nil80 hat geschrieben:Vielen Dank für die zahlreichen und teils sehr ausführlichen Antworten. Besonders an Nanna! Und vielen Dank auch für den Tipp von mat-in und Nanna, mit einem Button o.ä. meine Ablehnung zu kommunizieren - eine gute Idee, wenn man sich schon Buh-Rufe verkneifen muss. Ich werde das in Erwägung ziehen.
Nur, damit ich sichergehen kann, dass ich mich richtig ausgedrückt habe: Ich sehe in einem Anstecker, ähnlich wie einem Kettchen mit Kreuz oder Davidstern, eine Möglichkeit, die eigene Zugehörigkeit zu einer bestimmten Weltsicht/Community/Denkrichtung auszudrücken, weniger eine Antihaltung zu kommunizieren.
Die ganze Idee der Brights-Bewegung beruht ja auf dem zentralen Gedanken, sich auf die eigene Gedankenwelt zu konzentrieren und vor allem sicherzustellen, dass man damit von der Außenwelt akzeptiert wird. Solange sich diese an die pluralistischen Regeln hält ("Die eigene Freiheit endet da, wo die Freiheit des Anderen beginnt") und keine Attacken auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung unternimmt, ist sie uns "egal" und kann machen, was sie will. Sprich, die Christen sollen beispielsweise ihre Kirchen pflegen, da beten, feiern und ihren Gott anbeten - solange sie keinen neuen Kreuzzug anzetteln oder uns unsere Bürgerrechte absprechen interessieren wir uns für deren Gebaren nicht.
Deshalb würde ich dir auf alle Fälle zu einem dezenten Anstecker raten (also bitte nicht
sowas hier, auch wenn es sicherlich an Unimssverständlichkeit kaum zu überbieten ist). Das Scarlet A ist sicherlich eine sehr gute Idee, das Zeichen des Invisible Pink Unicorn oder das Spaghettimonster gehen auch noch (laufen aber Gefahr, dass sich wegen der satirischen Note angegriffen fühlt), die Brights-Sonne ist natürlich immer eine Option.
nil80 hat geschrieben:Verständnis, im Sinne einer differenzierten und distanzierten Betrachtungsweise, ist zwar nicht zu erwarten...
Ich denke, es ist sehr wichtig, dass klar ist, dass es darum auch nicht gehen kann und sollte. Das Verstehen einer Ansicht ist nicht notwendig, um sie zu akzeptieren. Weder musst du verstehen, was die an dem ganzen Kirchenzeremoniell finden, noch müssen die verstehen, warum du das für hochgradig irrational hältst. Ich würde sie auch nicht um Verständnis für deine Meinung bitten, sondern ausschließlich darum, dass sie respektieren, dass du darüber anders denkst (und nicht warum das so ist!).
nil80 hat geschrieben:Mir geht es, gelöst von meiner Person, um das große Ganze, dem ich mit meiner Anwesenheit schweigend zustimme - ich lauf ja auch nicht bei einer Demo mit, deren Aussage ich nicht unterstütze. Und wenn ich sage, dass ich bei den letzten Christenveranstaltungen denen ich beigewohnt habe innerlich gekocht habe, dann auch nicht 'bloß' meinetwegen, sondern weil dort den Leuten diese angeblichen Wahrheiten suggeriert werden, die das eigene Denken und Empfinden teils lenken, teils unterdrücken und verbieten sollen und mit denen zugleich die Missachtung 'Andersdenkender' einhergeht (ich weiß, das ist jetzt sehr knapp gefasst, aber ich kann das jetzt hier nur kurz anreißen, sonst schreib ich in drei Tagen noch). [...] Gerade gestern abend hatte ich mal wieder eine private Diskussion zu dem Thema in der mir gesagt wurde, dass man es sehr hochachte, dass ich in ethisch-moralischen Fragen so eine klare Linie und Prinzipientreue (nicht zu verwechseln mit Unverbesserlichkeit
nicht nur im Reden sondern auch in meinem Verhalten und meinen Handlungsentscheidungen walten lasse - aber, dass es eben auch manchmal anstrengend ist. Ist es auch, gerade für mich selbst, ich hab ja dauernd Gegenwind... Ich nehme die Dinge nunmal ernst, vielleicht, in Anbetracht der Selbsterschwernis des Lebens, für viele 'zu ernst'.
Wir sind auch in drei Tagen noch da.
Ein paar weiterführende Gedanken, die ich als konstruktive Kritik unter der Prämisse "Moral ist wichtig, Toleranz aber auch" meine:
So ganz mag ich nicht glauben, dass es nicht um dich und deine Befindlichkeiten geht, denn wenn das so wäre, würde das bedeuten, dass du nichts gegenüber dieser ganzen Geschichte empfindest. Und ich glaube, das können wir als widerlegt ansehen. Ich meine das als aber nicht als Vorwurf, sondern nur zur Klärung der eigenen Involviertheit: Man kann schlichtweg nichts losgelöst von den eigenen lebensgeschichtlichen Erfahrungen, Emotionen, Prägungen und Wünschen betrachten, wir sind nunmal (naja, nicht ganz) hoffnungslos subjektive Wesen. Ich glaube dir auch, dass du ehrliche Wut empfindest, weil da
anderen Leuten das Gehirn verdreht wird und nicht dir. Das ist Folge der Empathie, die wir, zumindest die meisten, gegenseitig empfinden. Nichtsdestotrotz solltest du nichts unnötig objektivieren und dich in den Dienst einer "größeren Sache" stellen. Deine Ablehnung von Religion ist sicherlich wohlüberlegt und gut begründet, aber sie ist trotzdem
deine Meinung. Das Streiten für höhere Güter ist lobenswert und ganz sicher nicht falsch, aber es hat den unangenehmen Nebeneffekt, dass es Überzeugungstäter produziert, die Gefahr laufen, mit dem Zweck die Mittel zu heiligen.
Wichtig ist eben trotzdem, dir klarzumachen, dass das freidenkerische Ideal, so gut man es
theoretisch begründen kann, eben nicht auf jedermanns Agenda ganz oben steht und dass es auch innerhalb der Gläubigen rationalistische Strömungen gibt, bei denen dieser Vorwurf nicht mehr so ganz ohne weiteres greift. Diese Leute haben natürlich in einer pluralistischen Gesellschaft auch ein Recht darauf, ihre eigenen Ansichten vertreten und zu tradieren und dass Meinungsfreiheit nunmal auch das Recht auf dumme Meinungen beinhaltet und ebenso das Recht, keine Meinung zu haben oder von Meinungen in Ruhe gelassen zu werden. Ich will hier nicht die christlichen oder allgemein religiöse Ansichten verteidigen, ich halte sie unproduktive, widerlegte theoretische Gebilde, aber ich muss fairerweise zugestehen, dass ich eben nicht das Recht habe, diese Erkenntnis anderen Leuten ungefragt rhretorisch einzuprügeln. Kirchen haben Türen, jeder ist frei, sie zu verlassen und nach dem großen Aderlass an Kirchenmitgliedern sind heutzutage tendentiell eher die Überzeugten übrig, die da in der Mehrheit auch wirklich sein
wollen. Es ist nicht deine Aufgabe, sie zu retten. Vielleicht hilft der Gedanke, um gegenüber all dem Treiben ein wenig Gelassenheit zu entwickeln.
All das dient nicht dazu, dich davon abzubringen, religiösen Ansichten gegenüber Widerspruch zu äußern, aber ich denke, wir sollten alle - sowohl die Religiösen wie auch die Atheisten/Naturalisten - vorsichtig sein mit missionarischen Reflexen. Und gerade wenn man Zorn gegenüber anderen Anschauungen verspürt, läuft man Gefahr, sich Rechtfertigungen dafür zurechtzulegen, anderen seine Meinung aufzudrängen. Ziel aller Anstrengungen sollte aber doch ein friedliches Miteinander sein, oder? Ich persönlich gehe immer so vor, dass ich, wenn ich den Wunsch verspüre, irgendwo zu widersprechen, kurz auf meinen inneren Kompass höre und mich frage, ob die Ansicht, die der andere da äußert, eine Gefahr für das tolerante, friedliche Miteinander ist oder nicht. Wenn keine unmittelbare Gefahr ausgeht, dann ist es manchmal auch sinnvoll, zu akzeptieren, dass andere eine abweichende Meinung haben. In den jüngsten Diskussionen hier kam für ein solches Vorgehen der Begriff "defensive Grenzen setzen" auf, den finde ich ganz passend. Außerdem verschafft ein solches Verhalten einem auch moralisches Kapital: Wenn ich den Anderen akzeptiere, kann ich mit größerem Nachdruck einfordern, dass er mich auch akzeptiert. Vielleicht wäre das eine Möglichkeit, die Taktik zu ändern? Vorzuschlagen, dass man die Andersartigkeit der Meinungen einfach akzeptieren und keine darüberhinausgehenden Erwartungen aneinander haben sollte?
Vielleicht wäre es eine Idee, mit dem Brautpaar eine Art Waffenstillstand zu vereinbaren: Du versuchst nicht, ihnen ihren Glauben abspenstig zu machen und sie versuchen im Gegenzug nicht, in irgendeiner Form Zustimmung für ihre Ansichten oder die kirchliche Trauung/Taufe zu erwarten und üben auch keinen Druck auf dich aus, dass du kommst (was dich nicht daran hindert, es trotzdem zu tun, aber eben nicht im Sinne einer Geste der Unterwerfung unter das religiöse Ritual).
nil80 hat geschrieben:Es gefällt mir daher auch einerseits die Vorstellung einer solchen 'Szene', wie Nanna sie beschrieben hat, mit anderen Atheisten/Agnostikern über die Veranstaltung zu kichern, während man drinsitzt. Andererseits würde es mir selber schwer fallen, weil Leute um einen herumsitzen, denen das Ganze tatsächlich was bedeutet - mit solchen Leuten außerhalb der Veranstaltung darüber zu diskutieren oder zu streiten oder auch, sie offensiv auszulachen, ist eine Sache, sie in ihrer 'heiligen' Veranstaltung zu stören und zu beleidigen ist für mich eine andere - schließlich kann man dem ja auch fernbleiben. Womit ich wieder bei meinem ursprünglichen Problem bin...
Um auch hier richtig verstanden worden zu sein: Wir haben das natürlich nicht aus Berechnung gemacht und wollten sicher niemanden beleidigen; wir sind ja extra hingegangen, um dem Brautpaar eine Freude zu bereiten und das haben wir auch ernst gemeint. Die Zusammensetzung ergab sich in unserer Ecke der Kirche einfach eher zufällig. Meine Freundin und ich unterhielten uns vor Beginn mit einigen Banknachbarn, Verwandten des Bräutigams, den wir bis dahin nicht kannten. Es stellte sich heraus, dass die alle mit Religion nicht viel am Hut hatten, fast noch nie in der Kirche gewesen waren, deshalb auch vom Zeremoniell keine Ahnung hatten und das ganze Treiben mit interessierter Amüsiertheit betrachteten. Die Stimmung war deshalb in unserem Teil der Kirche schon recht früh ziemlich heiter, weil alle sich einig waren, dass diese Aktion irgendwie eine leicht komische Note hatte und das wurde natürlich im Laufe des Gottesdienstes nicht unbedingt besser. Ich glaube, das Brautpaar hat aber nichts mitgekriegt, wir waren weit genug weg.