Lumen hat geschrieben:Die Welt ist aber nicht schwarz/weiß. Wenn es keine Erziehung gibt, wird aus dem Nachwuchs trotzdem kein Mörder und Dieb. Noch weniger gibt es Anzeichen dafür, dass für die Erziehung eine Gottheit nötig ist. Nach allem was wir wissen, reicht eine Erziehung, die auch atheistisch sein kann (also nicht-theistisch). Die meisten Erziehungsmodelle dieser Tage sind atheistisch.
Stimme ich nur bedingt mit überein. Zunächst einmal gibt es meines Wissens keinen sozialen Menschen, der nicht die eine oder andere Erziehung genossen hätte. Die Literatur kennt die Beispiele sog. "Wolfskinder", die im vorletzten und letzen Jahrhundert in Indien ausgesetzt worden waren. Jedoch wurden diese Kinder nicht alt und starben bald. Wir wissen also nicht, was aus diesen grausamen, unfreiwillgen "Experimenten" geworden wäre. Wir wissen aber davon, daß nahezu alle psychisch auffälligen Personen aus problematischen Elternhäusern stammen bzw. in Heimen untergebracht waren (ja, auch in kirchlichen Heimen).
Erziehung ist also ganz wesentlich, damit ein Mensch überlebt und nicht zum psychischen Krüppel wird. Aber "Erziehung" klingt immer ein bisschen steif. Viel wichtiger noch als Erziehung ist das Wohlwollen, das man den Kindern entgegenbringt.
Selbstverständlich muss man nicht an Gott glauben, um Kindern Wohlwollen entgegenzubringen. Auch muss einer noch nie in der oder in einer Kirche gewesen sein, um das zu vermitteln, was in seinen Augen Wert ist. Das Bild, welches er vom anderen Menschen und von sich selbst hat, ist hier entscheidend. Statt Bild könnte man vielleicht auch "Persönlichkeitsbegriff" sagen. Also: wer bin ich? Nicht ob ich bin ist hier die Frage, sondern wer?
Ich erlebe mich zunächst als Mensch mit eigenem Antrieb oder eigenem Willen. Ich habe eine persönliche Geschichte, die sonst keiner mit mir teilt. Auch diese Erinnerungen machen mit zu dem was ich jetzt bin. Manches könnte zwar besser gelaufen sein, aber grundsätzlich stehe ich mir wohlwollend gegenüber. Wer bin ich nun? Bin ich nur einer, der jetzt gerne bei den Brights im Forum schreibt? Oder bin ich identisch mit meinen Erinnerungen? Oder bin ich einfach nur einer, der sich ok findet, der sich mag?
Auch wenn man es an der Oberfläche kaum noch wahrnimmt, so hat doch unsere Vorstellung darüber, was eine "Person" eigentlich ist oder sein soll, ganz entscheidende Impulse aus der christlichen Trinitätslehre genommen: Gedächtnis, Wille, Liebe und wie sie im Personenbegriff zusammenwirken. Denn die Idee der Trinität ist ja, daß sich Gedächtnis, Wille und Liebe gegenseitig bedingen. Ein Wille, der sich nicht aus den Erinnerungen eines bestimmten Menschen speisen würde, wäre niemandes Willen. Meine Erinnerungen wären nicht die meinen, wenn mein Wille nicht wäre und meine Liebe zu mir selbst und zum Nächsten. Ohne mich als Mensch zu akzeptieren (zu lieben!) habe ich keinen eigenen Willen und kein eigenes Gedächtnis, ohne eigenes Gedächtnis keinen eigenen Willen. Kann ich mich wirklich grundsätzlich lieben und mir zufriedensein, wenn ich meinen Nächsten grundsätzlich nicht wohlwollend bin?
Der Atheismus in seiner westlichen Form ist durchtränkt von christlichem Gedankengut. A-theismus, das sagt schon der Name, ist eine Spielart des Theismus. Die Negation, die sich darin ausspricht, kann sich nur auf etwas konkretes, schon vorhandenes beziehen. Oder aber man übernimmt und wandelt Konzepte aus der christlichen Tradition ab. So ist alles am Atheismus entweder ein "Nein" (und damit doch wieder ein Ja) oder "alter Wein in neuen Schläuchen".