Wozu dient der Gottesbegriff?

Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon ujmp » Mo 18. Jun 2012, 21:28

Nanna hat geschrieben:Dazu ein kurzer assoziativer Gedanke: Ich nehme an, dass die Erfindung der Transzendenz ein notwendiger Schritt in diese Erkenntnisrichtung war. Indem das vermeintlich Intentionale, jedoch mangels offensichtlichem Urheber nicht Erklärbare, in die Sphäre des Transzendenten ausgelagert wurde, wurde erst die Möglichkeit geschaffen, die Natur von übernatürlichen Hypothesen zu befreien und in einem zweiten Schritt den "Container" des Transzendenten als Gesamtpaket in Frage zu stellen, weil er als Erklärung der Mechanismen der Natur immer weniger notwendig wurde. Also, erst wird geordnet in Immanenz und Transzendenz, sozusagen die Spreu vom Weizen getrennt, und anschließend, aber eben erst dann, ist das Negieren transzendenter Ideen möglich.

Mhm... mir scheint "Erklärbarkeit" nicht der ausschlaggebende Punkt zu sein. Mit den Launen einer übernatürlichen Macht kann man ja alles ganz prima erklären: Warum gewittert es? - Der Herr ist grad unpässlich... Was heute als der Wert einer Theorie angesehen wird ist ihre Vorhersagekraft. Ich frage mich, wie man auf den Dreh gekommen ist, "Naturgesetzte" anzunehmen.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon ujmp » Mo 18. Jun 2012, 21:55

stine hat geschrieben:Und schon überhaupt ist das Erfinden einer Gottheit keine Evolution mehr, sondern das war bereits eine Denksportaufgabe der Menschen und ab hier muss es tatsächlich einen Sinn und Zweck gegeben haben. Außer dem Lachsack ist seit Menschengedenken jede Erfindung einem Zweck dienlich.

Na ja, es scheint aber eher so, als ob "Gott" das Naheliegenste war, weil der Mensch sich selbst als wollende Person erlebt und erstmal kein Anlass zum Zweifel, dass alles um ihn herum nicht auch Person wäre. Der Denksport war dann eher die Kritik an diesen Vorstellungen. Die Theologie hat es irgendwie geschafft, sich den Anschein einer Wissenschaft zu verschaffen - ok, einen Gott heute zu rechtfertigen ist in der Tat ein Sport! Es gibt doch überhaupt keinen äußeren Anlass, einen Gott anzunehmen. Man setzt ihn von innen her voraus.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon ujmp » Mo 18. Jun 2012, 22:21

Vollbreit hat geschrieben:
Das Problem ist, dass die Natur ja antwortet, nur nicht in der Sprache des Menschen, die ja damals auch noch eine andere war, durchtränkt vom Mythos.

Nein, die Natur antwortet ausschließlich in der Sprache des Menschen. Sie sagt aber immer nur Ja oder Nein zu unseren eignen Hypothesen. Die Natur erklärt ja nichts, der Mensch erklärt, und dann beobachtet er - zumindest die Klügeren - ob seine Erklärungen stimmen. Man sollte ein bissel aufpassen, dass einem die schönen Metaphern von der "sprechenden Natur" nicht den Kopf vernebeln. Man konstruiert sich so einen Mensch-Natur-Dualismus, den es nicht gibt und der deshalb auch kein Problem darstellt. Die Frage ist einfach immer: Verhalten sich die Dinge so, wie ich es erwarte? Und wenn nicht, habe ich mich schlicht geirrt - und nicht etwa ein Mysterium entdeckt.


Vollbreit hat geschrieben:
Vielleicht müssen wir wirklich an die Stelle der ersten Projektion und versuchen zu spüren, wie man da empfunden hat. Ich habe mal im Radio dazu gehört, dass die ersten Höhlenmalereien mit hoher Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang mit religiösen Kulten standen, bei denen es um eine theaterähnliche Inszenierung ging, in der getanzt und gesungen wurde.

Das kann man begründet bezweifeln. Sie können auch einfach Spaß am Saufen oder an der Kunst gehabt haben. Die Malereien sind schlicht Ausdruck ihrer Wünsche.

Vollbreit hat geschrieben:
Könnte also sein, dass das religiöse Denken eine Art Urdenken oder Urbedürfnis ist, .

Na, das hört sich aber nach der Wunschvorstellung eines Theologen an! Sagen wir mal weniger voreilig: Es befriedigt evtl Bedürfnisse...


Vollbreit hat geschrieben: Vielleicht nur Kommunikation, als Sicherheit, als Lust?

... das eher.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon ujmp » Mo 18. Jun 2012, 22:31

Lumen hat geschrieben:Umgekehrt würde ich sagen. Die Religion will hier eine wesentliche Eigenschaft des Menschen einschränken: die des Zweifelns und Abwägens. Personifiziert auch als Schlange und Teufel, als Zweifler und Lästerer. Dazu die Frucht vom "Baum der Erkenntnis". Diese Elemente deuten auf eine erkenntnis- und zweifelsferne Ideologie hin, die stattdessen sehr eindeutig und eindringlich blinden Gehorsam und Autoritätshörigkeit propagiert (Abraham, der bereit ist seinen Sohn zu töten, bei Nichtgehorsam zur Salzsäule erstarren, auf Zuruf Kanaaniter meucheln kommt ja dann auch danach).

Ich hab die Bibel mehrmals gelesen und die Passagen, die du erwähnst bestimmt Dutzende Male. Ich würde die Bibel nicht zu Lesen empfehlen, aber deine Darstellung scheint mir eine recht selektive Wahrnehmung zu sein. Wenn man sie nüchtern als Werk ihrer Zeit neben andere Werke ihrer Zeit hält, kommt sie bestimmt nicht ganz schlecht weg. Sie enthält sehr viele menschliche Passagen.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Lumen » Di 19. Jun 2012, 00:04

Sollte ich die Aufforderung zum Zweifeln, Gehorsam missachten, Hinterfragen und Kritisieren (des Glaubens, oder der Autoritäten) wirklich einseitig überlesen haben, ist es sicher kein Problem, entsprechende Stellen kurz zu nennen (grob in welchem Zusammenhang reichte mir aus). Ich glaube nämlich nicht, dass ich eine selektive Wahrnehmung dazu habe. Ob die Bibel besser oder schlechter abschneidet, gemessen an der Zeit in der verfasst wurde, kann ich nicht sagen. Interessiert mich auch nicht, da ich mich weder von Ilias-Anhängern bedroht sehe, noch jemand platonische Werte anpreist. Davon abgesehen verbreiten sich Religion nicht unähnlich wie Kinderreime, Witze oder Gepflogenheiten. Sie haben konkrete Merkmale, die ihre Verbreitung befördern. Nicht von ungefähr gehört Missionieren und andere Eigenschaften zur DNA einer guten Religion dazu. Ebenso gibt es natürlich Funktionen, die dafür sorgen, dass ein Träger bei der Religion bleibt, sei es durch fortwährende Erinnerung daran (Koscher-Regeln, 5 mal beten müssen usw.) oder eben indem der Zweifel mit Strafe und Drohung belegt wird. Letztes ist offensichtlich die Funktion des Teufels. Mir fallen noch diverse andere "phänotypische" Eigenschaften ein, die man als "Design" Element mit konkreter Funktion sehen kann. Wo Tiere Klauen, Zähne und Flügel haben, haben Religionen ebenfalls bestimmte Merkmale die ihr überleben sichern. Der Selektor für Religion ist der Mensch und seine Psyche. Religionen die zum Beispiel zu gegenständlich oder deren zentrale Behauptung einfach falsifizierbar waren, sind vor Jahrhunderten verschwunden.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Vollbreit » Di 19. Jun 2012, 06:58

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
Das Problem ist, dass die Natur ja antwortet, nur nicht in der Sprache des Menschen, die ja damals auch noch eine andere war, durchtränkt vom Mythos.

Nein, die Natur antwortet ausschließlich in der Sprache des Menschen. Sie sagt aber immer nur Ja oder Nein zu unseren eignen Hypothesen.


Gut, so betrachtet antwortet natürlich alles in der Sprache des Menschen, bzw., alles was wir wahrnehmen können. Die Frage ist, ob sich die Hypothese aufrecht erhalten lässt, es gäbe eine Intelligenz oder ein Bewusstsein, außerhalb dessen, was ich als mein Bewusstsein direkt erlebe (ohne freilich zunächst einen Begriff dafür zu haben).

ujmp hat geschrieben:Die Natur erklärt ja nichts, der Mensch erklärt, und dann beobachtet er - zumindest die Klügeren - ob seine Erklärungen stimmen. Man sollte ein bissel aufpassen, dass einem die schönen Metaphern von der "sprechenden Natur" nicht den Kopf vernebeln. Man konstruiert sich so einen Mensch-Natur-Dualismus, den es nicht gibt und der deshalb auch kein Problem darstellt.


Man muss mit allen Metaphern aufpassen, es geht immer nur um die Art der Betrachtung.
Wir kommen als naive Realisten ausgezeichnet durchs Leben und das gleiche gilt auch für alle Arten des Dualismus. Warum sollte meine Seele nachts nicht auf Reisen gehen? Warum sollten hinter den Wolken nicht die Engel warten? Stört mich doch im Alltag nicht. Es gibt ja auch keine Farben, viele Vorstellungen von Kausalität laufen ins Leere.

ujmp hat geschrieben:Die Frage ist einfach immer: Verhalten sich die Dinge so, wie ich es erwarte? Und wenn nicht, habe ich mich schlicht geirrt - und nicht etwa ein Mysterium entdeckt.


Ach, was wäre es schön (oder, vermutlich auch nicht), wenn die Welt so herrlich einfach wäre und auch nur ein einziger Mensch nach diesem Modus leben würde. Statt dessen, leben wir alle in einem konstanten Gewirr aus Spekulationen über das was Morgen sein wird und Gestern war, über Beziehungen, wie andere uns wohl sehen und so weiter.

Ein großer Teil dieses Hypothesenüberprüfungsmodus hat sich längst zu sozialen Praktiken verdichtet, die auch so etwas wie wahre Erkenntnisse in die gegenwärtigen Formen des Zeitgeistes gießt.

ujmp hat geschrieben:Das kann man begründet bezweifeln. Sie können auch einfach Spaß am Saufen oder an der Kunst gehabt haben. Die Malereien sind schlicht Ausdruck ihrer Wünsche.


Inwiefern widersprechen denn diese Vorstellungen der Annahme, es habe sich um religiöse Kulte gehandelt?

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
Könnte also sein, dass das religiöse Denken eine Art Urdenken oder Urbedürfnis ist, .

Na, das hört sich aber nach der Wunschvorstellung eines Theologen an! Sagen wir mal weniger voreilig: Es befriedigt evtl Bedürfnisse...


Wie meinst Du, ist der Glaube an Gott oder Transzendenz in die Welt gekommen?
Er ist ja nun mal da und das nicht erst seit gestern.
Wieso glaubst Du, kann sich der „Fehler“ so hartnäckig halten?
Wir benutzen heute keinen Faustkeil mehr, weite Teile der Welt sind von Nahrungsmittelknappheit verschont, also. Religion gibt es immer noch.

Noch vor wenigen Tagen hat mir eine ältere katholische Koreanerin mit leuchten Augen erzählt, wie die Exerzitien und die Beichte bei ihr wirken. Sie hatte lange mit ihrem Glauben gerungen und eines Tages machte sie bei einem großen Ritual mit, bei der sie auf der Rückfahrt im Zug fünf Stunden lang geweint hat (wohl aus Ergriffenheit) und sich etwas in ihr verändert hat. Sie erzählte mir glaubhaft, dass die Beichte seit dem jedes Mal wie eine Befreiung ist und die förmlich spürt, wie sie ihre Sorgen loslassen kann und sie mit Gott oder dem heiligen Geist verbunden ist. D.h. ihre Hypothesen werden andauernd bestätigt, die Frau steht mitten im Leben, hat einen verantwortungsvollen Beruf, einen Mann und (min.) 2 Kinder, wirkt im besten Sinne vollkommen normal, warum sollte sie eine andere Perspektive einnehmen?
Zuletzt geändert von Vollbreit am Di 19. Jun 2012, 07:08, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon stine » Di 19. Jun 2012, 07:06

Lumen hat geschrieben:Religionen die zum Beispiel zu gegenständlich oder deren zentrale Behauptung einfach falsifizierbar waren, sind vor Jahrhunderten verschwunden.
Welche wären das gewesen?
Ich denke nämlich im Gegenteil, dass sie gerade eine Renaissance erfahren in Form buddhistischer Einflüsse und chinesischer Heilskunde.

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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Darth Nefarius » Di 19. Jun 2012, 12:40

Lumen hat geschrieben:Umgekehrt würde ich sagen. Die Religion will hier eine wesentliche Eigenschaft des Menschen einschränken: die des Zweifelns und Abwägens. Personifiziert auch als Schlange und Teufel, als Zweifler und Lästerer. Dazu die Frucht vom "Baum der Erkenntnis". Diese Elemente deuten auf eine erkenntnis- und zweifelsferne Ideologie hin, die stattdessen sehr eindeutig und eindringlich blinden Gehorsam und Autoritätshörigkeit propagiert (Abraham, der bereit ist seinen Sohn zu töten, bei Nichtgehorsam zur Salzsäule erstarren, auf Zuruf Kanaaniter meucheln kommt ja dann auch danach).

Habe ich auch so gesagt, schön, dass nicht nur ich das so sehe.
Vollbreit hat geschrieben:Ich würde da ujmp durchaus zustimmen, es gibt ja nicht nur im Christentum das Motiv, dass Gott den Betrug oder Grenzübertritt nicht unmöglich macht. Auch Prometheus, der den Götter das Feuer (das Licht der Erkenntnis) raubte, wurde ja zum Gründer des Geschlechts der sterblichen Menschen.

Darum geht es gar nicht, das ist nur ein Test des Gehorsams gewesen, Betrug oder Grenzübertritt ist ja nicht gewollt. Prometheus Ungehorsam wurde auch bestraft. Wieso sollte bitte dieser Ungehorsam als etwas guten von Religionen bewertet werden, wo doch immer Ungehorsam bestraft und Gehorsam auch mal belohnt wird?
ujmp hat geschrieben:Ich frage mich, wie man auf den Dreh gekommen ist, "Naturgesetzte" anzunehmen.

Du verkomplizierst den Gedankengang von Menschen. Das Denken beschäftigt sich oft mit Antizipation, diese erfordert die Annahme, dass die Welt gleichförmig ist. Nur in einer gleichförmigen Welt kann man Vorhersagen treffen. Z.Bsp.: Wenn man auf Mammutjagd gehen wollte, musste man wissen, wann sie wo sind. Irgendwann hat man bemerkt, dass sie in zyklischen Zeitperioden an der selben Stelle entlanggelaufen sind. Das hat man genutzt. So ist es auch mit anderen Dingen: Zunächst wird beobachtet, dann wird angenommen, dass es sich um einen proportionalen oder zyklischen Prozess handelt und macht Vorhersagen. Naturgesetze sind letztlich auch nur solche in abstrahierter Form.
ujmp hat geschrieben:Die Theologie hat es irgendwie geschafft, sich den Anschein einer Wissenschaft zu verschaffen - ok, einen Gott heute zu rechtfertigen ist in der Tat ein Sport! Es gibt doch überhaupt keinen äußeren Anlass, einen Gott anzunehmen. Man setzt ihn von innen her voraus.

Das hat sie nicht, sie ist nur einfacher als die Wissenschaft. Nicht jeder Mensch hat die Fähigkeit, logisch zu denken und Widersprüche oder Unsinn zu erkennen. Manch andere sehen wiederum Widersprüche, wo es keine gibt, weil ihnen ebenso diese Fähigkeit fehlt. Und wie schon erwähnt, hilft uns hier das Modell der Kondtionierung: Sobald eine Assoziation gefestigt ist, werden die Reaktionen eher durch unregelmäßige, willkürliche Antworten auf die Handlungen begünstigt als durch regelmäßige. Anders formuliert: Sobald ein Gläubiger die fixe Idee eines Gottes hat, wird er häufiger beten, je unregelmäßiger Ereignisse eintreten, die er als göttliche Aktionen deuten kann.
ujmp hat geschrieben:Sie können auch einfach Spaß am Saufen oder an der Kunst gehabt haben. Die Malereien sind schlicht Ausdruck ihrer Wünsche.

Religion ist auch nur Ausdruck von Wünschen, eine Projektionsfläche für die Erfüllung von Gerechtigkeit, Unsterblichkeit, Sinn. Dummerweise setzt bei manchen der Verstand bei dieser Vorstellung aus und prüft nicht die Erfüllbarkeit oder Möglichkeit dieser Wünsche.
ujmp hat geschrieben:Wenn man sie nüchtern als Werk ihrer Zeit neben andere Werke ihrer Zeit hält, kommt sie bestimmt nicht ganz schlecht weg. Sie enthält sehr viele menschliche Passagen.

Du musst aber die Bedeutung und den Anspruch, dieses Machwerks mit denen anderer gleichaltriger vergleichen. Nur bei diesem wird ein zeitgemäßer, moralischer Anspruch hineininterpretiert. Ein uraltes, grausames Werk, das in großen Teilen aus babylonischen und altgriechischen Texten abgeschrieben wurde, wird noch heute als zeitgemäßbetrachtet, empfindest du das nicht als Schande?
Als Historiker mit großer Distanz kann man die Bibel durchaus so bewerten, leider hat sie aber immer noch Einfluss auf unser Leben und viele unserer Mitmenschen. Wir müssen nach unseren heutigen Ansprüchen gehen, wenn wir die Aktualität prüfen wollen. Die Bibel ist nicht mehr aktuell.
Lumen hat geschrieben:Religionen die zum Beispiel zu gegenständlich oder deren zentrale Behauptung einfach falsifizierbar waren, sind vor Jahrhunderten verschwunden.

Äh, nein. Religionen verschwinden nur mit einem Volk, sie werden meistens geschluckt. Auch die aktuellen Religionen sind sehr gegenständlich, jede hat ihre Reliquien, iher materiellen Fixpunkte. Auch zentrale Behauptungen wurden schon im Mittelalter widerlegt (Geozentrismus), trotzdem steht das Christentum und andere noch.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon stine » Di 19. Jun 2012, 12:56

Ich möchte die Eingangsfrage: "Wozu dient der Gottesbegriff?" nochmal ganz anders erklären.
Der Gottesbegriff dient mE dazu, diese Welt für uns Menschen als Übergang zu betrachten. Diese Welt ist ein Stück unseres Seins. Sie macht sozusagen den irdisch gewordenen Zustand unseres Seins erst möglich.
Sich bewusst zu werden, dass das Leben endlich ist, war mit Sicherheit ein großer Aspekt, sich überhaupt religiös zu verhalten. Nicht wissen woher man kommt und nicht wissen wohin man geht, kann zutiefst denkende Menschen durchaus verunsichern.
Der Gottesbegriff ist und bleibt die Ahnung all dessen und gerade drum, wird er uns noch lange begleiten.

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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Lumen » Di 19. Jun 2012, 14:57

Darth Nefarius hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben:Religionen die zum Beispiel zu gegenständlich oder deren zentrale Behauptung einfach falsifizierbar waren, sind vor Jahrhunderten verschwunden.

Äh, nein. Religionen verschwinden nur mit einem Volk, sie werden meistens geschluckt. Auch die aktuellen Religionen sind sehr gegenständlich, jede hat ihre Reliquien, iher materiellen Fixpunkte. Auch zentrale Behauptungen wurden schon im Mittelalter widerlegt (Geozentrismus), trotzdem steht das Christentum und andere noch.


Nix, "Äh, nein". Es gibt verschiedene Geschichten, die Anektodenhaft davon berichten, siehe Elija als Bibelgeschichte oder Bonifatius bei den Germanen. Der Christengott ist eben nicht falsifizierbar, aber ein Gott der angeblich auf Kommando jemanden mit Blitzen erschlägt, das Wetter direkt beeinflussen kann usw. ist es. Die Christen haben dafür ja die mysteriöse Pfade. Ein anderes Beispiel ist die Irminsul, die Säule die angeblich den Himmel abstütze. Nachdem diese gefällt wurde, und der Himmel nicht herunterfiel, war das schon ein ziemlicher Hänger für die Leute und es wird angenommen, dass das Christentum es durch solche Episoden leichter hatte (wurde auch trotzdem mit Feuer und Schwert nachgeholfen, keine Frage).
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon laie » Di 19. Jun 2012, 16:31

Also ich lese hier nur eins: im Gottesbegriff kumulieren - mal offener, mal versteckter - vorwissenschaftliche Vorstellungen über die Welt. Der Gottesbegriff, so der Tenor, ist dazu da, die Welt zu erklären. Dabei konkurriert er mit den Wissenschaften und wird Stück für Stück zurückgedrängt.

:( das war's dann wohl, Adieu Gott!

Ein Mensch der Vernunft muss nach dieser Auffassung irgendwann sagen: "Gott kann ich nicht begreifen. Also verzichte ich auf den Gottesbegriff, denn wie mir die Wissenschaft die Welt erklärt, das kann ich begreifen."

Daß theistische Überzeugungssysteme auf dem Vormarsch sind, kann entsprechend nur bedeuten, daß die Vernunft gerade einen Riesenschritt zurück gemacht hat. Die Welt ist unvernünftiger geworden. Oder?

Ich möchte darauf hinweisen, daß es im Gottesbegriff nicht so sehr um einen Handwerker geht, der die Welt erschaffen hat, sondern um das Verhältnis zwischen geschaffener Welt und der ungeschaffenen Welt, dem Absoluten. Dieses Verhältnis wird thematisiert in den monotheistischen Religionen und dieses Verhältnis fliesst in den Gottesbegriff ein. Der Gottesbegriff ist darum kein starrer Block, sondern wird immer wieder neu bestimmt.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Lumen » Di 19. Jun 2012, 17:15

laie hat geschrieben:[...]


Das greift zu kurz. Den einen Grund warum Leute Götter haben, gibt es meiner Meinung nach nicht (wie weiter oben dargestellt). Zählen wir kurz auf:

  • Als konzeptionelle Hilfe: wir hantieren mit Unendlichkeiten, Anfängen und Enden. Damit wir Dinge erkennen können, grenzt unsere Wahrnehmungen alles in Bereiche und Abschnitte ab und klebt Etiketten drauf. Das führt zu diversen konzeptionellen Problemen, wo mittlerweile wissen, dass die Lösungen konter-intuitiv sind. Aber ein Gott ist per Definition eine Art Lösung für Alles, dem alle konzeptionellen Schwierigkeiten übertragen werden können. Die Probleme werden damit dann für die meisten Leute maskiert. Beispiel: Wer hat das Universum geschaffen? Gott. (aber eigentlich nur neue Frage: Wer hat Gott geschaffen. Antwort: per Definition war der immer schon da.).
  • Als Wissens-Lückenfüller: oder auch "God of the Gaps". Noch unbekannte Phänomene werden Gott zugeschlagen. Das ist vergleichbar mit einer konzeptionellen Hilfe, aber dadurch subtil verschieden, weil es konkret um Informationen über die Welt geht. Früher wussten Menschen nichts von Elektronen und Entladungen, also waren Blitze das Wirken von Göttern.
  • Als Imaginärer Freund: Menschen führen Selbstgespräche und können sich in andere Denkmuster und Personen hineinversetzen. Menschen sind auch soziale Wesen, was ich glaube nicht weiter ausführen brauche. Jedenfalls, Menschen die sich selbst für ein tatsächliches Gegenüber halten, haben einen imaginären Freund der sie tröstet, mit dem sie reden können usw. Die Funktion dürfte sehr wichtig sein, gerade bei Leuten, die sich ohnmächtig fühlen und das Gefühl brauchen irgendwer hört ihnen zu und kann sogar noch alles bewegen.
  • Als Anlass: nicht zu unterschätzen, an Gott hängt ja eine Menge Firlefanz dran. Sing-Sang in der Kirche, Kunst, religiöse Feiern, die Gemeinde, Kirchentage... das motiviert Leute mitzumachen und hält Leute bei der Stange, abseits einer persönlichen Ansicht.
  • Als guter Grund: wieder Überschneidung zu anderen Punkten. Viele Leute halten Gott für den Stifter von Moral und Gerechtigkeit. Einer Hitler soll ja nicht einfach so davon kommen, heißt es da. Jemand soll für ewige Gerechtigkeit sorgen. Und wer sorgt dafür, dass Leute sich nett verhalten, wenn keiner mehr aufpasst? Ich halte das ja manchmal für eine Satire, aber solche Gründe bringen Religiöse bisweilen allen Ernstes vor.
  • ...

Gibt bestimmt noch weitere, aber mehr fällt mir grad nicht ein. Außerdem, der vermeintliche Erfolg der Religion kann viele Gründe haben, auch so profane Dinge wie "gute Lobby/Missionsarbeit".
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Darth Nefarius » Di 19. Jun 2012, 18:30

stine hat geschrieben:Ich möchte die Eingangsfrage: "Wozu dient der Gottesbegriff?" nochmal ganz anders erklären.
Der Gottesbegriff dient mE dazu, diese Welt für uns Menschen als Übergang zu betrachten. Diese Welt ist ein Stück unseres Seins. Sie macht sozusagen den irdisch gewordenen Zustand unseres Seins erst möglich.

Diese Klärung wirft nur neue Probleme auf und geht an der Sache vorbei. Das ist kein pragmatischer, logischer Ansatz. Definiere "Übergang". Definiere "Stück unseres Seins". Definiere "irdisch gewordenen Zustand"/vorigen Zustand/erläutere andere Zustände. Und was meinst du mit "macht möglich"? Existiere ich nicht, weil ich den Gottesbegriff nicht brauche?
Ich finde dein Ansatz ist ziemlich inhaltsarm.
stine hat geschrieben:Sich bewusst zu werden, dass das Leben endlich ist, war mit Sicherheit ein großer Aspekt, sich überhaupt religiös zu verhalten.

Religion bedeutet, genau diese Erkenntnis zu leugnen, indem man von "Unsterblichkeit der Seele" oder Wiedergeburt redet.
stine hat geschrieben:Nicht wissen woher man kommt und nicht wissen wohin man geht, kann zutiefst denkende Menschen durchaus verunsichern.
Der Gottesbegriff ist und bleibt die Ahnung all dessen und gerade drum, wird er uns noch lange begleiten.

Der Gottesbegriff oder das Konstrukt ist nur eine Antwort auf diese Fragen, die allerdings ziemlich unzureichend ist, dieses Konstrukt hat nichts mit diesen Fragen per se zu tun.
Lumen hat geschrieben:Der Christengott ist eben nicht falsifizierbar, aber ein Gott der angeblich auf Kommando jemanden mit Blitzen erschlägt, das Wetter direkt beeinflussen kann usw. ist es.

Ach, und du meinst, ersterer unterscheidet sich vom zweiten? Das alte Testament kannst du nicht leugnen, es stellt genau diesen Gotttypus dar. Immer noch "Äh, nein.".
Lumen hat geschrieben:Die Christen haben dafür ja die mysteriöse Pfade.

Nö, sie haben Märtyrer und Gottes Willen, den sie deuten. So war es auch vorher. Du überhöhst eine Religion, die keinen neuen Aspekt hervorgebracht hat, sie ist nur ein Frankenstein geschluckter Religionen.
Lumen hat geschrieben: Ein anderes Beispiel ist die Irminsul, die Säule die angeblich den Himmel abstütze. Nachdem diese gefällt wurde, und der Himmel nicht herunterfiel, war das schon ein ziemlicher Hänger für die Leute und es wird angenommen, dass das Christentum es durch solche Episoden leichter hatte (wurde auch trotzdem mit Feuer und Schwert nachgeholfen, keine Frage).

Auch das Christentum hatte genau solche Niederlagen. Die Kreuzzüge sind das beste Beispiel. Nach dem ersten galten die Christen als unbesiegbar. Irgendwann hatte derjenige "Gottes Willen" auf seiner Seite, der im nachhinein der Sieger war. Auch Reliquien, die angeblich unbesiegbar machten, wurden gesucht und hatten keinen Effekt. Was meinst du, wieviele heilige Lanzen es gab? Wusstest du, dass auch die Nazis an diese glaubten? Meines Wissens haben diese ihnen auch nicht geholfen. Du siehst, auch das Christentum in seiner "Unfehlbarkeit" wurde mehrmals in der Geschichte als eine Religion von vielen entlarvt.
laie hat geschrieben:Dabei konkurriert er mit den Wissenschaften und wird Stück für Stück zurückgedrängt.

:( das war's dann wohl, Adieu Gott!

Für mich ist das ein Grund zur Freude! :mg:
laie hat geschrieben:Daß theistische Überzeugungssysteme auf dem Vormarsch sind, kann entsprechend nur bedeuten, daß die Vernunft gerade einen Riesenschritt zurück gemacht hat. Die Welt ist unvernünftiger geworden. Oder?

Ich denke nicht, dass es jemals irgendwann soetwas wie Vernunft gab. Einer meiner Profs hat etwas sehr lustiges in einer Vorlesung gesagt:"Wenn man etwas nicht versteht, neigt man zur Religiösität.", ein wahres Wort. Ich denke es mangelt den meisten Menschen nach wie vor an Verstand, Intelligenz. Die meisten werden nur ein Weltbild brauchen, dass sie glücklich oder weniger depressiv macht als ein logischeres.
Besonders schlecht denken können Menschen, wenn sie Probleme haben. Die Lage auf der Welt spitzt sich zu, es gibt einige politische und wirtschaftliche Probleme, zudem verknappen einige Ressourcen. Unter solchen Bedingungen "frisst der Teufel Fliegen" oder der Mensch kauft dem Priester seinen Mist ab.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Lumen » Di 19. Jun 2012, 19:19

Unmittelbar falsifizierbare Elemente haben nichts mit besser oder schlechter zu tun. Vergleiche die Unterschiede zwischen diesen beiden Szenarien: "ohne Irminsul fällt der Himmel runter" und "die Erde ist der Mittelpunkt des Universums". Was ändert sich unmitelbar wenn die eine Behauptung sich ändert und was bei der anderen? Wie ist das Verhältnis zu "Mittelpunkt des Universums" zu "Himmel fällt runter". Ein Himmel ist eine unmittelbar erfahrbahre Sache, ein Mittelpunkt nicht. Es soll nicht an den Beispiel hängen, das Christentum hat sich rechtzeitig durch Hintertürchen abgesichert. Da ist es eben nicht so dass Gott oder die Religion eine unmittelbar überprüfbare Behauptung aufbaut, anders als bei Göttern die Zuschlagen "müssen" oder Himmel die runterfallen "müssen". Wenn jemand trotz Siegeslanze verlor, hatte Gott halt andere Pläne oder das Heer hatte irgendeinen Makel usw. Schließlich war das Christentum auch mächtig genug um Rückschläge, Kopernikanische Wende oder Evolutionstheorie überstehen zu können und ist auch anpassbar genug.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon stine » Di 19. Jun 2012, 20:21

Darth Nefarius hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Sich bewusst zu werden, dass das Leben endlich ist, war mit Sicherheit ein großer Aspekt, sich überhaupt religiös zu verhalten.
Religion bedeutet, genau diese Erkenntnis zu leugnen, indem man von "Unsterblichkeit der Seele" oder Wiedergeburt redet.
Komisch, du negierst eine Aussage, um dann genau das Selbe auszusagen.
Fällt dir das nicht auf?

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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon laie » Mi 20. Jun 2012, 11:58

Darth Nefarius hat geschrieben:Einer meiner Profs hat etwas sehr lustiges in einer Vorlesung gesagt:"Wenn man etwas nicht versteht, neigt man zur Religiösität.", ein wahres Wort.


:lachtot: Ja, so wahr wie das Wort eines Professors einer meiner Freunde, der allen Ernstes behauptet hat, daß man ohne Kenntnis der modernen Physik keine Philosophie mehr betreiben könne :lachtot:

Lumen hat geschrieben:Schließlich war das Christentum auch mächtig genug um Rückschläge, Kopernikanische Wende oder Evolutionstheorie überstehen zu können


Warum soll die Kopernikanische Wende oder die Evolutionstheorie ein Rückschlag für das Christentum gewesen sein? Ich darf daran erinnern, daß in den päpstlichen Universitäten des 16.Jh noch vor Galilei beide Weltbilder gelehrt wurden, das ptolemäische und das kopernikanische, um den Studenten die Möglichkeit des Vergleichs zu geben. Gut, mit der Evolutionstheorie hat sich die Kirche ein wenig schwerer getan, mag sein.

Das Problem ist, daß Du aus Deinem grundsätzlichen Religionsverständnis heraus nicht verstehen kannst, warum die Kirche eine Lehre wie das Kopernikanische Weltbild als gültig akzeptieren kann und trotzdem keinen Millimeter von ihren Dogmen abrücken muss. Denn für Dich ist Religion, Glaube, Gottesbegriff nur eine Art Krücke, die man wegwerfen sollte, wenn man es besser weiss. Daß die Kirche trotzdem an ihren Glaubensvorstellungen festhält, kann für Dich nur bedeuten: Die Kirchenoberen haben zwar insgeheim verstanden, daß sich die Erde um die Sonne dreht, aber sie wollen nicht, daß die übrigen Gläubigen das auch wissen.

Der Punkt ist ganz einfach: für den Christen geht es um ein restlosen Bezogenseins auf Gott1. Deswegen ist es völlig unerheblich, welche Wissen die Menschheit noch anhäuft.

Knauer, Peter 1996: Der Glaube kommt vom Hören. Herder: 31f.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Darth Nefarius » Mi 20. Jun 2012, 16:35

Lumen hat geschrieben:Unmittelbar falsifizierbare Elemente haben nichts mit besser oder schlechter zu tun. Vergleiche die Unterschiede zwischen diesen beiden Szenarien: "ohne Irminsul fällt der Himmel runter" und "die Erde ist der Mittelpunkt des Universums".

Stimmt, aber der Geozentrismus war auch unmittelbar falsifizierbar. Deine beiden Szenarien haben die Gläubigen erschüttert, wäre dem nicht so, wären nicht so viele, die den Heliozentzrismus vertaten, gestorben.
Lumen hat geschrieben:Was ändert sich unmitelbar wenn die eine Behauptung sich ändert und was bei der anderen? Wie ist das Verhältnis zu "Mittelpunkt des Universums" zu "Himmel fällt runter".

Nun, "Mittelpunkt des Universums" ist vielleicht wichtiger als "stabiler Himmel". Ersteres hat die unglaubliche Arroganz und die Egozentrik gewaltig erschüttert, zweiteres nichts dergleichen. Beiden gemein ist, dass der Glaube erschüttert wurde.
Lumen hat geschrieben:Ein Himmel ist eine unmittelbar erfahrbahre Sache, ein Mittelpunkt nicht.

Nein, beides sind nur Illusionen. Den Himmel kannst du nicht erfahren, sondern nur Wolken und blaue Reflexion sehen und den Wind spüren. Die "Sache" wurde ja vermutet: Ein Schirm mit Löchern oder eingefädelten Sternen. Dieses Konstrukt entsprang ja genau deiner Behauptung, es sei eine unmittelbar erfahrbare Sache. Einen Mittelpunkt kann man räumlich bestimmen, er ist erfahrbarer als der Himmel.
Lumen hat geschrieben:Da ist es eben nicht so dass Gott oder die Religion eine unmittelbar überprüfbare Behauptung aufbaut, anders als bei Göttern die Zuschlagen "müssen" oder Himmel die runterfallen "müssen".

Es ist ja nicht nur dieser Punkt. Wenn man nach dem "Müssen" des Christengottes sucht, kann man auch einiges finden. Die Apokalypse hätte eigentlich auch schon eintreten müssen (ich meine damit nicht diesen Mist zu "2012"), die Kreuzzüge hätten erfolgreich sein müssen, es hätte keine Gegenpäpste geben dürfen (also 2 Päpste auf einmal von verfeindeten Parteien). Und besonders wichtig: Der Titel "von Nazareth" hat einen besonderen Grund. Der eigentliche Geburtsort hat nämlich für den vorhergesagten "Messias" nicht gepasst (eigentlich Betlehem), deswegen wird immer "von Nazareth" gesagt. Für eine gewisse Zeit wurde ein anderer für diesen gehalten, auf ihn traf vieles zu, aber da er nicht erfolgreich war, wurde er im Nachhinein vergessen (sagt dir Simon Barkochba etwas? - ich weiß jetzt nicht, ob ich den Namen richtig geschrieben habe, aber er galt für eine kurze Zeit als solcher). Demnach falsifiziert der eigentliche Geburtsprt dieses Zimmermanns schon die Prophezeiung und damit das neue Testament.
Lumen hat geschrieben:Wenn jemand trotz Siegeslanze verlor, hatte Gott halt andere Pläne oder das Heer hatte irgendeinen Makel usw.

Wieso dürfte man bei der Irminsul nicht auch gesagt haben, dass Thor oder Odin irgendwo ein anderes tragendes Element hatten?
Lumen hat geschrieben:Schließlich war das Christentum auch mächtig genug um Rückschläge, Kopernikanische Wende oder Evolutionstheorie überstehen zu können und ist auch anpassbar genug.

Das stimmt zwar, aber was du genannt hast, war dafür nicht der Grund. Diese Religion hielt sich, weil sie Erbe der griechisch-römischen Vielgötterei mit ihrem Netzwerk wurde.
stine hat geschrieben:Komisch, du negierst eine Aussage, um dann genau das Selbe auszusagen.

Du hast meine Aussage nicht verstanden, hier nochmal die Gegenüberstellung und ein vollständigeres Zitat (ich habe die wichtigen Stellen untersrichen und mangelnde Ausführung markiert):
stine hat geschrieben:Der Gottesbegriff dient mE dazu, diese Welt für uns Menschen als Übergang zu betrachten(?). Diese Welt ist ein Stück unseres Seins. Sie macht sozusagen den irdisch gewordenen Zustand unseres Seins erst möglich.
Sich bewusst zu werden, dass das Leben endlich ist, war mit Sicherheit ein großer Aspekt, sich überhaupt religiös zu verhalten.
Der Gottesbegriff ist und bleibt die Ahnung all dessen und gerade drum, wird er uns noch lange begleiten.

So, hier hast du also begründet, dass die Erkenntnis (/das "sich bewusst werden"), dass wir sterblich sind, die Religiösität begründet. Ich habe dies bestritten und genau das Gegenteil behauptet:
Darth Nefarius hat geschrieben:Religion bedeutet, genau diese Erkenntnis zu leugnen, indem man von "Unsterblichkeit der Seele" oder Wiedergeburt redet.

laie hat geschrieben:Ja, so wahr wie das Wort eines Professors einer meiner Freunde, der allen Ernstes behauptet hat, daß man ohne Kenntnis der modernen Physik keine Philosophie mehr betreiben könne

Das stimmt bis zu einem gewissen Grad auch. Jemand mit dem Wissenstand aus dem Mittelalter würde mit der heutigen Philosophie nichts anfangen können. Diese ist das Spiegelbild unseres Wissensstandes.
laie hat geschrieben:Warum soll die Kopernikanische Wende oder die Evolutionstheorie ein Rückschlag für das Christentum gewesen sein?

Weil das Monopol des Wissens angetastet und streitig gemacht wurde. Hätte dies der Kirche wirklich nicht geschadet, hätte Kopernikus ein anderes Schicksal erfahren.
laie hat geschrieben:Das Problem ist, daß Du aus Deinem grundsätzlichen Religionsverständnis heraus nicht verstehen kannst, warum die Kirche eine Lehre wie das Kopernikanische Weltbild als gültig akzeptieren kann und trotzdem keinen Millimeter von ihren Dogmen abrücken muss.

Wie kann deine Wahrnehmung nur so getrübt sein?
Ersteres hat sie doch lange nicht getan!!! Irgendwann war es kein heißes Eisen mehr und man konnte es nach 1 oder 2 Jahrhunderten zugeben.
laie hat geschrieben:Der Punkt ist ganz einfach: für den Christen geht es um ein restlosen Bezogenseins auf Gott1.

Das musst du erläutern, abgesehen dass all deine Bedingungen und Beobachtungen völlig an der Realität vorbeigehen.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon laie » Mi 20. Jun 2012, 18:45

@darth nefarius,

ich habe grad nicht viel Zeit, daher nur kurz:

Warum zitierst du meine Beiträge ohne meine Begründungen?

Z.B. kopernikanische Wende. Das wird vollkommen überdramatisiert in atheistischen Kreisen. Tatsächlich scheint sich so etwas wie ein ganz normaler Diskurs in der damaligen Geisteswelt abgespielt zu haben (die einen waren dafür, die anderen dagegen), aber schon (man bedenke die Schnelligkeit der damaligen Zeit) 1582 griff Papst Gregor XIII. für seine Kalenderreform auf das heliozentrischen Weltbild zurück (veröffentlicht hat Koperninikus sein Werk 1543) . Und wie gesagt: im 16 Jh. wurden an manchen Universitäten (Spanien, katholische Universität von Salamanca schon seit 1561!) beide Weltbilder gelehrt.

Die crux mit Kopernikus bestand lediglich darin, daß dieses Werk Thesen enthielt, die zu seiner Zeit von niemandem falsifiziert werden konnten. Gleiches nimmt man auch für Galilei an, so Pierre Duhem oder Paul Feyerabend. Letzterer:

Paul Feyerabend hat geschrieben:The church at the time of Galileo was much more faithful to reason than Galileo himself, and also took into consideration the ethical and social consequences of Galileo's doctrine. Its verdict against Galileo was rational and just, and revisionism can be legitimized solely for motives of political opportunism
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Darth Nefarius » Mi 20. Jun 2012, 19:35

laie hat geschrieben:@darth nefarius,

ich habe grad nicht viel Zeit, daher nur kurz:

Warum zitierst du meine Beiträge ohne meine Begründungen?

Wenn ich das nicht tue liegt das daran, dass man mir zuviel Zitiererei vorwirft, oder du einfach keine lieferst.
laie hat geschrieben:Z.B. kopernikanische Wende. Das wird vollkommen überdramatisiert in atheistischen Kreisen. Tatsächlich scheint sich so etwas wie ein ganz normaler Diskurs in der damaligen Geisteswelt abgespielt zu haben (die einen waren dafür, die anderen dagegen), aber schon (man bedenke die Schnelligkeit der damaligen Zeit) 1582 griff Papst Gregor XIII. für seine Kalenderreform auf das heliozentrischen Weltbild zurück (veröffentlicht hat Koperninikus sein Werk 1543) .

So, ich hoffe du bist zufrieden, dass ich deine "Argumente" mitzitiere. Nein, sie wird nicht überdramatisiert, ein normaler Diskurs beinhaltet keine Verfolgung und Mord. Hier war eine Partei an der Macht und im Unrecht, sie hat die Gegenstimmen zum Schweigen gebracht, soetwas nennt man nicht "Diskurs". Dein Argument ist ja die Zeit, aber damals war gerade diese Zeit quasi eine Pause von einer Generation. Wenn man die Medien (also die Bücher und die Herolde) kontrolliert, kann man zum einen vertuschen, dass man im Unrecht war, zum anderen was man daraufhin getan hat.
laie hat geschrieben:Und wie gesagt: im 16 Jh. wurden an manchen Universitäten (Spanien, katholische Universität von Salamanca schon seit 1561!) beide Weltbilder gelehrt.

Die crux mit Kopernikus bestand lediglich darin, daß dieses Werk Thesen enthielt, die zu seiner Zeit von niemandem falsifiziert werden konnten. Gleiches nimmt man auch für Galilei an, so Pierre Duhem oder Paul Feyerabend. Letzterer:

Nein, das war nicht der Grund, und selbst wenn wäre doch nicht die Drohung Exkommunikation und Tod geworden, oder denkst du das? Dieser Paul scheint mir ein widerwertiger Ignorant der Verfolgung dieser Männer und das Wissen durch die Kirche zu sein. Was du zitierst sind nur Behauptungen, die ich nicht teile.
Ach, und noch ein Nachtrag zu deinen angeblich nicht mitzitierten Argumenten: Das erste war ohne Argument, das zweite war die Frage, nicht die These. Dein Argument zielte auf die Begründung deiner These, sie zu nennen war unnötig, weil sie nicht das Verhalten gegenüber Männern der Wissenschaft durch die Kirche erklärt und Ausnahme, nicht die Regel war. Dann war da noch der Teil mit der Krücke, der sich ohnehin auf Lumen bezog, aber dem ich nicht widersprechen wollte. Das ist eine korrekte Beschreibung meiner Haltung zur Kirche, allerdings hast du eben nur diese Beobachtung gemacht, nicht erklärt, warum diese Haltung in deinen Augen falsch sei. Dann fing schon die nächste These an, die ich zitierte: Da habe ich dein Argument zitiert, danach folgte ein "deswegen..."-kein Argument sondern nur deine These, die ich nicht teilte. Somit ist dein Vorurf, ich hätte deine "Argumente nicht zitiert höchstens bei einem gerechtfertigt, wenn auch nur oberflächlich.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon laie » Do 21. Jun 2012, 06:14

:lachtot:

Ich mag dich. So unbedarft und unbeleckt von allen intellektuellen Traditionen. Entweder kennst du etwas nicht oder du verstehst etwas nicht, deine Reaktion ist immer gleich: Ignoranz.

Darth Nefarius hat geschrieben:Nein, sie wird nicht überdramatisiert, ein normaler Diskurs beinhaltet keine Verfolgung und Mord. Hier war eine Partei an der Macht und im Unrecht, sie hat die Gegenstimmen zum Schweigen gebracht, soetwas nennt man nicht "Diskurs".


Wo und von wem ist Kopernikus mit dem Tode oder -was damit als schlimmere Strafe empfunden wurde: mit Exkommunikation - bedroht worden wegen seiner Ansichten? Du tust dich schwer damit, deine Ansichten zu revidieren, oder? Dafür redest du einfach weiter. Bist wohl insgeheim doch ein Gläubiger :mg:

Und auch der Fall Galilei liegt nicht so klar. Davon zeugt neben "diesem Paul" auch ein gewisser Duhem, der oft zusammen mit einem gewissen Bertold Brecht auftritt.
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