Wozu dient der Gottesbegriff?

Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Nanna » Fr 13. Jul 2012, 00:01

Lumen hat geschrieben:Was dein Mengenlehren-Fetisch angeht (Gott über alles): Ich habe keine Mühen mit Mengenlehre und bin nicht völlig aus dem Häuschen, weil ich mir eine Menge vorstellen kann, die alle Mengen enthält. Natürlich kann ich mir diese Menge nur in theoretischer Weise, als Manipulation von Symbolen vorstellen, denn ich bin ja selbst immer Teil der Menge und kann nie gleichzeitig "drinnen" sein, und "draußen" um das Ganze sehen zu können (da per Definition nichts und niemand außerhalb der Mengen aller Mengen sein kann, um sie festzustellen).

Das kann man auch noch auf Stufe 11 hoch drehen. Was wäre, wenn die Menge aller Mengen selbst ein Objekt wäre, also immer über ihrer eigenen Feststellung als Ganzes steht. Das wäre dann eine Art invertierte Rekursion. Wooaahh...

Die Mengengeschichte hier bringt im Grunde gut zum Ausdruck, welche Probleme ich auch mit deinem Gottesbegriff habe, laie, nämlich dass ich in ihm nicht in der Lage bin mehr zu erkennen als eine Art Superzusammenfassung von allem, woraus für mich allerdings absolut nichts folgt. Da ist das Universum und alles Seiende, das ergibt zusammen irgendwie auch etwas, hat auch so einen Hauch von Grenzenlosigkeit (was physikalisch natürlich nicht stimmt, weshalb ich schon sehr Probleme habe mit der Aussage, dass die Wissenschaft das Endliche überwinden will, weil sie sich ja bewusst sein muss, dass sie mit einem endlichen Universum operiert), ja, alles gut und schön, aber was hat das mit meiner konkreten Lebensführung zu tun? Die ganzen Schlüsse wirken mir ehrlich gesagt zu arbiträr.

Lumen hat geschrieben:Jedenfalls finde ich es die Neusprech und Totalitarismus-Tendenzen bedenklich, die ich herauslese.

Es ist ungewöhnlich, dass ich Lumen hier konzediere, aber ich habe ebenfalls Probleme mit deinem Freiheitsbegriff, laie. Wenn man die Unterscheidung von Freiheit in positive und negative Freiheit von Isaiah Berlin verwendet, die ich sehr brauchbar finde, kommt man nicht umhin, deinen Freiheitsbegriff als positive Freiheit zu bezeichnen. Positive Freiheit (Freiheit ZU etwas) ist aber fast immer problematischer als negative Freiheit (Freiheit VON etwas). Egal ob man politische Ideologien bzw. (nach Vögelin) politische Religionen hat oder gewisse religiöse Sichtweisen, geht es im Sinne der positiven Freiheit immer darum, jemanden ZU etwas zu befreien: DURCH Jesus wird der Christ frei, DURCH die Schari'a der Muslim, DURCH die Arbeit der Kommunist, DURCH die Politik der Jakobiner, DURCH das Dienen am Volk der Faschist, usw. Im Liberalismus dagegen wird der negative Freiheitsbegriff gepflegt, der Jesus, Schari'a, Arbeit und Politik nicht ausschließt, aber die Freiheit als Option zur Freiheit VON diesen Dingen definiert. Natürlich haben wir im Alltag beides, wir befähigen den mündigen Staatsbürger z.B. DURCH Bildung zur Selbstständigkeit, gestehen ihm aber auch das Recht der Verweigerung in vielen Aspekten zu, also negative Freiheit.
Dein Freiheitsbegriff scheint mir allerdings durch und durch positiv zu sein, und deshalb, ja, gehe ich an der Stelle den ungewöhnlichen Schritt und schließe mich Lumen an, dass dieses Freiheitsverständnis einen potentiell totalitären Kerngedanken einschließt, auch wenn du das sicher nicht beabsichtigst.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon stine » Fr 13. Jul 2012, 09:12

Lumen hat geschrieben:Was dein Mengenlehren-Fetisch angeht (Gott über alles): Ich habe keine Mühen mit Mengenlehre und bin nicht völlig aus dem Häuschen, weil ich mir eine Menge vorstellen kann, die alle Mengen enthält. Natürlich kann ich mir diese Menge nur in theoretischer Weise, als Manipulation von Symbolen vorstellen, denn ich bin ja selbst immer Teil der Menge und kann nie gleichzeitig "drinnen" sein, und "draußen" um das Ganze sehen zu können (da per Definition nichts und niemand außerhalb der Mengen aller Mengen sein kann, um sie festzustellen).

Spätestens mit dieser Beschreibung kann man klar umrissen erkennen, warum solcher Gott kein Gott der bestehenden Religionen mehr sein kann. Der Gott, der bestehenden Religionen WILL etwas von seinen Menschen. Er spricht mit den Religiösen und zeigt Wege auf, die er gegangen haben möchte. Von einigen Religiösen verlangt er sogar, dass sie ihre männlichen Nachkommen beschneiden lassen müssen, weil unüberbrückbar die Vorhaut zwischen ihm und den Menschen steht, also solch gezielte Anweisung kann ich mir von einer Universumshülle nicht mehr vorstellen.
Es ist schon so, wie ich sagte: Wer Gott außerhalb der Religionen analysiert und versucht ihn irgendwo zu erkennen, der läuft immer Gefahr nur heiße Luft zu finden. Jeder beschriebene Gott ist und bleibt ein Religionsgott.

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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon laie » Fr 13. Jul 2012, 10:09

nanna hat geschrieben:Es ist ungewöhnlich, dass ich Lumen hier konzediere, aber ich habe ebenfalls Probleme mit deinem Freiheitsbegriff, laie. ... Dein Freiheitsbegriff scheint mir ... durch und durch positiv zu sein


Ich verstehe die Problematik nicht. Positive Freiheit bedeutet doch: ich bin frei dazu, etwas zu tun. Dieses etwas kann alles mögliche sein. "Liebe was du tust und dann tue was du willst" sagt Augustin. Dagegen ist jemand im negativen Sinne frei, wenn er frei von etwas ist. Auch hier gilt wieder: wovon ich frei bin, ist uninteressant.

Menschen sind frei in beiden Perspektiven.

nanna hat geschrieben:Die Mengengeschichte hier bringt im Grunde gut zum Ausdruck, welche Probleme ich auch mit deinem Gottesbegriff habe, laie,


Ich werde mich später versuchen, genauer darauf einzugehen. Jetzt frage ich dich: Mit welchem Gottesbegriff hättest du denn keine Probleme?
Zuletzt geändert von laie am Fr 13. Jul 2012, 10:36, insgesamt 4-mal geändert.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Vollbreit » Fr 13. Jul 2012, 10:11

Nanna hat geschrieben:Es ist schwierig, hier nicht in dualistische Fahrwasser zu geraten, aber es scheint gewisse Metaebenen zu geben, sobald wir Sprache verwenden, in denen nicht-essentielle Begriffe existieren - was für den Anhänger eines strikten Physikalismus schwierig ist.


So weit musst Du glaube ich gar nicht gehen.
Was ist bspw. ein gesprochenes oder ein geschriebenes Wort. Physikalisch nur ein paar Schallwellen, die A produziert und B hört, oder A geformte Farbe auf Papier oder bestimmte Zeichen, die sich von einem Untergrund abheben und ggf. eine Botschaft, eine intentionale Information übermitteln . So weit ist das alles einfach, doch schon die biologische Erklärung warum wir bestimmten Wörtern eine höhere oder niedrigere Priorität einräumen, nicht mehr: Eine Nachricht kann unser ganzes Leben verändern und eine die vielleicht ganz ähnlich klingt, löst gar nichts aus. Ein Satz heute kann mich erschüttern, der gleiche vor einer Woche oder in 10 Jahren lässt mich völlig kalt.

Biologisch hat man eigentlich kaum eine Ahnung, was da passiert. Klar, man kennt verschiedene Zentren im Hirn in denen Sprache verarbeitet wird und vor allem Ausfälle spezifischer Areale und die daraus resultierenden Fehlfunktionen geben uns Aufschluss.
Dieses Wissen erklärt allerdings nicht den emotionalen Gehalt einer Botschaft, es erklärt nicht, warum der eine von Rilke angetan ist, während der andere nur mit den Achseln zuckt.

Schon wenn man diese Ebene im Luhmannschen Sinne reduziert, nämlich indem man sich einfach denkt, dass das wohl sehr komplizierte biologische Prozesse sein müssen und diese ausblendet und einfach versucht herauszufinden was eigentlich an Rilkes Gedichten besonders ist, ist das eine sehr schwierige Geschichte. Biologisch findet man dann schon so gut wie gar nichts dazu und wir sind längst noch nicht auf der biochemischen oder gar physikalischen, geschweige quantenphysikalischen Ebene angekommen.

Das sieht wohl auch Dennett so und wenn Du fragst –
Nanna hat geschrieben:Wie passt diese antireduktionistische Rede zum eliminativen Programm Dennetts, kann mir das jemand erklären?
– dann ist meine Antwort darauf, dass Dennett kein Antireduktionist ist, aber sich gegen einen Reduktionismus wendet, der viele Stufen unter der Ebene ist, die wir näher untersuchen wollen. Verhalten, so ist Dennett überzeugt, ist biologisch zu erklären, aber ein quantenphysikalischer Rohrkrepierer.

Konsequenterweise müsste man ganimed zustimmen. Wenn der Reduktionismus funktioniert und die besten, wahrsten, exaktesten Ergebnisse bringt, wenn uns bspw. die Kombination aus Wahrnehmungspsychologie und Evolutionsbiologie weiter bringt um Verhalten zu erklären, dann sollte man, mindestens perspektivisch bis zur Ebene der Quanten durchmarschieren, wenn nicht jetzt, dann ins 20 oder 2000 Jahren.
Meistens wird das als technisches Problem gesehen, man ist noch nicht so weit, von der Auslösung der Teilchenbeschleuniger und der Leistungsstärke der Computer her betrachtet.
Doch hier liegt auch ein prinzipielles Problem, vielleicht sind es auch zwei.

Auch diese kleinsten Teilchen müssen ja nicht nur abgebildet, sondern verstanden werden.
Um ein Wort zu verstehen, muss ich einen Satz verstehen, um den Satz zu verstehen, eine Sprache (mindestens Cluster, die mir erlauben den Sinn eines Absatzes zu verstehen).
Quanten sind ja für den, der sie verstehen will – und auch da ist es egal, ob ich denjenigen, der das will als Ich ansehe oder selbst als Quantenballung, die sich als ich ansieht – auch eine Sprache.
Das Subjekt/der Beobachter ist für den Erkenntnisakt immer die primäre Voraussetzung.
Um einen Begriff auf Quantenebene zu verstehen, muss ich also auch hier den Satz und den Absatz verstehen, plus die Tatsache, warum A den Absatz so versteht, wie er es tut und B ihn ganz anders deutet. Diesen biopsychologischen Hintergrund über den man schon nichts weiß, muss man nun noch in Quantensprache übersetzen, d.h. man müsste verstehen, welche spezifische zeitlich-räumliche Anordnung von Quanten (stehen die überhaupt still, so dass man Momentaufnahmen auswerten könnte? Gibt es überhaupt die eine Konstellation um die Konjunktion „und“ in deutscher Sprache zu verstehen, oder könnten da bottom up auch 20 verschiedene Wege möglich sein?) und zugleich noch in den Quantenstrom einbetten, der bspw. die sozial- oder gesellschaftspsychologische und biogenetische Herkunft erklärt, weshalb nun A ein Wort so versteht, während es für B eine andere Bedeutung hat.

Denn wer definiert genau wieviel von der Quantenwelt-Gesamtheit man verstehen muss, um den Satz „Diesen Satz verstehe ich nicht“ oder einen Elefanten oder die Demokratie, oder eine Gottes-Hypothese zu erklären?

Wäre das nicht schon kompliziert genug gibt es da ein großes Problem. Quantenphysikalische Momentaufnahmen erlauben keinen Blick in die Geschichte. (Ausnahme: Man kennt alle Quantenorte und alle Regeln ihrer Interaktion und Anfangsbedingungen. Dann allerdings gibt es schlicht keinen Zufall.)
Aber, selbst wenn man alle Anfangsbedingungen genau kennen würde, käme man in das Paradoxon des Laplaceschen Dämons. Beobachtungen auf der Quantenebene sind eben keine reinen Beobachtungen, sondern Eingriffe in die Welt (eigentlich ist das jede Beobachtung, aber dort hat man es festzurren können). Man beobachtet also nicht mehr einfach „die Welt“, „die objektive Realität“, „die (quanten)physikalische Ebene der Wahrheit“ sondern man verändert sie aktiv.
Könnte man das allwissend mit hineinrechnen, würde man damit dennoch nichts gewinnen, weil das logisch in einen Regress führt und empirisch gibt es keinen Referenzwert wie die Welt wirklich abgelaufen wäre. Der Regress ist ein prinzipieller Einwand, gegen die Möglichkeit der Erkenntnis eines quantenphysikalischen Ganzen.

Dennett argumentiert zwar etwas anders (er macht es sich leichter und sagt Hefe und Hirn sind von den kleinsten Bausteinen her gesehen identisch), in der Konsequenz müsste er aber hier landen.

Dennoch gibt Dennett dem Reduktionismus das Vorrecht, aber eben dem, der eine Ebene tiefer liegt. Vom Gedanken, aufs Gehirn, gegen den Einwand des kategorialen Irrtums sichert er sich ab, dadurch dass er allem was nichtreduzierbar erscheint einfach die Berechtigung entziehen möchte.
Kann ja keiner sagen, was Qualia sein soll, also gibt es Qualia auch nicht.

Dennett ist also im Grunde für eine pragmatische Reduktion, die immer bottom up verläuft und behauptet, dass wir durch sie und allein durch sie mehr erfahren. Dem widersprechen heute viele.

Thomas Fuchs spricht davon, dass es längst nachgewiesen sei, dass die Psychotherapie top down auf die Biochemie des Gehirns und seine Mikrostruktur einwirkt und auf Prozessen des Verstehens beruht, Psychopharmaka hingegen Veränderungen auf dem bottom up Weg über die Biochemie vollbringen:
Thomas Fuchs hat geschrieben: „Von einer Verursachung können wir streng genommen nur innerhalb eines Aspektes sprechen: von einer psychologischen Verursachung bezogen auf die Verknüpfung von Erlebnissen, Motiven und Handlungen, und von einer biologischen Verursachung bezogen auf die beteiligten neurologischen Mechanismen. Auch wenn wir die Einheit beider Aspekte im Lebewesen, in der lebendigen Person annehmen müssen, bleiben sie doch voneinander geschieden wie die zwei Münzen einer Medaille, von denen keine auf die andere wirkt.

Bei all seinen faszinierenden Leistungen ist das Gehirn doch kein Weltschöpfer, sondern in erster Linie ein Organ der Vermittlung der Transformation und der Modulation. […]

Wenn Subjektivität nicht ein abstrakter Innenraum ist, sondern nur verkörpert, lebendig und in die Welt eingebunden existiert, so kann ich sie nicht erfassen, indem ich bestimmte physiologische Trägerprozesse im Gehirn beschreibe. Ein bestimmter Hirnzustand ist die notwendige Bedingung dafür, in einem bewussten Zustand zu sein, aber welchem Zustand dieser Hirnzustand entspricht, ist nicht hinreichend durch seine Mikrostruktur bestimmt, sondern darüber hinaus durch seine konkreten Beziehungen zur Umwelt.“
Das Gehirn – ein Beziehungsorgan
Information Philosophie, Heft 5/2010, S.24
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon laie » Fr 13. Jul 2012, 10:22

Ganimed hat geschrieben:Richtig. Ich kann keine Transformationsanweisung angeben, die es ermöglichte, die Theorien ineinander zu überführen. Ich habe aber gezeigt, dass sich beide Theorien auf das Gleiche beziehen.


Ich sehe da einen Widerspruch. Entweder hast du gezeigt, daß sich beide Theorien auf das gleiche beziehen, dann kannst du auch eine Transformationsanweisung angeben. Oder du hast keine Transformationsanweisung, dann kannst du nicht behaupten, daß du gezeigt habest, daß sich beide Theorien auf das gleiche beziehen.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Lumen » Fr 13. Jul 2012, 10:46

Hier noch ein Tipp an Laie und Vollbreit für zukünftige Diskussionen: der Deepak Chopra Zitate/Weisheiten-Generator, leider nur in englisch. Wie man hier zeigen kann, erfreuen sich bestimmte Begriffe großer Beliebtheit: Ganzheit, Freiheit, Unendlichkeit und so weiter, am besten miteinander verwoben. Hier mal ein paar Beispiele, original aus dem Generator:

Infinity unfolds into great positivity
Freedom serves incredible timelessness
The ego transcends deep creativity
Eternal stillness grows through spontaneous truth
Everything shapes unique life
The mind is beyond the mechanics of facts
Wholeness depends on pure possibilities

Auch noch schön:
The secret of the universe is the continuity of boundless mortality

Aus Dawkins's Dokumentation "Enemies of Reason" (zweiteilig, in Gänze auch auf YouTube zu finden), hier der Ausschnitt mit oben genannten Deepak Chopra. Man beachte wie Chopra von Wissenschaft spricht ("Science has become so arrogant..."), und was Dawkins dazu bemerkt. Spiegelt schön die Seiten in der Diskussion hier wieder.

Länge ist nur 4:26.


Und so reagieren Beobachter darauf (YouTube Kommentar, 1 Seite), passt auch zur Diskussion hier.
dmx952: Wait wait wait.. "Shift in consciousness creates a shift in biology"? WHAT THE FUCK DOES THAT EVEN MEAN?
Zuletzt geändert von Lumen am Fr 13. Jul 2012, 10:58, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon laie » Fr 13. Jul 2012, 10:57

Lumen hat geschrieben:Einen Gott abschaffen ist "sich klein machen". Sich unterwerfen ist "Freiheit" (weiter oben irgendwo).


das gibt nicht wieder, was ich gesagt habe. Ich sagte: wenn sich der Mensch auf Endliches als Lebensziel ausrichtet, also das Verwechseln von Endlichem mit Gott macht den Menschen klein.

Lass bitte in Zukunft solche Filmchen. Man hat sonst den Eindruck, daß hier noch jemand ist, mit dem du redest.
Zuletzt geändert von laie am Fr 13. Jul 2012, 11:00, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Lumen » Fr 13. Jul 2012, 11:00

laie hat geschrieben:das gibt nicht wieder, was ich gesagt habe. Ich sagte: wenn sich der Mensch auf Endliches als Lebensziel ausrichtet, also das Verwechseln von Endlichem mit Gott macht den Menschen klein.


Ja und wie ich gerade eben gepostet habe, leihe ich mir das Zitat von dem YouTube Poster mal aus: "WHAT THE FUCK DOES THAT EVEN MEAN?"
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon laie » Fr 13. Jul 2012, 11:43

Lumen hat geschrieben:Solche Sachen wie Wissenschaften mit Kreationismus gleichsetzen finde ich schon hart.


Ja, ich hab schon euer (und besonders dein) Aufheulen gehört, als ich Kreationisten und Wissenschaftler wie Dawkins gleichgesetzte. Ich habe auch gesagt, in welcher Hinsicht sie für mich keinen Unterschied machen.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon laie » Fr 13. Jul 2012, 12:25

Nanna hat geschrieben:Je länger die Diskussion geht, desto mehr fühle ich mich an den Pantheismus erinnert. Nur zur Erinnerung, die Brights heißen Pantheisten explizit willkommen (soviel zum Naturalismusbegriff der Brights).


Was verstehst du denn am Pantheismus besser? Warum soll denn diese Gottesauffassung attraktiver sein?
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Lumen » Fr 13. Jul 2012, 13:20

laie hat geschrieben:Was verstehst du denn am Pantheismus besser? Warum soll denn diese Gottesauffassung attraktiver sein?


Deiner ist eventuell mit dem Pantheismus kompatibel. So genau kann das von außen keiner sagen. In der Wikipedia steht dazu: "Der Ausdruck Pantheismus (von altgriechisch πᾶν pān „alles“ sowie θεός theós „Gott“)[1] bezeichnet die Auffassung, Gott sei eins mit dem Kosmos und der Natur, und damit auch im Inneren des Menschen zu finden."
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Vollbreit » Fr 13. Jul 2012, 14:49

laie hat geschrieben:Nach Eckhart schafft Gott die Welt nicht wie ein Baumeister ein Haus, also als ein Objekt ausserhalb von ihm, er ist nämlich kein Demiurg, sondern er schafft die Welt, indem er sie "ins Sein hineinsetzt". Daher hört die Schöpfung der Welt auch nie auf. Schön, nicht wahr?


Warum ich glaube, dass Eckhart den Schöpfergott als höchsten Gottesbegriff ablehnt, steht hier (Unterstreichungen von mir).

Meister Eckhart hat geschrieben: Ein großer Meister sagt, daß sein Durchbrechen edler sei als sein Ausfließen, und das ist wahr. Als ich aus Gott floß, da sprachen alle Dinge: Gott ist. Dies aber kann mich nicht selig machen, denn hierbei erkenne ich mich als Kreatur. In dem Durchbrechen aber, wo ich ledig stehe meines eigenen Willens und des Willens Gottes und aller seiner Werke und Gottes selber, da bin ich über allen Kreaturen und bin weder »Gott« noch Kreatur, bin vielmehr, was ich war und was ich bleiben werde jetzt und immerfort. Da empfange ich einen Aufschwung, der mich bringen soll über alle Engel. In diesem Aufschwung empfange ich so großen Reichtum, daß Gott mir nicht genug sein kann mit allem dem, was er als »Gott« ist, und mit allen seinen göttlichen Werken; denn mir wird in diesem Durchbrechen zuteil, daß ich und Gott eins sind. Da bin ich, was ich war, und da nehme ich weder ab noch zu, denn ich bin da eine unbewegliche Ursache, die alle Dinge bewegt. Allhier findet Gott keine Stätte (mehr) in dem Menschen, denn der Mensch erringt mit dieser Armut, was er ewig gewesen ist und immerfort bleiben wird. Allhier ist Gott eins mit dem Geiste, und das ist die eigentlichste Armut, die man finden kann.
Quelle: http://www.eckhart.de/index.htm?p52.htm


laie hat geschrieben:Lass bitte in Zukunft solche Filmchen. Man hat sonst den Eindruck, daß hier noch jemand ist, mit dem du redest.


Woraus resultiert Dein Eindruck, dass Lumen mit jemandem redet?
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon laie » Fr 13. Jul 2012, 16:48

@Vollbreit

ich meditiere noch ein wenig über dem Eckhart Zitat

".. wo ich ledig stehe meines eigenen Willens und des Willens Gottes und aller seiner Werke und Gottes selber, ... bin vielmehr, was ich war und was ich bleiben werde jetzt und immerfort."

So findet der Mensch Eingang in das immerwährende Nun, indem er arm und ledig ist. Wenn er ohne Eigenschaften ist. Eigenschaft bedeutet bei Eckhart "Ich-Bezogenheit". Nebenbei: Davon hat der Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" seinen Titel.

Meister Eckart, Reden der Unterweisung hat geschrieben:Die Leute sagen: »Ach, ja, Herr, ich möchte gern, daß ich auch so gut zu Gott stünde und daß ich ebensoviel Andacht hätte und Frieden mit Gott, wie andere Leute haben, und ich möchte, mir ginge es ebenso oder ich wäre ebenso arm«, oder: »Mit mir wird‘s niemals recht, wenn ich nicht da oder dort bin und so oder so tue, ich muß in der Fremde leben oder in einer Klause oder in einem Kloster«.

Wahrlich, darin steckt überall dein Ich und sonst ganz und gar nichts. Es ist der Eigenwille, wenn zwar du‘s auch nicht weißt oder es dich auch nicht so dünkt: niemals steht ein Unfriede in dir auf, der nicht aus dem Eigenwillen kommt, ob man‘s nun merke oder nicht. Was wir da meinen, der Mensch solle dieses fliehen und jenes suchen, etwa diese Stätten und diese Leute und diese Weisen oder diese Menge oder diese Betätigung - nicht das ist schuld, daß dich die Weise oder die Dinge hindern: du bist es (vielmehr) selbst in den Dingen, was dich hindert, denn du verhältst dich verkehrt zu den Dingen.
...

Richte dein Augenmerk auf dich selbst,und wo du dich findest, da laß von dir ab; das ist das Allerbeste.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon stine » Fr 13. Jul 2012, 16:54

laie hat geschrieben:Was verstehst du denn am Pantheismus besser? Warum soll denn diese Gottesauffassung attraktiver sein?
Ich finde, dass der Pantheismus erklärbarer und vorstellbarer ist. Die Vorstellung, dass alle Natur Eins ist, ist für mich nicht unlogisch und deswegen ist es auch nicht unlogisch, wenn wir über Dinge oder Geschehnisse wissen, auch wenn sie gerade ganz woanders sattfinden. Auch die Geschichte mit den Spiegelneuronen könnte damit zusammenhängen.
Für mich macht das Sinn.
Ein Gott der zu mir spricht, wäre dann nur die Ahnung vom Teil eines Ganzen.

Anders als ein Gott der Religionen fordert er nichts, sondern alles ist Teil von ihm. Der Gott der Religionen ist dagegen ein abgesonderter Gott. Abgesondert vom Menschen, vielleicht sein Ebenbild, aber auch nur vielleicht. Er befiehtl, er bestraft und er macht Vorschriften. Das kann nur dem gefallen, der sich in der Religionsgemeinschaft geborgen fühlt.

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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon laie » Fr 13. Jul 2012, 17:17

Pantheismus besagt einfach, daß die beiden Bereiche "Gott" hier und "Welt" dort sich wenigtens partiell überlappen oder überschneiden. Kurz: alles Weltliche ist Gott und Gott ist alles Weltliche. Woher willst du denn wissen, daß Gott in jedem Baum, Stein, Strauch usw. ist? Und was sagst du jetzt einem Theologen, der dich nach der Unbegreiflichkeit Gottes fragt?

Dawkins nannte den Pantheismus "sexed-up atheism" und ich denke, hier hat er ausnahmsweise mal etwas richtiges gesagt.

Vor allem erklärt der Pantheismus nicht den Unterschied zwischen dem begrenzten Seienden, welches sich durch sein Wesen von anderen Seienden unterscheidet und dadurch eben begrenzt oder endlich ist, und Gott selbst, der ja unendlich, also grenzenlos gedacht wird. Wenn Gott ein Teil dieser Welt oder "die Welt ist", dann ist er nicht mehr grenzenlos.

Und wenn jeder Baum Gott ist, dann ist der Baum nicht mehr endlich. Das, was ihn von anderen unterscheidet, ihn begrenzt, gebe es dann nicht mehr, weil ja alles Gott, also unendlich wäre. Nichts würde uns daran hindern, zu sagen: "der Baum ist eine Bierdose."
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Vollbreit » Fr 13. Jul 2012, 19:15

@ laie:

Ich glaube, was die Unterweisungen angeht, sind wir vollkommen einer Meinung.
Von dem großen indischen Weisen Ramana Maharshi gibt es mehr oder weniger identische Aussagen. Alle sagen, man solle sich nicht verrückt machen und vom Ich ablassen, bereits Buddha sah darin, in den Anhaftungen der Ichhaftigkeit, die Quelle allen Übels, des Karma.

Die meisten etwas klügeren Interpreten haben schnell begriffen, dass es auch dabei nicht um eine Gut/Böse-Konzept geht, sondern dass alles Karma erzeugt. Allein Handlungen in Absichtslosigkeit sind geeignet Karma aufzulösen, ins Jetzt, ins Nun zu gelangen – dann aber ohne Zeitverzögerung, das wird meist nicht erkannt.

Schwierigkeiten gibt es noch einmal dabei, wenn man klären muss, was es denn nun heißt, aufs Ich zu verzichten, Nagarjuna hat da allzu vorschnellen Meinungen bezüglich der Skandhas aus denen der Mensch bestehen soll, im Grunde sollte damit gesagt sein, dass der Mensch keinen festen Kern hat und nur aus Bündeln von Eigenschaften besteht, einen kräftigen Strich durch die Rechnung gemacht.
1000 Jahre später machen Hirnforscher den Fehler, den Nagarjuna schon überwunden hatte.
(Aber der frühere Mensch, hat sich ja einfach in allem geirrt, werden wir hier belehrt.)

Doch diese Schwierigkeiten kann man aufklären, ein Restich muss immer da sein, die Egozentrik ist es, ganz in Eckharts Sinn, die überwunden werden soll. Das alte spirituelle Rezept lautet, dass, wenn man glücklich sein möchte, man etwas für andere tun sollte. Das ist es, was auch Du sagst, so verstehe ich Dich zumindest. Bei den Buddhisten gibt es viele Übungen dazu Tonglen und andere, Übungen in Mitgefühl und Empathie. Zentrale Übungen.

Und ganz platonisch, aber auch nicht ohne Gefahr, gibt es für jeden seinen Platz im Kosmos.
Eckhart beschwört ihn auch.

Dieser Ansatz ist m.E. unterm Strich die beste Story der Welt. Aber sie erzeugt mehrere Probleme.
Das Happy End, was sie durchaus vorsieht, bedarf einiger Umwege, manche dauern ein ganzes Leben. Dafür haben wir keinen Sinn.

Die Navigation ist ins Subjekt verlegt, das ist vielen suspekt. Wir haben keinen Sinn dafür, dass Freiheit und „Gehorsam“ zusammenfallen können. Seinen Platz gefunden zu haben – das was Psychologen Selbstfindung nennen könnte in die Richtung gehen, aber auch deutlich weniger sein – beschreibt Eckhart ausdrücklich, als die höchste Form der Freiheit. Natürlich vom Ich. Und vom Ich befreit zu sein, den egozentrischen Anhaftungen, das sagen so ziemlich alle Mystiker, ist das höchste Glücksempfinden. Meditierende können das nachvollziehen. Hirnforscher behaupten, es messen zu können und bestätigen, dass es glücklich macht, etwas für andere zu tun. Nicht krampfhaft, sondern aus einem Bedürfnis heraus.

Der Ansatz ist vergleichsweise undemokratisch. Wenn jeder seinen Platz im Kosmos haben sollte, der auch noch mehr oder weniger gerechtfertigt ist, ist das nicht das, was wir als egalitär und gerecht empfinden. Das muss man ernst nehmen.

Eine Wendung nicht ohne Ironie ist die, dass der Determinismus, den die Naturalisten beschwören, nicht so ganz schlecht mit der Idee des Karma korrespondiert. Wie weit dabei nun eine das Leben überdauernde Kontinuität gegeben ist, die man Seele nennen kann, darüber gehen die Ansichten auseinander. Tendenziell geht die hinduistische Tradition eher von so einer Kontinuität der Seele aus, als die buddhistische, die sowohl einen Ichkern, als auch eine Seele zum Teil – aus einer letztendlichen Sichtweise – ablehnt.

Die Zufälligkeit, die oft als alternative Erklärung angeboten wird („Manchmal hat man eben Pech“) , ist mitunter ein schwacher Trost, aber gravierender ist, dass ein konsequenter Determinismus, bei dem mir Naturalisten erklären müssten, wie sie nicht an ihn glauben können, Zufälle eigentlich ausschließt. Gegenteilige Meinungen hierzu würden mich sehr interessieren.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Lumen » Fr 13. Jul 2012, 21:34

Über verschiedene Antworten verteilt schrieb ich vor ein paar Seiten selbst:

Lumen hat geschrieben:[...] Ich gehe ja nicht in ein Vegetarier-Forum, schreibe etwas über mögliche Pestizide auf Pflanzen und streue nebenbei ein, wie sich Tierhaltung ökologisch schonend organisieren lässt. Da würde jeder sofort den Braten riechen [...]


Lumen hat geschrieben:Ich unterstelle dir, dass du Naturwissenschaften und religiöse Inhalte verwischst, indem du sie ohne nähere Erklärung beliebig in Zusammenhang bringst.


Lumen hat geschrieben:Nein, aber in meiner Atheistenwelt versuchen Theisten ständig die Beweislast umzukehren [...] Nach Sachlage müssten eigentlich alle Menschen die halbwegs bei Trost sind, eingedenk der religiösen Behauptungen laut loslachen. [...]


Was ja nun schallend belegt wurde. Hat etwas gedauert, aber kam genau so wie bestellt.

Nanna hat geschrieben:Es ist ungewöhnlich, dass ich Lumen hier konzediere, aber ich habe ebenfalls Probleme mit deinem Freiheitsbegriff, laie. [...] Dein Freiheitsbegriff scheint mir allerdings durch und durch positiv zu sein, und deshalb, ja, gehe ich an der Stelle den ungewöhnlichen Schritt und schließe mich Lumen an, dass dieses Freiheitsverständnis einen potentiell totalitären Kerngedanken einschließt, auch wenn du das sicher nicht beabsichtigst.


Ich stimme dir oft zu, wobei ich wohl bemerkt habe, dass du diese Einschätzung zu religiösem Totalitarismus bisher nicht geteilt hast, beziehungsweise stark abgestritten hattest. Ich würde mich natürlich freuen, wenn nun sehen würdest, was ich mit meinen gebetsmühlenartigen Vorträgen dazu meinte. Das sind hier anschauliche Beispiele, die das meines Erachtens sehr gut belegen. Wobei ich weiterhin finde, dass das bereits "per Design" ist und somit unabhängig davon, wie stark ein Individuum solche Ansichten übernimmt und rationalisiert.

Ich finde es fast ein wenig billig, Vollbreits Ausführungen zu zerpflücken, weiß auch nicht genau ob ich darüber lachen oder weinen soll. Aber wir versuchen es mal, dieser seltsamen Sprache auf den Leib zu rücken. Ich werde jetzt nicht den Nefarius machen, mir aber ein paar Perlen raus greifen. Hervorhebungen sind von mir.

Vollbreit hat geschrieben:Allein Handlungen in Absichtslosigkeit sind geeignet Karma aufzulösen, ins Jetzt, ins Nun zu gelangen – dann aber ohne Zeitverzögerung, das wird meist nicht erkannt.


Vermutlich haftet dem Begriff "Absichtslosigkeit" noch eine Menge Kleingedrucktes an, jedenfalls: Wie können Handlungen Absichtslos sein? Im Hinblick auf Totalitarismus schrillen da natürlich direkt wieder die Alarmglocken. Eine Wortwahl wie "Allein" und was "nicht erkannt" wird sind vollkommen dogmatische Behauptungen. Hier wird die Problematik deutlich, falls ihr beide überhaupt für rationale Gedanken zugänglich seid, die ich damit habe. Ihr krittelt an empirischen Wissenschaften herum, dann folgt obskurer Gibberish der aber "allein" wahr sein soll--ohne Grund, ohne Beleg. Hallo, merkt ihr das wirklich nicht?

Ganz gruselig wird es dann hier, unter anderem...

Vollbreit hat geschrieben:Und ganz platonisch, aber auch nicht ohne Gefahr, gibt es für jeden seinen Platz im Kosmos. Eckhart beschwört ihn auch.


Vollbreit hat geschrieben:Die Navigation ist ins Subjekt verlegt, das ist vielen suspekt.


Vollbreit hat geschrieben:Der Ansatz ist vergleichsweise undemokratisch. Wenn jeder seinen Platz im Kosmos haben sollte, der auch noch mehr oder weniger gerechtfertigt ist, ist das nicht das, was wir als egalitär und gerecht empfinden. Das muss man ernst nehmen.


Da hat du den Nagel aber mal mit dem Kopf getroffen.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Nanna » Fr 13. Jul 2012, 22:48

Lumen hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Es ist ungewöhnlich, dass ich Lumen hier konzediere, aber ich habe ebenfalls Probleme mit deinem Freiheitsbegriff, laie. [...] Dein Freiheitsbegriff scheint mir allerdings durch und durch positiv zu sein, und deshalb, ja, gehe ich an der Stelle den ungewöhnlichen Schritt und schließe mich Lumen an, dass dieses Freiheitsverständnis einen potentiell totalitären Kerngedanken einschließt, auch wenn du das sicher nicht beabsichtigst.


Ich stimme dir oft zu, wobei ich wohl bemerkt habe, dass du diese Einschätzung zu religiösem Totalitarismus bisher nicht geteilt hast, beziehungsweise stark abgestritten hattest. Ich würde mich natürlich freuen, wenn nun sehen würdest, was ich mit meinen gebetsmühlenartigen Vorträgen dazu meinte. Das sind hier anschauliche Beispiele, die das meines Erachtens sehr gut belegen. Wobei ich weiterhin finde, dass das bereits "per Design" ist und somit unabhängig davon, wie stark ein Individuum solche Ansichten übernimmt und rationalisiert.

Ja, in dem Punkt unterscheiden wir uns. Ich sehe das Potential zu totalitärem Denken nicht als Kernelement von Religion an. Das hat wahrscheinlich mit einem normativeren Zugang zu tun, den ich zur Welt habe. Ich bin der Überzeugung (und in letzer Zeit immer stärker), dass wir nicht so einfach durch biologische oder intellektuelle Determinismen gezwungen werden können, uns solchen totalitären Denkweisen zuzuwenden, sondern dass wir uns dagegen entscheiden können (was seltener passiert, weil es verdammt hart sein kann). Und ich sehe die Freiheit eben gerade darin, sich entscheiden zu können, wohingegen laie eher der Meinung zu sein scheint, dass die "wahre" Freiheit erst besteht, wenn man sich gewisser Wahlmöglichkeiten entledigt hat. Das ist meiner Meinung nach ein performativer Selbstwiderspruch und der geht, ja, zumindest in dem Punkt gebe ich dir recht, mit religiösem Denken offenbar überdurchschnittlich häufig einher. Es wäre aber meines Erachtens falsch, jemandem, der die Religion wählt, zu unterstellen, dass er dadurch seine Freiheit aufgibt und totalitär wird. Entscheidend ist meiner Meinung nach, da bewege ich mich im Meinungsfeld der Diskursethik, dass die Achtung gegenüber sich selbst und Anderen erhalten bleibt und so die Grundlage des freien Diskurses nicht zerstört wird. Und ich denke eben, dass das mit Religion durchaus zusammengehen kann, auch wenn ich mir hier über die Details sicher noch ein paar Jahre Gedanken machen muss. Ich stehe da erst am Anfang, aber da ich derzeit in meinem Studium recht schwerpunktmäßig mit solchen Fragen beschäftigt bin, werde ich da sicher noch einiges zu vermelden haben.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon ujmp » Sa 14. Jul 2012, 08:55

stine hat geschrieben:
laie hat geschrieben:Was verstehst du denn am Pantheismus besser? Warum soll denn diese Gottesauffassung attraktiver sein?
Ich finde, dass der Pantheismus erklärbarer und vorstellbarer ist. Die Vorstellung, dass alle Natur Eins ist, ist für mich nicht unlogisch und deswegen ist es auch nicht unlogisch, wenn wir über Dinge oder Geschehnisse wissen, auch wenn sie gerade ganz woanders sattfinden. Auch die Geschichte mit den Spiegelneuronen könnte damit zusammenhängen.
Für mich macht das Sinn.
Ein Gott der zu mir spricht, wäre dann nur die Ahnung vom Teil eines Ganzen.

Anders als ein Gott der Religionen fordert er nichts, sondern alles ist Teil von ihm. Der Gott der Religionen ist dagegen ein abgesonderter Gott. Abgesondert vom Menschen, vielleicht sein Ebenbild, aber auch nur vielleicht. Er befiehtl, er bestraft und er macht Vorschriften. Das kann nur dem gefallen, der sich in der Religionsgemeinschaft geborgen fühlt.

LG stine


Der Pantheismus ist möglicherweise allen Gottesbildern vorausgegangen. Er resultierte dann aus der Übertragung der Eigenschaft Bewusstheit (eigner Wille, eigene Macht Dinge zu beeinflussen) auf die erlebte Umwelt. Ich bin aber, wie gesagt, davon überzeugt, dass dies keine Erkenntnis war, also im Sinne einer bewussten Zuschreibung dieser Eigenschaft auf die erlebte Umwelt. Es war genau umgedreht: Je mehr dem Menschen bewusst wurde, dass es Dinge gibt, die kein Bewusstsein haben (z.B. Steine) um so mehr wurde er sich seines eigenen Bewusstseins bewusst. Er begann die Eigenschaft des Bewusstseins von seiner erlebten Umwelt Stück für Stück abzuziehen.

Aus diesem Grund lässt sich der Begriff Gott nicht positiv herleiten. Die Vorstellung ist einfach da, wie die Raumvorstellung. "Gott" ist der Name für das als Person gedachte Sein.

Was es bedeutet, Dinge bewusst zu regeln, ist eine sehr einfache Vorstellung. Jedes Kleinkind, das einmal einen Turm aus bunten Steinen gebaut hat um ihn dann selbst wieder einzureißen, versteht das. Deshalb versteht auch jeder Mensch die Vorstellung, dass es regne weil ein Jemand das so will. Dagegen ist die Vorstellung einer unpersönlichen Natur mit unbeabsichtigten Naturgesetzen ungleichviel komplizierter. Sie erfordert ein hohes Maß Abstraktionsfähigkeit. Sie erfordert die Fähigkeit, sich selbst aus dem Mittelpunkt der Betrachtung zu nehmen - man nennt es auch Erwachsenwerden. ;-)

Der Gottesbegriff liegt überall dort nahe, wo keine Regelhaftigkeit erkennbar ist und den erlebten Dingen daher die Willkürlichkeit eines bewussten Willens unterstellt werden kann.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon ujmp » Sa 14. Jul 2012, 09:19

Lumen hat geschrieben:
Auch noch schön:
The secret of the universe is the continuity of boundless mortality


Geil!

Im richtigen Kontext aber völlig i.O: In der Dichtung. Probier mal Kombinatorik mit Sturm, Traum, Duft, Liebe, Herz, Weite, Fels, Sterne, Meer, Kampf ... Kann sehr inspirierend sein. ;-)

Sie z.B. Bob Dylan, z.B. All Along The Watchtower. Man kann nicht mehr herauslesen, als man selbst hineinlegt. Es ist aber eine Kunst, so einen Interpretationsprozess in Gang zu setzen, besonders einen endlosen (für Dylan m.E. typisch).
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