Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Darth Nefarius » Do 19. Jan 2012, 15:30

Richtig so! Der Begriff/das Konstrukt der Freiheit ist eigentlich nur noch für die gesellschaftliche Stabilität von Nutzen, aber genaugenommen interessiert die Begründung auch gar nicht, dieses Phänomen ist determiniert als Gesiteseinstellung, weil gewollt. Das ist eines von vielen anderen Beispielen von Autosuggestion: Ich glaube das, was ich glauben will. Es ist durchaus leichter, an die Freiheit zu glauben, unterscheiden kann man nicht zwischen irgendeiner gesellschaftlichen Freiheit und einer naturwissenschaftlichen, das sind keine abgeschlossenen Systeme, die Gesellschaft ist auch dem Detreminismus unterworfen, das Gesetz von Kausalität ist nicht durch unsere Vorstellungen ausgeschaltet.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Do 19. Jan 2012, 16:27

Aber wie sieht es dann jetzt mit Kreativität und Improvisation aus? Also das Beispiel, was ich hier schonmal genannt hatte, wenn ich zwar Rahmenbedingungen habe (Tonart, Rhythmik, Metrik usw. in der Musik) aber darüber hinaus frei spiele (das ist jedenfalls der Freiheitsbegriff in der Musik und auch in der Kunst allgemein). Es ist natürlich denkbar, dass ich auch hier determiniert bin (was dann allerdings so komplex sein muss, dass es wirklich nicht mehr nachvollziehbar ist), aber ich finde hier auch den Gedanken interessant, dass da so eine Art Zufallsgenerator sein könnte, der auf Basis von gegebenen Bedingungen zufällige passende Möglichkeiten wählt, was natürlich insgesamt in einen komplizierten kognitiven Prozess ausartet, sodass man durchaus hier von einer freien Handlung sprechen könnte.

Und Kreativität ist halt auch noch mal was anderes als einfach eine Wahl zwischen Schokoladeneis und Bananeneis treffen, da es zum Beispiel die Möglichkeit beinhaltet, das Eis überhaupt zu erfinden.

Die Evolution ist ja der kreative Prozess schlechthin und ich könnte mir vorstellen, dass es beim Menschen, wenn er kreativ wird, eben zu einem ähnlichen Zusammenspiel von Zufall und Notwendigkeit kommt, was es dem Menschen halt erlaubt aus sich selbst heraus mit einer Situation indeterminiert umzugehen, aber natürlich auf Basis bestimmter Voraussetzungen.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Do 19. Jan 2012, 18:17

Teh Asphyx hat geschrieben:Aber wie sieht es dann jetzt mit Kreativität und Improvisation aus? ... Es ist natürlich denkbar, dass ich auch hier determiniert bin (was dann allerdings so komplex sein muss, dass es wirklich nicht mehr nachvollziehbar ist)

Hattest du jemals die Hoffnung, die Entscheidungswege deines Gehirn genau nachvollziehen zu können? Natürlich ist das alleine angesichts der Anzahl von Neuronen und beteiligten Nervenverbindungen nicht mehr nachvollziehbar. Bleiben also unabhängig der in keinem Fall gegebenen Nachvollziehbarkeit zwei Theorien:
a) Beim Improvisieren ist alles festgelegt, aber es läuft so komplex ab, dass wir nicht wissen, wie die Festlegungen genau aussehen. Vielleicht wegen dieser Komplexität fühlt es sich irgendwie gar nicht festgelegt an.
b) Beim Improvisieren gibt es ein echtes Zufallselement, welches klein genug ist, um noch vernünftige Entscheidungen zu treffen, aber groß genug, um nicht vollkommen festgelegt zu sein. Insgesamt läuft dieser Prozess aber so komplex, dass wir nicht wissen, wie die Festlegungen genau aussehen und wo die Zufälle anfangen oder aufhören. Insgesamt fühlt es sich jedenfalls irgendwie gar nicht festgelegt an.

Also ich und Occam und alle Rasiermesserfreunde nehmen da ganz eindeutig Vorschlag a. Da brauchen wir das völlig unbewiesene Zufallskonzept gar nicht.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 19. Jan 2012, 18:53

Zur Erinnerung: dieser Thread heißt: "Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus"

Inkompatibilisten sehen einen sich ausschließenden Gegensatz zwischen Determinismus und Willensfreiheit, Kompatibilisten bestreiten diesen Gegensatz.

Der Streit ist nun auf keinen Fall so zu lösen, dass man einfach Willensfreiheit so definiert, dass diese im Gegensatz zum Determinismus steht. Das wäre eine petitio principii.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Do 19. Jan 2012, 19:07

Teh Asphyx hat geschrieben:Aber wie sieht es dann jetzt mit Kreativität und Improvisation aus?

Kreativität als der Prozess neues "in die Welt zu bringen", sei es jetzt ein Musikstück oder eine Atombombe ist ein in erstaunlich festen Bahnen ablaufender Prozess und kein gutes Beispiel für "Freiheit". Da ist das "Verschenk ich jetz Schokolade oder nehm ich doch lieber den Opa mit?" schon eine bessere Idee. Bei solchen Entscheidungen geht es auch sehr geordnet ab, aber die Einzelentscheidung ist "chaotisch" im Sinne von: für uns noch berechenbar sondern nur statistisch abzuschätzen.

Zum Threadtitel: Es geht also drum, ob ich mir das Leben schwer machen oder einfacher machen will indem ich unsinniger weise drüber Diskutiere ob ich was mit dem einen oder dem anderen Begriff belege, was jedoch an der Wirklichkeit nciht die Bohne ändert? Entweder, man glaubt daran das alles festgelegt ist, oder man glaubt daran das man frei ist im rahmen dessen was festgelegt ist? Das ist doch beides... daneben.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Darth Nefarius » Do 19. Jan 2012, 19:12

ganimed hat geschrieben:Also ich und Occam und alle Rasiermesserfreunde nehmen da ganz eindeutig Vorschlag a. Da brauchen wir das völlig unbewiesene Zufallskonzept gar nicht.

? Wer ist Occam? Ein Rasiermesserfreund bin ich jedenfalls nicht, teile aber Ansicht a. Wie gesagt, warum sollte die Kausalität vor unseren Nervenleitungen halt machen? Das Konzept der Kausalität ist klar, jede Ursache hat eine Wirkung, der Determinismus wiederum macht auch aus jeder Ursache wiederum die Wirkung einer anderen usw.. Wollte man dem Menschen eine Spur Zufall eingestehen, so muss man von Ereignissen ausgehen, die keine Ursache haben, quasi aus dem Nichts kommen, dadurch der Kausalität schon widersprechen. Nein, das scheint mir weithergeholt.
Teh Asphyx hat geschrieben:Aber wie sieht es dann jetzt mit Kreativität und Improvisation aus?

Ich denke, sie sind durch ganimed gut erklärt worden. Sie sind Illusionen, die wir uns machen, weil wir manchmal die Ursache der Wirkung nicht kennen. Wir können Gedankenexperimente machen, um zu überprüfen, ob diese Begriffe/Phänomene tatsächlich einer Ursache entbehren. Fragen wir uns zunächst, wann Kreativität und Improvisation auftritt, gibt es Häufungen? Bei Momenten, Situationen, bestimmten Menschen? Wenn ja, dann wird es wohl einen Zusammenhang zu den Umständen haben. Wenn man pingelig sein wollte, könnte man schon meinen, dass die entsprechenden Neuronen, die wiederum die entsprechenden Impulse wieder anderer Neuronen durch Hormone, Aktionspotentiale, die Ursachen der Improvisation und Kreativität sind. die wiederum sind Ergebnisse von Reizen, oder Gradienten im Körper (an Neurotransmittern, Ionen). Hierbei kann schon ein Ion oder Neurotransmitter eine Depolarisation oder ein Einwirken auf Rezeptoren auslösen. Man kann das unendlich weiter reduzieren, bis zu Elektronen, die die Hülle der einzelnen Atome entsprechend ausrichten, dass sich das Teilchen entsprechend verhällt. Wenn man dann irgendwann auf quantenmechanischer Ebene tatsächlich nicht mehr eine Ursache findet, dann wird sich das aufgrund dieser bis jetzt betrachteten Einmaligkeit nicht weiter groß auf unsere weiteren ketten auswirken. Improvisation ist eigentlich ein Synonym für unkonventionelles Denken, man sucht neue Optionen, aber soches Denken wird auch nur durch entsprechende Situationen herausgefordert. Kreativität setzt ungeformtes Material (was nicht zwangsläufig auf Materie bezogen sein muss) voraus und einen Schöpfer, der unter Umständen ein Ziel mit seinem Werk verfolgt oder eine Vorstellung von ihm hat. Die Evolution ist kein kreativer Prozess in dem Sinne, dass da Zufall oder Absicht am Werk war. Sie ist durch 2 Faktoren bestimmt: Mutation und Selektion. Die Selektion ist Determinismus pur, die Umgebung wirkt auf eine population wie ein Sieb und lässt nur einige Individuen durch. Die Mutation ist wiederum auch von bestimmten Faktoren wie Strahlung oder mutagene Chemikalien möglich. Selbst die alltäglichen Fehler von Enzymen häufen sich bei bestimmten Strukturen (repetitiven Sequenzen, ....). Bis jetzt hat man, wenn man genau genug gesucht hat, immer irgendeine Ursache für eine Wirkung gefunden.
mat-in hat geschrieben:Zum Threadtitel: Es geht also drum, ob ich mir das Leben schwer machen oder einfacher machen will indem ich unsinniger weise drüber Diskutiere ob ich was mit dem einen oder dem anderen Begriff belege, was jedoch an der Wirklichkeit nciht die Bohne ändert? Entweder, man glaubt daran das alles festgelegt ist, oder man glaubt daran das man frei ist im rahmen dessen was festgelegt ist? Das ist doch beides... daneben.

Nun, man hat manchmal Zeit übrig (bei einem Käffchen zwischen durch, nicht wahr, mat-in?). Es bestimmt durchaus die Weltzanschauung, folglich ist das eine wichtige Frage. Natürlich ändert das Ergebnis nichts an der tatsächlichen Gestalt unserer Kausalität, aber sie (als meiner Ansicht nach Wirkung bestimmter Ursachen) ist eine Ursache für unser Verhalten im Leben. Wenn wir von Freiheit ausgehen, basiert diese annahme wiederum auf lückenhaft betrachteter Kausalität, man übersieht Ursachen, neigt zum Aktionismus, wenn man wiederum nicht an die weitreichende Wirkung der eigenen Handlung glaubt. wenn man aber zum 100% Determinismus neigt, kann man leicht in Resignation verfallen, letztlich gab es ja Ursachen, die genau zu dieser geführt haben und von daher die selbige unvermeidlich war. Letztlich habe ich persönlcih die Konsequenz aus meiner deterministischen Sichtweise gezogen, dass ich einerseits immer an Ursachen und Wirkungen denken muss, um mich weitestgehend klug in meiner Welt zu bewegen, aber ich lasse auch einen gewissen Fehler zu, um es überhaupt zu tun, da ich nicht sie alle erfassen kann. Man muss eine Balance finden.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Do 19. Jan 2012, 20:23

Eigentlich bin ich ja aus der Diskussion raus gewesen, aber entweder ist meine Antwort verschoben worden, oder ich habe sie versehentlich falsch gepostet, naja, ich bin wohl wieder drin.

@ Teh Asphyx:

Um ehrlich zu sein, hatte ich Deine Antwort bei meiner gar nicht im Hinterkopf, da ich sie eben erst gelesen habe, aber da gilt in meinen Augen, was Agent sagt, etwas so zu definieren, dass es von vorn herein eine bestimmte Möglichkeit ausschließt und sich dann darauf zu berufen, das ist ein Fehlschluss.
Auch ist die Etymologie kein philosophisches Argument, wenngleich sehr interessant.

@ Alle:

Dazu was Grundsätzliches: Jeder Philosoph, jede Strömung, jeder Neurobiologe und jeder User hier hat das Recht, Freiheit so zu definieren, wie es ihm passt. Da gibt es keine Grenzen, die einen Einschränken, im Fremdwörterduden steht der Determinismus übrigens ebenfalls als Gegensatz zur Freiheit. Aber etwas zu definieren ist die eine Sache, etwas philosophisch zu untersuchen, eine anderen. Man hat das Recht zu sagen: „Freiheit heißt für mich Chips zu essen und den ganzen Tag fernzusehen.“ Die Frage ist halt, ob diese Definition, die privat als Ausdruck von Freiheit völlig okay sein mag, philosophisch etwas hergibt.
Und das heißt, ist diese Definition eine von Freiheit in einem allgemeinen Sinn – ist jeder zwingend unfrei, der keine Chips isst? – und ist sie widerspruchsfrei, also logisch konsistent?

M.E. ist die Definition des Kompatibilismus klar definiert, allgemein gehalten und auch bei weiteren Nachfragen frei von Widersprüchen.

Soweit ich das sehe, besteht die Hauptkritik der Inkompatibilisten darin, dass ihnen der Freiheitsbegriff der Kompatibilisten als irgendwie zu dürftig erscheint. Ich kann das emotional gut nachvollziehen, es ging mir genauso. Der Rest ist dann eigentlich der, wenn man den Freiheitsbegriff der Kompatibilisten als irgendwie defizitär empfindet einen besseren zu suchen und das ist ein nüchternes Spiel.

Das Spiel lautet: Was fehlt? Was fehlt zu einem besseren Begriff von Freiheit, als dem intuitiv etwas sterilen der Kompatibilsten? Nach langem hin und her, kommt man immer wieder bei den üblichen Verdächtigen heraus, es fehlt eine gewisse Zufälligkeit, es fehlt die Möglichkeit auch anders zu können, als vernünftig wäre (wobei man gleich sagen muss, man kann – auch im Kompatibilismus), es fehlt eine irgendwie als bereichernd empfundene Irrationalität.
Andere Beispiele habe ich nie gefunden und auch nie gelesen.

Alles schön und gut, man darf das meinen und definieren, aber dann hat wieder die Seite der Kompatibilisten das Recht zu fragen, inwieweit und wo genau eines dieser drei Kriterien: Zufall, Willkür, Irrationalität die Freiheit vergrößert.

Warum ist ein Mensch mit einem Tourette Syndrom, der urplötzlich zur Seite zuckt und dabei laut schreit freier als du und ich? Ich kann das nicht einsehen.
Warum ist ein Mensch, der einen epileptischen Anfall erleidet freier als du und ich? Auch dafür sehe ich keinen Grund.
Warum ist ein Mensch, der weiß, dass er Schokoeis liebt und der Schokoeis essen könnte, weil es in der Eisdiele welche gibt, freier, wenn er Bananeneis bestellt, das er nicht mag? Ich fände das nicht frei, sondern enttäuschend.
Warum ist ein Mensch frei, der sich, wie das Schicksal es will, Hals über Kopf verliebt und dann eine ganz andere Frau heiratet, eine die zufällig daherkam (oder, eine, die die Eltern ausgesucht haben)?
Allgemein bezeichnet man das als Zwangsheirat, ich kann nicht einsehen, warum es hier frei sein soll, nicht die Frau zu wollen, die man liebt.
Warum ist ein Mensch im Zustand der offenen Psychose, der sich von Monstern verfolgt fühlt oder meinetwegen auch in einer Manie versucht den Präsidenten der USA zu besuchen um ihm mal zu erklären, wie Politik wirklich geht frei?




Teh Asphyx hat geschrieben:In meiner Entscheidung bin ich dann frei, wenn ich frei von totaler Determinierung bin (und das ist eine genauso gültige Aussage, wenn die Aussage, dass man frei vom Zufall sein kann, gültig ist).


Das würde die Diskussion zwar wieder etwas zurückwerfen, aber man kann hier natürlich starten.
Das Problem ist jedoch schnell: Was heißt „totale Determinierung“ und dann beginnt der Streit darüber, ob wir denn nun total also 100% determiniert sind, oder gar nicht, also 0%, was einige zu glauben scheinen, was aber irgendwie schwer darstellbar ist. Oder sind wir zu 12% oder 45% oder 66,8% oder 95% determiniert? Da hast Du endlos lange Diskussionen, die nie zu klären sind.
Also haben die Kompatibilisten Nägel mit Köpfen gemacht und gesagt: Nehmen wir doch gleich 100% und schauen, was dann von unserer schönen Freiheit bleibt. Wenn sie unter 100% Bedingungen stand hält, ist es ein logischer Schritt, dass sie auch unter 66,8% Bedingungen stand hält.


mat-in hat geschrieben:Einfach formuliert biegt sich also Kompatibilismus alle Zwänge und Vorgaben denen wir unterworfen sind so zu Recht, das man trotzdem frei ist, weil wir frei sein wollen und das kompatibel mit der Welt machen möchten. Was gibt es dann noch zu diskutieren?


Das ist eher falsch als einfach formuliert. Die Kompatibilisten prüfen, ob unter den Bedgingungen von 100% Determiniertheit ihr Begriff der Freiheit, begründet zu entscheiden, innehalten und abwägen zu können Schaden nimmt. Sie meinen, dass er keinen Schaden nimmt, warum und wo meinst Du, dass das der Fall ist?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Do 19. Jan 2012, 23:08

Vollbreit hat geschrieben:Die Kompatibilisten prüfen, ob unter den Bedgingungen von 100% Determiniertheit ihr Begriff der Freiheit, begründet zu entscheiden, innehalten und abwägen zu können Schaden nimmt. Sie meinen, dass er keinen Schaden nimmt, warum und wo meinst Du, dass das der Fall ist?
Eben gar nicht. Man definiert sich das so, daß es paßt und... fühlt sich danach besser, freier, ... na gut, wers braucht.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 19. Jan 2012, 23:45

mat-in hat geschrieben:Eben gar nicht. Man definiert sich das so, daß es paßt und... fühlt sich danach besser, freier, ... na gut, wers braucht.

Man sollte etwas so definieren, dass es Sinn ergibt, den man dann erläutern können sollte. Nicht?

Dein Argument aber:" Du definierst nur so, weil Du DIch dann besser fühlst, aber tatsächlich, in Wirklichkeit ist die Definition falsch" ist a) ein ad hominem und b) sieht ohne weitere Begründung gewaltig nach einer petitio principii aus.

Der Witz dabei ist nun auch, dass jeder harte Determinist, der argumentiert, entweder a) sich selber in einem wesentlichen Sinne als frei ansehen muss (zumindest mir scheint, dass jemand, der das kann, daher freier ist als jemand, der das nicht kann) oder b) er meinen muss, er würde ohne Sinn und Verstand argumentieren - ausschließlich deswegen, weil das so determiniert sei, nicht mehr.

Falls aber a) und der harte Determinist also Geltung beansprucht: inwiefern wäre er dann nicht "echt" frei? Was müsste noch zu einer "echten" Freiheit in seinem Sinne hinzukommen? Indeterminismus? Wenn ja: inwiefern, wie könnte man sich das vorstellen, dass Indeterminismus hier den alles entscheidenden Beitrag leisten könnte, (diese Frage geht auch an den Libertarier)? Wenn nein (Indeterminismus könne auch keine Freiheit im Sinne des harten Deterministen herstellen): vertritt der harte Determinist etwa gar einen logisch unmöglichen Freiheitsbegriff? Und wenn so: was weiter, wofür könnte das interessant sein, wen soll das jucken und wieso?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Fr 20. Jan 2012, 17:11

Das ist aber doch ein riesen Fehler, zu sagen, das etwas Determiniert ablaufendes ohne Verstand statfinden muß (Sinn lasse ich hier mal außen vor, die Frage nach dem "Sinn" hinter den Dingen ist meiner Ansicht nach eine der größten Zeitverschwendungen die sich die Philosophie je hat einfallen lassen). Wenn ein Verstand eben nur zu einer sinnvollen Lösung kommen kann mit den Informationen die er hat, ist er da determiniert. Unfreiheit muß nicht gleich Kontrollverlust sein (oder Verlust des Gefühls die Kontrolle zu haben).

Wenn einem das Begrifflich nicht paßt "determiniert zu sein" - weil ich aus der Idee das ich in einer Situation immer nur eine Entscheidung treffe die in dem Zusammenhang die Sinnvollste ist (aus meiner subjektiven Sicht) fälschlich die Idee ableiten läßt das mein Leben von der Geburt bis zum Tod schon in festen Bahnen verläuft sträubt man sich dagegen, sagt, man sei nicht determiniert. Da sich eine Gewisse Determinierung jedoch in der Realität nicht von der Hand weisen läßt - vor allem als naturalist nicht, der davon ausgeht, das es nicht "irgend wo da draußen außerhalb der physikalisch-biologischen Realität noch einen im Raum schwebenden Willen gibt der einfach so vorgaben macht" (und: wer determiniert den? ;), greift man dann zum Hilfskonstrukt Kompatibilismus und redet sich den falschen Schluß man sei von vorne bis hinten schon mit der Geburt determiniert damit schön, daß man sagt, man sei ja innerhalb dieser Determiniertheit frei?

Das kann man doch auch direkt bleiben lassen?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 20. Jan 2012, 18:31

Deine Prämisse ist wohl: "Freiheit und Determinismus sind sich ausschließende Gegensätze". Und weil es Dir nicht in den Sinn kommt, dass man diese Prämisse anzweifeln kann, da die mitnichten einfach so aus sich heraus selbstverständlich ist, redest Du von "falschen Schlüssen" und von "schönreden" und von "Hilfskonstrukt".

Warum und inwiefern ist Kompatibilismus ein Hilfskonstrukt?
Warum beinhaltet Kompatibilismus einen falschen Schluss?
Was redet Kompatibilismus schön, bzw. was ist unschön und warum ist es unschön und wie wäre das Unschöne schöner?
Was beinhaltet Dein Freiheitsbegriff mehr als Kontrolle über die eigenen Entscheidungen und Handlungen? Zufall, Willkür? Oder was sonst?

Eine Prämisse, die nicht hinterfragt werden darf, nenne ich "Dogma". Da nutzt es auch nichts, wenn man jemandem, der die Prämisse nicht anerkennt, mit ad hominems kommt, mal schnell irgendwas unterstellt. Das finde ich wenig überzeugend.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Fr 20. Jan 2012, 21:38

Das ganze fängt mit der Feststellung das Handlungen in einem Gewissen rahmen determiniert sind an. Da schreit der Philosoph und es ächzt der Psychologe und es grämt sich der Jurist, die es alle samt nicht verstanden haben, was die Biologie damit sagen möchte. Statt es sich erklären zu lassen (man denke nur an den Aufschrei der Gewissen Experimenten folgte die eine entscheidung im Kortex zeigten, bevor die Person sich dieser auch bewußt war und den gezogenen Schlußfolgerungen die sich alle mit nichten daraus ableiten ließen), rennt man also los und versucht - in gewisser Weise sehr konservativ - sein altes weltbild zu retten: Ich muß "Frei" sein, ohne genau zu definieren wovon. Schmerz? Leid? Mich im Eso-Häkelkurs zu entfalten? Auf jeden Fall muß ich frei sein von dem, was die Wissenschaft da behauptet: Das ich nicht Herr meiner Entscheidungen bin! Also definiere ich Frei nach einigem hin und her damit, daß ich zwar determiniert bin, aber innerhalb dieses Determinismus frei zu tun und zu lassen was ich will. Schon ist das ganze "kompatibel", mein altes weltbild (das eigentlich nie bedroht war) gerettet und es geht mir wieder gut und frei...

AgentProvocateur hat geschrieben:Warum und inwiefern ist Kompatibilismus ein Hilfskonstrukt?
Er wird benutzt, um sich "frei" zu definieren, wo es gar nicht nötig ist, da man nie "unfrei" war.
AgentProvocateur hat geschrieben:Warum beinhaltet Kompatibilismus einen falschen Schluss?
Der, daß man unfrei in all seinen Handlungen ist, nur weil man bei konkreten Entscheidungen determiniert ist.
AgentProvocateur hat geschrieben:Was redet Kompatibilismus schön, bzw. was ist unschön und warum ist es unschön und wie wäre das Unschöne schöner?
Man hat Angst davor seinen "freien Willen" zu verlieren. Damit man darum keine Angst haben muß biegt man sich das falsch verstandene zurecht und macht es "kompatibel".
AgentProvocateur hat geschrieben:Was beinhaltet Dein Freiheitsbegriff mehr als Kontrolle über die eigenen Entscheidungen und Handlungen? Zufall, Willkür? Oder was sonst?
Ich sehe Freiheit so ähnlich wie Gesundheit: Abwesenheit von Dingen durch die ich mich eingeschränkt und beeinträchtigt fühle. Dabei ist es vollkommen egal, wie determiniert ich bin, solange es mir nicht sauer aufstößt, daß ich es bin. Den meisten Leuten fällt das ihr Leben lang nicht auf, und ich denke man wird nicht Glücklich damit, sich den Kopf zu zerbrechen, ob man denn nun frei ist oder nicht und wie man - wenn man meint festzustellen unfrei zu sein - sich das wider gerade biegen kann.

AgentProvocateur hat geschrieben:..., mit ad hominems kommt, mal schnell irgendwas unterstellt.
Ist ja schön, das du ein wenig Latein kannst, aber ein "argumentum ad hominem" ist ein persönlicher Angriff. Das ich den ganzen Aufwand für überflüssig halte bedeutet nicht - auch wenn du es mir jetzt zum 3. Mal unterschieben willst, daß ich damit dich angreife (o.k. mit dem ätzenden "das du ein wenig Latein kannst" greife ich dich schon an, aber das hat nichts mit dem Argument an sich zu tun, ich bin nur genervt). Ein argumentum ad hominem funktioniert, indem man eine negative Eigenschaft des Diskussionsgegners herausstellt um ein Argument seinerseit oder seine Argumentation im ganzen lächerlich zu machen ohne zur Argumentation selbst etwas zu sagen. Beispiel: "Du kannst nicht auf die Ideen die Anna zur Autoreperatur hat hören... die ist doch ne Frau.". Hier wird unterstellt das Frauen keine Ahnung von Autos haben und da Anna eine Frau ist mit diesem Angriff auf frauen und auf sie jegliche Idee die sie vielleicht zur Autoreperatur hat abgeschmettert ohne sich um die Argumente an sich zu kümmern. Wo siehst du das hier?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 20. Jan 2012, 22:08

mat-in hat geschrieben:Das ganze fängt mit der Feststellung das Handlungen in einem Gewissen rahmen determiniert sind an. Da schreit der Philosoph und es ächzt der Psychologe und es grämt sich der Jurist, die es alle samt nicht verstanden haben, was die Biologie damit sagen möchte. Statt es sich erklären zu lassen (man denke nur an den Aufschrei der Gewissen Experimenten folgte die eine entscheidung im Kortex zeigten, bevor die Person sich dieser auch bewußt war und den gezogenen Schlußfolgerungen die sich alle mit nichten daraus ableiten ließen), rennt man also los und versucht - in gewisser Weise sehr konservativ - sein altes weltbild zu retten: Ich muß "Frei" sein, ohne genau zu definieren wovon. Schmerz? Leid? Mich im Eso-Häkelkurs zu entfalten?


Warum so polemisch?
Auf der einen Seite kommt der Vorwurf, es würde von den Anhängern des Kompatibilismus immer wieder dasselbe geschrieben, auf der anderen Seite werden immer wieder die gleichen scheinbar entwaffnenden Fragen gestellt.
Frei wovon?

Von Willkür, Irrationalität und Zufall in der Entscheidung.
Und mal am Rande. Dieser völlig unmögliche Psychologe, der so einen Unsinn geredet hat, Du meintest den Psychiater und Philosophen Thomas Fuchs, der hat in dem link, den Du gepostet hast, auf die Experimente von Christoph Herrmann verwiesen.
Falls Du gar nicht weißt, was Du da verlinkt hast: In dem Experiment von Herrmann ging es ebenfalls um gewisse Entscheidungen im Kortex, die schon getroffen wurden, bevor die bewusste Entscheidung fiel (die bewusste Entscheidung von wem eigentlich, ein Ich gibt es doch gar nicht?). Aber Herrmann ging noch weiter und dann zeigte sich noch etwas anderes: Die gewissen Aktivitäten im Kortex waren schon da, noch bevor überhaupt das, worüber entschieden werden sollte, angeboten war.

Offenbar kann das Gehirn nicht nur „wollen“ und „perfide“ sein, sondern verfügt sogar noch über die Fähigkeit zu Präkognitionen. Damit wären wir ja über den Umweg der Neurobiologie mitten im esoterischen Häkelkurs gelandet, nicht?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Fr 20. Jan 2012, 23:01

Nein, eigentlich geht es dabei um Vorausplanung und Erwartungshaltung, auch zu den Herrmann Experimenten gibt es nachfolge-Experimente. Am erstaunlichsten ind er ganzen Diskussion fand ich (also in dem Video) wie es alle 3 schaffen den ganzen Abend das gleiche zu sagen und doch wegen Wortklaubereien aneinander vorbei zu reden...

Wenn Frei bedeutet "frei von Irrationalität", dann ist niemand mit einem funktionierenden menschlichen Hirn frei, denn das funktioniert alles andere als rational.
Wenn es bedeutet frei von Zufall, dann widersprechen dem sogar schon Grundregeln der Physik, denn es passieren immer wider die unmöglichsten Dinge die uns zwingen eine entscheidung zu ändern.
Diese Form von Freiheit ist wissenschaftlich unhaltbar.

Daher halte ich den kompatibilismus für einen Notnagel um an einem Menschen und Weltbild festzuhalten, von dem man meint es ändern zu müssen, es aber nicht ändern möchte. In einer Situation, in der eine solche Änderung unnötig wäre.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 20. Jan 2012, 23:39

mat-in hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Warum beinhaltet Kompatibilismus einen falschen Schluss?

Der, daß man unfrei in all seinen Handlungen ist, nur weil man bei konkreten Entscheidungen determiniert ist.

Der Inkompatibilist behauptet das, nicht der Kompatibilist.

mat-in hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Was beinhaltet Dein Freiheitsbegriff mehr als Kontrolle über die eigenen Entscheidungen und Handlungen? Zufall, Willkür? Oder was sonst?

Ich sehe Freiheit so ähnlich wie Gesundheit: Abwesenheit von Dingen durch die ich mich eingeschränkt und beeinträchtigt fühle. Dabei ist es vollkommen egal, wie determiniert ich bin, solange es mir nicht sauer aufstößt, daß ich es bin.

Ich auch, so ungefähr zumindest, ich meine, es müssen zusätzlich Fähigkeiten hinzukommen, (nämlich die oben genannten). Und nun?

Und Deine Mutmaßungen über die Motivationen anderer Leute entbehren mE schlicht der Grundlage. Du magst das gerne glauben, das spielt aber hier keine Rolle, solange das nur reine Mutmaßungen sind. Wenn die Dir irgendwie bei irgendwas helfen, dann soll es mir auch recht sein.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Fr 20. Jan 2012, 23:59

AgentProvocateur hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Warum beinhaltet Kompatibilismus einen falschen Schluss?

Der, daß man unfrei in all seinen Handlungen ist, nur weil man bei konkreten Entscheidungen determiniert ist.

Der Inkompatibilist behauptet das, nicht der Kompatibilist.
Der Kompatibilist muß doch auch davon ausgehen, sonst würde er keinen Bedarf sehen, etwas kompatibel zu machen um diesen Konflikt zu vermeiden?

AgentProvocateur hat geschrieben:Und Deine Mutmaßungen über die Motivationen anderer Leute entbehren mE schlicht der Grundlage.

Welche genau meinst du jetzt? das du Latein kannst?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 21. Jan 2012, 00:57

mat-in hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Der Inkompatibilist behauptet das, [dass Determinismus Willensfreiheit ausschlösse], nicht der Kompatibilist.
Der Kompatibilist muß doch auch davon ausgehen, sonst würde er keinen Bedarf sehen, etwas kompatibel zu machen um diesen Konflikt zu vermeiden?

Wovon muss der Kompatibilist ausgehen? Dass es einen Konflikt zwischen Determinismus und Willensfreiheit gäbe?

Nehmen wir nun mal versuchshalber an, jemand würde behaupten, es gäbe keine Moral ohne Gott. Dann sieht Deiner Ansicht nach jemand, der das bestreitet, notwendigerweise da einen Konflikt, weil er das bestreitet? Würde es nicht aber im Gegenteil darauf hindeuten, dass derjenige gerade bestreitet, dass es dabei einen Konflikt gibt? Dass es also sehr wohl eine Moral ohne Gott geben könnte? Oder nicht?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 21. Jan 2012, 01:22

mat-in hat geschrieben:Ein argumentum ad hominem funktioniert, indem man eine negative Eigenschaft des Diskussionsgegners herausstellt um ein Argument seinerseit oder seine Argumentation im ganzen lächerlich zu machen ohne zur Argumentation selbst etwas zu sagen.

Genau, indem man z.B. dem Diskussionspartner mal eben eine als (von einem selber als unstatthaft angesehene) Motivation unterstellt. "Weil X Y behauptet, muss X die Motivation Z haben. Und die Motivation Z ist inkonsequent/dumm/unfähig/unwahrhaftig/selbstsüchtig oder was auch immer, jedenfalls total negativ, ey. Also ist Y falsch."

Das ist ein ad hominem. Und ein ad hominem ist ein Fehlschluss, das folgt schlicht nicht, folgte auch nicht, wenn X tatsächlich die hier frei erfundene Motivation Z hätte.

Z.B. ist dies ebenso ein Fehlschluss: "X behauptet Y, aber X hat 'ne Brille, also ist Y falsch". Dabei ist es völlig egal, ob X eine Brille trägt oder nicht, so oder so besteht hier ein offensichtlicher Fehlschluss, eine fallacy. Eine Spur härter wird es noch, wenn das ad hominem jeglicher Grundlage entbehrt, einfach mal eben so aus den Fingern gesogen wird. Aber dann bleibt es immer noch ein ad hominem. Dass ein ad hominem frei erfunden ist, bedeutet noch lange nicht, dass es deswegen kein ad hominem sein könne.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 21. Jan 2012, 09:09

mat-in hat geschrieben:Nein, eigentlich geht es dabei um Vorausplanung und Erwartungshaltung, auch zu den Herrmann Experimenten gibt es nachfolge-Experimente.


Mag ja sein, dass es darum geht, dennoch sind hellsehende Gehirne als Ergebnis doch erstaunlich.
Wenn jemand sich schon entschieden hat, noch bevor überhaupt das vorliegt worüber zu entscheiden ist, das ist doch merkwürdig, oder findest Du das nicht?

Wenn ich Dir sage: „Entscheide Dich, ob Du dafür bist, oder dagegen“, würdest Du mich nicht erst mal fragen, worum es überhaupt geht?
Oder meinst Du wirklich, dass „Dein Gehirn“ schon entscheidet, bevor der Inhalt dessen, worüber entschieden werden soll bekannt ist?
Wenn das wirklich so wäre und Du allein bei dem Reiz „Entscheide Dich, ob Du dafür bist, oder dagegen“ auf stereotype Art reagierst, denn Deine Verschaltungen determinieren Dich ja, also entweder immer dafür, oder immer dagegen bist, ist das ja ne prima Sache um Dich auszunehmen. Ich mache 5 oder 6 Testläufe, sehe, ach der mat-in, der ist immer dagegen und formuliere dann den nachfolgenden Inhalt so, dass jeden Monat 100 Euro von Dir auf mein Konto fließen.

Ich vermute jedoch, dass auch Du im richtigen Leben sagen würdest: „Ähm, für oder gegen was, soll ich denn sein, erzähl mal.“ Und wenn der nachfolgende Inhalt wäre, mir a) jedem Monat, bis an Dein Lebensende 100 Euro zu überweisen, einfach mal so oder b) eine Reise Deiner Wahl geschenkt zu bekommen, meinst Du nicht, dass die Antwort anders ausfallen würde?
Glaubst Du im Ernst, dass die Entscheidung bei den einleitenden Worten: „Entscheide Dich, ob Du dafür bist, oder dagegen“ bereits gefallen ist?

Ich glaube, Du hast die Möglichkeit Dich noch mehrfach umzuentscheiden, wenn Du nämlich hörst, um was es geht

mat-in hat geschrieben:Wenn Frei bedeutet "frei von Irrationalität", dann ist niemand mit einem funktionierenden menschlichen Hirn frei, denn das funktioniert alles andere als rational.


Das erklärt auch, warum täglich das öffentliche Leben zusammenbricht, sich niemand an Verkehrsregeln hält, man in Fußgängerzonen seines Lebens nicht sicher ist und wenn man jemanden nach dem Weg fragt, stets damit rechnen muss, dass er sich zuckend auf den Boden wirft, einem die Halsschlagader durchbeißt, irre zu kichern beginnt, oder seine Urlaubsfotos rausholt.
Alles ist völlig irrational, höchstens mal zufällig darf man eine vernünftige Antwort oder Handlung erwarten. Weshalb schreibst Du hier noch mal, wenn das Deine unverrückbare Überzeùgung ist?
Das ist doch widersprüchlich. Ach ja, Du kannst nicht anders, ich vergaß.

mat-in hat geschrieben:Wenn es bedeutet frei von Zufall, dann widersprechen dem sogar schon Grundregeln der Physik, denn es passieren immer wider die unmöglichsten Dinge die uns zwingen eine entscheidung zu ändern.
Diese Form von Freiheit ist wissenschaftlich unhaltbar.


In Argumenten – denn von deren Begründungen schrieb ich, nicht vom Zerfall von Plutonium – auf irratonale Begründungen zu verzichten, ist wissenschaftlich unhaltbar?
Ist dann nicht das gesamte Projekt Wissenschaft etwas, was sofort zu beenden wäre, denn dort geht es ja meines Wissens darum, rational zu begründen. Oder was verstehst Du unter Wissenschaft?
Bitte schreib doch demnächst in irgendwelchen fundamentalistisch religiösen Foren, denn die kommen doch Deiner Einstellung viel näher, wenn Du ernsthaft glaubst, was Du schreibst. Das Problem ist, dass Du nicht ernsthaft glaubst, was Du schreibst.
Wenn ich sage, der Kompatibilismus hat recht, weil mir das die Engelein geflüstert haben und außerdem bin ich der Li-La-Laune-Bär, würdest Du das billigen, weil es so herrlich irrational und zufällig ist und das bestätigt, was Du ohnehin erwartest, oder würdest Du vielleicht denken, ich hätte nicht alle Tassen im Schrank?

Und der wichtigste Punkt: Beschreib doch mal, wie wir unsere Entscheidungen ändern können, wenn wir doch vom/im Hirn determiniert sind? Da ist doch gar nichts mehr zu ändern, oder?
Wann kann man denn Entscheidungen ändern und wann legen unsere Verschaltungen uns fest?
Deine ganzen Ausführungen – aber um Dich zu beruhigen, nicht nur Deine – strotzen doch nur so von Selbstwidersprüchen.

Ich bin festgelegt, kann aber meine Entscheidungen ändern? Alles ist zufällig und irrational, aber ich plane schon mal den Wochenendeinkauf? Folgerichtig zu argumentieren (= rational zu begründen = das zu tun, was die Wissenschaft tut), ist „wissenschaftlich unhaltbar“?
Hallo? Ich meine, wie vernagelt muss man eigentlich sein, um diese Orgie von Widersprüchen wirklich ablassen zu können und es nicht zu merken und sich noch wie zum Hohn auf der Seite der Wissenschaft zu fühlen?

mat-in hat geschrieben:Daher halte ich den kompatibilismus für einen Notnagel um an einem Menschen und Weltbild festzuhalten, von dem man meint es ändern zu müssen, es aber nicht ändern möchte. In einer Situation, in der eine solche Änderung unnötig wäre.


Nein, ich meine durchaus nicht, dass man ein Menschen- und Weltbild aufgrund einer Argumentationslinie die vollkommen wirr und widersprüchlich ist, ändern müsste.
Du zwar Dein eigenes Dogma trefflich ein, weil Du tatsächlich so fest verdrahtet zu sein scheinst, dass es Dir unmöglich ist, Deine Selbstwidersprüche auch nur im Ansatz zu erkennen. Das ist dann immerhin konsequent. Ich kenne jedoch Menschen, die sich von Argumenten beeindrucken lassen, insofern scheint das mit der Festverdrahtung kein Zwang zu sein, sondern doch nur ein weiteres Kapitel selbstverschuldeter Unmündigkeit.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Sa 21. Jan 2012, 11:41

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Nein, eigentlich geht es dabei um Vorausplanung und Erwartungshaltung, auch zu den Herrmann Experimenten gibt es nachfolge-Experimente.

Wenn jemand sich schon entschieden hat, noch bevor überhaupt das vorliegt worüber zu entscheiden ist, das ist doch merkwürdig, oder findest Du das nicht?

Es ist eine erstaunliche Leistung, ja. Aber wundern tut es mich nicht. Wie einer meiner Dozenten zu sagen pflegte: "Wenn sie erst waren,bis das Raubtier da ist und sie die Zähne sehen können, dann wird es dunkel - und dann sind sie ausgestorben". Wir vollbringen jeden Tag solche Leistungen und sind damit als Mensch nicht allein: wenn jemand mit einem Ball ausholt fängt der Hund an, zu berechnen, wo der gleich hin fliegt. Je nach Charakter rennen Hunde sogar auf Abfangkurs los, bevor du geworfen, bzw. den Ball losgelassen hast.

Vollbreit hat geschrieben:Wenn das wirklich so wäre und Du allein bei dem Reiz „Entscheide Dich, ob Du dafür bist, oder dagegen“ auf stereotype Art reagierst, denn Deine Verschaltungen determinieren Dich ja, also entweder immer dafür, oder immer dagegen bist, ist das ja ne prima Sache um Dich auszunehmen.
Es geht doch dabei gar nicht darum, daß man immer gleich reagiert. Lernfähigkeit ist eine Grundeigenschaft biologischer Systeme. Ein Einzeller schwimmt vor einem Schreckstoff weg und das sehr zuverlässig. Wenn man das oft mit ihm macht, setzt eine Gewöhnung ein und er fängt an den Reiz zu ignorieren. Wenn man ihn dann lange genug in Ruhe läßt, reagiert er wieder wie beim ersten Mal. Das ist nicht stur immer das gleiche und doch determiniert. In diesem Fall sogar so, das ich es - wenn ich die Art einzeller gut genug kenne - ausrechnen kann wie er reagiert. Der Mensch tut auch nichts anderes, allerdings mit viel komplexeren Zusammenhängen. Das diese nicht (für das Einzelindividuum) berechenbar sind (wohl aber oft für große Gruppen - sonst könnte niemand Werbung schalten und hoffen das sie was bewirkt) bedeutet nicht, das sie vollkommen "Frei" oder "Chaotisch" ablaufen.

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Wenn Frei bedeutet "frei von Irrationalität", dann ist niemand mit einem funktionierenden menschlichen Hirn frei, denn das funktioniert alles andere als rational.

Das erklärt auch, warum täglich das öffentliche Leben zusammenbricht, sich niemand an Verkehrsregeln hält, man in Fußgängerzonen seines Lebens nicht sicher ist ...
Es erklärt aber, warum Leute trotz besseren Wissens immer mal wieder zu schnell fahren. Es erklärt warum Leute deren Eltern an Lungenkrebs gestorben sind weiter rauchen. Es erklärt, warum Leute Fastfood in sich rein stopfen und es auch noch einen Genuß nennen, obwohl es nur Reize für Süß und Fett extrem ausnutzt, teuer ist und krank macht, es erklärt, warum wir noch aufs Gaspedal treten um mit der Klimaerwärmung gegen die Wand zu fahren, weil wir uns mit der Unsicherheit ob es jetzt 2,3° oder 2,5° wärmer wird einreden können, das wir nichts ändern müssen...

Vollbreit hat geschrieben:Und der wichtigste Punkt: Beschreib doch mal, wie wir unsere Entscheidungen ändern können, wenn wir doch vom/im Hirn determiniert sind?
Du siehst da determiniert... auf einer falschen Ebene. Determiniert kann durchaus sein: Ich spiele gern mit Feuer, also zündel ich rum. Wenn ich mir dabei die Hose anzünde kippe ich Wasser drüber, obwohl ich gerne zündel. Jedes Lebewesen bewertet ständig seine Umgebung und legt Handlungsweisen fest. Die Entscheidung der aktuellen Handlung ist mit großer Wahrscheinlichkeit (ab und an mögen uns da in einzelnen neuronen quanteneffekte einen Streich spielen) festgelegt. Ändert sich unsere Umgebung (oder wir, durch die so eben gemachte Erfahrung), ändert sich auch die Handlung. Du magst als Kind vielleicht deine Hand aus neugier auf die heiße Herplatte tun, du kannst nicht anders. Deine Eltern haben es sogar kommen sehen, aber nicht schnell genug reagiert. Trotzdem bist du nicht determiniert, deine Hand auf der Herplatte zu lassen. Du bewertest neu, ziehst sie zurück und machst es danach wahrscheinlich nie wieder. Das kann man jetzt pädagogisch als "Frei vom Zwang durch die Eltern" oder neurobiologisch als vorhersehbare, durch Situation und Neugier determinierte Handlung sehen.

Die ganze Diskussion ist vollkommen unnötig und fußt darauf aus "mein Gehirn reagiert, bevor es mir bewußt wird" abzuleiten "mein Gehirn macht was es will" und "ich bin unfrei und sklave meines Gehirns", ohne zu sehen das "mein Gehirn ein teil von mir ist" und "was ich mache sich in den Vorgängen in meinem Gehirn widerfindet". Eine irrationale Angst, denn das einzige was wir zu verlieren haben sind ein par angestaubte Philosophische Ideen. Es gibt keinen "Willen außerhalb vom gehirn", nichts das uns von außerhalb Hirnentwicklung, Erfahrung, aktueller Lage und anstehender Entscheidung was "ganz anderes" frei einflüstert. Wenn man das aufgibt und anfängt sich als das zu sehen was man ist: eine komplexe rechenmaschine von der es keine 2. gibt, kann man sich den gesamten Rest, inklusive frei, nicht frei, doch frei sparen!

Vollbreit hat geschrieben:Bitte schreib doch demnächst in irgendwelchen fundamentalistisch religiösen Foren, denn die kommen doch Deiner Einstellung viel näher, wenn Du ernsthaft glaubst, was Du schreibst. Das Problem ist, dass Du nicht ernsthaft glaubst, was Du schreibst.

Nein, ich fürchte das Problem ist, das ich es nicht schaffe, deutlich zu machen, was ich da denke. Dazu kam, das 37 Stunden Arbeiten in einem dunklen Keller in 2 Tagen wohl nicht dazu beigetragen haben, das ich klarer oder freundlicher Formuliere (entschuldigung hierfür).
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