine "Wahrheit", damit man sieht, welchen Anspruch du mit diesem Begriff verbindest!
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mo 21. Feb 2011, 22:58

ujmp hat geschrieben:
Grotemson hat geschrieben: Es folgt, dass der Naturalismus wirklich eine sehr nützliche Doktrin ist, aber von Wahrheit kann keine Rede sein.


Sag doch mal ein Beispiel für eine "Wahrheit", damit man sieht, welchen Anspruch du mit diesem Begriff verbindest!

"Wahrheitsanspruch" bezüglich A bedeutet: A ist objektiv richtig.

Woraus z.B. folgt: B, C D, E, F oder G usw., falls diese nicht mit A vereinbar sind, können unmöglich richtig sein. Müssen folglich falsch sein.

Also: wenn ich in dem Falle behaupte, dass A wahr und richtig ist, behaupte ich gleichzeitig, dass B, C, D und E unwahr und falsch sind.
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Grotemson » Di 22. Feb 2011, 12:57

ujmp hat geschrieben:Sag doch mal ein Beispiel für eine "Wahrheit", damit man sieht, welchen Anspruch du mit diesem Begriff verbindest!

Ich vertrete eine korrespondenztheoretische Aufassung mit Propositionen als Wahrheitsträgern und (ich bin noch nicht ganz entschieden was) als Wahrmachern. D.h. Die Proposition "Die Katze sitzt auf der Matte" ist wahr gdw. es gibt einen Wahrmacher in Form der Tatsache, dass die Katze auf der Matte sitzt. Ich bitte zu beachten, dass mein Punkt eoistemologischer Natur ist: Es gibt keine Kriterien, um eine Ontologie auf neutralem Grund zu wählen. D.h. ich kann die Wahrheit von Nat. nicht feststellen. (Wohl aber Argumente für nat. kritsieren sowie Argumente geg nat. konstruieren)


Mark hat geschrieben:Gib doch einfach mal ein Beispiel für die Erklärungskraft einer übern. Entität. Erklären bezieht sich doch auf natürliche Prozesse.. also wie soll das gehen ?

Darauf müsste ich mit einem sehr langen, sehr komplizierten Abschnitt über verschiedene Versuche über das Konzept der Erklärung antworten, der eigentlich einen eigenen Thread verdiente. Ich habe es deshalb nur erwähnt und eingeklammert. Erklärung hat aber, wenn nicht dem kausalen Muster folgend, zunächst nichts mit "natürlich" zu tun.
Benutzeravatar
Grotemson
 
Beiträge: 75
Registriert: So 16. Jan 2011, 21:22

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Mark » Di 22. Feb 2011, 13:41

Sondern mehr mit persönlicher Befriedigung ?
Benutzeravatar
Mark
 
Beiträge: 1683
Registriert: Do 30. Nov 2006, 18:19
Wohnort: München

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Grotemson » Di 22. Feb 2011, 13:51

Nein, aber "natürlich" mit "Erklärung" zu koppeln, ist unter vielen Konzepten einfach eine Art Kategorienfehler. Vielleicht ist, was erklärt wird, natürlich(Teil von MERZ) oder was erklärt natürlich. Aber das heißt nicht, dass das Konzept von Erklärung selbst mit ontologichen Axiomen arbeiten muss.
Benutzeravatar
Grotemson
 
Beiträge: 75
Registriert: So 16. Jan 2011, 21:22

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Mark » Di 22. Feb 2011, 16:17

ok, wir sprechen hier als Naturalisten aber grundsätzlich nur über natürliche Erklärungen und die Tatsache, daß man keinen reproduzierbaren Effekt auftun kann der nicht so erklärbar wäre, und man hat uns noch nix anderes nachgewiesen.. also was soll uns das beeindrucken, wenn jemand sagt eine Erklärung mit sup. Ent. wäre für ihn erklärender als eine natürliche ? Es ist seine Privat-Vorstellung.
Benutzeravatar
Mark
 
Beiträge: 1683
Registriert: Do 30. Nov 2006, 18:19
Wohnort: München

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Grotemson » Di 22. Feb 2011, 16:49

Das Thema des Threads sind positive Argumente für den Naturalismus. Eines dieser Argumente war, dass der methodische Naturalismus den ontologischen Naturalismus plausibel macht. Der methodische Naturalismus besagt, dass nur natürliche Entitäten als Explanans angemommen werden sollen, vermutlich unter der Annahme, dass übernat. Entitäten keine Erklärungskraft haben. Ich habe das bezweifelt. Diesen Zweifel jetzt mit dem Kommentar beizuräumen, wir wären hier ja alle Naturalisten(ich bin es nicht), ist hochgradig zirkulär.
Benutzeravatar
Grotemson
 
Beiträge: 75
Registriert: So 16. Jan 2011, 21:22

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon ujmp » Di 22. Feb 2011, 17:31

Grotemson, du diskutierst sehr theoretisch. Sicher haben übernatürliche Entitäten eine Erklärungskraft, sie erklären, dass es sie nicht gibt. Die Hypothese, nur mit der Kraft der Gedanken eine Walnuss knacken zu können, ist aus wissenschaftlicher Sicht voll legitim - nur nicht das Festhalten daran, nach dem alle Experimente fehlgeschlagen sind. Wenn man überhaupt zugesteht, dass es vernünftiges Verhalten gibt, dann ist der Naturalismus das Vernünftigste. Es ist nicht die Frage, ob sich übernatürliche Entitäten ausschließen lassen, es ist die Frage, ob es einen vernünftigen Grund gibt, sie anzunehmen. Ich sehe keinen.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Myron » Mi 23. Feb 2011, 17:19

Teil 1:

Grotemson hat geschrieben:1. Ich habe nicht verstanden, was "natürlich" überhaupt sein soll. Du, Myron, hast geantwortet, natürlich sei MERZ(Masse-Energie-Zeit-Raum). Ich habe immer noch nichts verstanden und wollte wissen, wie man denn zu Merz gehört.


Indem man darin wesensbedingt wurzelt, daraus hervorgeht.

Grotemson hat geschrieben:Außerdem habe ich behauptet, dass MERZ Gefahr läuft, auch übernatürliche Entitäten aufzunehmen. Ich habe Naturgeister genannt. Du hast als Kriterium für MERZ Befolgung der Naturgesetze genannt- und meinen Einwand mit den Naturgeistern entkräftet, indem du darauf hingewiesen hast, dass das keine übernatürlichen Entitäten, sondern falsche naturalistische Annahmen sind.


Wenn man sich die umfangreiche Liste von Fabelwesen ansieht, dann fällt es ziemlich schwer, eine allgemeine Grenzlinie zwischen natürlichen und übernatürlichen Fabelwesen zu ziehen. Ist beispielsweise der Kobold Pumuckl ein natürliches oder ein übernatürliches Lebewesen? Er hat einen Körper, der aber nur unter bestimmten Umständen gesehen werden kann. Seine Sichtbar- und Unsichtbarwerdungen sind wohl keine natürlichen Vorgänge, die sich physikalisch erklären lassen. (Allerdings ist nicht jeder unsichtbare Körper übernatürlich, da eine unsichtbare Gaswolke auch als Körper, d.h. als stoffliches Raumgebilde gilt.) Ansonsten hat er keinerlei übernatürliche, übersinnliche Fähigkeiten.

Grotemson hat geschrieben:Ich war darüber hinaus besorgt, was denn MERZ mit den üblichen abstrakten Objecten macht. Du hast versucht sie zu retten, indem du sie als ontologisch abhängig konstruiert hast. Diese Konstruktion habe ich nicht verstanden und ihr die übliche Skepsis entgegen gebracht.


Ich fürchte, in einem konsequent naturalistischen Weltbild ist eigentlich überhaupt kein Platz für Abstrakta.

Grotemson hat geschrieben:3. Der dritte Punkt ist irgendwie untergegangen, obwohl ich ihn für sehr wichtig halte: Das dritte Argument für den Naturalismus war, dass er die Welt am besten beschreibt. Wir haben uns in Anschluss an den Punkt ein bisschen über die üblichen Metakriterien für Theoriewahl gezankt, aber mein Punkt war hier eigentlich ein anderer, sehr pessimistischer und relativistischer, nämlich dass so ein Argument nur klappt, wenn man von einer natürlichen Welt ausgeht. Für einen Theisten beschreibt der Nat. die Welt eben nicht am besten. Ich habe hier prima facie ontologische Relativität im Sinne.


Wenn "beste Theorie" nichts weiter als "zufriedenstellendste Theorie" bedeutet, dann geben wohl letzten Endes subjektive Präferenzen den Ausschlag, was aber nicht heißen soll, dass die objektive Tatsachenwelt weder den Naturalismus noch den Supernaturalismus wahr macht.

Grotemson hat geschrieben:1. MERZ und die Definition des Naturalismus
Hier möchte ich zuerst meinen Einwand der Trivialität von MERZ wiederholen: Selbst wenn wir konkrete Naturwesen(also Kobolde, Elfen, Monster etc.) als falsche naturalistische Annahmen ansehen, bleiben noch unzählige nicht körperliche Wesenheiten, von denen behauptet wird, sie stünden in kausalem Zusammenhang zur Welt. Inselgötter und Baumgeister werden auch oft als nicht körperliche Kräfte konstruiert. Konsistent oder nicht- diese Naturkräfte wären Teil von MERZ und würden die naturalistische Sicht infizieren.


Wenn es immanente übernatürliche/hyperphysische Akteure oder Faktoren gäbe, dann wären sie Teil der RZ-Welt, aber nicht Teil der MERZ-Welt, und zwar auch dann nicht, wenn sie mit dieser interagierten. Die MERZ-Welt wäre dann nur eine Teilwelt der RZ-Welt.

Grotemson hat geschrieben:Zweitens gibt es aber ein viel gravierenderes Problem. Das Zugehörigkeitskriterium von MERZ sind also Naturgesetze.


Habe ich das gesagt?

Grotemson hat geschrieben:Dann muss man aber auch Naturgesetze als Entitäten annehmen. Aber mit welchem Kriterium sind SIE wiederum Teil von MERZ? Sie folgen schließlich keinen Naturgesetzen, sie SIND die Gesetze.


Naturgesetze sind allgemeine natürliche Tatsachen, die insofern Teil von MERZ sind, als sie sich aus den natürlichen Eigenschaften und Vermögenheiten der Naturdinge und deren regelmäßigem Wechsel- und Zusammenwirken ergeben.

Grotemson hat geschrieben:Man bemerke, dass auch eine Konstruktion mit ontischer Abhängigkeit hier absurd wirken würde. Naturgetze stecken den Rahmen dafür ab, wovon abstrakte Objekte(ich verwende Entitäten und Objekte unterschiedslos und vergesse Frege) abhängig sind. Sie nun selbst von MERZ ontisch abhängig zu konstruieren, würde ihnen genau die Eigenschaft wegnehmen, die sie zu Abgrenzungskriterien machte.


Die Naturgesetze sind MERZ-abhängig. Sie sind MERZ-immanent und durch die Dispositionen und Potenziale der MERZ-Elemente bestimmt. Alle natürlichen Phänomene sind Manifestationen jener Dispositionen und Aktualisierungen jener Potenziale.

Grotemson hat geschrieben:Ich denke immer noch, dass ontische Abhängigkeit zwei meiner Meinung nach unlösbare Probleme hat:
(1) Transitivität ohne Maximum. …
Es gibt aber mindestens zwei Unterschiede zu ontischer Abhängigkeit: Erstens, die größer als Relation besitzt ein empirisches Maximum an Stellen. D.h. irgendwann stoßen wir auf ein N, welches das letzte Glied in der Relationskette darstellt, weil es nichts gibt, was größer ist, als N.


Etwas ist genau dann absolut seinsunabhängig, wenn es nichts (davon Verschiedenes) gibt, wovon es seinsabhängig ist, d.h. wenn es nicht notwendig ist, dass es mit etwas anderem koexistiert.

Streng genommen muss aber zwischen einer absoluten und einer "absolut-absoluten" Seinsunabhängigkeit unterschieden werden:

1. Etwas ist genau dann absolut seinsunabhängig, wenn es nichts von ihm gänzlich Verschiedenes gibt, womit es koexistieren muss.

2. Etwas ist genau dann "absolut-absolut" seinsunabhängig, wenn es nichts von ihm gänzlich oder teilweise Verschiedenes gibt, womit es koexistieren muss.

Wenn man z.B. sagt, dass die Raumzeit absolut seinsunabhängig ist, dann bedeutet dies nicht, dass sie von ihren Teilbereichen seinsunabhängig ist.

Grotemson hat geschrieben:Du hast Recht, wenn du feststellst, dass theistische Argumente manchmal in diese Richtung gehen: Gott als die unabhängige "letzte" Existenz. Aber welches ist die letzte Existenz des Naturalisten? Elektronen, Quarks, Strings?


Bei dieser Frage geht es nicht nur um Abhängigkeit, sondern auch um Vorrangigkeit und Grundlegendheit.
Aus naturalistischer Sicht ist MERZ als Ganzes absolut unabhängig, wobei man MERZ entweder atomistisch oder holistisch betrachten kann. Besteht MERZ aus grundlegenden Teilchen, die gegenüber dem Weltganzen Vorrang genießen, oder genießt das Weltganze als ein einheitliches Feld gegenüber den Teilchen Vorrang.

Zum Begriff der ontischen Vorrangigkeit siehe: http://plato.stanford.edu/entries/monism/#Pri

Grotemson hat geschrieben:Zweitens: Größer als ist insofern eine "lineare" Relation, als es immer nur ein Glied gibt, welches in direkter Relation steht. Dagegen kann A von mehreren Dingen, in "mehrere Richtungen" ontisch abhängig sein. Es kann also ohne weiteres passieren, dass Myron und Grotemson voneinander ontisch abhängig sind, ohne es zu wissen, immerhin haben wir es mit unzählbar langen Transitivitätsketten zu tun, von denen jedes Ding potentiell mehrere besitzen kann.


Es ist nicht so, dass grundsätzlich alles ein Glied einer unzählbar langen Seinsabhängigkeitskette ist.
Und ich glaube nicht, dass es "versteckte", d.h. indirekte beidseitige Seinsabhängigkeiten gibt.

Grotemson hat geschrieben:Egal, ob man diesen Einwand versteht, (2) muss überzeugen:
(2) Es gibt keine klaren Kriterien dafür, wann A von B ontisch abhängt. Wir können existenzielle Abhängigkeit nicht empirisch prüfen und nicht logisch festlegen, da dann sofort der Selektionismus Einzug hielte. Warum soll eine Klasse von Dingen ontisch abhängig sein, und eine andere nicht? Wir wissen es nicht, weil sich die Vertreter dieser These einerseits einen empirischen Tatbestand ansprechen möchten, nämliches das Einges von dem, was e gibt, in Abhängigkeit steht, anderseits aber keine gerechtfertigten Kriterien angeben können, wie das zu messen sei.


Ontische Abhängigkeiten sind in der Tat keine kausalen Abhängigkeiten. Sie sind nicht messbar, aber Folgendes kann als epistemisches Kriterium verwendet werden:

x ist von y/x ist von Yen/Xe sind von Yen genau dann seinsabhängig, wenn keine Welt mit x/Xen, aber ohne y/Ye denkbar/vorstellbar ist.

Drei Beispiele: Ist eine Welt vorstellbar, worin es Fäuste, aber keine Hände gibt? Nein, und deshalb sind Fäuste von Händen seinsabhängig? Ist eine Welt vorstellbar, worin es Wasser, aber keinen Sauerstoff gibt? Nein, und deshalb ist Wasser von Sauerstofff seinsabhängig. Ist eine Welt vorstellbar, worin es psychische Phänomene, aber keine Subjekte gibt? Nein, und deshalb sind psychische Phänomene von Subjekten seinsabhängig.

Grotemson hat geschrieben:Wovon zum Beispiel, sind Zahlen ontologisch abhängig?


Kommt darauf an. Wenn Zahlen z.B. mentale Konstrukte sind, dann sind sie von denkenden, mathematisch tätigen Lebewesen seinsabhängig.

Grotemson hat geschrieben:ps. Zwei Fragen: Ist die Relation ontischer Abhängigkeit symmetrisch? Intuitiv würde ich sagen: Ja, zumindest manchmal(wann?)(aber wie gesagt- für mich ist die gesamte Relation noch sehe unverständlich). Ist die Relation reflexiv? Nein, auf keinen Fall, sonst klappt die Konstruktion nicht.


Die Beziehung der Seinsabhängigkeit ist an sich weder prinzipiell symmetrisch noch prinzipiell asymmetrisch.
Aus Dxy ("D" für "Dependenz") allein folgt jedenfalls nicht, dass ~Dyx.
Man kann formal zwischen unilateraler und bilateraler ontischer Dependenz unterscheiden:

1. UDxy =def Dxy & ~Dyx

2. BDxy =def Dxy & Dyx

Was die Reflexivität betrifft, so halte ich das Axiom AxDxx eigentlich für unproblematisch, wobei daraus natürlich folgt, dass nichts "absolut-absolut" seinsunabhängig ist, da dann alles zumindest von sich selbst seinsabhängig ist.

Bilaterale ontische Dependenz liegt z.B. bezüglich des Verhältnisses eines Dinges zu seinen wesentlichen Eigenschaften vor. So kann mein Menschsein nicht ohne mich existieren, und ich nicht ohne mein Menschsein.

Grotemson hat geschrieben:Diese Subsumtion ist aber eine sehr besondere Subsumtion, weil sie zusätzlich auf magische Weise reduziert. Es gibt keine Säugetiere. Das ist nur ein abstraktes Klassifikationsmerkmal.


Der Begriff <Säugetier> ist ein Abstraktum, aber Säugetiere sind Konkreta, deren Existenz zoologisch erwiesen ist, oder nicht?

Grotemson hat geschrieben:Dafür gibt sehr wohl psychische Eigenschaften. Sie mit physischen Eigenschaften gleichzusetzen ist also etwas völlig anderes, als das Säugetierbeispiel.


Nein, aus logischer Sicht besteht da kein Unterschied:
"Xe sind Ye" bedeutet "Die Menge der Xe ist eine Teilmenge der Menge der Ye".

Grotemson hat geschrieben:Dingen, die in ontologischer Abhängigkeit stehen, fehlt ja zumindest eine basale Eigenschaft. Jetzt frage ich mich folgendes: Fehlt ihnen eine normale Eigenschaft? Die Eigenschaft der unabhängigen Existenz?(Dann stimme ich einfach mit der Existenzdefinition nicht überein) oder sagt man einfach: Z.b die Eigenschaften psychicher Entitäten sind nicht unabhängig instanziiert. Das verstehe ich dann nicht. Entweder ist etwas instanziiert, oder eben nicht. Wie soll da eine Abhängigkeit rein?


Abhängige Dinge existieren im selben Sinne des Wortes "existieren" wie unabhängige Dinge.
Nun können auch Eigenschaftsexemplifikationen von anderen Eigenschaftsexemplifikationen seinsabhängig sein. So kann beispielsweise nichts farbig sein, ohne mindestens zweidimensional zu sein. Dass heißt, in keiner möglichen Welt ohne 2D- oder 3D-Objekte gibt es farbige Objekte; denn einen roten mathematischen Punkt oder eine blaue mathematische Linie kann es nicht geben.

Grotemson hat geschrieben:[1] Methodischer Naturalismus: Die Doktrin, dass in der wissenschaftlichen Forschung, keine übernatürlichen Entitäten angenommen werden sollen(weil sie keinen explanatorischen Wert haben)
[2] Ontologischer Naturalismus: Alles, was es gibt, ist Teil von MERZ.


Das bedeutet, worauf du dich verlässt, ist, dass der methodische Erfolg von [1] [2] plausibel macht. Ich glaube das reformuliert das alte Argument nur und basiert immer noch auf dem Realismus.


Es mag sein, dass das Argument aus antirealistischer Sicht schwächer erscheint als aus realistischer Sicht; aber mein Punkt ist, dass es mit antirealistischen Einwänden nicht derart geschwächt werden kann, dass es jegliche Plausibilität verliert und den ontologischen Naturlismus damit in keinem Maße stärkt.

Grotemson hat geschrieben:Erstens: Es ist sehr unklar, ob es wirklich dieses Prinzip ist, welches den Erfolg wissenschaftlicher Theorien ausmacht. Ich fürchte, bei einem derart kmplexen System verschiedene Theorien und dazugehöriger Forschungs- und Inferenzpraktiken lässt sich nicht ein einziges Prinzip ausmachen, welches alleinig für den Erfolg verantwortlich ist. Monokausal(im schwachen Sinne) lässt sich hier auf keinen Fall argumentieren. Es gibt zahllose Prinzipien, die mindestens genauso wichtig sind, wie [1], die aber nicht von naturalistischen Prämissen berührt werden.


Natürlich ist der Erfolg der Erfahrungswissenschaft auch auf deren systematische Analyse-, Beobachtungs- und Testmethodik sowie den technischen Fortschritt zurückzuführen. Der methodologische Naturalismus ist in diesem Zusammenhang eher ein metamethodologisches Prinzip.

Grotemson hat geschrieben:Zweitens: Alles, was du sagst, wenn du behauptest, dass der Erfolg der Doktrin, dass übernatürliche Entitäten keinen explanatorischen Gehalt haben und deshalb nicht angenommen werden müssen, den Glauben an ihre Nichtexistenz, sowie an die Allheit von MERZ rechtfertigt, ist dass pragmatische Nützlichkeit auf Existenz und/oder Nichrexistenz schließen lässt. Unsere extrem erfolgreiche Methode diktiert uns, keine ünat. Entitäten anzunehmen, also gibt es sie auch nicht. … Der "ontologische Impetus" deines Argumentes ist nur durch den wissenschaftlichen Realismus möglich und mit der neuerlichen Konstruktion hast du zwar neue Worte gewählt, aber nur das alte Argument wiederholt.
Ohne den wissenschaftlichen Realismus ist die Verbindung von [1] auf [2] nicht gerechtfertigt. Ich fürchte, man muss sich dieses Argument als Naturalist einfach abschminken, auch wenn das evtl. die nat. Hauptstütze wegreißt.


Wenn du damit recht hättest, dass die Tatsache, dass sich die Welt angemessen und höchst erfolgreich rein naturalistisch modellieren lässt, in keiner Weise darauf hindeutet, dass sie tatsächlich so ist, wie der ontologische Naturalismus behauptet, dann müssten sich die ontologischen Naturalisten dieses Argument sicherlich abschminken. Doch ich bestreite, dass du damit recht hast. Ich bestreite, dass deine antirealistischen Einwände es völlig zunichtemachen.

Und falls du damit recht hättest, dass sich das Argument nur in Verbindung mit dem Wissenschaftsrealismus aufrechterhalten lässt, dann müssten die ontologischen Naturalisten halt wohl oder übel in den sauren Apfel beißen und jenen mit verteidigen. Schließlich steht keineswegs fest, dass der Antirealismus die besseren Karten in der Hand hat.

Was ich nicht bestreite, ist, dass das Argument die Wahrheit des ontologischen Naturalismus nicht beweist.
Ich behaupte lediglich, dass die Angemessenheit und der Erfolg rein naturalistischer Wissenschaftsmodelle in erster Linie aus realistischer, aber auch aus antirealistischer Sicht auf die Abwesenheit übernatürlicher Faktoren und damit zunächst auf die Wahrscheinlichkeit des ätiologischen Naturalismus (d.i. die Ansicht, dass die natürliche Welt in sich kausal geschlossen ist) hindeuten. Der zweite Schritt vom ätiologischen zum ontologischen Naturalismus (dem nach die natürliche Welt in sich kausal geschlossen ist, weil es keine übernatürliche Welt gibt, die sie beeinflussen könnte) ist zugegebenermaßen ein Glaubwürdigkeitsschritt, der nicht ganz "gläubigkeitsfrei" ist – besonders wenn es um die Frage nach der Wahrheit des Platonismus geht, da reale Abstrakta ja grundsätzlich keine Akteure oder kausalen Faktoren wären.

Wenn man den ontologischen Naturalismus auf Konkreta beschränkt, dann kann man sich mit der Annahme bescheiden, dass es keine konkreten übernatürlichen Entitäten gibt.

Grotemson hat geschrieben:Worauf ich als Antirealist ja hinaus will, ist genau, dass wissenschaftliche Theorien gute Instrumente sind, die phenomenale Wirklichkeit zu beschreiben und bei Bedarf zu erklären. Dass diese Wirklichkeit regelhaft- und wenn richtig beschrieben vorhersagbar ist, leugne ich ja gar nicht. On the contrary: Thats my point!


Unsere Realismus-Antirealismus-Diskussion sprengt mittlerweile den Rahmen dieses Threads.
Mir ist aber klar, dass der wissenschaftlicher Antirealismus nicht mit Wissenschaftsfeindlichkeit oder Antiszientismus gleichzusetzen ist.
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Myron » Mi 23. Feb 2011, 17:23

Teil 2:

Grotemson hat geschrieben:3. Worüber wir uns hier doch eigentlich und im Kern zanken, sind welches gute Kriterien dafür sind, eine Ontologie zu wählen.


Wir müssen zwischen einer generellen Fundamentalontologie und speziellen Ontologien unterscheiden.
Erstere befasst sich mit den höchsten Kategorien wie <Ding>, <Eigenschaft> und <Beziehung>, die derart themenneutral (topic-neutral) sind, dass sie weder an den Naturalismus noch an den Supernaturalismus gebunden sind.

Grotemson hat geschrieben:Tja, das ist das Problem: Es gibt keine objektiven Kriterien einer Ontologiewahl. Ich bin damit auch (meta)ontologischer Antirealist. Es gibt ein Set von Dingen, die es unabhängig von uns gibt, aber da unsere Ontologiewahlen immer Sprachabhängig sind, können keine neutralen Kriterien gefunden werden(berühmte Kolporteure dieser Sicht sind Chalmers, Putnam und Hirsch). Ich arbeite derzeit daran, wie man die enorme Fundamentalität ontologischer Entscheidungen doch hintergehen kann(ein Mittel scheint methodische Skepsis zu sein), aber vorerst sieht es schlecht aus.


Ja, es lässt sich schwerlich leugnen, dass es in der Ontologie und der Metaphysik an objektiven und neutralen Entscheidungsverfahren mangelt und darin überdies alles irgendwie mit allem zusammenhängt. Man kann wohl im Grunde nur versuchen, zu einem "reflective equilibrium" zu gelangen:

http://plato.stanford.edu/entries/refle ... #MetRefEqu

http://plato.stanford.edu/entries/prope ... planations (2.3 The Fundamental Ontological Tradeoff)

Das bedeutet aber wohl auch, dass ein metaphysisch-ontologischer Pluralismus unvermeidbar ist und wohl oder übel hingenommen werden muss, was des Weiteren ethisch-politische Fragen aufwirft, die über die akademische Sphäre hinausgehen. Pluralismus ist aber nicht dasselbe wie Relativismus!

"The reader in search of knock-down arguments in favor of my theories will go away disappointed. Whether or not it would be nice to knock disagreeing philosophers down by sheer force of argument [2, it cannot be done. Philosophical theories are never refuted conclusively. (Or hardly ever. Gödel and Gettier may have done it.) The theory survives its refutation—at a price. Argle has said what we accomplish in philosophical argument: we measure the price. Perhaps that is something we can settle more or less conclusively. But when all is said and done, and all the tricky arguments and distinctions and counterexamples have been discovered, presumably we will still face the question which prices are worth paying, which theories are on balance credible, which are the unacceptably counterintuitive consequences and which are the acceptably counterintuitive consequences. On this question we may still differ. And if all is indeed said and done, there will be no hope of discovering still further arguments to settle our differences. ...
Our 'intuitions' are simply opinions; our philosophical theories are the same. Some are commonsensical, some are sophisticated; some are particular, some are general, some are more firmly held, some less. But they are all opinions, and a reasonable goal for a philosopher is to bring them into equilibrium. Our common task is to find out what equilibria there are that can withstand examination, but it remains for each of us to come to rest at one or another of them. If we lose our moorings in everyday common sense, our fault is not that we ignore part of our evidence. Rather, the trouble is that we settle for a very inadequate equilibrium. If our official theories disagree with what we cannot help thinking outside the philosophy room, then no real equilibrium has been reached. Unless we are doubleplusgood doublethinkers, it will not last. And it should not last, for it is safe to say that in such a case we will believe a great deal that is false.
Once the menu of well-worked-out theories is before us, philosophy is a matter of opinion. Is this to say that there is no truth to be had? Or that the truth is of our own making, and different ones of us can make it differently? Not at all. If you say flatly that there is no god, and I say that there are countless gods but none of them are our worldmates, then it may be that neither of us is making any mistake of method. We may each be bringing our opinions to equilibrium in the most careful possible way, taking account of all the arguments, distinctions, and counterexamples. But one of us, at least, is making a mistake of fact. Which one is wrong depends on what there is.
[2 It would not be nice, of course. Robert Nozick has drawn attention to our strange way of talking about philosophical argument as if its goal were to subjugate the minds of our esteemed colleagues, and to escape their efforts to do likewise unto us.]""


(Lewis, David. Philosophical Papers. Vol. 1. New York: Oxford University Press, 1983. x+xi)

"Philosophy is as shaky as can be."

(Lewis, David. "Mathematics is Megethology." In Papers in Philosophical Logic, Vol. 1, 203-230. Cambridge: Cambridge University Press, 1998. p. 218)

"I am convinced that philosophical debate almost always ends in a deadlock[.]"

(Lewis, David. "Evil for Freedom's Sake." In Papers in Ethics and Social Philosophy, 101-127. Cambridge: Cambridge University Press, 2000. p. 102)

Tja…

Grotemson hat geschrieben:Es folgt, dass der Naturalismus wirklich eine sehr nützliche Doktrin ist, aber von Wahrheit kann keine Rede sein.


Glaube ich, dass der Naturalismus wahr ist? – Ja! Behaupte ich zu wissen, dass der Naturalismus wahr ist? – Nein! Behaupte ich, dass man wissen kann, dass der Naturalismus wahr ist? – Nein! Folglich kann ich nicht leugnen, dass mein Glaube mit einem bestimmten Maß an Gläubigkeit getränkt ist. Nichtsdestoweniger bestreite ich, dass es sich beim Glauben an den Naturalismus um einen "mere leap of faith" handelt.

"I'd like to emphasize, cannot indeed overemphasize, the tentative nature of what I present here. Philosophers may not like to admit it, but fashion is an important factor in philosophy. And once fashion comes in, objectivity goes. The reason is rather obvious: philosophy lacks the wonderful decision procedures that are present in logic and mathematics (proofs) and the natural sciences (observation and experiment, together with mathematics). Unfortunately there seems to be no remedy for this situation, and those who thought there is a remedy, such as the logical positivists, learnt bitter lessons. But since this is so, we philosophers should be appropriately modest."

(Armstrong, D. M. Sketch for a Systematic Metaphysics. Oxford: Oxford University Press, 2010. p. ix)

Tja…
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Mark » Do 24. Feb 2011, 10:39

All die komplizierten Darlegungen und Ansichten um das Thema herum, daß niemand auch nur ansatzweise wüsste was etwas übernatürliches sein soll oder ein Beleg dafür existiert.. Man muss sich doch wirklich wundern warum man sich den Kopf über etwas zerbricht für das es keinerlei Hinweise gibt...KEINE , NIX !! wie kommt es dazu ? DAS ist interessant. Wenn es keinerlei handfeste Hinweise gibt, dann kann es doch nur auf Einbildung basieren, oder nicht ?
Benutzeravatar
Mark
 
Beiträge: 1683
Registriert: Do 30. Nov 2006, 18:19
Wohnort: München

VorherigeNächste

Zurück zu Philosophie

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 9 Gäste