laie hat geschrieben:In jedem Fall finde ich es interessant, daß der Grundgedanke (Glück und Freiheit durch Aufgabe der Ich-Bezogenheit) in vielen Religionen zu finden ist, unabhängig von sonstigen Glaubensinhalten, liturgischen Praxis usw. Bist du der Meinung, daß man einen Gottesbegriff, wenigstens eine ungefähre Vorstellung von Unendlichkeit, Transzendenz etc braucht, um so einen Grundgedanken überhaupt entwickeln und gar verinnerlichen zu können? Also der Gottesbegriff gleichsam als Werkzeug?
Nein, aber ich glaube der Gottesbegriff verunmöglicht Gedanken auch nicht.
Jedoch hat sich historisch bspw. im Buddhismus gezeigt, dass es doch einen ethischen Impuls ist, der auf das große Ganze der fühlenden Wesen gerichtet sein muss.
Erleuchtung ist das Ende des Leidens (an der Ichhaftigkeit), wodurch jedoch sogleich die Spaltung entsteht ein Erleuchteter in einer unerleuchteten Welt zu sein, was den Anspruch Leid zu minimieren dann hinfällig werden lässt.
Wenn man an eine Schöpfung glaubt, ergibt sich daraus wohl, dass man sich nicht mit weniger als mit der gesamten Schöpfung identifizieren muss. Der ethische Impuls ist dabei aber ein anderer, wobei noch einmal eine interessante Wendung eintritt.
Ich glaube, dass ein atheistisches Standardprogramm und eine mystische Ausrichtung (und wohl auch eine religiöse, die nicht in Konventionen erstarrt ist) so weitreichend Hand in Hand gehen, dass ein Unterschied in der ethischen Ausrichtung
zunächst überhaupt nicht ins Gewicht fällt.
Problematisch sind religiöse Fundamentalisten, seit die Atheisten nun auch breiteren Kreisen bewiesen haben, dass die ebenfalls in der Lage sind eine fundamentalistische Einstellung zu etablieren, weiß man, dass die Unterschiede und Gemeinsamkeiten hier genauer betrachtet werden müssen. Vorurteilsfreie Atheisten werden in meinen Augen problemlos den Sprung auf eine Ebene pragmatischer Einigung mit anderen intelligenten und vorurteilsfreien Kräften hinbekommen, die Sorge die man haben darf, ist, dass die Fundamentalisten aller Lager überproportional stark werden könnten. Das wäre schlecht, ist aber realistisch.
Ein notwendiger nächster Schritt wäre also eine Kooperation von intelligenten und undogmatischen Religiösen, Atheisten und Agnostikern.
Das Standardprogramm ist zunächst, dass man hilft innere und äußere Entwicklung voranzutreiben, so wie es gerade nötig ist, in den verschiedenen Teilen der Welt mitsamt ihrer verschiedenen Entwicklung. Wenn ein gewisser Standard erreicht ist (der aber statistisch noch weit entfernt ist, bezogen auf die gesamte Erde) treten die Unterschiede erst zutage.
Beim Atheismus ist es die Frage, welche ethische Ausrichtung man sich gibt, der Naturalismus selbst gibt nichts her, das wurde oft genug thematisiert, ob Ethik und Moral überhaupt nötig sind, darüber herrscht ja in Kreisen der Brights, wie zu lesen ist, noch erheblicher interner Klärungsbedarf, man muss halt auf die Ergebnisse warten, die Palette der Einstellungen ist sehr bright.
Das Ziel liegt naturgemäß in einer Verbesserung der Lebensbedingungen, tendenziell versuchen Brights das wohl über den Ausbau von (Natur-)Wissenschaft und Technik zu erreichen, m.E. ein Weg der seine Defizite bereits offenbart hat. (Ich sehe Europa hier als Modellfall, aber das ist eine andere Diskussion.)
So weit ich empathisch mit Mystikern sein kann, empfinde ich, dass ihre ethische Ausrichtung eine andere Wendung nimmt. Das Ziel ist klar, Erleuchtung an erster Stelle, weil das, wenn man erleuchtet ist, als der erfolgreichste Weg zum Ausweg aus dem Leid erkannt wird.
Doch, wie oben erwähnt, Erleuchtung in einer nichterleuchteten Welt, führt in eine Spaltung, deshalb das Ziel die Welt zu erleuchten (das ist die Wurzel des Boddhisattva-Gelübdes, der mit dem Mahayana Buddhismus ins Spiel kam). Dieses Ziel ist zwar primär, aber in den aller meisten Fälle nicht direkt zu erreichen. D.h. es ist ein Irrglaube zu sagen, verzichtet auf alles, meditiert nur noch und kümmert euch um eure Erleuchtung, weil es im schlimmsten Fall die Spaltung vergrößert.
Man muss also dafür sorgen, dass Menschen überhaupt erst in die Lage versetzt werden so etwas wie Erleuchtung oder Selbsttranszendenz oder wie immer man es nennen will, als Ziel anzustreben und wenn Stufenmodelle psychischer Entwicklung wirklich wahr sind, ist das ein Weg, der bei der Selbstverwirklichung überhaupt erst beginnt. (Wobei Erleuchtung ein Sonderfall ist, weil man in buchstäblich jedem Moment seine Erleuchtung erkennen kann.)
Nun gibt es einmal die Möglichkeit den Weg bis zur Selbstverwirklichung zu pushen, was in der Praxis Standardmodellen soziokultureller Entwicklung entspricht – Brunnen und Schulen, politische Stabilität, individuelle Freiheit. Da gibt es ohnehin schon eine breite Kooperation. Man kann das etwas fatalistisch ausdeuten, in dem Sinne, dass Gott schon für das sorgen wird, was kommt, man kann mit dem gleichen (oder sogar mehr) Recht sich als aktiven Teil der Schöpfung sehen oder seine karmische Rolle annehmen oder seinen Teil zu einem Gelingen einer besseren Welt beitragen wollen.
Wenn idealerweise jeder seine Rolle spielen sollte, kann das immer noch bedeuten, dass man die auch finden muss, das Individuum stünde in der Verantwortung. (Hier fände ich es spannend noch mal zu Eckhart zu blenden, der mit die besten Gebrauchsanweisungen gegeben hat und den Clou herauszuarbeiten, auf den es bei Eckhart hinausläuft. Es geht ja schlicht immer um die bange Frage, woher ist denn weiß und woran in denn merken soll,
dass ich auf dem richtigen Weg bin – wenn ich denn meine, es sei der richtige.)
Wenn die Naturgesetze alles haarklein determinieren ist freier Wille dennoch möglich (Kompatibilismus), doch die Würfel sind bereits gefallen.
Im ersten Fall könnte sich eine lebendigere Beziehung vom Ich mit dem Kosmos entwickeln, im zweiten Fall nicht (bzw. sie wäre erheblich schwerer zu erklären), was der Reichhaltigkeit des individuellen Lebens allerdings keinen Abbruch tut.
Welche Sichtweise stimmt, weiß ich nicht, aber soweit ich mich da hineindenken kann, wird man die große Gleichung am Ende auflösen müssen, in Richtung eines Universums was einfach abläuft und einer lebendigen Beziehung. Das kann man dann Gott nennen, man muss es aber nicht tun.