Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Di 3. Jan 2012, 15:07

Vollbreit hat geschrieben:Das nur bedingt, Klassen haben wir bei uns nicht, auch ein armer arbeitsloser Mensch könnte Frau Merkel verklagen, alle haben die gleichen Rechte (außer wenn es um Kredite fürs Haus geht. ;-) )


Das sind Formalitäten. Faktisch haben wir immer noch Klassen. Ich habe keine Ahnung, aus was für Verhältnissen Du kommst und wie Dein Leben sich so gestaltet hat, aber ich bekomme das ziemlich gut zu spüren (und habe mich trotzdem ziemlich über meine Verhältnisse hinaus entwickelt, aber es war und ist ein harter Kampf, anderen wird das von Geburt an in den Schoß gelegt und ich bin auch noch lange nicht da, wo ich hinwill).
Was soll mir das mit der Klage bringen? Alle haben die gleichen Rechte, aber manchen nützen diese Rechte auf sehr vorteilhafte Weise und dem anderen sind sie sehr zum Nachteil. Die Frage bleibt doch, wem das tatsächlich nützt.

Vollbreit hat geschrieben:Weil Dir diese Normen erst mal irgendwelche doofen Gründe dafür liefern, warum Du so und so zu sein hast und weil selbst ein primitives „Gott will das nicht“ oder „Ich, Dein Vater will das nicht, basta!“ erst mal dazu führt, dass man die Wohnung nicht abfackelt, den Hund nicht quält und sonst was.


Mag ja sein, aber es gibt auch andere Möglichkeiten, den gleichen Effekt zu erzielen, das ist noch lange kein Grund daran festzuhalten. Wo ist das Problem, den Sachverhalt einfach zu erklären? Du kannst ja als Vater etwas nicht wollen, aber Du kannst auch den Grund nennen und nicht einfach nur basta sagen, was ist daran so problematisch? Du kannst doch defensive Grenzen setzen.

Vollbreit hat geschrieben:Irgendwann bekommt man mit, dass das mit dem lieben Gott vielleicht eher fragwürdig ist, dass der Vater auch nur ein Mensch ist, der Fehler begeht und so weiter, aber auch wenn man die ersten 12 Jahre nur nach diesen Regeln funktioniert hat, es ist ja gut, dass man dann nicht das Haus angezündet, den Rottweiler gequält hat (der kann sich wehren), oder an der Nadel hängt.


Es funktioniert aber leider nicht so einfach. Wenn der Grund nicht plausibel ist, wird sich jedes Kind irgendwann von der „Sünde“ versucht fühlen, schon allein, weil es verboten ist. Klingt vielleicht erstmal kontraintuitiv, ist aber tatsächlich so.
Es tritt nach 12 Jahren dann auch nicht einfach der Fall ein, dass ein Jugendlicher anfängt zu reflektieren, wenn er als Kind so erzogen wurde, wird er diese Fähigkeit kaum haben. Er wird nur irgendwie merken, dass irgendwie irgendwas nicht stimmt und anfangen sich aufzulehnen, wird aber nicht die richtigen Gründe sehen, sondern sich andere Gründe suchen und anfangen sich destruktiv zu verhalten. Habe ich schon zu oft erlebt.

Vollbreit hat geschrieben:Dass die Gründe allesamt defizitär sind, okay, aber nach dem Sturm der ersten Entrüstung, die dazugehört, kann man sich dann schon Fragen, ob es denn wirklich so dämlich ist, das Haus nicht anzuzünden oder den Hund nicht zu quälen.


Man könnte, aber wird nicht, wenn die eigene Fähigkeit zur Reflexion nicht ernst genommen wurde, weil die dadurch verkümmert.

Vollbreit hat geschrieben:Wenn Eltern mit ihren dreijährigen Kindern diskutieren, wie mit Erwachsenen, stehen mir die Haare zu Berge, die Ergebnisse sieht man, wenn Papa dann mit klein Malte im Bioladen einkauft.


Darum geht es ja gar nicht. Ein dreijähriges Kind hat meistens genug sprachliche Fähigkeiten, um plausible Erklärungen zu verstehen. Du wirst ihm ja nicht erklären müssen, warum die USA den Irak angreift, sondern eher, warum es nicht einfach auf die Straße rennen sollte.

Vollbreit hat geschrieben:Und ob Kinder, die an einer Schnellstraße wohnen wirklich alle Erfahrungen mal selbst machen sollten, damit sie was fürs Leben lernen, da wäre ich anderer Meinung.


Also hat ein Kind einfach Pech gehabt, wenn es in einer nicht kindgerechten Umgebung aufwächst und es ist dann gerechtfertigt, das Kind dafür zu strafen?

Vollbreit hat geschrieben:Dreijährige Kinder haben noch keine reflexive Einsicht, aber vielleicht ein Feuerzeug, ein Messer oder einen Rottweiler.


Doch, haben sie, wenn man es ihnen nicht von Anfang an verbaut. Kinder haben übrigens mehr Angst vor Feuer, scharfen Gegenständen und großen Hunden als Erwachsene.

Vollbreit hat geschrieben:Man kann natürlich auch phobisch alle Steckdosen vernageln, Hunde abschaffen, das Kind einsperren und es dann frei aufwachsen lassen, ich halte das aber auch nicht für richtig.


Na ja, Kindersicherungen in die Steckdose zu machen, ist sicher kein Fehler. Hunde und Kinder können wunderbar auch harmonisch zusammen aufwachsen, auch ohne Normen. Da sollte man vor allem drauf achten, dass der Hund richtig dressiert ist. Ein Hundehalter, der das nicht macht, ist bei mir eh unten durch.

Vollbreit hat geschrieben:Also reflexive Freiheit – die ich absolut befürworte – wächst nicht auf den Bäumen, sondern erwächst aus der Reflexion der zuvor gesetzten Struktur, wenn die fehlt, hängen die Kinder in der Luft, warst Du es nicht, der genau das kritisiert hat (oder bin ich jetzt im Forum verrutscht)?


Struktur ist ja so oder so da. Du hast ja ein strukturiertes Leben und wenn ein Kind dazu kommt, wird es automatisch in diese Struktur reinkommen. Diese Struktur muss ja aber nicht normiert sein, sie kann ja Deinen Reflexionen entsprungen sein, also wirst Du sie auch dem Kind plausibel erklären können. Wenn das Kind eigene Bedürfnisse hat, die sich damit nicht decken, dann kannst Du immer noch überlegen, wie weit Du auch bereit bist, Dich anzupassen, ohne dass Du dem Kind damit die „Vorherrschaft“ geben muss. Es gibt da sehr gute und sehr differenzierte Modelle und es ist natürlich immer erlaubt, das Leben des Kindes auch gegen den Willen des Kindes zu schützen (wenn es zum Beispiel auf die Straße rennen will), man sollte nur dann das Kind verstehen lassen, warum man das getan hat.

Vollbreit hat geschrieben:Ich habe Vertrauen, aber nicht in das Reflexionsvermögen von kleinen Kindern. Ein wenig Piaget und man ist kuriert.


Ein wenig Lacan und man ist von Piaget kuriert. Piaget hat nur an seinen eigenen Kindern geforscht, hat nur dummerweise nicht in Frage gestellt, wie weit sein Umgang mit ihnen schon ihr Verhalten und auch ihr Reflexionsvermögen beeinflusst hat. Er konnte also gar nicht unvoreingenommen an die Sache herangehen. Irgendwie ist das ganze bei ihm tautologisch.

Vollbreit hat geschrieben:Deshalb muss man Kinder erziehen, idealerweise so, dass die Regeln auch hier klar und nicht willkürlich sind und eingehalten werden müssen, ohne sadistisch oder drangsalierend zu ein.


Nein, man muss Kinder begleiten, nicht erziehen (vielleicht willst Du auch darauf hinaus, aber ich reagiere auf „Erziehung“ echt allergisch). Regeln sollte es immer geben, das ist klar. Auch Grenzen, aber defensive Grenzen, keine aggressiven Grenzen. Und es ist erlaubt, Kinder vor starken Gefahren durch eine intervenierende Handlung zu schützen, auch wenn es gegen den Willen des Kindes geschieht, das ist aber für mich noch keine Manipulation, sondern ein Verhalten, dass man generell seinen Mitmenschen gegenüber an den Tag legen sollte.

Vollbreit hat geschrieben:Die Psychologie weiß heute, dass Unterstrukturierung um Längen schlimmer ist, als Überstrukturierung, aber beides ist nicht gut. Zum Glück ist die Mitte aber recht breit, so dass Erziehung eine solide Basis hat und kein Drahtseilakt ist. Umso schlimmer, dass sie dennoch oft schief geht.


Wenn Eltern für sich selbst schon keine Struktur haben, ist das immer ein Problem. Solche Eltern können Kindern aber auch nicht wirklich die Vorzüge eines strukturierten Lebens beibringen, wenn sie es nicht selbst leben können. Das ist keine Frage der richtigen Erziehungsmethode, sondern eine Frage dessen, was Eltern überhaupt für ihre Kinder bieten können. Deswegen finde ich es auch generell begrüßenswert, wenn Kinder nicht nur an ihre Eltern als Bezugspersonen gebunden sind, sondern ein größeres soziales Umfeld haben, auch mit unterschiedlichen Strukturen, damit sie sehen können, dass es da verschiedene Präferenzen gibt und sie eben tatsächlich darüber reflektieren können.

Vollbreit hat geschrieben:Eigene spirituelle Erfahrungen gemacht zu haben statt nur davon gehört oder gelesne zu haben.


Klingt so erstmal sehr schwammig für mich.

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ist ja wurscht, ich will Dich ja nicht kritisieren, sondern nur aufzeigen, dass Du innehalten und Dich anders entscheiden könntest, in welche Richtung nun auch immer.


Ja, aber was ändert das? Wenn der Irre tot ist, ist er tot. Daraus folgt an sich nichts.


Was es ändert, dass Du Dich entscheiden kannst? Das ist Deine Freiheit.


Du hast gesagt, dass daraus folgt, dass ich auch für Strafe sein müsste, ich habe Dich gefragt, woraus Du das da folgerst, also beantworte bitte einfach die Frage und stelle mir keine Gegenfrage, die damit nichts mehr zu tun hat.

Vollbreit hat geschrieben:Du hast es doch oben selbst erwähnt, nicht jeder sieht alles ein.


Doch, er sieht etwas ein, aber nicht das gleiche wie Du. Warum ist Deine Position besser und rechtfertigt, dass Du Gewalt gegen die Person ausüben darfst?

Vollbreit hat geschrieben:Wenn ich Dir Selbstjustiz durchgehen lasse, warum den türkischen Vater, der sich in seiner Ehre verletzt fühlt, weil seine Tochter aus der Reihe tanzt, nicht? Warum der Rockergruppe, die einen Abtrünnigen ermordet nicht? Warum sollte ich irgendwen nicht erschießen, weil ich gerade meine, dass der es nicht verdient hat zu leben, weil der doofe Ansichten hat? Ein Grund findet sich immer.
Wenn ich das aber prinzipiell nicht will, dann kann ich Dir Deine Selbstschutzmotive, die ich gut verstehe, dennoch nicht durchgehen lassen.


Weil das völlig verschiedene Dinge sind (was meinst Du, warum es Notwehr gibt?). Allerdings machst Du es Dir hier auch für jemanden, der sich mit Psychologie ein wenig auskennt, viel zu einfach. Die angeblichen Gründe, die Du hier lieferst sind ja nicht die wirklich Gründe (sonst würde jeder jeden töten, der andere Ansichten hat, da es nur manche tun, muss es da noch andere Gründe geben).

Vollbreit hat geschrieben:Dann bist Du für Selbstjustiz und ich würde zusehen, dass Du, um diesen Unsinn nicht ernsthaft verbreiten zu können, möglichst keinen einflussreichen Posten bekommst. Ich würde ich also mit allen demokratischen Mitteln an dieser Stelle bekämpfen.


Du würdest also mit Gewalt gegen mich vorgehen als letzte Begründung für Deine Ansicht?
Ich bin allerdings nicht für Selbstjustiz, die Tötung des „Irren“ hat mit Justiz nichts zu tun, sondern damit, dass ich in dem Moment keine andere Möglichkeit mehr sehe, meine Liebsten zu schützen. Ich richte nicht über ihn.

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Was sollte Strafe da ändern?


Dasselbe wie bei Dir.


Also gar nichts? Na toll.

Vollbreit hat geschrieben:Wenn ich ein schlechtes Vorbild bin, habe ich Strafe verdient (wenn ich dafür bin, dass alle Gewalt von Staat ausgeht und das bin ich hier und jetzt) und vielleicht bin ich in einer emotionalen Ausnahmesituation in der Lage das abzuwägen. Vielleicht aber auch nicht, das weiß ich erst, wenn ich in die Lage gerate, also hoffentlich nie.


Bist Du irgendwie masochistisch veranlagt oder so?

Vollbreit hat geschrieben:Wenn ich dann sage, dass ich zwar grundsätzlich ein Anhänger des staatlichen Gewaltmonopols bin, aber doch bitte bei mir eine Ausnahme gemacht werden sollte, weil es mir in der Situation wirklich mies ging, mit welchem Recht sollte ich das dem türkischen Vater absprechen, der leidet auch wirklich und fühlt sich entehrt?


Wen schützt der türkische Vater in der direkten Situation (als Abgrenzung dazu, was er vielleicht meint, indirekt damit zu schützen, seine traditionellen Werte oder was auch immer) durch seine Tat?
Außerdem: Wenn ich einen Staat bezahlen muss, damit er mit seinem Gewaltmonopol mich und meine Liebsten schützt, sich aber rausstellt, dass er das nicht tut, dann habe ich zu Recht kein Vertrauen mehr in den Staat. Da gibt es auch keine Ausrede für, die das irgendwie rechtfertigen würde, dass der Staat es nicht geschafft hat. Es falsifiziert einfach nur die Sinnhaftigkeit des Gewaltmonopols.

Vollbreit hat geschrieben:Und weil mir dazu nichts einfällt, was nicht egozentrisch wäre, muss ich den Entführer meiner Frau und Kinder, wenn ich ihn in die Finger kriege der Polizei übergeben, oder schlimmste Folgen für sie ggf. in Kauf nehmen, wenn die Umstände es nicht hergeben oder die Zeit abläuft. Ob ich dazu bereit wäre, weiß ich nicht, könnte sein, dass ich ihm die Haut in einzelnen Streifen vom Körper ziehe.


Das würde ich zum Beispiel nicht tun, ich würde nur alles tun, um meine Liebsten zu retten und wenn der Entführer dabei drauf geht, würde ich das zwar bedauern, aber ich würde es ja nicht in der Absicht machen, ihm als Person schaden zu wollen, sondern meine Liebsten zu retten und das in einer Situation, wo eine direkte Bedrohung von dem Entführer ausgeht, nicht in einer Situation, wo ich irgendein ideelles Konstrukt wie „Ehre“ bedroht sehe.

Vollbreit hat geschrieben:Das halte ich für bedenklich, wie schon mehrfach erwähnt.
Du findest Ehrenmorde also gut?


Wie kommst Du auf so abstruse Schlussfolgerungen? Ich lehne Gewalt in diesem Sinne grundsätzlich ab, wie könnte ich da Ehrenmorde gut finden? Ich lehne Gewalt in dem Sinne, wie Gandhi gewaltsam war nicht ab, aber das ist auch die einzige Form von Gewalt (falls Du Dich wunderst, Gandhi selbst hat später erklärt, dass sein Widerstand nicht gewaltlos war, sondern eine eigene Form von Gewalt, siehe auch „Der Yogi und der Kommissar“ von Arthur Koestler).
Du bist der, der Gewalt befürwortet, sie muss dabei nur von der richtigen Instanz ausgeführt werden (warum ist sogar egal, Hauptsache „legitimiert“).

Vollbreit hat geschrieben:Ist der gegen geltendes Recht, ich glaube nicht. Kann ich mir bei unserer Geschichte eigentlich nicht vorstellen.


Doch, wer Hitler zu seiner Herrschaftszeit getötet hätte, hätte gegen geltendes Recht verstoßen.

Vollbreit hat geschrieben:Ja, und? Es ist determiniert, wie Du Dich, aufgrund Deiner Prägung, Erziehung, Intelligenz, Bildung, Deines Tempermentes und der vorliegenden Gründe, Sachverhalte usw. entscheiden wirst, nur weißt Du das ja nicht, Du musst Dich ja immer noch entscheiden. Dass Gott das schon weiß, hilft Dir und mir wenig.


Nein nein, es ist determiniert, dass Du Dich so und so entscheiden wirst und das wird über eine Ursachenkette so verlaufen. Eine Entscheidung hättest Du dann ja eben nicht getroffen.

Vollbreit hat geschrieben:Und es beschreibt ja nur das, was Du jetzt ohnehin auch tust. Du hast eine bestimmte Vorgaben, aus Genen, Erziehung, Peergroup, Büchern, eigenen Überlegungen und Temperament, man legt Dir bestimmte Daten vor und Du entscheidest. Wäre die Erziehung anders oder Dein Temperanment, hättest Du anders entschieden, es ist aber nun mal so, wie es ist und darum entscheidest Du hier und jetzt auf der Basis Deiner Erkenntnisse über die Fakten, die Dir hier und heute vorliegen.
Wenn das alles schon determiniert ist, was ändert das an diesem Sachverhalt?


Es ändert, dass Du gar nicht in der Lage bist, zu entscheiden, sondern ein reiner Reiz-Reaktions-Automat wärst.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Di 3. Jan 2012, 15:31

Vollbreit hat geschrieben:Warum pochst Du auf diese Analogie, die nichts verdeutlicht, sondern nur verkompliziert?
Eine Lok denkt und entscheidet nicht, ein Mensch schon. Ein Mensch kann Begründungen geben, eine Lok nicht mal sprechen. Auf Analogien greift man zurück, wenn sie Zusammenhänge erhellen, nicht verdunkeln.

Wenn die Analogie gut wäre, dann würde man dort nur die wesentlichen Dinge vorfinden. Es würde eine starke Vereinfachung darstellen, die aber alle "wichtigen" Aspekte noch enthält. Dies würde den eigentlichen Sachverhalt verdeutlichen und alle unwichtigen und verdunkelnden Details entfernen.
Du hast offenbar den Eindruck, dass meine Analogie nicht gut ist. Dein Argument scheint zu sein, dass ich wesentliche Eigenschaften des Menschen nicht übertragen habe.

Mir würde es reichen, wenn du mir eine einzige Eigenschaft des Menschen nennst, die wichtig in unserem Zusammenhang ist, und die in der Lok-Analogie deshalb fehlt. Bisher habe ich in deinen Argumenten keine menschliche Eigenschaft entdeckt, die dieses Kriterium erfüllte. Ich versuche mal, auf die Fülle deiner Beispiele einzugehen:

Vollbreit hat geschrieben:Eine Lok denkt und entscheidet nicht, ein Mensch schon.

Wieso ist Denken eine wichtige Eigenschaft? Ich denke ja im Determinismus immer dann genau dasselbe, wenn die ursächlichen Faktoren die gleichen sind. Ich kann also die Beziehung zwischen Ursachen und dem Ausgang des Denkens als eine einfache Weiche (oder bei komplexen Denkvorgängen als Kette vieler Weichen) darstellen.

Vollbreit hat geschrieben:Ein Mensch kann Begründungen geben, eine Lok nicht mal sprechen.

Wieso ist Begründen eine wichtige Eigenschaft? Ich begründe ja im Determinismus immer dann genau gleich, wenn die ursächlichen Faktoren die gleichen sind. Ich kann also die Beziehung zwischen Ursachen und der Begründung als eine einfache Weiche (oder bei komplexen Begründungen als Kette vieler Weichen) darstellen.

Vollbreit hat geschrieben:Sie leben nicht, können nicht denken oder fühlen und haben keinen eigenen Willen, die entscheiden gar nicht.

Ich könnte nach obigem Schema auch auf die Eigenschaften "denken" und "fühlen" antworten.
Die Loks haben in meiner Analogie einen eigenen Willen. Sie wollen der Weiche folgen. Das ist die Analogie zum menschlichen Bestreben, eine rationale oder gefühlsmäßig beste Entscheidung zu treffen. Dieser Wille ist bei der Lok durch Hardware, nämlich die Form der Räder (glaube ich zumindest) repräsentiert. Aber das sollte doch keine Rolle spielen? Beim Menschen ist der Wille irgendein psychologisches Phänomen, das sich auf irgendeine Weise im Gehirn bildet. Wie genau sollte ebenfalls keine Rolle spielen bei der Frage, was die Festlegung des Determinismus nun für menschliche Entscheidungen bedeuten. Das Wesentliche, um das es hier geht, nämlich die ursächliche Abhängigkeit zwischen Weiche und Lokentscheidung bzw. zwischen Ursachen und menschlicher Entscheidung, ist doch unabhängig von den Eigenschaften, die du hier ins Feld führst, oder?

Vollbreit hat geschrieben:Aber schon hier wird doch klar, dass die Lok gar nichts tut. Sie entscheidet eben nicht, die Schienen liegen da, sie kann ihnen nur folgen. Mir ist klar, dass Du dieses Bild auch von Determinismus hast, aber hier greift Dein Bild zu kurz. Man kann eben doch etwas ändern, der Mensch fährt nicht auf Schienen

Wenn du recht hättest und meine Analogie Schrott wäre, dann müsste es doch ein Beispiel geben für etwas, dass ein Mensch tun kann und das ich mit dem Lok-Bild nicht nachbauen kann. Ich habe bisher kein Beispiel von dir vor Augen, wo ich nicht mit ein paar Weichen fertig bin.

Vollbreit hat geschrieben:Nein, weder entscheiden, noch agieren (handeln) sie, sie fahren einfach, weil sie jemand gebaut hat und reagieren wollkommen passiv auf die Weichen. Das alles ist beim Menschen vollkommen anders.

Der Mensch lebt einfach, weil er geboren, erzogen und geprägt wurde.
Die Lok reagiert nicht vollkommen passiv. Es ist viel mechanische Arbeit nötig, um die Form der Weiche in physikalische Richtungsänderung der tonnenschweren Lok umzuwandeln. Die Räderform muss die Weiche erkennen. Passiv ist das nicht. Es ist ein aktiver Vorgang, der vor allem der Lok zuzuordnen ist, womit die wesentliche Eigenschaft analogisiert ist, dass es die Entscheidung der Lok ist.
Beim Menschen ist also nichts Wesentliches anders.

Vollbreit hat geschrieben:Streng genommen dürftest Du mit mir aber gar nicht diskutieren, weil Du dabei implizit auf eine Fähigkeit von mir setzt, die Du explizit leugnest: Dass ich nämlich ein einsichtiges Wesen bin, dass bei den richtigen Argumenten ins Nachdenken kommt und fast gezwungen ist, mich guten Gründen nicht zu verweigern, „der eigentümlich zwanglose Zwang, der besseren Argumente“ nennt Habermas das, fast poetisch.

Das ist falsch. Ich leugne gar nicht, dass du ein einsichtiges Wesen bist. Wenn ich hier das Superargument X bringe, das dich endlich überzeugt, dann wirst du dich nicht verweigern (wenn das Argument wirklich super ist). Und das kann ich sogar nachbauen. Ich baue die Weiche S1, und du fährst als Lok drüber, siehst das Argument ein und wirst endlich wieder zum Inkompatibilisten. Ich verstehe also wirklich nicht, wieso eine "Überzeugung" oder das Wechseln einer Überzeugung oder ein Argument oder eine Einsicht nicht im Wesentlichen eine Ursache für ein Verhalten oder eine Entscheidung darstellt. Wieso sollte man solche komplexeren Entscheidungsfaktoren des Menschen nicht als Weiche modellieren können?

Vollbreit hat geschrieben:Okay, aber habe ich die Überzeugung X und bekomme die Information Y, entscheide ich anders. Das kann die Lok nicht, da die Weiche gestellt ist.

Doch, das schafft die Lok spielend. Die Überzeugung X ist die Weiche W1. Und die Information Y ist die Weiche W2.

Vollbreit hat geschrieben:Um die Analogie etwas griffiger zu machen, sitzt Du in einer Lok mit vielen verästelten Weichen und erhältst während der Fahrt Informationen über die Gebiete, in die die Weichen Dich vermutlich bringen und dann kannst Du von der Lok aus die Weichen umstellen.

Diese komplexe Analogie von selbstverstellenden Loks ist nicht die meine. Nun verdunkelst du aber ganz gehörig. Bleiben wir doch einfach bei der hellen, klaren, einfachereren Variante, in der die Lok nichts verstellt, sondern die Weichen die Verstellungen darstellen. Wie oben beschrieben, stellt das Bekommen von Informationen einfach eine weitere Weiche dar, genau deshalb, weil jede Ursache für Entscheidungen analog ist einer Weiche. So ist mein Modell definiert. Loks, die von Menschen besetzt sind, welche Weichen während der Fahrt umstellen? Gibt es bei mir nicht und muss es auch nicht.

Vollbreit hat geschrieben:Kausale Ursachen sind keine Gründe. ... Hast Du einen Grund, kannst Du ihm folgen, musst es aber nicht.

Unsinn. Wenn ich mich entscheide und gebe als Grund X an, dann bin ich diesem Grund auch gefolgt. Musste ich zwar nicht, stimmt, aber wenn ich es nicht gemacht habe, dann kann ich X auch nicht mehr als Grund für meine Entscheidung angeben. Logisch oder? Du hast also gemogelt. Gründe sind sehr wohl kausale Ursachen, es sei denn, sie sind eben keine Gründe.

Vollbreit hat geschrieben:Beide Einstellungen kann man haben und es ist klar, dass jemand der genau eine dieser Einstellungen hat, auf dem Boden seiner guten Gründe, die er in beiden Fällen hat, anders entscheiden wird. Egal wie die Geschichte ausgeht, ich will hier nicht moralisieren, er wird in der äußerlich gleichen Situation, gemäß seiner inneren Vorgaben und Überzeugungen einmal so und einmal anders handeln und wie auch immer die Wahl ausfällt, für beide Seiten gibt es Argumente und in beiden Fällen hat man sich auf dem Boden eigener Überzeugungen so und nicht anders entschieden.

Die eigenen Überzeugungen sind die Gründe aber auch die ursächlichen Faktoren für die Entscheidung über rot zu fahren oder nicht. Ich verstehe auch hier nicht, wieso ich das nicht als eine Weiche abbilden darf. Hat die Person die eine Einstellung A, dann steht die Weiche auf links, hat die Person die Einstellung B, dann steht die Weiche auf rechts. In der gleichen Situation würde die Person mit der gleichen Einstellung immer gleich entscheiden (die Lok fährt bei gleicher Weiche immer gleich). Das passt doch zum Determinismus, oder?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Di 3. Jan 2012, 15:54

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Kausale Ursachen sind keine Gründe. ... Hast Du einen Grund, kannst Du ihm folgen, musst es aber nicht.

Unsinn. Wenn ich mich entscheide und gebe als Grund X an, dann bin ich diesem Grund auch gefolgt. Musste ich zwar nicht, stimmt, aber wenn ich es nicht gemacht habe, dann kann ich X auch nicht mehr als Grund für meine Entscheidung angeben. Logisch oder? Du hast also gemogelt. Gründe sind sehr wohl kausale Ursachen, es sei denn, sie sind eben keine Gründe.


Genau hier habe ich auch meine Schwierigkeiten. Sind Gründe jetzt kausale Ursachen oder konditionale Bedingungen? Kann ich nach Gründen immer nur gleich handeln (bin ich also determiniert) oder kann ich mich über Gründe hinweg entscheiden?
Im Sinne der Lok wäre das halt die Frage, ob die Lok sich nach Weichen richtet, die einfach gestellt werden (durch kausale Ursachen) oder ob die Lok selbst entscheiden kann, wie die Weichen liegen sollen? Letzteres wäre aber eben ein Bruch im Determinismus, deswegen verstehe ich nicht, inwieweit das mit diesem Determinismusbegriff noch vereinbar sein soll. AgentProvocateur hat da eine elegantere Lösung mit dem Subjekt als Determinanten, da ist die Welt also nicht (zum Beispiel) vom Urknall aus determiniert, sondern es gibt Akteure (Loks, die selbst Weichen stellen können), die den Verlauf der Dinge verändern, trotzdem setzen sie wieder nach den Naturgesetzen funktionierende Kausalketten in Gang (die Lok wird den Schienen weiter folgen), insofern bleibt die Welt auch determiniert.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Di 3. Jan 2012, 16:33

Teh Asphyx hat geschrieben:Sind Gründe jetzt kausale Ursachen oder konditionale Bedingungen? Kann ich nach Gründen immer nur gleich handeln (bin ich also determiniert) oder kann ich mich über Gründe hinweg entscheiden?

Zugegeben, der Begriff "Grund" hat beide Bedeutungen.
a) Grund = kausale Ursache
Die Weiche ist der Grund bzw. die Ursache für die Richtungsänderung.

b) Grund = konditionale Bedingung
Hier würde ich das Wort "ausschlaggebend" einführen wollen. Ist ein Grund ausschlaggebend, dann wird er gemäß (a) zur kausalen Ursache. Ansonsten ist er genau keine kausale Ursache, d.h. der Entscheider setzt sich über den Grund hinweg. Letzteres, also einen nicht ausschlaggebenden Grund modelliere ich als Weiche gar nicht erst und so ein nicht ausschlaggebender Grund hat auch bei der Determinismus-Betrachtung keine Relevanz.

Teh Asphyx hat geschrieben:Im Sinne der Lok wäre das halt die Frage, ob die Lok sich nach Weichen richtet, die einfach gestellt werden (durch kausale Ursachen) oder ob die Lok selbst entscheiden kann, wie die Weichen liegen sollen?

Die Weiche ist die Entscheidung. Die Lok entscheidet nicht, ob sie der Weiche folgen soll oder nicht. Die Weiche stellt die Entscheidung der Lok dar! Und eine Entscheidung hat in meinem Modell nur kausale Ursachen (entspricht ausschlaggebenden Gründen). Nicht ausschlaggebende Gründe werden nicht betrachtet, da sie auf die Entscheidung ja per Definition keinen wesentlichen Einfluss hatten.
Der springende Punkt ist, dass laut Determinismus die Weichen festgelegt sind und die Lok eben nicht entscheidet, wie die Weichen liegen.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 4. Jan 2012, 03:24

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Nein, dieses Bild erscheint mir deswegen falsch, weil hierbei die Schienen vorher schon daliegen, die Schienen nichts mit der Lok zu tun haben, die Lok keinen Einfluss auf den Verlauf der Schienen hat.

Er möchte Dir aber sagen, dass das für ihn Determinismus bedeutet. Dass man eben keinen Einfluss auf den Verlauf der Schienen, also auf die Entscheidungen hat und deswegen nicht frei ist.

Aber das ist eben falsch. Wieso sollte man keinen Einfluss auf seine Entscheidungen haben? Man trifft doch Entscheidungen normalerweise selber, das tut nicht jemand anderes für einen.

Ich möchte erst mal noch ein paar grundsätzliche Dinge sagen, auch bezogen auf Deine weiteren Beiträge: irgendwie scheint es noch ein großes Missverständnis zwischen uns zu geben. Ich meine mitnichten, dass Subjekte Kausalketten aus sich heraus anfangen könnten. Meinte ich das, dann wäre ich Libertarier, der eine sogenannten Agenskausalität postulierte. Aber das tue ich nicht, (ich halte eine Agenskausalität für nicht plausibel), ich lege hier in unserer Diskussion das, was meiner Ansicht nach gemeinhin unter Determinismus verstanden wird, zugrunde, (und zwar erst mal nur hypothetisch, d.h. die Frage, ob unsere Welt determiniert ist, kann mE erst mal offen bleiben, die wäre nur wesentlich für die Frage nach der Willensfreiheit, wenn sich herausstellte, dass Determinismus und Willensfreiheit sich ausschließende Gegensätze wären).

Eine Definition habe ich oben schon versucht, zu geben, (aus einem bestimmten Zustand einer Welt zum Zeitpunkt t(0) und den Natur-/Verlaufsgesetzen in dieser Welt folgt eindeutig jeder spätere Weltzustand zum Zeitpunkt t(x)).

Aber wir können auch gerne diese Definition nehmen:

Philosophie verständlich - Determinismus hat geschrieben:Jede mögliche Welt, die mit unserer Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt völlig übereinstimmt und in der dieselben Naturgesetze gelten wie in unserer Welt, stimmt auch zu allen späteren Zeitpunkten mit unserer Welt völlig überein.


Oder nehmen wir diese Aussage von ganimed, die Du auch nochmal zitiert hast:
ganimed hat geschrieben:Ich verstehe darunter die Fähigkeit eines Menschen, sich für etwas zu entscheiden, ohne dabei kausal zu 100% abhängig von Faktoren zu sein, die letztendlich (also wenn man den Ursachenketten folgt) außerhalb dieses Menschen liegen. Der freie Wille wäre für mich also die Vermeidung von totaler, kausaler Fremdbestimmung.

Ich kann dem erst mal insoweit zustimmen, dass aus Determinismus folgt, dass es im D. ausschließlich Kausalketten gibt, die immer (theoretisch) bis zu einem Zeitpunkt zurückverfolgbar sind, zu dem der betrachtete Mensch und seine Handlung und seine Entscheidung noch nicht existierten.

(Allerdings sehe ich den Rest, d.h. seine Definition von Freiheit, naturgemäß anders, [ich bin ja Kompatibilist], ich meine also nicht, dass daraus Fremdbestimmung folgt, hier sollte noch ein Argument stehen, als petitio principii ist das nicht akzeptabel. Und außerdem bietet er leider keine Alternative an, die Freiheit in dem von ihm verwendeten Sinne herstellen könnte. Wenn es ausschließlich Kausalketten gibt, die immer zu einem Zeitpunkt vor der Geburt des Menschen entstanden sind, [und wie gesagt: das folgt unweigerlich aus der Definition des Determinismus, den wir ja hier for the sake of argument einfach mal hypothetisch annehmen], und dieser angenommene Umstand Freiheit ausschließt, dann gibt es nun zwei Möglichkeiten: entweder können spontan entstehende (oder bewusst erzeugte) indeterminierte Kausalketten Freiheit herstellen - dann wäre es bitte, bitte, bitte mal nachvollziehbar darzulegen, wie man sich das vorstellen könnte, [Anmerkung: genau dieses ist für mich der eigentlich interessante Punkt in dieser Diskussion - noch niemals hat es jemand geschafft, das auch nur ansatzweise plausibel zu machen - und ich habe schon eine ganze Menge Leute dazu befragt], oder aber: der vertretene Freiheitsbegriff ist von Vorneherein leer, sinnlos, nicht verstehbar, nicht nachvollziehbar, d.h.: in keiner logischen Welt logisch möglich. Aber in dem Falle würde ich mir gräßlich verarscht vorkommen, ich meine, eine solche furchtbar wichtige Information kann man doch nicht einfach unterschlagen und (ich meine: unredlicherweise) mit Determinismus als in dem Falle reinen red herring argumentieren. Denn dieser wäre dann ja völlig irrelevant, dann würde ja logischerweise gelten: völlig schnurzpiepe, ob eine beliebige logisch mögliche Welt determiniert oder nicht determiniert ist: eine als logisch unmöglich verstandene Freiheit kann es niemals geben.)

Hm, nochmal zusammengefasst: meine Definition und mein Verständnis des Determinismus ist (hoffentlich) die / das gebräuchliche. Dabei habe ich weder einen Dissens mit Vollbreit noch mit ganimed, meine ich. Ich bin kein Libertarier, ich vertrete keineswegs eine Agenskausalität.

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Bild 1: ein Kompatibilist steht in einem Raum mit X Türen. […] Der Inkompatibilist sagt: "nein, Du bist nur frei, wenn Du auch alles das tun könntest, für das Du Dich nicht entscheidest".

Das ist aber niemals meine Argumentation gewesen und auch nicht die von ganimed. Von daher weiß ich nicht, wem Du hiermit was klar machen willst.

Es ging mir in beiden Beispielen um PAP (Principle of Alternate Possibilities) - Prinzip der alternativen Möglichkeiten = jemand kann in einer völlig identischen Situation mal so und mal so entscheiden und handeln - einer der beiden normalerweise vertretenen Standpunkte von Inkompatibilisten, (als von Inkompatibilisten als notwendig angesehene Bedingung für Willensfreiheit in ihrem Sinne). Der letztlich so ausssieht: "Du hättest niemals anders handeln können, als Du gehandelt hast, also warst Du unfrei". Im Beispiel konnte man niemals (zu einem bestimmten Zeitpunkt) durch einen andere Tür gehen, als durch die, durch die man ging, (oder außerhalb des Tunnels gelangen). Und dennoch war man (nach meinem Begriff von Freiheit) vollkommen frei. Hätte man eine andere Tür gewählt, (oder einen anderen Weg), hätte man durch diese gehen können, (aber durch alle anderen nicht), (oder der Tunnel wäre entsprechend anders verlaufen). (Der Witz dabei sollte sein, dass sich die Öffenbarkeit der Türen und der Verlauf des Tunnels danach richten, was man entscheidet und tut. Entschiede und handelte man anders, wären auch jeweils die andere Tür zu öffnen, bzw. verliefe der Tunnel anders. Anders gesagt: ich wollte zeigen, dass es keine Rolle für Freiheit spielt, dass man alle anderen Alternativen [die, die man nicht wollte, nicht gewählt hat] nicht ergreifen konnte). Mehr verlange ich nicht von Freiheit, mir ist unklar, wie der Inkompatibilist - logisch möglich und nachvollziehbar - mehr verlangen kann. Ich glaube ja, er setzt Unsinniges voraus. Kann ich aber nur beweisen, wenn er endlich mal seine Karten auf den Tisch legt.

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Naja, das mit dem Beleidigen war nur ein Beispiel, hat nichts mit uns und dem aktuellen Disput zu tun.

Ich kann Dich nicht beleidigen, wenn Du mir nicht zuerst einen guten Grund dafür lieferst. Und den hast Du bisher nicht geliefert, (und es ist schwer, den zu liefern, ich bin wenig empfindlich). Wenn das Unfreiheit bedeutet: ja, in dem Sinne bin ich dann unfrei. Empfinde und sehe das aber nicht als Unfreiheit, (würde es im Gegenteil als Unfreiheit empfinden und ansehen, wenn ich Dich jetzt grundlos beleidigen würde - so unterscheiden sich eben manchmal die Begriffe; für den einen ist Freiheit dies, er ist Inkompatibilist, für den anderen ist Freiheit jenes, er ist Kompatibilist).

Na ja, das würde ich auch nicht als unfrei bezeichnen. Ich wollte nur darauf hinaus, dass Du auch was anderes wollen könntest, aber Du mich deshalb nicht beleidigst, weil Du (im Moment) nicht den Willen dazu hast.

Mir ging es darum: ich kann im Moment nicht wollen, Dich zu beleidigen. Und das ist der mE wohl der wesentliche Dissens hier: genau deswegen bin ich meiner Ansicht nach frei und verantwortlich (ich habe gute Gründe dafür, das nicht zu tun und ich lasse mich von diesen Gründen leiten, weil ich die anerkenne, als sinnvoll ansehe) und nach ganimeds Ansicht wohl unfrei und nicht verantwortlich. Ich glaube aber, dass jemand, der gute Gründe hat, etwas zu tun (oder zu unterlassen) und es dennoch unterlässt (oder tut) unfreier ist, (zumindest aber, falls das oft - oder gar immer - der Fall wäre).

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Nun ja, man kann auch Definitionen daraufhin abklopfen, ob sie plausibel, mehrheitsfähig, anerkennenswert sind. Es kann nicht jeder beliebig definieren - falls er gleichzeitig möchte, dass diese Definition von anderen (vielen) anerkannt werden soll. Falls ihm das aber gleichgültig ist, dann kann er das machen. Nur wird das dann keine Sau interessieren.

Aber die Definition des Inkompatibilisten ist von vielen anerkannt und ist auch nicht beliebig.

Aber: wie schon oft gesagt, es geht hier überhaupt nicht um die Definiton des Determinismus. Dabei gibt es mE überhaupt keinen Dissens, (siehe auch oben).

Den Dissens gibt es bei diesen Aussagen:

Teh Asphyx hat geschrieben:[...] für den harten Deterministen wäre man deswegen immer unfrei, weil es gar keine eigene Entscheidung gibt, man geht also quasi völlig fremdgesteuert auf eine bestimmte Tür zu. [...] Für ihn [den harten Deterministen] funktionieren Menschen nur durch ein Reiz-Reaktions-Schema, also gibt es keine Reflexion oder Erkenntnis. [...] für den Inkompatibilisten kann der Mensch, wenn alles determiniert ist nach seiner Definition nur Reakteur, aber kein Akteur sein. Es gäbe da also gar keine Akteure, es sei denn nicht alles ist determiniert. [...] Dieser Determinismus lässt eben keine Akteure zu. Wenn Du sagst, dass ein Mensch ein Akteur ist und ihn das frei macht, dann begrenzt diese Freiheit den totalen Determinismus. [...] Nein, nicht außerhalb der Welt stehend, sondern einfach nur reine Reakteure, von denen aus keine Handlung ausgehen kann. Für die [Inkompatibilisten] unterscheidet sich ein Mensch nicht von einem Stein. Oder eben doch, aber dann, weil der Mensch nicht komplett determiniert ist (das wäre der Libertarier). [...] Das [in einer determinierten Welt könnten überhaupt keine Personen / Subjekte / Akteure entstehen] meinen sie, ja. Das geht nach ihrer Determinismusdefinition nämlich gar nicht. [...] Sie sehen Personen eben überhaupt gar nicht erst als Personen. [...]
AgentProvocateur hat geschrieben:Mit anderen Worten: wir - als Teil der Welt, ausgestattet mit Erkenntnis- und Reflexionsfähigkeit - haben einen Einfluss auf die Welt, das Weltgeschehen, sind nicht nur Getriebene, sondern auch Akteure. Ein wie auch immer gearteter Determinismus ist absolut kein Widerspruch dazu. Und wenn doch: dann müsste das nachvollziehbar dargelegt werden, das ist zumindest nicht per se einfach selbstverständlich.

Der einzige Determinismus, der ein Widerspruch dazu ist, ist einer, der per Definition ausschließt, dass irgendwas in der Welt Erkenntis- oder Reflexionsfähigkeit haben könnte und alles somit nur reaktiv ist. Und genau das macht der Determinismus des Inkompatibilisten.

Aus der Definition des Determinismus folgt nichts von all dem, all diese Aussagen sind falsch.

Es sei denn, die könnten begründet werden.

Und die Begründungen dafür möchte ich gerne sehen, darum geht es mir letztlich immer bei dieser Diskussion; um diese Begründungen drückt sich erfahrungsgemäß jeder, der sie aufstellt. Sie werden einfach so als dogmatische Wahrheiten verkündet und jeder, der nach einer Begründung fragt, wird als Ketzer diffamiert.

Jetzt sind wir an dem Punkt, den ich hochinteressant finde. Vielleicht gibt es doch irgendwo auf dieser Welt mal Inkompatibilisten, die ihre Behauptungen nicht nur dogmatisch aufstellen ("Determinismus und Freiheit sind sich ausschließende Gegensätze und fertig!"), sondern die mal plausibel und nachvollziehbar darlegen, wenn irgendwie möglich mit einer logisch möglichen Begriffsdefinition des (mehr oder weniger implizit) von ihnen zugrundegelegten Freiheitsbegriffes (der mehr und offensichtlich besseres beinhalten sollte als der kompatibilistische Freiheitsbegriff).

Nochmal: nach kompatibilistischer Ansicht bedeutet Handlungsfreiheit: jemand kann tun, was er will und Willensfreiheit: jemand hat die Fähigkeit, zu erkennen und zu reflektieren und daraufhin Entscheidungen zu treffen / seinen Willen zu bilden. Nichts von beidem widerspricht nun per se dem Determinismus, so wie ich ihn verstehe, (= durch eine bestimmte Anfangssituation und die Natur-/Verlaufsgesetze ergibt sich jeder spätere Weltzustand).

Der Trick des Inkompatibilisten, einfach mal eben so schnell zu behaupten, daraus würde sich ergeben, dass es in einer determinierten Welt keine Akteure / Personen geben könne, zieht bei mir nicht. Denn das folgt schlicht aus der Definition nicht, hier muss der Inkompatibilist zusätzliche Argumente vorbringen, eine petitio principii reicht nicht als Beleg. Und außerdem muss er, um überhaupt ernst genommen werden zu können, seinen von ihm verwendeten Bergriff von Freiheit expressis verbis auf den Tisch legen. Damit der überprüft und kritisiert werden kann. Ein Inkompatibilist, der (implizit, ohne das preisgeben / zugeben zu wollen) einen Begriff von Freiheit vertritt, der in keiner logisch möglichen Welt logisch möglich ist, ist mE ein durch und durch unredlicher Mensch, (na gut: falls er das bewusst und absichtlich tut, um andere zu täuschen, Nicht-Erkenntnis / Nicht-Verstehen ist nicht unredlich). Denn dann dürfte er nicht mit Determinismus argumentieren, denn der spielte dabei dann keine Rolle. Logisch Unmögliches ist immer unmöglich, in jeder logisch möglichen Welt. Darüber sollte man dann reden, nicht den dann unwesentlichen Umweg über Determinismus nehmen.

Und noch was. Zum Fatalismus: hier ist meine Ansicht mal wieder selbstimmunisierend. Entweder sind Menschen Subjekte / Akteure, die zur Erkenntnis und zur Reflexion fähig sind, also frei in meinem Sinne und dann haben sie deswegen keinen Grund, aus Determinismus Fatalismus zu folgern.

Oder aber, sie sind nur Getriebene äußerer Umstände, haben keinen Einfluss auf diese Welt, keine Erkenntnis- und Reflexionsfähigkeit, sind nur Marionetten von irgendwelchen Abläufen, die sie voraussetzungsgemäß nicht blicken können: dann wäre ihre persönliche Ansicht, ob aus Determismus Fatalismus folgt oder nicht, rein zufällig, (vielleicht besser gesagt: nicht erkennbar). Würde dann eben von den - voraussetzungsgemäß nicht erkennbaren und nicht überprüfbaren Umständen - abhängen, könnten so oder gegenteilig sein, ohne erkennbaren Grund [laut Voraussetzung]. Es wäre dann völlig absurd, einfach so zu postulieren, dass unbekannte und uneinsichtige Umstände die richtige Meinung hervorbringen könnte. Zumindest sehe ich nicht, wieso das der dann der Fall wäre. (Laut Voraussetzung könnten wir dann ja nicht erkennen, eben auch nicht, ob etwas wahr oder unwahr wäre, ob etwas der Fall wäre oder nicht, das wäre aus unserer Sicht - die nichts unterscheiden könnte - ununterscheidbar).

Es wäre dann auch absurd, hier überhaupt zu diskutieren. (Zumindest von einem hypothetischen Standpunkt aus, den wir dann nicht einnehmen könnten). Wir sagten dann einfach nur irgendwas, wüssten aber prinzipiell nicht, wieso, weil wir ja keinen Einfluss auf gar nichts hätten. Allerdings tun auch harte Deterministen so, als ob sie einen Disput führen wollten, so, als ob es Erkenntnisse und Argumente und Überlegungen und Logik und Reflexion gäbe.

Ich finde das sehr verwirrend. Der Schlüssel liegt, glaube ich, darin, dass die harten Deterministen einen anderen Freiheitsbegriff haben als ich. Allerdings konnte ich bisher noch nie herausbekommen, was der eigentlich genau beinhaltet. Der harte Determinist scheint ernsthaft zu meinen, es würde reichen, wenn er einfach nur immer wieder stur sein Matra wiederholt: "Determinismus und Freiheit schließen sich aus." Und er bräuchte weiter nichts zu tun, vor allem bräuchte er nicht darzulegen, was er eigentlich genau mit "Freiheit" meint. Aber ich finde das wenig überzeugend.

Allerdings weiß ich auch nicht, wie wir das Dilemma lösen können. Ich kann ja nicht mehr tun, als meine Begriffe so gut wie möglich zu bestimmen und das habe ich, glaube ich, auch getan. Wenn der Inkompatibilist darauf immer nur sagt: "das überzeugt mich nicht" - und nichts weiter, er vor allem nicht seine eigenen notwendigen und hinreichenden Bedingungen mal auf den Tisch legen will, so dass man prüfen könnte, inwiefern die besser / plausibler wären als meine: dann bleibt mir nichts weiter zu tun.

Um noch ein bisschen böse zu werden: das erinnert mich übrigens an die Diskussion in mykath.de, wo Atheisten versuchen, Argumente gegen Gott zu bringen. Die Christen sagen dann immer nur: "Dein Verständnis von Gott ist aber nicht meines, das hat mich daher nicht überzeugt". Und wenn man sie bittet, ihr Verständnis mal darzulegen, dann sagen sie: "ja, das kann man nicht, Gott muss man tief im Herzen fühlen, um ihn und was er ist, zu verstehen", (so in dem Sinne). Kann ich aber nicht, an der Stelle steige ich dann aus. Die Freiheit, die Inkompatibilisten meinen, kann ich analog auch nicht tief in meinem Herzen fühlen. Einer fühlt nun dies im Herzen und der andere fühlt das nicht im Herzen - tja, da gibt es dann wohl keinen Weg, sich anzunähern.

Ich bin nun ein Subjekt, ich kann erkennen, denken, fühlen, reflektieren, abwägen, begründen, zustimmen, ablehnen etc. pp. Wie zum Teufel kann ein Determinismus dabei hinderlich sein und wie könnte ein Indeterminismus das im Gegensatz zu einem Determinismus herstellen? Dafür muss es doch irgendwo auf dieser Welt mal ein kleines Argument (das mehr ist als eine reine petitio principii) und eine nachvollziehbare Darstellung geben. Oder? Wo hat die Wissenschaft denn festgestellt, dass es keine Subjekte gibt und wer genau hat das dann eigentlich festgestellt, wenn das laut dieser Erkenntnis kein Subjekt sein kann? Und: wie kann man zu der Erkenntnis kommen, dass Menschen nichts erkennen können?

Ich finde das, wie gesagt, extrem verwirrend. Auch deswegen, weil mein kleines determiniertes Logikmodul im Gehirn die ganze Zeit dann immer nur lautstark schreit: "performativer Selbstwiderspruch, performativer Selbstwiderspruch!" Und wie könnte ich meinem Logikmodul widersprechen, wenn es gar nicht so determiniert ist, dass ich dem widersprechen könnte?

Der Inkompatibilist könnte nun wenigstens mal die gängigen Argumente, die Inkompatibilisten so vertreten, eruieren, zum Beispiel hier: Arguments for Incompatibilism. Und dann könnten wir darüber reden, vielleicht kommen wir ja damit weiter.

@ganimed

Mich würde mal interessieren, welchen den oben zitierten Aussagen von Teh Asphyx, von denen er meint, dass harte Deterministen das glauben, (die oben im letzten Zitat von ihm), Du zustimmen würdest und wieso. Und welchen nicht.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 4. Jan 2012, 04:26

Und noch einen kleinen polemischen Seitenhieb kann ich mir an der Stelle nicht verkneifen: der durchschnittliche harte Determinist verschwendet zwar viel Zeit darauf, nachzuweisen, dass der gemeine Mensch ein armes, kleines, nutz- und wertloses Wesen sei, das nur vom Determinismus gesteuert wäre, ein reiner Zuschauer eines Geschehens, auf das er keinerlei Einfluss habe, ein Nichts, ein Sternenstaub im unendlichen Weltall.

Aber gleichzeitig möchte er normalerweise auch diverse moralische Anforderungen an den von ihm als unwürdig angesehenen Menschen stellen, an seine Einsicht appellieren. Nämlich, das zu tun, was der harte Determinist verlangt, zu welcher Einsicht der harte Determinist gekommen ist, obgleich er ja leugnet, dass Menschen Einsichten erlangen könnten.

Kurz gesagt: der harte Determinist möchte den anderen Menschen Lösungen für Probleme bieten, die sie vorher nicht nicht hatten. Und das erfordert einen unmöglichen Eiertanz: wie kann jemand, der gar keinen Einfluss auf die Welt hat, das tun, was der harte Determinist von ihm fordert? Und wie kann jemand einen anderen ernst nehmen, der aussagt, es gäbe keinerlei Erkenntnis, keine Reflexion, nichts dergleichen? Wie kann der andere dennoch seine moralischen Forderungen an andere verkaufen?

Wie man das machen kann, kann man hier ersehen: Warum wir ohne gute Argumente die schlechteren Bücher verfassen.

Mein Logikmodul findet das aber ganz merkwürdig und meinem Logikmodul kann ich nicht widersprechen. Mein Logikmodul sagt mir, dass die Argumente hier zu arm sind, als dass ich sie anerkennen könnte.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 4. Jan 2012, 11:08

ganimed hat geschrieben:Mir würde es reichen, wenn du mir eine einzige Eigenschaft des Menschen nennst, die wichtig in unserem Zusammenhang ist, und die in der Lok-Analogie deshalb fehlt. Bisher habe ich in deinen Argumenten keine menschliche Eigenschaft entdeckt, die dieses Kriterium erfüllte. Ich versuche mal, auf die Fülle deiner Beispiele einzugehen:

Vollbreit hat geschrieben:Eine Lok denkt und entscheidet nicht, ein Mensch schon.


Wieso ist Denken eine wichtige Eigenschaft? Ich denke ja im Determinismus immer dann genau dasselbe, wenn die ursächlichen Faktoren die gleichen sind.


Richtig, aber das ist ja nie der Fall. Und in ähnlichen Situationen, denkt man ja tatsächlich häufig ähnlich, ohne dass man meint, man müsse damit gleich das Denken abschaffen.
Der Kompatibilismus ist nicht irgendeine verrückte Idee, die sich ein paar Philosophen ausgedacht haben, sondern hat den Anspruch das zu beschrieben, was unserem gegenwärtigen Zustand recht nahe kommt (wenn auch hier über eine Idealisierung).

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ein Mensch kann Begründungen geben, eine Lok nicht mal sprechen.


Wieso ist Begründen eine wichtige Eigenschaft? Ich begründe ja im Determinismus immer dann genau gleich, wenn die ursächlichen Faktoren die gleichen sind.


Also nie!
Und warum es eine wichtige Eigenschaft ist? Sie unterscheidet den Menschen (und wenn es mal nicht mehr allein der Mensch ist, diskursive Wesen) von allen anderen. Sellars hat das als Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen bezeichnet.
Damit meinte er, dass es ein wesentliches Charakteristikum der Menschen ist, einander Gründe zu geben, bzw. nachzufragen, wenn etwas unklar ist.
Der Mensch könnte für all sein Handeln Gründe angeben, auch wenn er es nicht immer tut und wir auch nur dann zu Nachfragen berechtigt sind (aus sozialer Perspektive betrachtet), wenn der andere sich irgendwie komisch verhält.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Sie leben nicht, können nicht denken oder fühlen und haben keinen eigenen Willen, die entscheiden gar nicht.


Ich könnte nach obigem Schema auch auf die Eigenschaften "denken" und "fühlen" antworten.
Die Loks haben in meiner Analogie einen eigenen Willen. Sie wollen der Weiche folgen.


Selbst wenn sie wollten, die können doch nicht.
Die Schienen stehen in der Analogie ja für Entscheidungen und die werden ja gerade ohne die Möglichkeit der Korrektur dargeboten.
Im K. hast Du aber die Möglichkeit der Korrektur und der Begründung.

ganimed hat geschrieben:Das Wesentliche, um das es hier geht, nämlich die ursächliche Abhängigkeit zwischen Weiche und Lokentscheidung bzw. zwischen Ursachen und menschlicher Entscheidung, ist doch unabhängig von den Eigenschaften, die du hier ins Feld führst, oder?


Nein. Wir entscheiden ja.
Wenn Du sagst, tun wir nicht, wir haben nur die Illusion es zu tun, hast Du dasselbe Problem, als wenn Du dualistisch unsere Existenz leugnen würdest.
Wir könnten ja die Ausgeburt eines Supercomputers sein und nur denken, es gäbe uns. Oder der Traum eines Gottes, oder Kreation eines bösen Dämons, der uns in die Irre führen will.
Es ist sicher, dass, wie Agent an anderer Stelle auch schon schrieb, die Existenz keinen Beweis von außen braucht – es braucht mir kein Team von Wissenschaftler, Philosophen und Psychologen zu beweisen, dass ich existiere – sondern jeder Einwand der in irgendeiner Form immer nur lauten kann: „Ich sage dir, dass du dich irrst (du existierst gar nicht, sondern meinst es nur)“, logisch zwingend genau das voraussetzt, was es bestreiten will, die Existenz von mir.
Wenn mich jemand anspricht, um mir zu erklären, dass ich gar nicht existiere, dann spricht er den oder das an, dessen Existenz er bestreitet und obendrein könnte ich mich fragen, warum er dann existieren sollte, wo doch meine Welt (die einzige, in der er mir begegnen kann) eine Illusion ist.

So, nun wieder zu Entscheidung. Ich entscheide ja. Wenn Du sagst, „nein, tust du nicht, meinst du nur“, würde ich fragen, warum Du das meinst. Diese Geschichte von kein Ich, kein Wille, kein Subjekt usw., hakt ja an allen Ecken, an einigen jedoch ganz besonders.
Da wird viel Mühe investiert, um von der Sprache der ersten Person wegzukommen (die unter Hirnforschern gelegentlich als defizitär gilt) und zu einer objektiven Es-Sprache der dritten Person hinzukommen. Und was passiert dann? Hirnforscher sehen sich gezwungen nun nicht mehr dem Ich oder Subjekt – das haben sie gestrichen (Roth formulierte früher, ein anderer Akteur als das Gehirn sei nicht in Sicht) – wohl aber dem Gehirn Attribute der ersten Person zuzuschreiben: Nun „will“ das Gehirn auf einmal, es ist sogar „perfide“ (Roth) und so ging man nur einen Schritt zurück und auf schnell war das Gehirn das neue Ich, konnte alles das was das Ich vorher auch konnte und mit einen hübschen kategorialen Fehlschluss gesegnet noch ein bisschen mehr, es „wusste“ (Gehirne wissen nichts) nun obendrein, dass es ein Ich oder Subjekt nicht geben kann und einen freien Willen gleich gar nicht. Das heißt, man will die Sprache und damit Perspektive der ersten Person streichen und schreibt sie dann nur einem anderen Akteur zu (dem Gehirn), dem obendrein dann aber auch noch gleichzeitig und argumentativ bunt vermengt, Eigenschaften der dritten Person zugeschrieben werden.

Aber bleiben wir wieder beim Alltag. Wer hat denn das Recht zu definieren, was Entscheidungen sind? Wenn ich sage, ich entscheide auf dem Boden von Gründen und die kann ich im Zweifel auch angeben, wenn man mich fragt, wer wollte das mit welchem Recht bestreiten? Ich behaupte ja etwas und kann es belegen. Da kann man nur sagen, dass ich lüge oder mich irre.
Du willst ja irgendwann eh den Bogen zu den empirischen Daten schlagen und damit dem Libet-Experiment und den Nachfolgeexperimenten. Ich lasse die reichliche Kritik (und die Tatsache, dass Libet sein Experiment ganz anders deutete) mal unbeachtet, es schien sich in den Nachfolgeexperimenten der Trend zu bestätigen, dass vor der bewussten Entscheidung (ob es wirklich frei ist, oder nicht einfach in Watzlawicks „Sei spontan“-Paradoxie fällt, von jemandem im Labor zu verlangen, mal ganz spontan und frei, nach Aufforderung, innerhalb der nächsten Minuten eine von zwei Türen, Bildern oder sonst was zu wählen, darüber kann man wenigstens mal nachdenken) das Gehirn schon die Entscheidung getroffen hatte (was immer das genau bedeutet). Und zwar nicht nur im Millisekundenbereich, sondern in einem Zeitraum von mehreren Sekunden.
Schon entschieden bedeutet, dass das Gehirn offenbar schon Aktivität in bestimmten Bereichen zeigt, deren Lokalisation Aufschluss über die Entscheidung gibt, die getroffen wird.

Der Hirnforscher Christoph Herrmann wiederholte nun diese Experimente und bot „dem Gehirn“ Bilder an, zwischen denen „es auswählen“ sollte. Eigenartig bei diesem Experiment ist nun, dass das Gehirn wieder seine Wahl eher getroffen hat, als das Ich was dranhängt, aber obendrein auch noch, bevor die Bilder, für oder gegen die „das Gehirn“ sich entscheiden sollte, überhaupt angeboten wurden.
Das heißt, dass das Gehirn entweder hellseherische Fähigkeiten hat und Bilder sieht, noch bevor sie zu sehen sind, das wäre sehr erstaunlich und man sollte es untersuchen, vermutlich glaubt daran aber niemand.
Es kann auch heißen, dass das Gehirn überhaupt keine Umweltreize braucht und gar nicht auf seine Umwelt reagiert, sondern einfach völlig autonom agiert. Komisch nur, dass es dann von selbst doch nicht in der Lage ist, Sprache zu lernen und Wolfskinder (=menschliche Kinder, die nicht von Menschen sozialisiert wurden) regelmäßig schwerste Defizite aufweisen.
Es kann natürlich auch heißen, dass die Ergebnisse bisher schlicht fehlinterpretiert wurden.

Wie man es dreht und wendet, die Ergebnisse der Hirnforschung insgesamt finde ich sehr spannend, die philosophischen und strafrechtlichen Schlussfolgerungen, die vor etwa 10 Jahren von einigen prominenten Hirnforschern daraus gezogen wurden, von denen Roth offenbar seine Meinung geändert hat und den Hype ohnehin niemand mehr ernst nimmt, sind eine einzige Katastrophe gewesen.

Diese katastrophalen Ergebnisse, die Schmidt-Salomon unreflektiert übernommen hat, bilden die Prämissen für sein Buch, verbunden mit anderen unbewiesenen und umstrittenen Punkten, wie Dawkins Memen. Dass der allumfassende Determinismus, den MSS unterstellt, über die Möglichkeit einer kompatibilistischen Variante überhaupt verfügt, scheint MSS nicht mal zu erwähnen.
Dafür eiert er auf seiner Website philosophisch auf eine Weise herum, die schon eher mitleiderregend ist.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Aber schon hier wird doch klar, dass die Lok gar nichts tut. Sie entscheidet eben nicht, die Schienen liegen da, sie kann ihnen nur folgen. Mir ist klar, dass Du dieses Bild auch von Determinismus hast, aber hier greift Dein Bild zu kurz. Man kann eben doch etwas ändern, der Mensch fährt nicht auf Schienen


Wenn du recht hättest und meine Analogie Schrott wäre, dann müsste es doch ein Beispiel geben für etwas, dass ein Mensch tun kann und das ich mit dem Lok-Bild nicht nachbauen kann. Ich habe bisher kein Beispiel von dir vor Augen, wo ich nicht mit ein paar Weichen fertig bin.


Du kannst natürlich alles so brutal reduzieren, wie Du möchtest, ob man das dann immer ernst nehmen muss, steht auf einem anderen Blatt, aber ich mach mal mit.
Ich finde die Frage interessant, inwieweit in der Meditation gemachte Erfahrungen einen erkenntnistheoretischen Wert haben. Dazu muss man meditieren und über die Erfahrungen reflektieren und daraus praktische Schlüsse ziehen. Bau das mal mit Schienen nach, so dass es jemand erkennt, der das Beispiel nicht kennt.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Nein, weder entscheiden, noch agieren (handeln) sie, sie fahren einfach, weil sie jemand gebaut hat und reagieren wollkommen passiv auf die Weichen. Das alles ist beim Menschen vollkommen anders.


Der Mensch lebt einfach, weil er geboren, erzogen und geprägt wurde.
Die Lok reagiert nicht vollkommen passiv. Es ist viel mechanische Arbeit nötig, um die Form der Weiche in physikalische Richtungsänderung der tonnenschweren Lok umzuwandeln. Die Räderform muss die Weiche erkennen. Passiv ist das nicht. Es ist ein aktiver Vorgang, der vor allem der Lok zuzuordnen ist, womit die wesentliche Eigenschaft analogisiert ist, dass es die Entscheidung der Lok ist.
Beim Menschen ist also nichts Wesentliches anders.


Klar, und der Kuli entscheidet sich von Tisch zu fallen.
Sorry, da ist eine Grenze überschritten, ab der ich das Gesagte nicht mehr ernst nehmen kann.
Das bezieht sich aber nur auf die Analogie.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Streng genommen dürftest Du mit mir aber gar nicht diskutieren, weil Du dabei implizit auf eine Fähigkeit von mir setzt, die Du explizit leugnest: Dass ich nämlich ein einsichtiges Wesen bin, dass bei den richtigen Argumenten ins Nachdenken kommt und fast gezwungen ist, mich guten Gründen nicht zu verweigern, „der eigentümlich zwanglose Zwang, der besseren Argumente“ nennt Habermas das, fast poetisch.


Das ist falsch. Ich leugne gar nicht, dass du ein einsichtiges Wesen bist.


Ah, was bedeutet es denn für Dich, dass ich einsichtig bin?
Beschreib mir doch mal kurz, was ein Mensch können muss, der Einsicht zeigt.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 4. Jan 2012, 11:10

ganimed hat geschrieben:Wenn ich hier das Superargument X bringe, das dich endlich überzeugt, dann wirst du dich nicht verweigern (wenn das Argument wirklich super ist). Und das kann ich sogar nachbauen. Ich baue die Weiche S1, und du fährst als Lok drüber, siehst das Argument ein und wirst endlich wieder zum Inkompatibilisten.


Dann lass doch jetzt mal bitte die Lok aus dem Spiel und sagt mir mal, was in mir vorgeht, wenn ich das Superargument vernehme, wie es inhaltlich lautet ist dabei völlig nebebsächlich.

ganimed hat geschrieben:Ich verstehe also wirklich nicht, wieso eine "Überzeugung" oder das Wechseln einer Überzeugung oder ein Argument oder eine Einsicht nicht im Wesentlichen eine Ursache für ein Verhalten oder eine Entscheidung darstellt.


Das geht etwas durcheinander.
Sich zu entscheiden, könnte ja heißen seine Überzeugungen zu wechseln, nicht nur umgekehrt, d.h. dass ich mich auf dem Boden meiner gegenwärtigen Überzeugungen entscheide.
Und selbstverständlich ist oder beruht das Wechseln einer Überzeugung auf einer Einsicht.
Und meine Einsichten und Überzeugungen sind selbstverständlich die Grundlage für mein Verhalten, wenn ich meine, dass Butter gesünder ist und besser schmeckt, als Margarine, wähle ich Butter.
Aber der spannende Punkt ist ja Deine Behauptung, man könne seine Einstellungen und Überzeugungen wechseln, erklär‘ doch mal wie das geht.

Denn damit behauptest Du etwas, was Du die ganze Zeit geleugnet hast.
Menschen, die einsichtig sind und aufgrund dieser Einsicht sogar noch ihre Überzeugungen verändern, die haben innegehalten, sind in sich gegangen und haben nachgedacht.
Die haben reflexiv ihre bisherigen Ansichten abgewogen und das neue Argument aktiv mit in die Reflexion aufgenommen. „Was würde es bedeuten, wenn…?“ Und wenn das Ergebnis das ist, dass die bisherige Position unhaltbar (geworden) ist, wechselt man seine Überzeugungen, auf dem Boden guter rationaler Gründe, wie eben geschildert. Freiwillig und rational begründet, eben aus Einsicht.
Du leugnest aber, dass das möglich ist.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Okay, aber habe ich die Überzeugung X und bekomme die Information Y, entscheide ich anders. Das kann die Lok nicht, da die Weiche gestellt ist.

Doch, das schafft die Lok spielend. Die Überzeugung X ist die Weiche W1. Und die Information Y ist die Weiche W2.


Also, ich bin eine Lok (ich glaube mir steigt auch tatsächlich schon Rauch aus den Ohren ), es steht der Urlaub an. Ich will dringend in mein Hotel Alpenrose, weil es da immer so schön ist und ich da seit 20 Jahren hinfahre.
In der Analogie: Vor mir liegt die Weiche,die nächste die kommt, die anderen kommen erst wieder danach, linke Möglichkeit Hotel Alpenrose, rechte Möglichkeit alles andere. Die Weiche ist auf Hotel Alpenrose eingestellt, da ich das toll finden, immer schon dahin fahre und Traditionen und Gewohnheiten hoch schätze. Das heißt, diese Weiche ist bereits nach links gestellt.
Im echten Leben ruft mich der Besitzer der Alpenrose 14 Tage vor meinem Urlaubsantritt (der wie jedes Jahr zur gleichen Zeit erfolgt) an und teilt mir mit, dass die Hütte bedauerlicherweise abgefackelt ist. Ob ich will oder nicht, im Hotel Alpenrose werde ich dieses Jahr keinen Urlaub machen. Ich muss mich umentscheiden oder zu Hause bleiben.
In der Schienenanalogie sind die Weichen buchstäblich aber schon gestellt (genau das ist ja Dein Bild des Determinismus) und die neue Information (der Anruf) würde einem Umstellen der Weiche in letzter Minute entsprechen (von links=Alpenrose auf rechts=den Rest).
In Deiner Analogie sagtest Du, wäre die Überzeugung Alpenrose aber die Weiche W1 und der Anruf des Hoteliers soll Weiche W2 sein.
Und nun überleg mal selbst. Ich (die Lok) will in die Alpenrose (W1). Weiche 1 ist bereits passiert, da ereilt mich der Anruf (W2). Ich habe aber bereits W1 passiert und kann nun nicht mehr zurück.
Du müsstest also Deine Schienenstrecke so basteln, dass ich durch W2 auf die Strecke vor W1 zurückkomme und mich so noch mal entscheiden kann, Alpenrose oder Rest.
Wenn Du das Szenario so veränderst, dann ist die Analogie, dass der Mensch in Schienen fährt, die seinen Kurs unabänderlich festlegen aber nicht mehr gegeben, denn nun gilt auch für die Lok, dass sie auf neue Situationen reagieren kann, mit anderen Worten, sie könnte auch anders.
Das ist aber nicht Deine Einstellung. Die lautete, der Determinismus ist wie eine Schiene bei der die Weichen bereits gestellt sind und darum ist der Mensch nicht frei.


ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Um die Analogie etwas griffiger zu machen, sitzt Du in einer Lok mit vielen verästelten Weichen und erhältst während der Fahrt Informationen über die Gebiete, in die die Weichen Dich vermutlich bringen und dann kannst Du von der Lok aus die Weichen umstellen.


Diese komplexe Analogie von selbstverstellenden Loks ist nicht die meine.


Eben und Deine funktioniert nicht, oder Du müsstest nachbessern.

ganimed hat geschrieben:Nun verdunkelst du aber ganz gehörig. Bleiben wir doch einfach bei der hellen, klaren, einfachereren Variante, in der die Lok nichts verstellt, sondern die Weichen die Verstellungen darstellen. Wie oben beschrieben, stellt das Bekommen von Informationen einfach eine weitere Weiche dar, genau deshalb, weil jede Ursache für Entscheidungen analog ist einer Weiche. So ist mein Modell definiert. Loks, die von Menschen besetzt sind, welche Weichen während der Fahrt umstellen? Gibt es bei mir nicht und muss es auch nicht.


Darum fängt Deine Analogie das Leben auch nicht ein.
Wenn die Weichen schon gestellt sind, dann verändert eine neue Information überhaupt nichts, denn die Weichen sind ja schon gestellt. Der Anruf, Alpenrose abgefackelt, könnte nichts ändern.
Die Analogie trifft nur dann, wenn sie ein göttliches Modell ist, in der Gott weiß, dass die Alpenrose brennen wird und darum auch weiß, dass ich in letzter Sekunde meine Entscheidung ändern werde, aber wir sind nicht in der göttlichen Warte, sondern der menschlichen und da wissen wir nicht, wie die Schienen liegen und bessern nach. Da dieses Nachbessern aber nicht einzufangen ist (was auch nicht gewünscht ist), ist die Analogie nicht zutreffend für die menschliche Situation.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Kausale Ursachen sind keine Gründe. ... Hast Du einen Grund, kannst Du ihm folgen, musst es aber nicht.


Unsinn. Wenn ich mich entscheide und gebe als Grund X an, dann bin ich diesem Grund auch gefolgt.
Musste ich zwar nicht, stimmt, aber wenn ich es nicht gemacht habe, dann kann ich X auch nicht mehr als Grund für meine Entscheidung angeben. Logisch oder?


Nein, ist nicht logisch.
Wenn Du Dich entschieden hast, bist Du einem Grund gefolgt, richtig.
Hast Du Dich anders entschieden, bist Du dem Grund nicht gefolgt, aber einem anderen.
Wie Du Dich entscheidest, ist Dein Bier.
Wenn Du Dich entschieden hast, kannst Du den Grund für Deine Entscheidung selbstverständlich angeben. „Ich habe mich für dieses Auto entschieden, weil ….“

ganimed hat geschrieben:Du hast also gemogelt. Gründe sind sehr wohl kausale Ursachen, es sei denn, sie sind eben keine Gründe.


Über einen sehr weiten Umweg sind Gründe auch kausal wirksam, das stimmt schon, aber dieser Umweg ist komplizierter als alles das, was wir hier besprechen, darum vergessen wir ihn erst mal.
Argumente, die Gründe sein könnte, musst Du nicht annehmen, was für mich einen guten Grund darstellt und ein sinnvolles Argument ist, muss für Dich keines sein.
Aber der Kniesehnenreflex und die Schwerkraft legt uns beide in der gleichen Weise fest, wem können wir nicht entgehen. Ob wir an der Ampel halten, ein moralisches Gebot akzeptieren, ein Argument gelten lassen, das ist hingegen unsere Wahl.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Beide Einstellungen kann man haben und es ist klar, dass jemand der genau eine dieser Einstellungen hat, auf dem Boden seiner guten Gründe, die er in beiden Fällen hat, anders entscheiden wird. Egal wie die Geschichte ausgeht, ich will hier nicht moralisieren, er wird in der äußerlich gleichen Situation, gemäß seiner inneren Vorgaben und Überzeugungen einmal so und einmal anders handeln und wie auch immer die Wahl ausfällt, für beide Seiten gibt es Argumente und in beiden Fällen hat man sich auf dem Boden eigener Überzeugungen so und nicht anders entschieden.


Die eigenen Überzeugungen sind die Gründe aber auch die ursächlichen Faktoren für die Entscheidung über rot zu fahren oder nicht.


Die ursächliche Faktoren sind ein Auto zu haben, das funktionier, mit dem Fuss das Gaspedal zu treten und der ganze Funktionalistenkram, von der Interaktion von Motor, Pedalen, Lenkrad, Kraftübertragung hier und Neven, Muskeln, Knochen da. Der Grund sich zu entscheiden, bestimmte Regeln, die man sonst akzeptiert, aufgrund einer subjektiv gefühlten Einsicht in eine höhere Notwendigkeit, zu brechen ist deskriptiv nicht festzuzurren.
Wohl aber kann man einen Menschen nach seinen Gründen für sein Verhalten fragen.


@ Teh Asphyx:

Bin an Deiner Antwort dran, habe aber jetzt erst mal wieder weinger Zeit.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Mi 4. Jan 2012, 12:06

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn es ausschließlich Kausalketten gibt ...
und dieser angenommene Umstand Freiheit ausschließt, dann gibt es nun zwei Möglichkeiten ...[Indeterminismus]...
oder aber: der vertretene Freiheitsbegriff ist von Vorneherein leer, sinnlos, nicht verstehbar, nicht nachvollziehbar, d.h.: in keiner logischen Welt logisch möglich.

AgentProvocateur, wir sind uns beide einig, dass der Freiheitsbegriff von vorneherein leer ist. Du behauptest darüber hinaus, er sei sinnlos, nicht verstehbar und nicht nachvollziehbar. Ich behaupte, er sei intuitiv und naheliegend.

Wenn ich in derselben Situation immer nur dasselbe tun kann, dann bin ich festgelegt. Und das nennt man intuitiv unfrei. Ich kann nicht glauben, dass du diese Assoziation zwischen "festgelegt" und "unfrei" wirklich für nicht verstehbar, nicht nachvollziehbar und sinnlos hälst.

Wenn jemand zu dir sagte, vielleicht in einem anderen Zusammenhang: "je mehr man mich festlegt, desto unfreier fühle ich mich". Würdest du dann wirklich antworten: "häh? Das macht für mich keinen Sinn, ist nicht nachvollziehbar und ich verstehe es nicht". Wirklich?

Ich fände deine Position viel überzeugender, wenn du uns Inkompatibilisten diesen einen Punkt geben würdest, dass unser Freiheitsbegriff eben doch intuitiv ist, Sinn macht und naheliegend ist. Dann könnten wir beide ihn auch abhaken und feststellen, dass es Freiheit in diesem Sinne nicht gibt. Und danach könnte man dann über den Freiheitsbegriff der Kompatibilisten reden (den ich übrigens ebenfalls für sinnvoll, verstehbar und nachvollziehbar halte). Ich will darauf hinaus, dass dein Anspruch auf Ausschließlichkeit des kompatibilistischen Freiheitsbegriffes nicht sehr authentisch wirkt, eher taktisch bedingt zu sein scheint. Oder täusche ich mich da?

Kann man nicht gleichzeitig Inkompatibilist und Kompatibilist sein? Denn es gibt ja zwei Freiheitsbegriffe. Der eine Begriff ist inkompatibel mit Determinismus. Der andere Begriff benötigt Determinismus als Vorbedingung. Ich habe da kein Problem mit, solange man aus diesen beiden Sätzen dann jeweils die logisch richtigen Folgerungen ableitet.
Oder um im Bild der Lok zu bleiben. Sie ist unfrei, weil sie nur eine mechanische Antwortmaschine auf Weichenstellungen darstellt. Aber es gibt so unglaublich viele Weichen, dass man mit ihr relativ frei umherfahren kann. Wäre es übertrieben, dies Dialektik der Freiheit zu nennen?

AgentProvocateur hat geschrieben:Mich würde mal interessieren, welchen den oben zitierten Aussagen von Teh Asphyx, von denen er meint, dass harte Deterministen das glauben, (die oben im letzten Zitat von ihm), Du zustimmen würdest und wieso. Und welchen nicht.

Das interessiert mich auch.

Teh Asphyx hat geschrieben:[...] für den harten Deterministen wäre man deswegen immer unfrei, weil es gar keine eigene Entscheidung gibt, man geht also quasi völlig fremdgesteuert auf eine bestimmte Tür zu.

Dem stimme ich zu. Wobei einzuschränken ist, dass wenn die Fremdsteuerung in meinem Kopf passiert man sich umgangssprachlich darauf einigen kann, diese Fremdsteuerung dann aber doch der Person zuzurechnen. Das ist ja auch mein Haupteinwand gegen dein Türbild. Du hast diese Ursache-Wirkung-Beziehung unterschlagen.

Teh Asphyx hat geschrieben:[...] Für ihn [den harten Deterministen] funktionieren Menschen nur durch ein Reiz-Reaktions-Schema, also gibt es keine Reflexion oder Erkenntnis.

Ich würde widersprechen. Reflexion und Erkenntnis sind für mich Spezialfälle von Reiz-Reaktionen. Es gibt zwar Reflexion aber dadurch entsteht keine Freiheit im Sinne von "auch anders können". Was ich reflektiere, wie ich reflektiere und was dabei heraus kommt ist festgelegt.

Teh Asphyx hat geschrieben:[...] für den Inkompatibilisten kann der Mensch, wenn alles determiniert ist nach seiner Definition nur Reakteur, aber kein Akteur sein. Es gäbe da also gar keine Akteure, es sei denn nicht alles ist determiniert.

Es ist Geschmacksfrage, ob man Akteur hart oder weich definiert. Ich mag eher die weiche Variante. Wenn ein angemessen großer Teil der Ursachenketten innerhalb des Körpers abläuft, dann nenne ich das einfach mal in Annäherung zur Alltagssprache "agieren". Letztlich (bzw. hart) ist alles nur "reagieren".

Teh Asphyx hat geschrieben:[...] Nein, nicht außerhalb der Welt stehend, sondern einfach nur reine Reakteure, von denen aus keine Handlung ausgehen kann. Für die [Inkompatibilisten] unterscheidet sich ein Mensch nicht von einem Stein. Oder eben doch, aber dann, weil der Mensch nicht komplett determiniert ist (das wäre der Libertarier).

Ich stimme zu. Ein Stein ist ebenso unfrei wie ein Mensch.

Teh Asphyx hat geschrieben:[...] Das [in einer determinierten Welt könnten überhaupt keine Personen / Subjekte / Akteure entstehen] meinen sie, ja. Das geht nach ihrer Determinismusdefinition nämlich gar nicht. [...] Sie sehen Personen eben überhaupt gar nicht erst als Personen. [...]

Wie bei "Akteur" gibt es auch bei "Subjekt" und "Person" dieselbe Wahl zwischen der harten Definition und der weichen. Hart betrachtet stimme ich zu.

@AgentProvocateur: Bist du mit einem dieser Punkte nicht einverstanden aus einem anderen Grund als dem, dass du die weichen Definitionen von "agieren", "Person" bevorzugst?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Mi 4. Jan 2012, 22:32

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber das ist eben falsch. Wieso sollte man keinen Einfluss auf seine Entscheidungen haben? Man trifft doch Entscheidungen normalerweise selber, das tut nicht jemand anderes für einen.


Wer sagt denn, dass es ein „jemand“ sein muss? Dann ist es nicht jemand, sondern etwas, nämlich die Kausalkette, die dem Urknall gefolgt ist, die die Entscheidung für mich getroffen hat.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich möchte erst mal noch ein paar grundsätzliche Dinge sagen, auch bezogen auf Deine weiteren Beiträge: irgendwie scheint es noch ein großes Missverständnis zwischen uns zu geben. Ich meine mitnichten, dass Subjekte Kausalketten aus sich heraus anfangen könnten.


Nicht aus dem Nichts (oder einfach nur aus sich heraus) anfangen, aber Du sagtest, dass durch eine Handlung eines Menschen sich der weitere Verlauf ändert. Das habe ich so verstanden, dass der Mensch von sich aus aber in der Welt und mit der Welt eine kausale Kette beeinflussen kann. Und solch einen Einfluss hat ein Stein nicht. Eine Lok hat solch einen Einfluss auch nicht.

Jetzt noch mal die Frage, was macht diesen Unterschied für Dich aus?
So weit ich verstanden habe, ist der Unterschied für Dich zwischen Mensch und Lok, dass die Lok nicht weiß, wohin sie fährt, sondern einfach den Schienen folgt, während der Mensch eine Lok wäre, die die Weichen selbst legt und dies tut, nachdem er darüber reflektiert hat, was für Möglichkeiten er hat.
Nehmen wir mal als Beispiel, dass die nächste Abzweigung entscheidet, ob die Lok links nach Barcelona oder rechts nach Moskau. Wir haben jetzt natürlich eine „Menschen-Lok“, also eine Lok, die ein Bewusstsein hat und selbst die Weiche stellen kann. Die Lok weiß über Barcelona, dass es am Mittelmeer ist und es dort recht warm ist und über Moskau, dass es da eher kalt ist, es aber tolle Sehenswürdigkeiten wie den Kreml oder den roten Platz gibt. Du sagst, um frei entscheiden zu können, darf er jetzt nicht einfach zufällig entscheiden, sondern muss aufgrund früherer Erfahrungen etc. irgendeine Präferenz haben, die ihn dazu verleitet ein bestimmtes Ziel zu wählen.
Dementsprechend wären die Positionen also folgende:
Harter Determinist: Der Mensch ist eine Lok und die Weichen werden automatisch gestellt, die Lok kann also nur stumpf den Schienen folgen. Selbst wenn die Lok selbst den Mechanismus betätigt, um die Weichen zu stellen (also die passende mechanische Vorrichtung dazu hat), so entscheidet sie es nicht wirklich selbst, sondern legt die Weichen nach irgendwelchen Vorgaben, über die sie keine Kontrolle hat.
Libertarier: Die Lok kann aus sich selbst heraus entscheiden, wohin sie fährt, einfach so. Wichtig ist, dass sie es selbst entscheidet und nicht das Schicksal oder irgendeine Kausalkette.
Kompatibilist: Die Lok stellt die Weichen selbst um und tut dies, weil sie zureichend abschätzen kann, wo es hingeht und genügend Informationen hat, um eine Entscheidung zu treffen. Selbst wenn sie die Entscheidung gar nicht anders treffen könnte, entscheidend ist, dass sie die Weichen stellt und nicht die Weichen schon von vornherein durch jemand oder etwas anders gelegt sind.

Wenn das hinhaut, dann habe ich aber noch ein paar Einwände. Ich sehe um ehrlich zu sein nicht, wie hier der harte Determinismus tatsächlich umgangen wurde. Okay, die Entscheidung wird im Menschen getroffen, aber das Ergebnis der Entscheidung ist trotzdem durch äußere Umstände festgelegt. Somit ist der Mensch mit seiner Entscheidungsfähigkeit also so etwas wie ein Knotenpunkt, aber warum ist er dadurch frei? Wenn ich Eure Definition von Freiheit richtig verstanden habe, ist der Mensch dann frei, wenn er abwägen und reflektieren kann. Um das so zu können, dass ich das akzeptieren kann, muss der Mensch dazu den Dingen einen Wert beimessen können. Dies kann er, totaler Determinismus vorausgesetzt ja auch nur durch äußere Faktoren, die ihm quasi schon vorgeben, welchen Wert er was beizumessen hat.
Also angenommen, er fährt nach Barcelona, weil er es lieber mag, wenn es warm ist. Dann ist wieder die Frage, warum er es lieber warm mag. Diese Präferenz muss ja auch irgendwie determiniert sein (ob genetisch oder wie auch immer), da wir das ja als Grundannahme haben. Wenn er aber schon dazu bestimmt ist, es lieber warm zu mögen und deswegen so zu entscheiden, inwiefern ist er dann frei?
Vor allem, was macht einen Menschen dann freier als einen Regenwurm? Ist es nur die Komplexität? Dann sehe ich aber keinen Widerspruch zum harten Determinismus, außer dass man sagt, dass Komplexität schon reicht, um von Freiheit zu sprechen. Und dass man sich dafür auch verantworten muss, dass man nach Barcelona und nicht nach Moskau fährt, auch wenn man einfach nur blöderweise Gene hat, die einen sehr Kälteempfindlich machen, denn man hat sich ja schließlich frei entschieden, weil man ja „wusste“, dass man kalt nicht mag. Auf diese Weise ist es wirklich einfach die Ungleichheitsverhältnisse (also die Klassengesellschaft) argumentativ zu rechtfertigen und dem einzelnen die Schuld an seinem Schicksal zu geben, denn schließlich kann er ja reflektieren, also ist er selbst dafür verantwortlich, wie gut er im Leben steht.
Oder aber man setzt eben doch implizit irgendeine creatio ex nihillo im Menschen voraus, die ihn im Gegensatz zu anderen Wesen und Dingen zu einem „Entscheider“ macht. Aber da sehe ich keinen Unterschied mehr zum Libertarier.
Wenn Vollbreit zum Beispiel als Begründung meint, der Mensch sein im Unterschied zu anderen ein diskursives Wesen, was macht dann diese Diskursivität aus? Ohne eine genaue Begründung ist das purer Obskurantismus. „Diskursives Wesen“ ist ja nur wieder ein neues Etikett, aber keine Begründung dafür, [i[warum[/i] der Mensch im Gegensatz zu einem Stein oder auch einem Regenwurm reflektieren kann oder Sprache beherrscht. Dafür blieb bisher jede Erklärung aus. Die Erklärung ist aber absolut notwendig, um die Frage danach, ob Determinismus und Freiheit wirklich vereinbar sind, zu beantworten.

AgentProvocateur hat geschrieben:Eine Definition habe ich oben schon versucht, zu geben, (aus einem bestimmten Zustand einer Welt zum Zeitpunkt t(0) und den Natur-/Verlaufsgesetzen in dieser Welt folgt eindeutig jeder spätere Weltzustand zum Zeitpunkt t(x)).


Wie kann aber unter dieser theoretischen Voraussetzung irgendwas anderes als der Zeitpunkt t(0) selbst noch als „Akteur“ bezeichnet werden? Alles, was sich danach ergibt ist nur noch Reaktion.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber wir können auch gerne diese Definition nehmen:

Philosophie verständlich - Determinismus hat geschrieben:Jede mögliche Welt, die mit unserer Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt völlig übereinstimmt und in der dieselben Naturgesetze gelten wie in unserer Welt, stimmt auch zu allen späteren Zeitpunkten mit unserer Welt völlig überein.


Das ist ja furchtbar. Wer schreibt so was und nennt das auch noch „Philosophie verständlich“? Vor allem sagt das nicht viel aus. Selbst, was hier mit „Welt“ gemeint ist, ist alles andere als klar.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich kann dem erst mal insoweit zustimmen, dass aus Determinismus folgt, dass es im D. ausschließlich Kausalketten gibt, die immer (theoretisch) bis zu einem Zeitpunkt zurückverfolgbar sind, zu dem der betrachtete Mensch und seine Handlung und seine Entscheidung noch nicht existierten.


Zurück ist einfach und wie sieht es mit der Zukunft aus? Laplace’scher Dämon?

AgentProvocateur hat geschrieben:Allerdings sehe ich den Rest, d.h. seine Definition von Freiheit, naturgemäß anders, [ich bin ja Kompatibilist], ich meine also nicht, dass daraus Fremdbestimmung folgt, hier sollte noch ein Argument stehen, als petitio principii ist das nicht akzeptabel. Und außerdem bietet er leider keine Alternative an, die Freiheit in dem von ihm verwendeten Sinne herstellen könnte.


Dass es dir als Falsifikation nicht reicht ist eine Sache, aber die Forderung, dass nach der Falsifikation eine Alternative folgen muss, damit die Falsifikation gültig wäre, ist falsch. Etwas ist nicht erst dann falsch, wenn ich was besseres habe, sondern dann, wenn es falsch ist.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn es ausschließlich Kausalketten gibt, die immer zu einem Zeitpunkt vor der Geburt des Menschen entstanden sind, [und wie gesagt: das folgt unweigerlich aus der Definition des Determinismus, den wir ja hier for the sake of argument einfach mal hypothetisch annehmen], und dieser angenommene Umstand Freiheit ausschließt, dann gibt es nun zwei Möglichkeiten: entweder können spontan entstehende (oder bewusst erzeugte) indeterminierte Kausalketten Freiheit herstellen - dann wäre es bitte, bitte, bitte mal nachvollziehbar darzulegen, wie man sich das vorstellen könnte, [Anmerkung: genau dieses ist für mich der eigentlich interessante Punkt in dieser Diskussion - noch niemals hat es jemand geschafft, das auch nur ansatzweise plausibel zu machen - und ich habe schon eine ganze Menge Leute dazu befragt]


Oder es ist ein Axiom und man muss es als solches akzeptieren (aber nicht zwingend teilen).

AgentProvocateur hat geschrieben:oder aber: der vertretene Freiheitsbegriff ist von Vorneherein leer, sinnlos, nicht verstehbar, nicht nachvollziehbar, d.h.: in keiner logischen Welt logisch möglich.


Dann frage ich Dich, ob es logisch möglich ist, dass Existenz existiert. Also die berühmte Frage warum überhaupt etwas ist und nicht einfach nichts. Dass Existenz existiert lässt sich ja, wie ich schon sagte, schwer leugnen (auch wenn es genug Leute versuchen), aber wir haben nur innerhalb der Existenz logische Begründungen, nicht darüber hinaus. Oder wie Heidegger sagen würde, wir sind seinsvergessen, sprechen nur vom Seienden und nicht vom Sein. Für Heidegger war die Freiheit aber eine Seinsfrage und keine Frage des Seienden und auch der Satz vom zureichenden Grunde kam für ihn erst nach der Freiheit, weil Freiheit erst da sein musste, damit der Satz überhaupt formuliert werden konnte. Mir scheint es auch naheliegend, dass die Freiheit mit dem Sein und nicht mit dem Seienden zu tun hat. Nur wenn es in diese Richtung geht wird es schwierig die gleiche Art von Logik zu gebrauchen, die wir benutzen, um mit dem Seienden umzugehen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber in dem Falle würde ich mir gräßlich verarscht vorkommen


Kommst Du Dir denn auch dadurch verarscht vor, dass Du existierst, Dir dazu aber keine Begründung geliefert wurde?

Mir fällt aber gerade was ein. Ich habe den Freiheitsbegriff mal gerade auf die Musik übertragen.
Mein Freiheitsbegriff würde (und das ist auch gängig in der Musik – deswegen spricht man zum Beispiel von „Free Jazz“) gut zur Improvisation passen. Improvisation ist nicht kausal. Ich habe zwar zum Beispiel eine Tonart, in der ich spiele und auch ein paar andere Regeln, an die ich mich halte (Metrik, Rhythmus, Harmonielehre), zumindest damit das einigermaßen klingt, aber innerhalb dieser Regeln (die halt so was wie die Naturgesetze wären) kann ich mich frei bewegen. Ich kann in C-Dur also erst ein C spielen und dann ein D oder aber auch ein E oder wieder ein C oder was auch immer da passen könnte. Mir fällt es schwer hier davon auszugehen, dass ich genaue Gründe für die Wahl meiner gespielten Noten hätte. Ich tu es einfach frei. Das bedeutet für mich Freiheit und da spielt der Zufall durchaus eine Rolle. Dennoch bin ich der Akteur, ich wähle die Noten aus, aber einfach nur „weil mir danach ist“ oder „weil ich es kann“. Es ist ja gerade das spannende dabei, dass ich vorher nicht weiß, wie es am Ende klingen wird.
Determiniert wäre es, wenn ich eine schon komponierte Melodie spiele, die nur die Melodie ist, die auf dem Notenblatt spielt. Nehmen wir an, es ist „Alle meine Entchen“. Dann muss ich nach dem C ein D spielen, nicht weil ich nicht anders könnte, sondern weil die Komposition es so bestimmt, also determiniert. Da bin ich nicht frei, dafür aber auf der sicheren Seite, weil ich weiß, wie es klingen wird.

AgentProvocateur hat geschrieben:Hm, nochmal zusammengefasst: meine Definition und mein Verständnis des Determinismus ist (hoffentlich) die / das gebräuchliche. Dabei habe ich weder einen Dissens mit Vollbreit noch mit ganimed, meine ich. Ich bin kein Libertarier, ich vertrete keineswegs eine Agenskausalität.


Mir scheint aber, dass Du da auch hin und her springst. Wenn ich Dich darauf anspreche, dass Du gerade mit einer Agenskausalität argumentierst, drehst Du es wieder um und machst den Menschen zu einer sehr komplexen Reiz-Reaktions-Maschine, wenn ich Dich darauf anspreche, dann kommt dem Menschen wieder diese besondere Fähigkeit zu, dass er ein Akteur ist. Was macht ihn denn genau zum Akteur und nicht einfach nur zum Reakteur? Ein Reakteur kann genauso reflektieren, das wurde ja zum Beispiel auch im Behaviorismus nicht bestritten. Diesen signifikanten Unterschied seid ihr mir echt noch schuldig.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Das ist aber niemals meine Argumentation gewesen und auch nicht die von ganimed. Von daher weiß ich nicht, wem Du hiermit was klar machen willst.

Es ging mir in beiden Beispielen um PAP (Principle of Alternate Possibilities) - Prinzip der alternativen Möglichkeiten = jemand kann in einer völlig identischen Situation mal so und mal so entscheiden und handeln - einer der beiden normalerweise vertretenen Standpunkte von Inkompatibilisten, (als von Inkompatibilisten als notwendig angesehene Bedingung für Willensfreiheit in ihrem Sinne).


Aber ist das nicht ein Strohmann-Argument? Du sagst ganimeds Beispiel sei nicht gut, nimmst ein eigenes, wo Du gegen eine ganz andere Behauptung argumentierst als die von ganimed in seinem Beispiel und triumphierst dann darüber?

AgentProvocateur hat geschrieben:Im Beispiel konnte man niemals (zu einem bestimmten Zeitpunkt) durch einen andere Tür gehen, als durch die, durch die man ging, (oder außerhalb des Tunnels gelangen). Und dennoch war man (nach meinem Begriff von Freiheit) vollkommen frei.


Aber man hätte in Deinem Beispiel eine andere wählen können. Wie sollte man aber überhaupt eine Wahl haben können, wenn alles determiniert ist?

AgentProvocateur hat geschrieben:Der Witz dabei sollte sein, dass sich die Öffenbarkeit der Türen und der Verlauf des Tunnels danach richten, was man entscheidet und tut.


Und das ist eine Agenskausalität. Was der Akteur entscheidet setzt Du hier als ausschlaggebend und nicht, was irgendwann vorher war. Wenn Du jetzt allerdings sagst, dass er ja aufgrund determinierter Umstände entschieden hat, dann bedeutet das, dass die Umstände entschieden haben, also wäre er dann nur ein Reakteur (er hat auf die Umstände mit der einzigen aus allen Umständen – ob sie ihm bewusst sind oder nicht – folgenden Möglichkeit reagiert). Welche andere Möglichkeit soll es da noch geben außer noch die der Dialektik (Einsicht in die Notwendigkeit: Dieser dialektisch formulierte Freiheitsbegriff ist danach auch in der Umkehrung zu lesen: Die Kenntnis ( Einsicht) in die real gegebenen Bedingungen (Notwendigkeit) ermöglicht erst einen freien Willen; d. h. sich für oder gegen das Notwendige zu entscheiden, das Notwendige zu tun oder zu lassen. Eine Willensentscheidung ohne Einsicht in die Notwendigkeit kann demnach nicht frei sein; ist Selbsttäuschung oder ein manipulierter Willensakt. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte ... en_Willens)? Diese Dialektik habe ich ja auch in meiner musikalischen Improvisation. Die Notwendigkeit ist hier u.a. Metrik, Rhythmus, Tonart und Harmonielehre in die ich Einsicht habe. Wenn mir diese Einsicht fehlt, dann bin ich nicht frei, weil ich dann überhaupt nicht musizieren kann (ich kann zwar Töne produzieren, aber kaum jemand würde das ernsthaft als Musik bezeichnen). Oder noch einfacher, wenn die einfachste Notwendigkeit ist, dass ich um auf der Gitarre zu spielen, meine Finger auf der Saite bewegen muss, muss ich diese Notwendigkeit erst einsehen, damit ich überhaupt entscheiden kann, ob ich aus der Gitarre überhaupt einen Ton raushole oder nicht. Aber auf der anderen Seite muss ich entscheiden können, was ich aus dieser Notwendigkeit mache. Das heißt, dass wir es hier tatsächlich mit einem Konditionalverhältnis und nicht mit einem reinen Kausalverhältnis zu tun haben. Kausal ist, dass wenn ich die Saite anschlage und an eine bestimmten Bund greife ein bestimmter Ton rauskommt, aber die Entscheidung ist nur an Bedingungen und nicht an Bestimmungen gebunden. Vielleicht liegt es an meiner Erfahrung mit Improvisation, dass ich eine rein kausale Freiheit nicht annehmen kann. Was ich da mache ist nicht kausal bedingt, eine Sichtweise, ich würde z.B. die Note D spielen, weil das beim Urknall so vorherbestimmt wurde und gar nicht hätte anders kommen können, kann ich nicht teilen. Auch nicht, dass ich irgendwelche unbewussten Gründe hätte oder genetisch dazu veranlagt wäre, dies zu tun. Das ist alles absurd und DAS will ich erstmal schlüssig bewiesen haben. Das kann kein Hirnforscher (da sollten wir uns einig sein), aber auch kein Kompatibilist (jedenfalls bisher nicht).

AgentProvocateur hat geschrieben:Mehr verlange ich nicht von Freiheit, mir ist unklar, wie der Inkompatibilist - logisch möglich und nachvollziehbar - mehr verlangen kann. Ich glaube ja, er setzt Unsinniges voraus. Kann ich aber nur beweisen, wenn er endlich mal seine Karten auf den Tisch legt.


Ich weiß nicht, vielleicht tu ich ja Unmögliches, wenn ich musiziere. Vielleicht ist das eine notwendige Voraussetzung, um Künstler zu sein, dass man das Unmögliche tut.

Ergänzung (passte beim anderen Beitrag nicht mehr nachträglich rein, deswegen muss ich es in diesen hier packen):
AgentProvocateur hat geschrieben:Wie man das machen kann, kann man hier ersehen: Warum wir ohne gute Argumente die schlechteren Bücher verfassen.


Der Kritiker schießt hier zwar etwas über das Ziel hinaus, aber bei MSS bin ich grundsätzlich auch kritisch. Allerdings muss ich ihm lassen, dass er teilweise durchaus die richtigen Schlüsse zieht, nur aus völlig falschen Prämissen, sodass das bei ihm eher ein Glücksspiel ist.
(Ich erinnere mich noch, wie er Sloterdijks „Regeln für den Menschenpark“ versucht hat zu kritisieren, indem er u.a. mit Erich Fromms „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ ankam, was kurz und direkt gesagt ein Haufen Schrott ist (ich halte von Fromm eh noch weniger als gar nichts) – und das, obwohl er im gleichen Artikel auch Fromm ziemlich scharf kritisiert (das allerdings zu recht). Außerdem hat er die Kernaussage des Vortrages von Sloterdijk völlig missverstanden.)
Zuletzt geändert von Teh Asphyx am Mi 4. Jan 2012, 23:22, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Mi 4. Jan 2012, 22:33

AgentProvocateur hat geschrieben:Mir ging es darum: ich kann im Moment nicht wollen, Dich zu beleidigen. Und das ist der mE wohl der wesentliche Dissens hier: genau deswegen bin ich meiner Ansicht nach frei und verantwortlich (ich habe gute Gründe dafür, das nicht zu tun und ich lasse mich von diesen Gründen leiten, weil ich die anerkenne, als sinnvoll ansehe) und nach ganimeds Ansicht wohl unfrei und nicht verantwortlich. Ich glaube aber, dass jemand, der gute Gründe hat, etwas zu tun (oder zu unterlassen) und es dennoch unterlässt (oder tut) unfreier ist, (zumindest aber, falls das oft - oder gar immer - der Fall wäre).


Nehmen wir mal das mit dem Irren, was ich mit Vollbreit hatte, der meine Liebsten bedroht. Ich hätte hier gute Gründe, ihm sein Leben zu nehmen, wenn ich mich aber trotzdem dagegen entscheide, bin ich Deiner Meinung nach unfrei? Wenn ich mich aufgrund eines Rechtsstaats, dem ich nie zugestimmt habe, dagegen entscheide, bin ich unfrei, ja. Aber bin ich es auch dann, wenn ich die Wahl habe, es zu tun oder nicht, ich für beides gute Gründe habe (ihn töten um meine Liebsten zu schützen, ihn nicht töten, weil ich ungern töten möchte)? Wenn ja, warum?
Die Sache ist ja die, dass Du weißt, wie Du mich beleidigen könntest, wenn Du das Bedürfnis danach hättest. Du hast also Einsicht in die Notwendigkeit. Jetzt kannst Du Dich entscheiden, ob Du es machst oder nicht. Du hast Dich dagegen entschieden, das finde ich gut, weil wir so unser Gespräch besser auf eine konstruktive Art fortführen können. Das hat uns also die Freiheit ermöglicht, das Gespräch auf eine angenehme Weise fortzusetzen, obwohl wir uns auch gegenseitig an die Gurgel gehen könnten. Wenn Du meinst, dass Du das nicht könntest, dann unterliegst Du meines Erachtens auch einer Selbsttäuschung. Du könntest, aber Du hast Dich frei dazu entschieden, es nicht zu tun, das hat aber nichts damit zu tun, dass Du dazu determiniert gewesen wärest. Wenn Du mich beleidigt hättest, wäre ich ebenso wenig dazu determiniert, Dir an die Gurgel zu springen oder Dich irgendwie dafür zu strafen. Ich könnte auch genau so zu der Einsicht kommen, dass die Situation vielleicht wieder besser wird, wenn ich irgendwas tue, was Dich beruhigt, vielleicht schaue ich dann, ob ich irgendwo etwas gesagt habe, was Dich wütend gemacht haben könnte und entschuldige mich dafür. Schon wäre der Konflikt gelöst und die Frage nach Strafe oder was auch immer erübrigt sich. Das ist auch nicht beim Urknall schon so beschlossen worden, sondern ich habe hier und jetzt die Möglichkeit dann den weiteren Verlauf zu verändern, je nachdem, wie ich handle, egal, ob meine Handlung einem Denkprozess entspringt oder spontan passiert.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aus der Definition des Determinismus folgt nichts von all dem, all diese Aussagen sind falsch.

Es sei denn, die könnten begründet werden.

Und die Begründungen dafür möchte ich gerne sehen, darum geht es mir letztlich immer bei dieser Diskussion; um diese Begründungen drückt sich erfahrungsgemäß jeder, der sie aufstellt. Sie werden einfach so als dogmatische Wahrheiten verkündet und jeder, der nach einer Begründung fragt, wird als Ketzer diffamiert.


Sind sie doch: Wenn alles von Anfang an bestimmt ist, können nur noch Reaktionen folgen, aber es ist keine Aktion mehr möglich. Unter einem Akteur verstehe ich jedenfalls eine Entität, die eine Aktion ausführen und nicht nur eine Reaktion. Wenn wir also vom Urknall ausgehen, dann ist der Urknall die einzige Aktion, alles was darauf folgt ist nur noch Reaktion. Selbst wenn aus Wirkungen neue Ursachen neuer Wirkungen werden, sind diese Ursachen trotzdem immer erstmal Wirkungen, genau das macht ja eine Reaktion aus.
Welche weitere Begründung willst Du noch?

AgentProvocateur hat geschrieben:Nochmal: nach kompatibilistischer Ansicht bedeutet Handlungsfreiheit: jemand kann tun, was er will und Willensfreiheit: jemand hat die Fähigkeit, zu erkennen und zu reflektieren und daraufhin Entscheidungen zu treffen / seinen Willen zu bilden. Nichts von beidem widerspricht nun per se dem Determinismus, so wie ich ihn verstehe, (= durch eine bestimmte Anfangssituation und die Natur-/Verlaufsgesetze ergibt sich jeder spätere Weltzustand).


Auf dieser Basis musst Du mir aber dann noch mal erklären, was jetzt einen Computer von einem Menschen unterscheidet (die Diskussion hatten wir ja schon mal). Denn auch er hat die Fähigkeit zu erkennen (wenn er eine sinnvolle Eingabe bekommt), zu reflektieren (die Eingabe wird mittels Erfahrungen/Programmcode ausgewertet) und Entscheidungen zu treffen / einen Willen bilden (er wird folglich nach all diesen determinierten Parametern einen Output geben). Wo ist hier Dein substantieller Unterschied zum Reiz-Reaktions-Schema? Denn dieses habt ihr Kompatibilisten ja laut eigener Beteuerung nicht, aber dafür blieb auch jede Begründung aus, außer dass ihr dem Menschen die Bezeichnung „Akteur“ gebt, ohne zu erklären, wo er eigentlich tatsächlich agiert und nicht nur reagiert.

AgentProvocateur hat geschrieben:Der Trick des Inkompatibilisten, einfach mal eben so schnell zu behaupten, daraus würde sich ergeben, dass es in einer determinierten Welt keine Akteure / Personen geben könne, zieht bei mir nicht. Denn das folgt schlicht aus der Definition nicht, hier muss der Inkompatibilist zusätzliche Argumente vorbringen, eine petitio principii reicht nicht als Beleg.


Na ja, wenn ich die Farbe schwarz definiere als Abwesenheit jeglicher Lichtreflexion, dann muss ich Dir auch nicht erklären, warum etwas, was schwarz ist, kein Licht reflektiert. Wenn es zu einem „Ur-Zeitpunkt“ eine Ursache gibt, auf die alles andere folgt, wie soll es dann möglich sein, dass irgendwas danach noch agieren und nicht bloß reagieren kann, außer indem man annimmt, dass es eben nicht nur eine ursprüngliche Ursache gibt, aus der alles weitere folgt, sondern es spätere weitere Ur-Ursachen geben können muss?
Der Trick des Kompatibilisten, einfach mal eben so schnell zu behaupten, daraus würde sich nicht ergeben, dass es in einer determinierten Welt keine Akteure / Personen geben könne, zieht bei mir nicht. Das folgt nämlich der Definition sehr wohl und es ist unmöglich weitere Argumente dafür zu liefern, denn wie soll man aus der Definition eines Wortes überhaupt etwas folgern, ohne eine petitio principii? Anders gefragt, wie soll ich Dir argumentieren, dass daraus, dass die Definition von Determinismus sagt, dass alles bestimmt ist, folgt, dass alles bestimmt ist? Es ist absurd zu behaupten, dass daraus, dass alles bestimmt ist, nicht automatisch folgt, dass alles bestimmt ist.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und außerdem muss er, um überhaupt ernst genommen werden zu können, seinen von ihm verwendeten Bergriff von Freiheit expressis verbis auf den Tisch legen. Damit der überprüft und kritisiert werden kann.


Ist ja jetzt auch schon zur Genüge passiert.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ein Inkompatibilist, der (implizit, ohne das preisgeben / zugeben zu wollen) einen Begriff von Freiheit vertritt, der in keiner logisch möglichen Welt logisch möglich ist, ist mE ein durch und durch unredlicher Mensch, (na gut: falls er das bewusst und absichtlich tut, um andere zu täuschen, Nicht-Erkenntnis / Nicht-Verstehen ist nicht unredlich). Denn dann dürfte er nicht mit Determinismus argumentieren, denn der spielte dabei dann keine Rolle. Logisch Unmögliches ist immer unmöglich, in jeder logisch möglichen Welt. Darüber sollte man dann reden, nicht den dann unwesentlichen Umweg über Determinismus nehmen.


Da der Kompatibilist (bisher) nicht dazu in der Lage ist, mir von seinem Standpunkt aus eine wirklich gute Erklärung für meine Freiheit bei der Improvisation zu liefern, muss ich aber das „Unmögliche“ annehmen, denn ich erlebe es ja.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und noch was. Zum Fatalismus: hier ist meine Ansicht mal wieder selbstimmunisierend. Entweder sind Menschen Subjekte / Akteure, die zur Erkenntnis und zur Reflexion fähig sind, also frei in meinem Sinne und dann haben sie deswegen keinen Grund, aus Determinismus Fatalismus zu folgern.


Was war für Dich noch mal genau Fatalismus? Von der Wikipedia-Definition her sehe ich nur den Unterschied, dass Fatalismus eine „Intelligenz“ als Ursprung hat, was der Determinismus nicht hat.

AgentProvocateur hat geschrieben:Oder aber, sie sind nur Getriebene äußerer Umstände, haben keinen Einfluss auf diese Welt, keine Erkenntnis- und Reflexionsfähigkeit, sind nur Marionetten von irgendwelchen Abläufen, die sie voraussetzungsgemäß nicht blicken können: dann wäre ihre persönliche Ansicht, ob aus Determismus Fatalismus folgt oder nicht, rein zufällig, (vielleicht besser gesagt: nicht erkennbar).


Jetzt muss ich Dich aber auch mal nach Deiner Schlussfolgerung fragen. Warum sollten Menschen, die Getriebene äußerer Umstände sind, nicht fähig zur Erkenntnis oder Reflexion sein? Das folgt daraus nicht, dafür möchte ich erstmal ein Argument haben (das mache ich jetzt nicht, um Dich zu ärgern, ich meine das ernst, mir fehlt da wirklich der Zusammenhang, wie ich auch am Computerbeispiel erklärt habe). Ich kann von äußeren Umständen gesteuert sein und trotzdem diese Umstände erkennen und reflektieren, ja sogar gerade deswegen erst überhaupt durch diese Umstände gesteuert sein. Ein Computer, der nicht erkennen und reflektieren könnte, was ich eingebe, würde auch keinen Output produzieren. Ist ein Computer deswegen für Dich frei, weil er das kann?

AgentProvocateur hat geschrieben:Es wäre dann auch absurd, hier überhaupt zu diskutieren. (Zumindest von einem hypothetischen Standpunkt aus, den wir dann nicht einnehmen könnten). Wir sagten dann einfach nur irgendwas, wüssten aber prinzipiell nicht, wieso, weil wir ja keinen Einfluss auf gar nichts hätten. Allerdings tun auch harte Deterministen so, als ob sie einen Disput führen wollten, so, als ob es Erkenntnisse und Argumente und Überlegungen und Logik und Reflexion gäbe.


Nö, harte Deterministen sind dazu determiniert mit Dir darüber zu diskutieren. Ist auch selbstimmunisierend. Absurd ist nur die Behauptung eines harten Deterministen, der Mensch sei nicht zur Reflexion fähig, weil er determiniert sei. Wenn er aber sagt, dass Reflexion ihn nicht frei macht, sondern er durch äußere Umstände, die in seiner „Software“ (die auch von außen programmiert wurde) verarbeitet werden, gesteuert bleibt, dann ist das nicht absurd. Roth u.a. haben vor allem den Fehler gemacht, zu behaupten Reflexion wäre nur eingebildet und das Hirn würde eigentlich arbeiten, das ist wirklich bescheuert. Aber das sind ja alte Hüte.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich finde das sehr verwirrend. Der Schlüssel liegt, glaube ich, darin, dass die harten Deterministen einen anderen Freiheitsbegriff haben als ich.


Inzwischen nehme ich das auch an.

AgentProvocateur hat geschrieben:Allerdings konnte ich bisher noch nie herausbekommen, was der eigentlich genau beinhaltet.


Ich würde ja jetzt wieder mit dialektischer „Einsicht in die Notwendigkeit“ kommen, ob das die Definition der harten Deterministen ist, wage ich allerdings zu bezweifeln, da die ja davon ausgehen, dass es Freiheit nicht gibt (wohl weil für sie ebenso jede weitergehende Idee von Freiheit zwar theoretisch denkbar aber praktisch absurd erscheint oder eine Begründung für die Existenz einer solchen fehlt).

AgentProvocateur hat geschrieben:Der harte Determinist scheint ernsthaft zu meinen, es würde reichen, wenn er einfach nur immer wieder stur sein Matra wiederholt: "Determinismus und Freiheit schließen sich aus." Und er bräuchte weiter nichts zu tun, vor allem bräuchte er nicht darzulegen, was er eigentlich genau mit "Freiheit" meint. Aber ich finde das wenig überzeugend.


Also der Artikel http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte ... en_Willens ist da echt interessant, weil wirklich sehr viele verschiedene Definitionen in ihrem jeweiligen Kontext erklärt werden. Ich habe den Artikel heute erst entdeckt, als ich einfach mal wissen wollte, was Hegel dazu sagt, ich kannte zwar seine Dialektik allgemein natürlich schon, die auf eine Definition von Freiheit anzuwenden hab ich allerdings einfach so gemacht und wollte mal herausfinden, wie seine Konsequenz daraus war, wenn er eine gezogen hat.

AgentProvocateur hat geschrieben:Allerdings weiß ich auch nicht, wie wir das Dilemma lösen können. Ich kann ja nicht mehr tun, als meine Begriffe so gut wie möglich zu bestimmen und das habe ich, glaube ich, auch getan. Wenn der Inkompatibilist darauf immer nur sagt: "das überzeugt mich nicht" - und nichts weiter, er vor allem nicht seine eigenen notwendigen und hinreichenden Bedingungen mal auf den Tisch legen will, so dass man prüfen könnte, inwiefern die besser / plausibler wären als meine: dann bleibt mir nichts weiter zu tun.


Ich brauche für Freiheit ein gewisses Maß an Indetermination, aber ich brauche auch Notwendigkeiten. Die Fähigkeit zu reflektieren und zu erkennen reicht mir da noch nicht, ich muss auch in der Lage sein, daraus tatsächlich verschiedenes zu machen. Ich könnte mir vorstellen, dass es tatsächlich etwas mit Emergenz zu tun hat. Dass also ein Wesen, dass reflektieren und erkennen kann, je komplexer seine Möglichkeiten dazu sind, in stärkerem Maße die Fähigkeit dazu bekommt, zu „improvisieren“, also nicht mehr berechenbar zu handeln, sondern mit einem Zufall „überraschen“ kann. Einem Computer kann man ja zum Beispiel auch musikalische Improvisation beibringen, da reicht es auch, wenn er Einsicht in die Notwendigkeiten kriegt und in diesem Rahmen, was dann dabei rauskommt, würde ich diesen Computer ebenso als frei bezeichnen.
Diskursivität ergibt sich auch daraus, denn auch andere Tiere sind bis zu einem bestimmten Grad diskursiv. Es gibt zwar einige Leute, die gerne glauben möchten, dass der Mensch das einzige sprachliche Lebewesen ist und ihn das von allem anderen abhebt, aber das ist schon ziemlich falsifiziert worden, weil man bei Tieren einen graduellen Anstieg der Sprachfähigkeiten je nach Komplexität des Gehirns feststellen kann. Beim Großen Tümmler hat man sogar herausgefunden, dass sie sich gegenseitig mit Namen rufen (http://www.geo.de/GEO/natur/tierwelt/50813.html). Den Satz: „Die Fähigkeit, einander beim Namen zu rufen und zu erkennen, ist von anderen Tierarten bislang nicht bekannt.“ finde ich großartig, vom Menschen ist das also nicht bekannt? Aber gut, dafür können die Forscher, die das herausgefunden haben ja nichts.

AgentProvocateur hat geschrieben:Um noch ein bisschen böse zu werden: das erinnert mich übrigens an die Diskussion in mykath.de, wo Atheisten versuchen, Argumente gegen Gott zu bringen. Die Christen sagen dann immer nur: "Dein Verständnis von Gott ist aber nicht meines, das hat mich daher nicht überzeugt". Und wenn man sie bittet, ihr Verständnis mal darzulegen, dann sagen sie: "ja, das kann man nicht, Gott muss man tief im Herzen fühlen, um ihn und was er ist, zu verstehen", (so in dem Sinne). Kann ich aber nicht, an der Stelle steige ich dann aus. Die Freiheit, die Inkompatibilisten meinen, kann ich analog auch nicht tief in meinem Herzen fühlen. Einer fühlt nun dies im Herzen und der andere fühlt das nicht im Herzen - tja, da gibt es dann wohl keinen Weg, sich anzunähern.


Deswegen bin ich auch Ignostiker.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich bin nun ein Subjekt, ich kann erkennen, denken, fühlen, reflektieren, abwägen, begründen, zustimmen, ablehnen etc. pp. Wie zum Teufel kann ein Determinismus dabei hinderlich sein und wie könnte ein Indeterminismus das im Gegensatz zu einem Determinismus herstellen?


Dabei ist ein Determinismus nicht hinderlich. Aber daran, dass mir das irgendwie dabei hilft, frei zu sein.

AgentProvocateur hat geschrieben:Dafür muss es doch irgendwo auf dieser Welt mal ein kleines Argument (das mehr ist als eine reine petitio principii) und eine nachvollziehbare Darstellung geben. Oder? Wo hat die Wissenschaft denn festgestellt, dass es keine Subjekte gibt und wer genau hat das dann eigentlich festgestellt, wenn das laut dieser Erkenntnis kein Subjekt sein kann? Und: wie kann man zu der Erkenntnis kommen, dass Menschen nichts erkennen können?


Ich weiß es nicht, wer auf den Schwachsinn kam, aber ich kann mir vorstellen, dass das ganz andere Gründe hat, die so rein gar nichts mit Wissenschaft zu tun haben, sondern damit, dass die eigene bewusste Existenz mit unangenehmen Erlebnissen, die aus irgendwelchen Gründen nicht reflektiert werden dürfen, in Verbindung steht. Das scheint mir die naheliegendste Motivation zu sein, so was leugnen zu wollen. Aber es kann natürlich auch reiner Zufall sein.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich finde das, wie gesagt, extrem verwirrend. Auch deswegen, weil mein kleines determiniertes Logikmodul im Gehirn die ganze Zeit dann immer nur lautstark schreit: "performativer Selbstwiderspruch, performativer Selbstwiderspruch!" Und wie könnte ich meinem Logikmodul widersprechen, wenn es gar nicht so determiniert ist, dass ich dem widersprechen könnte?


Du kannst es bestimmt. Es ist gar nicht so schwer, absurde Behauptungen aufzustellen: Die Erde existiert seit 5000 Jahren und wurde von Gott erschaffen. <-- Siehst Du, geht doch.

AgentProvocateur hat geschrieben:Der Inkompatibilist könnte nun wenigstens mal die gängigen Argumente, die Inkompatibilisten so vertreten, eruieren, zum Beispiel hier: Arguments for Incompatibilism. Und dann könnten wir darüber reden, vielleicht kommen wir ja damit weiter.


Habe ich wenig Lust zu. Ich habe ja meine eigene Argumentation und ich brauche mir dafür nicht von anderen irgendwelche Gründe zu holen, meine Gründe resultieren irgendwo aus meiner Lebenserfahrung und der Komplexität meines Reflexionsapparates, die es mir erlaubt, hier frei eine Position zu wählen, die ich vertreten will, um mal nicht determiniert dazu zu sein, diese Position zu haben.

Also kurz zusammengefasst der neueste Stand:
Ich habe keine Einwände dagegen, dass in einem total determinierten Universum Erkennen und Reflexion einzelnen Wesen ermöglicht ist. Aber zu Freiheit gehört für mich eine Dialektik aus Zufall und Notwendigkeit („Zufall und Notwendigkeit“ heißt auch ein naturalistisch philosophisches Buch von Jacques Monod, das ganz oben auf meiner Wunschliste steht, weil es ziemlich gut sein soll, nur mal so nebenbei bemerkt).

AgentProvocateur hat geschrieben:Kurz gesagt: der harte Determinist möchte den anderen Menschen Lösungen für Probleme bieten, die sie vorher nicht nicht hatten. Und das erfordert einen unmöglichen Eiertanz: wie kann jemand, der gar keinen Einfluss auf die Welt hat, das tun, was der harte Determinist von ihm fordert?


Ist das nicht klar? Er ist dazu determiniert, es von Dir zu fordern und Du wiederum dazu, aus der Forderung heraus Dein zukünftiges Verhalten zu ändern.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und wie kann jemand einen anderen ernst nehmen, der aussagt, es gäbe keinerlei Erkenntnis, keine Reflexion, nichts dergleichen? Wie kann der andere dennoch seine moralischen Forderungen an andere verkaufen?


Wie will er es verhindern, wenn er es muss?

@ Vollbreit

Kein Problem, lass Dir Zeit. Aber beachte auch diesen und meinen vorherigen Post, vielleicht erübrigt/ergänzt/verändert sich dadurch ein wenig.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 4. Jan 2012, 23:38

Teh Asphyx hat geschrieben:@ Vollbreit

Kein Problem, lass Dir Zeit. Aber beachte auch diesen und meinen vorherigen Post, vielleicht erübrigt/ergänzt/verändert sich dadurch ein wenig.


Ja, tut es.
Da ich überhaupt kein Fortkommen sehe, aber leider viele Rückschritte, die die Diskussion in eine Breite und zu grundsätzlichen Fragen führt, die meine Kapazitäten sprengen, steige ich aus dieser Diskussion aus.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 5. Jan 2012, 03:26

ganimed hat geschrieben:AgentProvocateur, wir sind uns beide einig, dass der Freiheitsbegriff von vorneherein leer ist. Du behauptest darüber hinaus, er sei sinnlos, nicht verstehbar und nicht nachvollziehbar. Ich behaupte, er sei intuitiv und naheliegend.

Hm, wie kann ein Begriff, der per se leer ist, nicht gleichzeitig auch sinnlos und unverstehbar sein? Könntest Du Deinen Freiheitsbegriff mal nachvollziehbar darlegen, also die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für Freiheit in Deinem Sinne nennen?

Mein Punkt war ja auch: das hat dann nichts mehr mit Determinismus zu tun. Es ist nicht redlich, dann mit Determinismus zu argumentieren, man nennt diese Argumentationsfigur "red herring". Redlich wäre es hingegen, die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für Freiheit in Deinem Sinne endlich mal offen auf den Tisch zu legen. Es ist unredlich, andere Leute mit Determinismus verwirren zu wollen, das wäre dann ja völlig irrelevant hier. Etwas, das per se nicht möglich ist, ist nie möglich. Punkt. Egal, ob ich schwarze oder blonde Haare habe oder ob unsere Welt determiniert ist oder nicht. Diskussionen über das eine oder das andere eben Genannte wären dann nur Ablenkungsmanöver, wären für die eigentliche Frage irrelevant.

ganimed hat geschrieben:Wenn ich in derselben Situation immer nur dasselbe tun kann, dann bin ich festgelegt. Und das nennt man intuitiv unfrei. Ich kann nicht glauben, dass du diese Assoziation zwischen "festgelegt" und "unfrei" wirklich für nicht verstehbar, nicht nachvollziehbar und sinnlos hälst.

Wenn ich durch jemanden oder durch etwas (durch äußere oder innere Umstände, die ich nicht kontrollieren könnte, wenn ich das wollte) festgelegt bin, dann bin ich unfrei. Ich bin aber nicht schon automatisch unfrei dadurch, dass es überhaupt Umstände gibt, die mich beeinflussen und die ich nicht komplett selber erschaffen habe und die ich nicht komplett beeinflussen kann. Und eine Entscheidung ist nicht automatisch deswegen unfrei, weil sie durch mich festgelegt wird. Und wenn ich in derselben, absolut exakt identischen Situation, mich immer aus dann laut Voraussetzung identischen Gründen immer für ein- und dasselbe entscheide, bin ich mE auch nicht deswegen unfrei. Ich kann nicht einsehen, wieso ich freier (oder gar erst überhaupt frei) wäre, wenn ich dann mal so und mal so entscheiden würde. Selbst wenn das nicht irrational wäre, wenn also beide Entscheidungen gleichermaßen rational wären. Das erhöhte meine Freiheit mE nicht und stellte sie auch nicht erst her, (= wäre mE keine notwendige Voraussetzung für Freiheit).

ganimed hat geschrieben:Wenn jemand zu dir sagte, vielleicht in einem anderen Zusammenhang: "je mehr man mich festlegt, desto unfreier fühle ich mich". Würdest du dann wirklich antworten: "häh? Das macht für mich keinen Sinn, ist nicht nachvollziehbar und ich verstehe es nicht". Wirklich?

Nein, dem würde ich dann zustimmen. Wenn "man" (ein Dritter, oder äußere oder innere, nicht durch mich beeinflussbare Umstände) mich auf eine einzige mögliche Option festlegte, wäre ich in der Situation unfrei, dann hätte ich keine Wahl.

ganimed hat geschrieben:Ich fände deine Position viel überzeugender, wenn du uns Inkompatibilisten diesen einen Punkt geben würdest, dass unser Freiheitsbegriff eben doch intuitiv ist, Sinn macht und naheliegend ist. Dann könnten wir beide ihn auch abhaken und feststellen, dass es Freiheit in diesem Sinne nicht gibt. Und danach könnte man dann über den Freiheitsbegriff der Kompatibilisten reden (den ich übrigens ebenfalls für sinnvoll, verstehbar und nachvollziehbar halte). Ich will darauf hinaus, dass dein Anspruch auf Ausschließlichkeit des kompatibilistischen Freiheitsbegriffes nicht sehr authentisch wirkt, eher taktisch bedingt zu sein scheint. Oder täusche ich mich da?

Aber ich kann Dir in diesem Punkt nicht zustimmen, hier liegt doch der Knackpunkt zwischen uns. Du steckst implizit immer wieder Deine - meiner Meinung nach unbegründete - Ausgangsbehauptung hinein, dass aus Determinismus folge, dass jemand oder etwas einen komplett festlege. Aber das folgt schlicht nicht aus Determinismus, genauer gesagt folgt aus Determinismus nicht, dass Menschen entscheidungs- und handlungsunfähig sein müssten, dass "man" (oder "etwas") ihre Entscheidungen und Handlungen festlege, dass sie selber keinen Einfluss hätten.

Na gut, Du vermutest, ich würde taktisch argumentieren, mich dumm stellen oder so, aber eigentlich genau verstehen, was Du meinst.

So ist es aber nicht.

Meine Intuitionen bezüglich meiner Entscheidungen und Handlungen sehen so aus: ich bin mir dessen bewusst, dass ich mich nicht selber wie Phönix aus der Asche erschaffen habe, dass es Umstände gibt und gab, die ich nicht beeinflussen konnte / nicht beeinflussen kann. Ich habe jedoch die Fähigkeit, über Dinge / Fragen nachzudenken, Vor- und Nachteile erkennen und abwägen zu können und eine Entscheidung zu treffen, zwischen verschiedenen Alternativen auszuwählen. Ich habe aber niemals die Intuition, dabei außerhalb der Welt zu stehen oder Naturgesetze beliebig ändern zu können. Und auch nie die Intuition, alles beeinflussen / kontrollieren zu können. All dies hat nichts mit Determinismus zu tun, all dies ist meiner Ansicht auch in einer determinierten Welt möglich.

Und ich halte mich nun für nichts Besonderes, ich meine, das sind völlig durchschnittliche Intuitionen. Ich glaube nicht, dass jemand anderes völlig andere Intuitionen hat, etwa z.B. derart, dass er Naturgesetze ändern könnte, sich selber aus dem Nichts erschaffen könnte oder alles kontrollieren könnte.

Und dann kommen wir eben zu diesem Punkt: nein, Deine Intuitionen verstehe ich nicht und Dein Freiheitsbegriff ist mir nach wie vor unklar. Aus einem bisher nicht genannten Grunde siehst Du einen Gegensatz zwischen Determinismus und Freiheit. Vielleicht könntest Du Deine Intuitionen ja mal näher erläutern; beschreiben, inwiefern die sich von meinen unterscheiden. Siehst Du Dich bei Deinen Entscheidungen gegen Naturgesetze verstoßen? Wenn ja: gegen welche genau und wie? Oder siehst Du Dich indeterminiert entscheiden? Wenn ja: wie und an welcher Stelle genau?

ganimed hat geschrieben:Kann man nicht gleichzeitig Inkompatibilist und Kompatibilist sein? Denn es gibt ja zwei Freiheitsbegriffe. Der eine Begriff ist inkompatibel mit Determinismus. Der andere Begriff benötigt Determinismus als Vorbedingung. Ich habe da kein Problem mit, solange man aus diesen beiden Sätzen dann jeweils die logisch richtigen Folgerungen ableitet.

Mein Problem ist nach wie vor, dass ich den Freiheitsbegriff der Inkompatibilisten nicht fassen kann. Ich meine nicht, dass Ihr den nachvollziehbar dargelegt habt.

ganimed hat geschrieben:Oder um im Bild der Lok zu bleiben. Sie ist unfrei, weil sie nur eine mechanische Antwortmaschine auf Weichenstellungen darstellt. Aber es gibt so unglaublich viele Weichen, dass man mit ihr relativ frei umherfahren kann. Wäre es übertrieben, dies Dialektik der Freiheit zu nennen?

Ich habe große Probleme mit Deinem Bild der Lok. Nach meinem Freiheitsbegriff können nur rationale Akteure frei sein. Und ich habe Probleme, mir die Lok als rationalen Akteur vorzustellen. Ein zusätzliches Problem habe ich damit, dass die Weichen in Deinem Bild die Entscheidungen sein sollen, (oder habe ich das jetzt falsch verstanden?), aber Weichen sind etwas außerhalb der Lok, nicht Bestandteil der Lok. Meiner Ansicht nach sind aber Entscheidungen Bestandteil von Personen, (den rationalen Akteuren, um deren Freiheit es mir geht). Vielleicht mangelt es mir ja ein wenig an Phantasie, aber ich bringe das einfach nicht zusammen.

Noch eine Anmerkung: meiner Ansicht nach gibt es keine (und kann es auch keine) absolute Freiheit geben. Freiheit ist mE immer graduell zu denken, nicht binär.

ganimed hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:[...] für den harten Deterministen wäre man deswegen immer unfrei, weil es gar keine eigene Entscheidung gibt, man geht also quasi völlig fremdgesteuert auf eine bestimmte Tür zu.

Dem stimme ich zu. Wobei einzuschränken ist, dass wenn die Fremdsteuerung in meinem Kopf passiert man sich umgangssprachlich darauf einigen kann, diese Fremdsteuerung dann aber doch der Person zuzurechnen. Das ist ja auch mein Haupteinwand gegen dein Türbild. Du hast diese Ursache-Wirkung-Beziehung unterschlagen.

Ich schreibe hier gerade diesen Beitrag, wir können uns "umgangssprachlich darauf einigen", dass ich diesen Beitrag hier gerade schreibe, aber tatsächlich, genau genommen ist es Deiner Ansicht nach wie? Wer oder was schreibt diesen Beitrag, wenn genau genommen ich es nicht bin? Wer oder was ist das "fremd" das mich - nach Deiner Ansicht nach - steuert? Habe ich keinen Einfluss darauf, was ich hier schreibe? Und wer bin ich, wenn ich genau genommen keinen Einfluss auf nichts habe? Bedeutet das nicht automatisch, dass ich dann nicht existierte? Oder geht es Dir lediglich darum, zu betonen, dass ich kein Gott bin, und also nicht die gesamte Welt und alle Umstände kontrollieren kann und mich auch selber nicht aus dem Nichts erschaffen haben kann? Wenn Letzteres: wie kommst Du darauf, dass das irgendwie strittig sein könnte, wer meint denn sowas ernsthaft? Hast Du mal einen Link zu einer solchen Ansicht? Oder ist das ein Strohmann?

ganimed hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:[...] Für ihn [den harten Deterministen] funktionieren Menschen nur durch ein Reiz-Reaktions-Schema, also gibt es keine Reflexion oder Erkenntnis.

Ich würde widersprechen. Reflexion und Erkenntnis sind für mich Spezialfälle von Reiz-Reaktionen. Es gibt zwar Reflexion aber dadurch entsteht keine Freiheit im Sinne von "auch anders können". Was ich reflektiere, wie ich reflektiere und was dabei heraus kommt ist festgelegt.

Nun, ich habe nun aber leider auch Probleme mit dem "auch anders können". Ich bin der Überzeugung, dass dies (in diesem Zusammenhang, so, wie ich vermute, wie Du das meinst) eine vollkommen sinnlose Redeweise ist. Aber ich kann mich - wie in allen Punkten - dabei natürlich irren. Ich möchte Dich daher bitten, mal explizit darzulegen, wie Du das genau meinst. Ich habe oben schon mal versucht, das zu erläutern. Meinst Du nun dies damit: "es hätte auch anders kommen können"? Oder dies: "er hätte auch anders handeln können"? Wie oben schon gesagt, halte ich die erste Bedeutung für in diesem Zusammenhang für uninteressant, alles kann immer anders kommen, als es kommt, auch im Determinismus. Man muss dazu lediglich eine andere Ausgangssituation oder andere Verlaufsgesetze setzen. Viel interessanter fände ich es, wenn Du das in der zweiten Bedeutung meintest. Dann wäre meine Frage die, wie man sich das konkret vorstellen könnte. Irgendjemand entscheidet sich in einer bestimmten Situation X für Y und nicht für Z. Du darfst für X, Y und Z etwas Beliebiges einsetzen und dann erläutern, inwiefern jemand freier wäre, der sich in X mal für Y und mal für Z entschiede - freier im Vergleich zu jemandem, der sich in X immer für Y entschiede.

Die andere Frage wäre die: festgelegt von wem oder was? Diese Frage bezieht sich auf folgendes: mir scheint, der Inkompatibilist würde implizit immer dies meinen: entweder habe man totale Kontrolle über alles oder man habe überhaupt keine Kontrolle über gar nichts. Aber das halte ich für falsch, (für eine falsche Dichotomie). Ich glaube, dass hier der eigentliche Dissens zwischen Kompatibilisten und Inkompatibilisten liegt. Ich meine, dass niemand ernsthaft der Meinung ist, absolute Kontrolle über alles zu haben. Aber daraus folgt nun mal nicht, dass es überhaupt keine Kontrolle über gar nichts geben könnte.

ganimed hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:[...] für den Inkompatibilisten kann der Mensch, wenn alles determiniert ist nach seiner Definition nur Reakteur, aber kein Akteur sein. Es gäbe da also gar keine Akteure, es sei denn nicht alles ist determiniert.

Es ist Geschmacksfrage, ob man Akteur hart oder weich definiert. Ich mag eher die weiche Variante. Wenn ein angemessen großer Teil der Ursachenketten innerhalb des Körpers abläuft, dann nenne ich das einfach mal in Annäherung zur Alltagssprache "agieren". Letztlich (bzw. hart) ist alles nur "reagieren".

"Letztlich" und "hart" bedeutet die oben erwähnte binäre Alternative, (ganz oder gar nicht), stimmt's? Wie gesagt glaubt aber doch wohl kaum ein Mensch, dass er die absolute Kontrolle über alles habe, im Gegenteil - so vermute ich - wird man gemeinhin annehmen, dass jemand, der das ungewöhnlicherweise tut, nicht ganz dicht ist. Oder?

ganimed hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:[...] Nein, nicht außerhalb der Welt stehend, sondern einfach nur reine Reakteure, von denen aus keine Handlung ausgehen kann. Für die [Inkompatibilisten] unterscheidet sich ein Mensch nicht von einem Stein. Oder eben doch, aber dann, weil der Mensch nicht komplett determiniert ist (das wäre der Libertarier).

Ich stimme zu. Ein Stein ist ebenso unfrei wie ein Mensch.

Leider aber hast Du immer noch nicht gesagt, was Du eigentlich unter "frei" verstehst. Wenn Du "frei" sagst, dann hat das für mich dieselbe Bedeutung wie "gurgelwupf": ein Stein ist also so gurgelwupf wie ein Mensch. Das mag ja nun sein, denn ich weiß ja nicht, was "gurgelwupf" bedeutet, was Du damit eigentlich meinst, also kann ich dem wohl auch kaum widersprechen. Da Du immer noch nicht genau darlegen willst, was Du damit meinst und ich Deine Intuitionen, die Du auch nicht dargelegt hast, deswegen auch nicht nachvollziehen kann, mal eine andere Frage: was folgt denn Deiner Ansicht nach daraus, dass ein Mensch genauso gurgelwupf wie ein Stein ist? Welche logischen Schlussfolgerungen möchtest Du daraus ziehen? Und wer zieht die dann überhaupt? Wolltest Du nicht behaupten, dass Du genau genommen (nach der "harten" Definition) keine logischen Schlussfolgerungen ziehen kannst? Oder habe ich da noch etwas falsch verstanden? Und was folgt nun Deiner Ansicht nach daraus, dass Du genau genommen keine logischen Schlussfolgerungen ziehen kannst? Und: wer oder was unterscheidet denn genau genommen, (nach der "harten" Definition"), zwischen einer logischen und einer unlogischen Schlussfolgerung? Wer oder was sind eigentlich die Akteure in Deiner Sicht, die das können und letztlich auch tun?

ganimed hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:[...] Das [in einer determinierten Welt könnten überhaupt keine Personen / Subjekte / Akteure entstehen] meinen sie, ja. Das geht nach ihrer Determinismusdefinition nämlich gar nicht. [...] Sie sehen Personen eben überhaupt gar nicht erst als Personen. [...]

Wie bei "Akteur" gibt es auch bei "Subjekt" und "Person" dieselbe Wahl zwischen der harten Definition und der weichen. Hart betrachtet stimme ich zu.

Wieder das entweder-oder-Ding? Entweder ist man total frei oder total unfrei, was anderes kann es nicht geben? Aber wieso, wie kommst Du darauf? Und wer glaubt Deiner Ansicht nach, er sei in Deinem Sinne total frei? Meinst Du wirklich, das sei eine verbreitete Sichtweise? Wie kommst Du darauf?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 5. Jan 2012, 05:37

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Aber das ist eben falsch. Wieso sollte man keinen Einfluss auf seine Entscheidungen haben? Man trifft doch Entscheidungen normalerweise selber, das tut nicht jemand anderes für einen.

Wer sagt denn, dass es ein „jemand“ sein muss? Dann ist es nicht jemand, sondern etwas, nämlich die Kausalkette, die dem Urknall gefolgt ist, die die Entscheidung für mich getroffen hat.

Wie kann eine Kausalkette eine Entscheidung treffen? Oder, anders gefragt: wie kann eine Kausalkette ein Subjekt verhindern, das kausal unwirksam machen?

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich möchte erst mal noch ein paar grundsätzliche Dinge sagen, auch bezogen auf Deine weiteren Beiträge: irgendwie scheint es noch ein großes Missverständnis zwischen uns zu geben. Ich meine mitnichten, dass Subjekte Kausalketten aus sich heraus anfangen könnten.

Nicht aus dem Nichts (oder einfach nur aus sich heraus) anfangen, aber Du sagtest, dass durch eine Handlung eines Menschen sich der weitere Verlauf ändert. Das habe ich so verstanden, dass der Mensch von sich aus aber in der Welt und mit der Welt eine kausale Kette beeinflussen kann. Und solch einen Einfluss hat ein Stein nicht. Eine Lok hat solch einen Einfluss auch nicht.

Ja, so ist es korrekt.

Teh Asphyx hat geschrieben:Jetzt noch mal die Frage, was macht diesen Unterschied für Dich aus?
So weit ich verstanden habe, ist der Unterschied für Dich zwischen Mensch und Lok, dass die Lok nicht weiß, wohin sie fährt, sondern einfach den Schienen folgt, während der Mensch eine Lok wäre, die die Weichen selbst legt und dies tut, nachdem er darüber reflektiert hat, was für Möglichkeiten er hat.

Ja, ebenfalls korrekte Darstellung.

Teh Asphyx hat geschrieben:Nehmen wir mal als Beispiel, dass die nächste Abzweigung entscheidet, ob die Lok links nach Barcelona oder rechts nach Moskau. Wir haben jetzt natürlich eine „Menschen-Lok“, also eine Lok, die ein Bewusstsein hat und selbst die Weiche stellen kann. Die Lok weiß über Barcelona, dass es am Mittelmeer ist und es dort recht warm ist und über Moskau, dass es da eher kalt ist, es aber tolle Sehenswürdigkeiten wie den Kreml oder den roten Platz gibt. Du sagst, um frei entscheiden zu können, darf er jetzt nicht einfach zufällig entscheiden, sondern muss aufgrund früherer Erfahrungen etc. irgendeine Präferenz haben, die ihn dazu verleitet ein bestimmtes Ziel zu wählen.

Nein, ich meine lediglich, dass jemand die grundsätzliche Fähigkeit dazu haben muss, nach Gründen zu entscheiden. Ob er diese im konkreten Falle ausübt oder nicht, ist mE eher unwesentlich. Will sagen: wenn jemand mal einfach so nach einem Bauch-Gefühl entscheidet, (und das intuitiv richtig findet / befürwortet), dann würde ich das nicht unfrei nennen wollen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Dementsprechend wären die Positionen also folgende:
Harter Determinist: Der Mensch ist eine Lok und die Weichen werden automatisch gestellt, die Lok kann also nur stumpf den Schienen folgen. Selbst wenn die Lok selbst den Mechanismus betätigt, um die Weichen zu stellen (also die passende mechanische Vorrichtung dazu hat), so entscheidet sie es nicht wirklich selbst, sondern legt die Weichen nach irgendwelchen Vorgaben, über die sie keine Kontrolle hat.
Libertarier: Die Lok kann aus sich selbst heraus entscheiden, wohin sie fährt, einfach so. Wichtig ist, dass sie es selbst entscheidet und nicht das Schicksal oder irgendeine Kausalkette.
Kompatibilist: Die Lok stellt die Weichen selbst um und tut dies, weil sie zureichend abschätzen kann, wo es hingeht und genügend Informationen hat, um eine Entscheidung zu treffen. Selbst wenn sie die Entscheidung gar nicht anders treffen könnte, entscheidend ist, dass sie die Weichen stellt und nicht die Weichen schon von vornherein durch jemand oder etwas anders gelegt sind.

Ja, kann ich zumindest für meinen kompatibilistischen Standpunkt bestätigen, (für die anderen natürlich nicht), allerdings mit der o.g. Einschränkung.

Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn das hinhaut, dann habe ich aber noch ein paar Einwände. Ich sehe um ehrlich zu sein nicht, wie hier der harte Determinismus tatsächlich umgangen wurde. Okay, die Entscheidung wird im Menschen getroffen, aber das Ergebnis der Entscheidung ist trotzdem durch äußere Umstände festgelegt. Somit ist der Mensch mit seiner Entscheidungsfähigkeit also so etwas wie ein Knotenpunkt, aber warum ist er dadurch frei? Wenn ich Eure Definition von Freiheit richtig verstanden habe, ist der Mensch dann frei, wenn er abwägen und reflektieren kann. Um das so zu können, dass ich das akzeptieren kann, muss der Mensch dazu den Dingen einen Wert beimessen können. Dies kann er, totaler Determinismus vorausgesetzt ja auch nur durch äußere Faktoren, die ihm quasi schon vorgeben, welchen Wert er was beizumessen hat.

Nein, all das folgt nicht. Wenn ein Mensch ein Teil dieser Welt ist und diese Welt determiniert ist, dann hat der Mensch folgerichtigerweise einen Einfluss auf die Welt. Der Mensch ist dann zwar nicht in dem Sinne frei, dass er sich selber aus dem Nichts erschaffen könnte und / oder alles in der Welt kontrollieren könnte, aber eigentlich hat beides gar nichts mit Determinismus zu tun. Ein einzelner Mensch ist nur ein Teil der Welt, er ist nicht die gesamte Welt und er ist auch nicht allmächtig. Es gibt immer Faktoren, die er nicht beeinflussen kann. Aber das macht jemanden noch nicht unfrei - es sei denn, man verträte einen solchen Freiheitsbegriff, der absolute Kontrolle über alles notwendigerweise beinhaltetet. Aber einen solchen Freiheitsbegriff halte ich für wenig verbreitet.

Teh Asphyx hat geschrieben:Vor allem, was macht einen Menschen dann freier als einen Regenwurm? Ist es nur die Komplexität? Dann sehe ich aber keinen Widerspruch zum harten Determinismus, außer dass man sagt, dass Komplexität schon reicht, um von Freiheit zu sprechen. Und dass man sich dafür auch verantworten muss, dass man nach Barcelona und nicht nach Moskau fährt, auch wenn man einfach nur blöderweise Gene hat, die einen sehr Kälteempfindlich machen, denn man hat sich ja schließlich frei entschieden, weil man ja „wusste“, dass man kalt nicht mag.

Nein, das ist nicht nur die Komplexität, es geht, wie gesagt, in meinem Freiheitsbegriff um bestgimmte Fähigkeiten, nämlich diejenigen der Erkenntnis und Reflexion, die Fähigkeit, abwägen zu können. Ich meine nicht, dass ein Regenwurm das kann.

Und es geht bei meinem Freiheitsbegriff, wie auch schon gesagt, nicht darum, dass jemand allmächtig wäre. Menschen sind nicht allmächtig, das ist kein Geheimnis und wird sicher auch kaum bestritten. Niemand kann alles kontrollieren, niemand ist absolut frei und niemand ist absolut verantwortlich für seine Entscheidungen und Handlungen. Aber daraus folgt eben meiner Ansicht nach nun mal nicht, dass keiner etwas kontrollieren könnte, alle absolut unfrei seien und alle absolut nicht verantwortlich.

Teh Asphyx hat geschrieben:Oder aber man setzt eben doch implizit irgendeine creatio ex nihillo im Menschen voraus, die ihn im Gegensatz zu anderen Wesen und Dingen zu einem „Entscheider“ macht. Aber da sehe ich keinen Unterschied mehr zum Libertarier.

Eine "creatio ex nihilo" ist mal wieder ein leerer Begriff - zumindest aber für mich nicht fassbar. Ich kann mir darunter nichts vorstellen, (ich bin aber auch manchmal ziemlich fantasielos). Ist so ähnlich wie "unbewegter Beweger" - auch das halte ich für einen leeren Begriff.

Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn Vollbreit zum Beispiel als Begründung meint, der Mensch sein im Unterschied zu anderen ein diskursives Wesen, was macht dann diese Diskursivität aus? Ohne eine genaue Begründung ist das purer Obskurantismus. „Diskursives Wesen“ ist ja nur wieder ein neues Etikett, aber keine Begründung dafür, [i[warum[/i] der Mensch im Gegensatz zu einem Stein oder auch einem Regenwurm reflektieren kann oder Sprache beherrscht. Dafür blieb bisher jede Erklärung aus. Die Erklärung ist aber absolut notwendig, um die Frage danach, ob Determinismus und Freiheit wirklich vereinbar sind, zu beantworten.

Aber Du fragst nun wieder nach der genauen Entstehung des Menschen und seiner Fähigkeiten. Ich meine nach wie vor, dass das hier nicht relevant ist. Relevant ist nur, dass es anscheinend bestimmte Fähigkeiten des Menschen gibt. Die anscheinend anders sind als die eines Regenwurmes. Und das festzustellen und zu erkennen, bedeutet doch nicht Obskurantismus, keine Ahnung, wie Du jetzt darauf kommst. Ich kann auch erkennen, dass eine Giraffe einen längeren Hals hat als eine Maus, ohne aber wissen zu müssen, wie das kommt, entstanden ist. Daran ist nichts obskur, ich wüsste jedenfalls nicht, wieso. Im Gegenteil fände ich es ziemlich absurd, wenn ich diese Erkenntnis nur dann als richtig / wahr ansehen dürfte, wenn ich auch wüsste, wie das genau gekommen ist.

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Eine Definition habe ich oben schon versucht, zu geben, (aus einem bestimmten Zustand einer Welt zum Zeitpunkt t(0) und den Natur-/Verlaufsgesetzen in dieser Welt folgt eindeutig jeder spätere Weltzustand zum Zeitpunkt t(x)).

Wie kann aber unter dieser theoretischen Voraussetzung irgendwas anderes als der Zeitpunkt t(0) selbst noch als „Akteur“ bezeichnet werden? Alles, was sich danach ergibt ist nur noch Reaktion.

Diesen Einwand verstehe ich nicht. Ein Zeitpunkt / Weltzustand ist kein Akteur, ebensowenig wie eine Kausalkette.

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich kann dem erst mal insoweit zustimmen, dass aus Determinismus folgt, dass es im D. ausschließlich Kausalketten gibt, die immer (theoretisch) bis zu einem Zeitpunkt zurückverfolgbar sind, zu dem der betrachtete Mensch und seine Handlung und seine Entscheidung noch nicht existierten.

Zurück ist einfach und wie sieht es mit der Zukunft aus? Laplace’scher Dämon?

Ja, der Laplace'sche Dämon (rein hypothetisch angenommen) kann als Verdeutlichung des Determinismus verwendet werden. Mir geht es hier nur um hypothetische Annahmen, ich möchte ungerne über zufälligen Atomzerfall und Quanten und dergleichen reden, das finde ich unwichtig, nicht relevant. Der mir wichtig erscheinende Punkt ist hier: der hypothetische Laplace'sche Dämon, der alle meine zukünftigen Entscheidungen und Handlungen kennte, machte keinen Unterschied für meinen Begriff der Freiheit. Er würde meine Freiheit nicht einschränken. (Allerdings: der Laplace'sche Dämon nehmen wir mal als außerhalb der Welt existierend an, er hat also keinen Einfluss auf die Welt, kann z.B. Dir nicht sagen, was ich morgen tun werde.)

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Allerdings sehe ich den Rest, d.h. seine Definition von Freiheit, naturgemäß anders, [ich bin ja Kompatibilist], ich meine also nicht, dass daraus Fremdbestimmung folgt, hier sollte noch ein Argument stehen, als petitio principii ist das nicht akzeptabel. Und außerdem bietet er leider keine Alternative an, die Freiheit in dem von ihm verwendeten Sinne herstellen könnte.

Dass es dir als Falsifikation nicht reicht ist eine Sache, aber die Forderung, dass nach der Falsifikation eine Alternative folgen muss, damit die Falsifikation gültig wäre, ist falsch. Etwas ist nicht erst dann falsch, wenn ich was besseres habe, sondern dann, wenn es falsch ist.

Aber es ging dabei nicht um eine Falsifikation. Man kann eine Definition / ein Begriffsverständnis nicht falsifizieren. Jede Definition ist ein Postulat, das nicht falsifizierbar ist. Jedoch kann man Definitionen auf Plausibilität / (allgemeine) Anerkennung abklopfen. Definitionen sind also nicht beliebig, auch wenn sie nicht falsifizierbar sind.

Was versteht man allgemein unter "Willensfreiheit"? Das ist eine empirische Frage, die hängt davon ab, was gemeinhin darunter verstanden wird. Kein Einzelmensch hat die darüber die Definitiosnhoheit, weder ganimed noch ich. Den Link zu den empirischen Untersuchungen dazu habe ich oben schon geliefert, habe jetzt keinen Bock, den nochmal rauszusuchen.

Und, naja, diese empirische Frage ist wichtig. Glaubt kaum jemand an einen inkompatibilistischen Freiheitsbegriff, ist der, anders als ganimed behauptet, gar nicht so verbreitet, dann gerät der Inkompatibilist in die unangenehme Situation, Argumente für seine Position liefern zu müssen. Und, naja, eben das ist mE auch der Fall.

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:oder aber: der vertretene Freiheitsbegriff ist von Vorneherein leer, sinnlos, nicht verstehbar, nicht nachvollziehbar, d.h.: in keiner logischen Welt logisch möglich.

Dann frage ich Dich, ob es logisch möglich ist, dass Existenz existiert. Also die berühmte Frage warum überhaupt etwas ist und nicht einfach nichts. Dass Existenz existiert lässt sich ja, wie ich schon sagte, schwer leugnen (auch wenn es genug Leute versuchen), aber wir haben nur innerhalb der Existenz logische Begründungen, nicht darüber hinaus. Oder wie Heidegger sagen würde, wir sind seinsvergessen, sprechen nur vom Seienden und nicht vom Sein. Für Heidegger war die Freiheit aber eine Seinsfrage und keine Frage des Seienden und auch der Satz vom zureichenden Grunde kam für ihn erst nach der Freiheit, weil Freiheit erst da sein musste, damit der Satz überhaupt formuliert werden konnte. Mir scheint es auch naheliegend, dass die Freiheit mit dem Sein und nicht mit dem Seienden zu tun hat. Nur wenn es in diese Richtung geht wird es schwierig die gleiche Art von Logik zu gebrauchen, die wir benutzen, um mit dem Seienden umzugehen.

Sorry, aber ich habe Probleme, Dir hier zu folgen.

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Aber in dem Falle würde ich mir gräßlich verarscht vorkommen

Kommst Du Dir denn auch dadurch verarscht vor, dass Du existierst, Dir dazu aber keine Begründung geliefert wurde?

Ähm, nein, wie kommst Du darauf? Wer sollte diese Begründung auch liefern?

Teh Asphyx hat geschrieben:Mir fällt aber gerade was ein. Ich habe den Freiheitsbegriff mal gerade auf die Musik übertragen.
Mein Freiheitsbegriff würde (und das ist auch gängig in der Musik – deswegen spricht man zum Beispiel von „Free Jazz“) gut zur Improvisation passen. Improvisation ist nicht kausal. [...] Determiniert wäre es, wenn ich eine schon komponierte Melodie spiele, die nur die Melodie ist, die auf dem Notenblatt spielt. Nehmen wir an, es ist „Alle meine Entchen“. Dann muss ich nach dem C ein D spielen, nicht weil ich nicht anders könnte, sondern weil die Komposition es so bestimmt, also determiniert. Da bin ich nicht frei, dafür aber auf der sicheren Seite, weil ich weiß, wie es klingen wird.

Nun, ich habe nichts gegen dieses Freiheitsverständnis, wenn Du damit (lediglich) meinen solltest, dass auch das Freiheit bedeutet. Siehe auch oben: mein Freiheitsbegriff beinhaltet nicht notwendigerweise, dass alle Entscheidungen und Handlungen völlig rational begründbar seien. Er beinhaltet lediglich die grundlegende Fähigkeit zur Erkenntnis und zur Reflexion. Es ist mE völlig okay, wenn Du Dich bei einer Improvisation frei fühlst oder z.B. auch, wenn Du nach Musik tänzerisch ausflippst, Dich sozusagen von Deinem Unterbewusstsein leiten lässt und Dich dabei gut fühlst. Wiewohl das kein Problem für mich ist, wäre es sehr wohl ein Problem, wenn Du meinstest, dass nur dass "echt frei" wäre. Dann hätten wir an der Stelle einen Dissens.

Allerdings verstehe ich nun nicht, wieso Du hier behauptest, dass Improvisation nicht kausal wäre. Wieso dieses?

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Hm, nochmal zusammengefasst: meine Definition und mein Verständnis des Determinismus ist (hoffentlich) die / das gebräuchliche. Dabei habe ich weder einen Dissens mit Vollbreit noch mit ganimed, meine ich. Ich bin kein Libertarier, ich vertrete keineswegs eine Agenskausalität.

Mir scheint aber, dass Du da auch hin und her springst. Wenn ich Dich darauf anspreche, dass Du gerade mit einer Agenskausalität argumentierst, drehst Du es wieder um und machst den Menschen zu einer sehr komplexen Reiz-Reaktions-Maschine, wenn ich Dich darauf anspreche, dann kommt dem Menschen wieder diese besondere Fähigkeit zu, dass er ein Akteur ist. Was macht ihn denn genau zum Akteur und nicht einfach nur zum Reakteur? Ein Reakteur kann genauso reflektieren, das wurde ja zum Beispiel auch im Behaviorismus nicht bestritten. Diesen signifikanten Unterschied seid ihr mir echt noch schuldig.

Ich weiß nicht, weil ich noch nicht richtig verstehe, was Du unter einem "Akteur" und was Du unter einem "Reakteur" verstehst, und auch nicht, was Du unter einer "Reiz-Reaktionsmaschine" verstehst.

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Es ging mir in beiden Beispielen um PAP (Principle of Alternate Possibilities) - Prinzip der alternativen Möglichkeiten = jemand kann in einer völlig identischen Situation mal so und mal so entscheiden und handeln - einer der beiden normalerweise vertretenen Standpunkte von Inkompatibilisten, (als von Inkompatibilisten als notwendig angesehene Bedingung für Willensfreiheit in ihrem Sinne).

Aber ist das nicht ein Strohmann-Argument? Du sagst ganimeds Beispiel sei nicht gut, nimmst ein eigenes, wo Du gegen eine ganz andere Behauptung argumentierst als die von ganimed in seinem Beispiel und triumphierst dann darüber?

Naja, triumphieren. Ich wollte hier nur erklären, auf was ich hinauswollte. Wie gesagt, gibt es, so wie ich diese Diskussion kenne, generell zwei unterschiedliche Argumentationslinien von Inkompatibilisten: das einmal PAP und / oder ultimative / absolute Freiheit. Kann sein, dass meine Bilder - in Bezug auf ganimed - Strohmänner waren. Ich bin mir nämlich noch nicht so ganz sicher, welche Argumentationslinie er vertreten will. Mir scheint aber, dass er beide vertreten will, dann wäre es kein Strohmann.

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Im Beispiel konnte man niemals (zu einem bestimmten Zeitpunkt) durch einen andere Tür gehen, als durch die, durch die man ging, (oder außerhalb des Tunnels gelangen). Und dennoch war man (nach meinem Begriff von Freiheit) vollkommen frei.

Aber man hätte in Deinem Beispiel eine andere wählen können. Wie sollte man aber überhaupt eine Wahl haben können, wenn alles determiniert ist?

Wieso sollte man keine Wahl haben, wenn alles determiniert ist? Wie kann Indeterminismus eine Wahl herstellen? (Hier wird es wieder interessant für mich. Diese Frage interessiert mich brennend.)

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Der Witz dabei sollte sein, dass sich die Öffenbarkeit der Türen und der Verlauf des Tunnels danach richten, was man entscheidet und tut.

Und das ist eine Agenskausalität. Was der Akteur entscheidet setzt Du hier als ausschlaggebend und nicht, was irgendwann vorher war.

Nein, das ist kein entweder-oder, sondern ein sowohl-als-auch.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 5. Jan 2012, 05:39

Verdammt, jetzt muss ich das noch splitten, weil ich nicht so lange Beiträge schreiben darf. Ist zwar eh alles redundant, mehrfach gesagt, aber da ich es schon geschrieben habe, sei es angehängt. Zukünftig werde ich mich kürzer fassen, versprochen, (aber sich kurz fassen ist eine Kunst, eine Anstrengung, die ich zu dieser späten Stunde nicht mehr leisten kann).

Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn Du jetzt allerdings sagst, dass er ja aufgrund determinierter Umstände entschieden hat, dann bedeutet das, dass die Umstände entschieden haben, also wäre er dann nur ein Reakteur (er hat auf die Umstände mit der einzigen aus allen Umständen – ob sie ihm bewusst sind oder nicht – folgenden Möglichkeit reagiert).

Nochmal: das ist kein entweder-oder, sondern ein sowohl-als-auch. Wieso können Inkompatilisten nur schwarz-weiß denken, wieso kann es für sie nur ein entweder-oder geben? Entweder ist jemand frei oder unfrei, entweder ist jemand komplett bescheuert oder ein Genie, entweder ist jemand ein Riese oder ein Mini-Zwerg?

Unsere Welt ist aber ganz selten so, meist gibt es jede Menge Graustufen. Mag zwar langweilig und schwierig klingen, ist aber denoch so. Das muss jeder Mensch lernen.

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Mehr verlange ich nicht von Freiheit, mir ist unklar, wie der Inkompatibilist - logisch möglich und nachvollziehbar - mehr verlangen kann. Ich glaube ja, er setzt Unsinniges voraus. Kann ich aber nur beweisen, wenn er endlich mal seine Karten auf den Tisch legt.

Ich weiß nicht, vielleicht tu ich ja Unmögliches, wenn ich musiziere. Vielleicht ist das eine notwendige Voraussetzung, um Künstler zu sein, dass man das Unmögliche tut.

Siehe oben. Die Behauptung, dass Improvisation akausal wäre, ist nur eine Behauptung. Unbegründet.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Do 5. Jan 2012, 12:35

Ich versuche mal, mich auf ein rotes Fadenende zu stürzen, und die sehr breite (und sehr interessante) Diskussion für mich in eine überschaubare und vielleicht sogar ergebnisorientierte Verengung zu treiben.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich habe große Probleme mit Deinem Bild der Lok. Nach meinem Freiheitsbegriff können nur rationale Akteure frei sein.

Das ist doch schonmal ein Ergebnis. Nach meinem Freiheitsbegriff können nur Akteure frei sein. Fast Übereinstimmung.

Nun müsste man also nur noch klären, ob es in einer deterministischen Welt Akteure gibt. Wenn es sie nicht gibt, dann stimmt es, dass Determinismus Freiheit (beide unserer Freiheitsbegriffe) ausschließt. Klingt einfach, wenn da nicht die Fallstricke zwischen weicher und harter Definition wären. Deshalb brauchen wir also eine Fallunterscheidung.

Harte Definition: ein Akteur ist jemand, der mindestens eine Ursachenkette neu anfängt.
Weiche Definition: ein Akteur ist jemand, dem recht lange Endabschnitte von recht vielen Ursachenketten zuzuordnen sind.
Wärst du mit diesen Definitionen einverstanden?

Glaubst du, dass der Mensch ein harter Akteur ist?
Glaubst du, dass der Mensch ein weicher Akteur ist?

Benutzt du in deinem Freiheitsbegriff die harte Variante des Akteurs?
Wenn ja, dann ist dein Freiheitsbegriff doch leer im Determinismus, weil ja im Determinismus kein Mensch eine Ursachenkette beginnen kann. Richtig?
Wenn nein, dann wäre nur noch zu klären, wieso die weiche Definition für dich die naheliegendere Wahl ist und für mich nicht.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 5. Jan 2012, 15:07

Ich glaube, dass ein Mensch ein weicher Akteur ist.

Wie ein Akteur eine Kausalkette neu anfangen kann, absichtlich und kontrolliert: das halte ich nicht für darstellbar, das ist für mich unverständlich, das halte ich für logisch unmöglich.

Wenn ein Akteur etwas absichtlich und kontrolliert entscheidet und tut, nach Gründen handelt, dann fängt er keine neue Kausalkette an.

Und wenn ein Akteur rein zufällig etwas tut, dann fängt er auch keine neue Kausalkette an, die neue Kausalkette ist dann ohne sein Zutun entstanden.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Do 5. Jan 2012, 15:27

@ Vollbreit

Deine Entscheidung finde ich etwas schade.
Das mit den Rückschritten verstehe ich um ehrlich zu sein nicht. Ich denke eher, wir sind der Lösung nähe denn je.
Ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass Du es aus irgendwelchen Gründen gerne aus der Affaire ziehst, sobald Dein Standpunkt zu kippen droht. Das erlebe ich nicht nur hier, Du hast auch in anderen Themen Einwände einfach ignoriert. Beispiele: Nachdem ich sehr schlüssig erklärt habe, warum Begriffe und Worte nicht zusammenhängen und es begriffliches Denken außerhalb von Sprache gibt, kam nichts mehr, obwohl Du trotzdem in dem Thread weiter geschrieben hast. In einem anderen Thread (Wahres in den Religionen) habe ich sogar enorm viel geschrieben, auf das Du nicht mehr eingegangen bist. Hier hast Du mich auch schonmal ignoriert und bist erst wieder eingesprungen, als AgentProvocateur auf die Punkte, die Du ignoriert hast, eingegangen ist. Da ich Dir ja im Ken-Wilber-Thread eine Antwort „schuldig bin“ und ich eigentlich die Diskussion dort auch gerne fortsetzen würde, muss ich Dich jetzt aber fragen, ob sich das überhaupt lohnt, oder ob ich davon ausgehen sollte, dass es auch so endet. In dem Fall spare ich mir das, dann würde ich aber gerne wissen, was Deine Motivation zu diskutieren ist?

@ AgentProvocateur

Um weitere Redundanzien zu vermeiden, lege ich meinen Fokus mal nur darauf, wo unser Verständigungsproblem tatsächlich liegt.
Darüber, dass Determinismus und Reflexion / Erkenntnis sich nicht ausschließen sollten wir uns ja schon einig sein.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:oder aber: der vertretene Freiheitsbegriff ist von Vorneherein leer, sinnlos, nicht verstehbar, nicht nachvollziehbar, d.h.: in keiner logischen Welt logisch möglich.

Dann frage ich Dich, ob es logisch möglich ist, dass Existenz existiert. Also die berühmte Frage warum überhaupt etwas ist und nicht einfach nichts. Dass Existenz existiert lässt sich ja, wie ich schon sagte, schwer leugnen (auch wenn es genug Leute versuchen), aber wir haben nur innerhalb der Existenz logische Begründungen, nicht darüber hinaus. Oder wie Heidegger sagen würde, wir sind seinsvergessen, sprechen nur vom Seienden und nicht vom Sein. Für Heidegger war die Freiheit aber eine Seinsfrage und keine Frage des Seienden und auch der Satz vom zureichenden Grunde kam für ihn erst nach der Freiheit, weil Freiheit erst da sein musste, damit der Satz überhaupt formuliert werden konnte. Mir scheint es auch naheliegend, dass die Freiheit mit dem Sein und nicht mit dem Seienden zu tun hat. Nur wenn es in diese Richtung geht wird es schwierig die gleiche Art von Logik zu gebrauchen, die wir benutzen, um mit dem Seienden umzugehen.

Sorry, aber ich habe Probleme, Dir hier zu folgen.


Da hier der Schlüssel zu meiner Freiheitsdefinition liegt, versuche ich mal einen Gang rauszunehmen und das noch mal zu erklären, was ich meine. Ich gebe auch zu, dass weder Heidegger noch Hegel ohne weiteres zu verstehen sind, weil sie ihre jeweils eigene Terminologie haben, die man erstmal kennen muss und ich habe den Fehler gemacht, das einfach vorauszusetzen.

Deine Logik baut auf dem Satz vom zureichenden Grund auf (das schließe ich daraus, dass Du meine Freiheit als unlogisch bezeichnest und daraus, wie Du Deine Freiheit erklärst). Das bedeutet einfach, dass alles auf irgendwas anderes zurückgeführt werden können muss. Dementsprechend schließt Du einen zufälligen Freiheitsbegriff deshalb aus, weil er in dem Sinne leer ist, dass ihm kein zureichender Grund zugrunde liegt.
Der Satz von zureichenden Grund lässt sich tatsächlich auf das Existierende fast problemlos anwenden, aber nur genau so lange, bis man in Frage stellt, wie es kommt, dass überhaupt etwas existiert. Nach dem Satz vom zureichenden Grund wäre Existenz nur dann möglich, wenn sie einer unendlichen Ursachenkette folgt, da der Satz Raum und Zeit benötigt (die Zeit muss dabei nicht zwingend linear sein, ein Grund in der Zukunft ist auch denkbar) und somit nach dem Satz ein Zustand ohne Raum und Zeit gar nicht denkbar ist.
Nun geht aber die moderne Physik davon aus, dass Raum und Zeit überhaupt erst mit dem Urknall entstanden sind (sodass die Frage, was vor dem Urknall war, keine sinnvolle Frage ist, da es „vorher“ nur geben kann, wenn es Zeit gibt). Es gibt also einen Grund, der selbst keinen hat, der allen anderen Gründen zugrunde liegt.
Du versuchst die Freiheit irgendwann danach zu begründen, ich begründe sie davor (so wie Heidegger das auch getan hat und ich meine, dass Hegel es implizit auch getan hat, da seine Dialektik anders nicht zu denken ist). Anders gesagt, Deine Reihenfolge ist falsch und deswegen irreführend.
Deine Reihenfolge: Erst der Satz vom zureichenden Grund, dann die Freiheit.
Meine Reihenfolge: Erst die Freiheit, dann der Satz vom zureichenden Grund.
(Kurz nebenbei eingewendet, finde ich es witzig, dass Du mir schwarz-weiß-Denken vorwirfst, obwohl mein Freiheitsbegriff tatsächlich noch mehr Abstufungen/Verläufe zulässt, als Deiner)
Das Problem ist eben wie gesagt, dass Deine Reihenfolge letztlich dazu führt, dass es nur auf das Seiende anwendbar ist, das heißt, ich kann natürlich eine unheimlich Kette von Gründen aufbauen, warum hier auf meinem Tisch gerade eine Kaffeetasse steht. Aber sie ist nicht mehr auf das Sein anwendbar, das heißt genau dann wenn ich frage, warum ist überhaupt etwas, dann kann die Logik aus Deiner Reihenfolge nicht nur keine Antworten geben, sondern sie muss sogar schließen, dass Sein gar nicht möglich ist, weil ja immer ein Grund dahinter liegen muss. Du sagst ja selbst, dass eine creatio ex nihillo für Dich einen leeren Begriff darstellt. Theologen setzen eine Instanz als Ursprung voraus, die als einzige Ausnahme dem Satz vom zureichenden Grund nicht unterliegt, dementsprechend wäre bei ihnen nur Gott frei. Das Problem ist, dass der Theologe sich hier vollständig selbst immunisiert, denn er geht davon aus, dass alles, was dem Satz vom zureichenden Grund nicht unterliegt, vom menschlichen Verstand nicht erfasst werden kann und sieht das als Gottesbeweis. Philosophen, Quantenphysiker und Kosmologen sind auf schlüssige Theorien gekommen, die diese Immunisierung bröckeln lassen, denn sie beweisen, dass etwas jenseits des Satzes vom zureichenden Grund sehr wohl vom menschlichen Verstand erfasst werden kann.
Da Du ja nicht leugnest, dass überhaupt etwas ist, aber dies einfach als gegeben ansiehst und den Urgrund für nicht zu hinterfragen hältst (jedenfalls kam das bisher so rüber, falls ich mich hier täuschen sollte, dann nur her mit Deiner Erklärung, ich bin gespannt), immunisierst Du Dich auf die gleiche Weise wie die Theologen, mit dem Unterschied, dass Du es auf eine agnostische Weise machst (also dadurch einen Gott nicht als bewiesen siehst, sondern eher die Frage nach einem Gott auch in den Bereich des Nichtbeantwortbaren stellst).

Also noch mal zusammengefasst: Wenn Du sagst, dass der Satz vom zureichenden Grunde die einzige Basis für eine mögliche Logik ist, dann musst Du in der Lage sein, damit zu erklären, warum Du überhaupt von dem Satz sprechen kannst, ohne dass etwas anderes vor dem Grund liegt (was ich Freiheit nenne).

Wenn wir jetzt diesen Freiheitsbegriff nehmen, der vor dem Satz liegt und den auf den Menschen übertragen, ist es naheliegend, die Improvisation auch als akausal betrachtet werden kann. Denn dann wäre nicht nur ein ursprünglicher Zufall, sondern auch spätere Zufälle denkbar. Und nicht nur das, es gibt sogar tatsächlich Zufallsgeneratoren, die absolut akausal Wahlen treffen. Diese haben aber immer das, was der Dialektiker Einsicht in die Notwendigkeit nennt. Nimm zum Beispiel einen virtuellen Würfel (ein physischer Würfel ist ja durch den Wurf determiniert), also einen programmierten Zufallsgenerator von 1-6. Es muss schon in eine Menge Notwendigkeiten Einsicht haben, um überhaupt Zahlen von 1-6 ausspucken zu können. Da er nur darauf beschränkt ist, Zahlen zwischen 1 und 6 auszuspucken, würde ich ihn nicht als sonderlich frei bezeichnen (aber er ist zumindest in diesem Rahmen frei), ein improvisiernder Gitarrist ist zum Beispiel viel freier, weil er viel mehr Möglichkeiten hat und auch mehr Notwendigkeiten, in die er Einsicht hat. So stimmt dieses dialektische Verhältnis tatsächlich, ein höheres Maß an Freiheit wird dadurch erzeugt, dass man mehr Einsicht in die Notwendigkeiten hat. Die Sache ist aber die, dass ein Laplace’scher Dämon hier hilflos verloren wäre, weil er eben nicht voraussagen könnte, welche Zahl von 1-6 da rauskommen wird, auch wenn er den gesamten jetzigen Weltzustand überblicken kann und er wird auch nicht voraussagen können, was ich auf der Gitarre spielen werde. Die Quantenphysik lässt auch solche Zufälle durchaus zu.

Wenn Du also meine Zufalls-Freiheits-Dialektik als etwas Absurdes angreifst, weil Du von Deinem Satz vom zureichenden Grund ausgehst, ist das vergleichbar damit, die Quantenphysik anzugreifen, indem man erklärt, dass sie nach der klassischen Physik aber absurd ist (was ja auch nicht wenige machen).

Ich sage deshalb auch nicht, dass Freiheit und Determinismus nicht zusammen existieren könnten, aber das dialektische Verhältnis muss richtig rum stehen, die Freiheit muss immer vor dem Determinismus kommen und nicht umgekehrt.

Ich wollte noch was wegen Verantwortung schreiben, aber ich muss jetzt erstmal meine Prüfung zu ende schreiben, also mache ich das später.

Das aber noch kurz, weil das erst kam, nachdem ich das alles schon geschrieben hatte:

AgentProvocateur hat geschrieben:Wie ein Akteur eine Kausalkette neu anfangen kann, absichtlich und kontrolliert: das halte ich nicht für darstellbar, das ist für mich unverständlich, das halte ich für logisch unmöglich.


„Neu“ muss nicht bedeuten, dass der Akteur keine bestehenden Parameter verwenden darf. Ich habe das Gefühl, dass Du hier von einem absoluten Zufall ausgehst und deswegen keine logische Möglichkeit siehst, aber hier selbst schwarz-weiß denkst, weil Du nicht bedenkst, dass es auch eingegrenzte Zufälle geben kann (wie der Zufallsgenerator mit Zahlen von 1-6, wer bestimmt denn, welche Zahl da rauskommt, wenn nicht der Zufallsgenerator? Aber er ist eben auf Zahlen von 1-6 begrenzt und nicht auf alles (un-)denkbare).

Deswegen kannst Du dann selbst nur noch absurde Behauptungen bezüglich des Zufalls aufstellen:
AgentProvocateur hat geschrieben:Und wenn ein Akteur rein zufällig etwas tut, dann fängt er auch keine neue Kausalkette an, die neue Kausalkette ist dann ohne sein Zutun entstanden.


Daran ist nämlich falsch, dass Du annimmst, der Zufall wäre nichts, was dem Akteur entspringen würde, aber er ist es eben doch. Der Zufall kann überhaupt nur passieren, weil es einen reflektierenden und einsichtigen Akteur gibt, der die Notwendigkeit für eine mögliche Handlung kennt (jedenfalls innerhalb der Existenz, wie sich darüber hinaus eine Freiheit konstituiert, die zufällig unsere Existenz ermöglicht hat, ist eine andere Sache). Ein Stein hingegen kann keine willkürliche Handlung machen, weil er überhaupt nicht handeln kann. Ein Stein hat auch keinen Willen, den er küren kann.

@ ganimed

Da wir ja schonmal die Diskussion hatten und da zu keiner Lösung gekommen sind, anhand des hier geschrieben kann ich Dir ganz gut erklären, was Heidegger mit „Die Wissenschaft denkt nicht“ meinte. Er meinte eben genau, dass man zum Beispiel aus dem Satz vom zureichenden Grund nicht hinter den Satz selbst zurück schließen kann, genauso wenig kann die klassische Physik die Quantenphysik erklären. Dass es Wissenschaftler gibt, die trotzdem oder gerade deswegen Fragen stellen, die über die jeweilige Wissenschaft hinausgehen, bzw. ihre Begründung in Frage stellen, zweifelt er gar nicht an, nur sagt er, dass die in dem Moment Philosophie betreiben und aus ihrer Wissenschaft draußen sind. Aus sich selbst heraus eine Wissenschaft zu erklären, wäre eine Tautologie und deswegen kann eine Wissenschaft nicht denken (also die Wissenschaft selbst kann nicht über sich hinausdenken, der Wissenschaftler kann aber über sein Fachgebiet hinausdenken und dieses auch erweitern). Damit erklärt er aber die Wissenschaften nicht für wertlos, mit Werturteilen hat das überhaupt nichts zu tun. Ich hoffe, dass das jetzt verständlicher ist.

Deine zusammenfassenden Fragen finde ich gut auf den Punkt gebracht.

Ich bin natürlich für den harten Akteur, weil ich denke, dass je komplexer die Einsicht einer Entität in Notwendigkeiten sein kann (ob das eine Maschine oder ein klassisches Lebewesen ist, sei dahingestellt), diese Entität weniger determiniert und mehr determinierend wird (dürfte sich im Allgemeinen mit Bewusstsein als Emergenz decken lassen).
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Do 5. Jan 2012, 17:07

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich glaube, dass ein Mensch ein weicher Akteur ist.

Ok, dann benutzt du also auch diesen weichen Akteur bei deinem Freiheitsbegriff. Du behauptest also, ein weicher Akteur ist frei.

Ich begrabe hiermit die Lok (nicht ohne die Nebenbemerkung, das sie aus meiner Sicht ungeschlagen abtritt) und komme nun mit dem Bild eines Computerprogramms. Ich hoffe, ich nerve niemanden damit (über Gebühr).

Nehmen wir ein kleines Programm, welches als Eingabe eine Zahl x erhält, ein wenig damit rumrechnet und am Ende dann eine Zahl y ausspuckt.

Ich behaupte nun, dass dieses Programm im Sinne meiner Definition ein weicher Akteur ist. Sogar ein rationaler Akteur, weil, das sage ich einfach mal, das Programm vernünftig und fehlerfrei geschrieben ist, und die programmierten Rechenvorschriften alle einen Sinn machen, es also rational abläuft.

Wenn ich bis hierher recht hätte, dann wäre dieses Programm nach deinem Freiheitsbegriff also auch frei wie ein Mensch. Ich vermute also, du wirst meiner Behauptung widersprechen wollen.

Ich untermauere meine Behauptung damit, dass laut meiner Definition von weicher Akteur, recht viele Endabschnitte der Ursachenketten, die zu der Zahl y führen, dem Programm zuzuordnen wären. Und genau das ist der Fall.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 5. Jan 2012, 17:16

Wie erwähnt, halte ich folgende Fähigkeiten für notwendige Bedingungen für Willensfreiheit: Erkenntnis- und Reflexionsfähigkeit. Ich glaube nicht, dass Dein kleines Programm die hat.

Ich möchte Dich nun aber auch bitten, mal darzulegen, wie man sich einen harten Akteur in Deinem Sinne bespielhaft vorstellen könnte.

Ein Beispiel dafür, wie einige Inkompatibilisten sich das vorstellen, habe ich oben schon gebracht, (der Zufallsgenerator im Gehirn).

Man nennt das auch das two-stage model of free will, (könnte man als "2-Phasen-Modell des freien Willens" übersetzen). Es gibt demnach eine erste Phase, die teilweise indeterminiert abläuft, (der Vorschlagsgenerator im Gehirn) und eine zweite Phase, die determiniert abläuft, (das Aus- und Bewerten der Vorschläge und die letztliche Entscheidung).

Erfüllt das Deine Anforderungen einen harten Akteur?
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