mat-in hat geschrieben:Es ist eine erstaunliche Leistung, ja. Aber wundern tut es mich nicht. Wie einer meiner Dozenten zu sagen pflegte: "Wenn sie erst waren,bis das Raubtier da ist und sie die Zähne sehen können, dann wird es dunkel - und dann sind sie ausgestorben". Wir vollbringen jeden Tag solche Leistungen und sind damit als Mensch nicht allein: wenn jemand mit einem Ball ausholt fängt der Hund an, zu berechnen, wo der gleich hin fliegt. Je nach Charakter rennen Hunde sogar auf Abfangkurs los, bevor du geworfen, bzw. den Ball losgelassen hast.
Klar gibt es Antizipation, Intuition, aber damit willst Du mir jetzt nicht verkaufen, dass man sich für eines von zwei Bildern entscheiden kann, von denen man noch keines gesehen hat, oder?
mat-in hat geschrieben:Der Mensch tut auch nichts anderes, allerdings mit viel komplexeren Zusammenhängen. Das diese nicht (für das Einzelindividuum) berechenbar sind (wohl aber oft für große Gruppen - sonst könnte niemand Werbung schalten und hoffen das sie was bewirkt) bedeutet nicht, das sie vollkommen "Frei" oder "Chaotisch" ablaufen.
Das behauptet ja auch niemand. Also inkompatibilsitische Libertarier die tun das, aber das sind Exemplare die es in freier Wildbahn nicht gibt.
Und Kompatibilisten sagen freier Wille bedeute nicht, dass alles chaotisch sein muss, sondern behaupten, dass Freiheit und Determinismus sich nicht in die Quere kommen.
mat-in hat geschrieben:Es erklärt aber, warum Leute trotz besseren Wissens immer mal wieder zu schnell fahren. Es erklärt warum Leute deren Eltern an Lungenkrebs gestorben sind weiter rauchen. Es erklärt, warum Leute Fastfood in sich rein stopfen und es auch noch einen Genuß nennen, obwohl es nur Reize für Süß und Fett extrem ausnutzt, teuer ist und krank macht, es erklärt, warum wir noch aufs Gaspedal treten um mit der Klimaerwärmung gegen die Wand zu fahren, weil wir uns mit der Unsicherheit ob es jetzt 2,3° oder 2,5° wärmer wird einreden können, das wir nichts ändern müssen...
Völlig d’accord. Meine Haltung ist überhaupt nicht, dass der Mensch ein durch und durch rationales Wesen, ist, dass, wenn es einmal ein Argument gehört und verstanden hat, sich sogleich dran hält.
Nichts weniger als das.
In der Philosophie, heißt das übrigens „Akrasia“, Willensschwäche. Das ist doch schon vielsagend.
Es handelt sich allerdings außerdem hier noch um eine recht rationale Rechnung, pure Ignoranz und Dummheit (sowei Mischungen). Rational könnte man zum Rauchen sagen: Die weitaus meisten Raucher sterben nicht an Lungenkrebs, was stimmt, es gibt Leute wie Helmut Schmidt, die gibt es und dann kann man immer noch das Lebensqualität Argument einführen. Warum mir alles verbeißen, nur um am Ende ein par Jahre länger zu leben? Man kann so denken, falsch ist das nicht, man setzt lediglich andere Prämissen. Bei diesem Argument kann man irgendwann den Verdacht haben, dass es zur schleichenden Legitimation für eine eigene Sucht wird und man sich evtl. was vormacht. Auch muss die berühmte Lebensqualität nicht im Tabak gefunden werden, man könnte lesen, joggen, Sex haben oder spazieren gehen.
Welche Prämissen der Einzelne aber hat, liegt bei ihm, die kann man nicht verordnen. (wenn man es könnte, wäre es totalitärer Zwang.)
Nur, bei aller Irrationalität, die oft genug wohl eher Bequemlichkeit, Verdrängung usw. ist, ich kenne keinen Raucher, der meint, Zigaretten seien gesund, man könnte sagen, ich weiß, dass es richtig wäre, schaffe es aber nicht. Dann steht man unter einer Art von Zwang.
Kompatibilisten sagen, dass der Zwang die Freiheit beschneidet.
mat-in hat geschrieben:Du siehst da determiniert... auf einer falschen Ebene. Determiniert kann durchaus sein: Ich spiele gern mit Feuer, also zündel ich rum. Wenn ich mir dabei die Hose anzünde kippe ich Wasser drüber, obwohl ich gerne zündel. Jedes Lebewesen bewertet ständig seine Umgebung und legt Handlungsweisen fest.Vollbreit hat geschrieben:Und der wichtigste Punkt: Beschreib doch mal, wie wir unsere Entscheidungen ändern können, wenn wir doch vom/im Hirn determiniert sind?
Richtig, genau das sagen die Kompatibilisten.
Wenn Du das auch meinst, besteht hier kein Dissens.
mat-in hat geschrieben:Die Entscheidung der aktuellen Handlung ist mit großer Wahrscheinlichkeit (ab und an mögen uns da in einzelnen neuronen quanteneffekte einen Streich spielen) festgelegt.
Im kompatibilistischen Experiment brauchst Du gar nicht so vorsichtig zu sein, da ist die Handlung auf jeden Fall festgelegt.
mat-in hat geschrieben: Ändert sich unsere Umgebung (oder wir, durch die so eben gemachte Erfahrung), ändert sich auch die Handlung.
Exakt. Und warum? Weil sich die Bewertung ändert, nicht wahr?
Genau das sagen die Kompatibilisten. Andere Situationen oder neue Fakten erfordern eine neue Abwägung oder Bewertung. Nicht jeder kleinste Pups, aber wenn das Hotel in dem man Sommerurlaub machen will abgefackelt ist, wäre man ein Idiot, wenn man dennoch dahin fährt, nachdem man davon erfahren hat.
Auch hier kein Dissens mit den Kompatibilisten.
mat-in hat geschrieben:Du magst als Kind vielleicht deine Hand aus neugier auf die heiße Herplatte tun, du kannst nicht anders. Deine Eltern haben es sogar kommen sehen, aber nicht schnell genug reagiert. Trotzdem bist du nicht determiniert, deine Hand auf der Herplatte zu lassen.
Nein, wieso auch, behauptet doch niemand?
mat-in hat geschrieben: Du bewertest neu, ziehst sie zurück und machst es danach wahrscheinlich nie wieder.
Genau und entweder Du bist nur konditioniert, dann meidest Du phobisch den Ort des Schmerzes, oder Du kannst schon denken und sprechen und dann hast Du beim nächsten Mal gute Gründe.
„An dem Ding habe ich mir schon mal saumäßig die Flossen verbrannt, da bin ich lieber vorsichtig“ und wirst aus freien Stücken und wohlbegründet, aufgrund der Erfahrung zukünftig anders mit Herdplatten umgehen.
Genau diese Freiheit haben wir, meinen die Kompatibilisten, Du offenbar auch.
mat-in hat geschrieben:Das kann man jetzt pädagogisch als "Frei vom Zwang durch die Eltern" oder neurobiologisch als vorhersehbare, durch Situation und Neugier determinierte Handlung sehen.
Ja, es ist konditioniert oder bewusst gelernt, oft geht beides ineinander über.
mat-in hat geschrieben:Die ganze Diskussion ist vollkommen unnötig und fußt darauf aus "mein Gehirn reagiert, bevor es mir bewußt wird" abzuleiten "mein Gehirn macht was es will" und "ich bin unfrei und sklave meines Gehirns", ohne zu sehen das "mein Gehirn ein teil von mir ist" und "was ich mache sich in den Vorgängen in meinem Gehirn widerfindet". Eine irrationale Angst, denn das einzige was wir zu verlieren haben sind ein par angestaubte Philosophische Ideen.
Kein Kompatibilist der Welt argumentiert so.
Du unterstellst die Argumente der harten Deterministen, das sind Inkompatibilisten, hier den Kompatibilisten.
Diese fröhliche Wechselwirkung zwischem mir und meinem Gehirn, ist eigentlich schon ein Dualismus, muss hier aber gar nicht näher beachtet werden, weil das mit dem Kompatibilismus rein gar nichts zu tun hat.
mat-in hat geschrieben:Es gibt keinen "Willen außerhalb vom gehirn", nichts das uns von außerhalb Hirnentwicklung, Erfahrung, aktueller Lage und anstehender Entscheidung was "ganz anderes" frei einflüstert.
Und? Gibt es den freien Willen innerhalb des Hirns?
Was Du nun den Kompatibilisten unterstellst, ist die Position der Libertarier, das sind ebenfalls Inkompatibilisten.
Da es vermutlich noch nie gesagt wurde :
Kompatibilisten vertreten die Auffassung, dass zwischen dem Determinismus und der Freiheit des Willens keine Grenze des logischen Widerspruchs verläuft, beide also kompatibel sind, daher kommt der Name Kompatibilismus.
Inkompatibilisten vertreten die Auffassung, dass zwischen dem Determinismus und der Freiheit des Willens eine Grenze des logischen Widerspruchs verläuft, beide also inkompatibel sind, daher kommt der Name Inkompatibilismus.
Bei den Inkompatibilisten, gibt es zwei Lager: 1) die harten Deterministen, die davon ausgehen, dass unsere neuronalen Verschaltungen uns festlegen und wir deshalb nicht frei sein können. (Warum wir deshalb nicht frei sein können, bleibt aber irgendwie offen.)
2) die Libertarier, die davon ausgehen, dass der Mensch in der Lage ist, vollkommen unabhängig von äußeren Einflüssen, sich frei zu entscheiden. (Mir ist allerdings unklar, wie man unabhängig von irgendwelchen Einflüssen, überhaupt wählen und entscheiden können kann.)
mat-in hat geschrieben: Wenn man das aufgibt und anfängt sich als das zu sehen was man ist: eine komplexe rechenmaschine von der es keine 2. gibt, kann man sich den gesamten Rest, inklusive frei, nicht frei, doch frei sparen!
Es ist zweifellos richtig, dass, wenn man willkürliche Behauptungen unwidersprochen akzeptiert, diese willkürlichen Behauptungen für einen selbst gelten. Wenn ich glaube, dass die Erde eine Scheibe ist, dann ist es wahr, dass ich glaube, dass die Erde eine Scheibe ist.
Aber was hattest Du noch mal gegen Religion einzuwenden?
Wäre halt nur ob zu klären, ob die Erde eine Scheibe ist.
Analog: Wenn ich davon ausgehe – also voraussetze –, dass der Mensch eine Rechenmaschine ist und anhand dieser Prämisse nun die Welt beschreibe, um am Ende rauszufinden, dass der Mensch in dieser Beschreibung eine Rechenmaschine ist, dann ist hier zwar alles richtig, nur die Prämisse wurde nicht hinterfragt.
Wenn ich davon ausgehe, dass die Klimaerwärmung eine Strafe Gottes ist, dann wird die Klimaerwärmung zum logischen Beweis für Gottes Existenz. Jo.
mat-in hat geschrieben:Nein, ich fürchte das Problem ist, das ich es nicht schaffe, deutlich zu machen, was ich da denke. Dazu kam, das 37 Stunden Arbeiten in einem dunklen Keller in 2 Tagen wohl nicht dazu beigetragen haben, das ich klarer oder freundlicher Formuliere (entschuldigung hierfür).
Angenommen, und kein Problem, ich meinte es selbst nicht böse, sondern will Dir nur verdeutlichen, dass die Argumente gegen die Kompatibilisten, die Du vorbringst keine gegen die Kompatibilisten sind und Du selbst streckenweise kompatibilistisch argumentierst. Und das ist kein Makel, ich halte diese Position ja für richtig, also auch Deine Argumente an der Stelle.
Dort wo Du richtig argumentierst, tust Du das aus einer kompatibilistischen Haltung (das mag Dir nicht immer bewusst sein, darum sage ich es) und dort wo Du gegen den Kompatibilismus argumentieren willst, greifst Du vor allem die Inkompatibilisten an, mal die einen, mal die anderen.
Schau es Dir einfach noch mal in Ruhe an, die Kompatibilisten sind auch keine Sekte oder so, sie vertreten einfach nur die bessere, weil konsistentere philosophische Position. Soviel Nüchternheit muss dann am Ende schon drin sein, sage ich, der sich mit Händen und Füßen gewehrt hat.