Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Vollbreit » Do 19. Jul 2012, 13:38

@ Lumen:

Hier geht nun einiges durcheinander.
Worüber man diskutieren muss, sind mehrere Punkte:

1) Arterhaltung gilt in der Biologie inzwischen als falsches, d.h. emprisich widerlegtes Konzept:
http://de.wikipedia.org/wiki/Arterhaltung
An diese Stelle ist die Idee des Egoismus getreten.

2) Handelt es sich dabei nun um egoistische Individuen oder um egoistische Gene?
Nach der allgemeinen Ansicht, wie man Dawkins zu verstehen hat, sagt Dawkins, dass eben nicht das Individuum egozentrisch ist, sondern die Gene und dass diese „selfish genes“ sich durchsetzen wollen.

Leider lässt sich das nicht mehr halten, wenn man Dawkins selbst dazu liest:
Richard Dawkins hat geschrieben: „Wenn er – wie ich – eine Gesellschaft
aufbauen möchte, in der die einzelnen großzügig und selbstlos
zugunsten eines gemeinsamen Wohlergehens zusammenarbeiten,
kann er wenig Hilfe von der biologischen Natur erwarten.
Laßt uns versuchen, Großzügigkeit und Selbstlosigkeit zu
lehren, denn wir sind egoistisch geboren. Laßt uns verstehen
lernen, was unsere eigenen egoistischen Gene vorhaben, denn
dann haben wir vielleicht die Chance, ihre Pläne zu durchkreuzen
– etwas, das keine andere Art bisher jemals angestrebt
hat.“ (S.23)
Quelle: (Richard Dawkins, Das egoistische Gen, 1989,1994 by Richard Dawkins, dt. Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, Mai 1996, S.23)


Eine mögliche Deutung wäre, dass Dawkins an anderer Stelle etwas anderes schreibt, das würde dann bedeuten, dass Dawkins sich selbst widerspricht. Denkbar?
Unter anderem kritisiert Frans de Waal Dawkins dafür und es sind Leute wie de Waal und andere, die behaupten Moral sei uns angeboren, Dawkins behauptet das nicht.

3) Aber es ist noch etwas anderes denkbar. Möglich ist nämlich, dass Darth das was er gerade lernt korrekt wieder gibt, es aber trotzdem dummes Zeug ist, weil sich der Begriff des Egoismus irgendwann nicht mehr rechtfertigen lässt. Es ist die Frage, warum man etwas noch Egoismus nennen soll, wenn es auch noch Altruismus umfasst.
Die Unterstellung jedes Verhalten als prinzipiell egoistisch zu deuten und etwaige rationale Motive damit kleinzureden – wie es die gesamte Biologenfraktion tut – ist schlicht dummes Zeug.
Verhalten von vorn herein durch die Brille „es muss egoistisch motiviert sein“ abzurastern, bis man was gefunden hat (oder sogar das altruistischste Verhalten dahingehend uminterpretiert hat) ist eine petitio principii von der Darth dann allerdings weder weiß was das ist, noch sie erkennt, noch ihre Brisanz.
Wo ist universeller Egoismus noch widerlegbar – alles was Darth bisher dazu geschrieben hat, ist für die Urne? Wo ist die Trennschärfe des Begriffs hin, wenn alles Verhalten egoistisch motiviert sein soll.

Auch Neurowissenschaftler kommen auf diese Ideen, lies selbst:
http://de.wikipedia.org/wiki/Egoismus#N ... kenntnisse

Lumen, Du bist intelligent genug. Und darum hast Du auch die Pflicht Dir bei all Deinem Hass auf Religionen mal ein paar Minuten lang zu überlegen, ob Du die Biologisierung oder biologisierende Ausdeutung der Welt wirklich wollen kannst. Genau diese Scheiße kommt dabei heraus, haufenweise Selbstwidersprüche, bei denen sich selbst kluge Menschen den Blick versperren lassen, weil da ja schöne bunte Bilder leuchten und man ja irgendwie gegen Religion ist.
Wäre es nur dumm, es wäre nicht der Rede wert, es ist aber obendrein auch noch gefährlich. Und ist ein entweder/oder wirklich die einzige Alternative?
Schau’s Dir mal in Ruhe an.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Lumen » Do 19. Jul 2012, 14:28

Vollbreit hat geschrieben:1) Arterhaltung gilt in der Biologie inzwischen als falsches, d.h. emprisich widerlegtes Konzept:
http://de.wikipedia.org/wiki/Arterhaltung. An diese Stelle ist die Idee des Egoismus getreten.


Das ist falsch. Es heißt egoistische Gene und nicht egoistische Individuen. Ich habe von Arterhaltung nicht gesprochen und kenne auch die akademische Debatte dazu nicht. Im Gegenteil, ich finde Dawkins Darstellung (egoistische Gene und reziprok altruistische Individuen) plausibel und habe diese auch so widergegeben. Im Artikel zur Arterhaltung ist zu lesen: "Das Konzept der Arterhaltung wurde in der Evolutionsbiologie zwischen Mitte der siebziger Jahre bis etwa Mitte der neunziger Jahre heftig diskutiert, zuvor aber schon von Richard Dawkins in seinem Werk Das egoistische Gen (1976) argumentativ widerlegt.".

Vollbreit hat geschrieben:2) Handelt es sich dabei nun um egoistische Individuen oder um egoistische Gene? Nach der allgemeinen Ansicht, wie man Dawkins zu verstehen hat, sagt Dawkins, dass eben nicht das Individuum egozentrisch ist, sondern die Gene und dass diese „selfish genes“ sich durchsetzen wollen. Leider lässt sich das nicht mehr halten [...]


Auch dem widerspreche ich. Darin stecken Annahmen von dir, die unterstellen, dass (reziproker) Altruismus umfassend sei. Das stimmt aber nicht. Egoistische Gene können sich nur dann durchsetzen, wenn sie etwas bewirken, was zumindest ihren Kopien hilft. Ein Gen hat nichts davon, wenn es konkurrierende Gene befördert. Löwenmännchen zum beispiel töten bisweilen die Jungen eines anderen Männchens, auch um die erneute Paarungsbereitschaft des Weibchens zu beschleunigen.

Außerdem würde ich erst einmal wissen wollen was die allgemein gültige Definition der Begriffe Egoismus und Altruismus sind. Ansonsten ist eine Erörterung fruchtlos. Ich habe in dem anderen Thread eine mögliche und plausible Definition vorgelegt, die sich mit dem allgemeinen Verständnis der Begriffe deckt. Hierbei ist Egoismus ein eigennütziges Verhalten wohingegen Altruismus ein uneigennütziges Verhalten ist. Jetzt kann zunächst uneigennütziges Verhalten über Umwege eigennützig werden. Das kommt daher, dass bei einem Tausch eine Partei immer in Vorleistung tritt (wenn auch nur um Sekunden), und dafür dann etwas im Gegenzug erhält. Eine lernfähiges Lebewesen kann also ein zunächst altruistisches Verhalten nachträglich als einen Teil eines Tausches begreifen (weil ein Artgenosse das Verhalten erwidert). Beispielsweise füttern Vampirfledermäuse leer ausgegangene Artgenossen und werden entsprechend, wenn sie selbst leer ausgehen, von Artgenossen gefüttert. Der Begriff reziproker Altruismus ist dafür gängig und trifft meines Erachtens den Sachverhalt, denn es handelt sich nicht um einen direkten Tausch. Selbst wenn eine Fledermaus in Erwartung selbst eines Tages gefüttert zu werden ihr Futter teilt, wäre der Begriff egoistisch schon sehr weit ausgelegt. Das wird durch den Begriff reziprok abgedeckt. Ein Tausch wird gemeinhin nicht als egoistisch bezeichnet, sofern beide Seiten gleichsam profitieren. Soweit ich weiß haben manche Tiere ein Gedächnis für schlechte Erfahrungen, d.h. sie Teilen nicht mehr mit bestimmten Artgenossen, wenn diese früher einmal nicht geteilt haben. Selbst dann ist der Begriff egoistisch zweifelhaft und bezogen auf Dawkins' Konzeption auch falsch. Da Gene identische Kopien in anderen Lebewesen von sich begünstigen können, ist die Bezeichnung und der Titel des Konzepts als "egoistische Gene" hingegen treffend.

Vollbreit hat geschrieben:Aber es ist noch etwas anderes denkbar. Möglich ist nämlich, dass Darth das was er gerade lernt korrekt wieder gibt, es aber trotzdem dummes Zeug ist, weil sich der Begriff des Egoismus irgendwann nicht mehr rechtfertigen lässt. [...] Und darum hast Du auch die Pflicht Dir bei all Deinem Hass auf Religionen mal ein paar Minuten lang zu überlegen, ob Du die Biologisierung oder biologisierende Ausdeutung der Welt wirklich wollen kannst.


Ich finde weder deine Darstellung noch die von Nefarius plausibel. Im Gegensatz zu euch habe ich meine Begründung vorgelegt und auch erklärt, wie ich die Begriffe verwende. Augenscheinlich ist das auch die übliche Verwendung der Begriffe, sowohl von Dawkins als auch von anderen. Schaue ich mir zum Beispiel den Wikipedia Artikel zum Gemeinen Vampir an, taucht der Begriff reziproker Altruismus dort auf, ebenso im englischen Artikel. Reziproker Altruismus als Begriff ist auch erläutert. Wo liegt jetzt der Fehler?

Dawkins hat selbst einen Vortrag darüber gehalten wie biologische Anlagen "unterminiert" werden, beispielsweise durch Kultur oder Erziehung. Somit also Biologie irgendwann nicht mehr nützlich ist, um Phänomene zu erklären. Selbst im Tierreich gibt es Beispiele wie den Kuckuck, oder die Prägung von Jungtieren auf ihre Eltern, oder das Kindchenschema. Ich erwähne Dawkins deshalb, weil ich den Eindruck habe, dass weder du noch Nefarius überhaupt verstanden habt, was er denn geschrieben hat und ihr seine Position meines Erachtens falsch wiedergebt. Ich finde es gehört dazu, dass eine Position richtig dargestellt werden sollte, bevor man versucht sie zu verurteilen und sollte nicht mit Heiligenverehrung verwechselt werden. Der Vortrag ist übrigens insgesamt sehenswert: the Purpose of Purpose, die zweite Hälfte handelt dann von Evolution. Er würde eure Sichtweise als "naive Darwinism" bezeichnen, ab hier.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Vollbreit » Do 19. Jul 2012, 18:28

Lumen hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:1) Arterhaltung gilt in der Biologie inzwischen als falsches, d.h. emprisich widerlegtes Konzept:
http://de.wikipedia.org/wiki/Arterhaltung. An diese Stelle ist die Idee des Egoismus getreten.


Das ist falsch. Es heißt egoistische Gene und nicht egoistische Individuen. Ich habe von Arterhaltung nicht gesprochen und kenne auch die akademische Debatte dazu nicht. Im Gegenteil, ich finde Dawkins Darstellung (egoistische Gene und reziprok altruistische Individuen) plausibel und habe diese auch so widergegeben. Im Artikel zur Arterhaltung ist zu lesen: "Das Konzept der Arterhaltung wurde in der Evolutionsbiologie zwischen Mitte der siebziger Jahre bis etwa Mitte der neunziger Jahre heftig diskutiert, zuvor aber schon von Richard Dawkins in seinem Werk Das egoistische Gen (1976) argumentativ widerlegt.".


Das diskutiere ich doch unter Punkt 2).

Lumen hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:2) Handelt es sich dabei nun um egoistische Individuen oder um egoistische Gene? Nach der allgemeinen Ansicht, wie man Dawkins zu verstehen hat, sagt Dawkins, dass eben nicht das Individuum egozentrisch ist, sondern die Gene und dass diese „selfish genes“ sich durchsetzen wollen. Leider lässt sich das nicht mehr halten [...]


Auch dem widerspreche ich. Darin stecken Annahmen von dir, die unterstellen, dass (reziproker) Altruismus umfassend sei. Das stimmt aber nicht. Egoistische Gene können sich nur dann durchsetzen, wenn sie etwas bewirken, was zumindest ihren Kopien hilft. Ein Gen hat nichts davon, wenn es konkurrierende Gene befördert. Löwenmännchen zum beispiel töten bisweilen die Jungen eines anderen Männchens, auch um die erneute Paarungsbereitschaft des Weibchens zu beschleunigen.


Und? Wogegen soll das nun ein Argument sein? Kann man prima unter Egoismus subsummieren, das Löwenmännchen kommt schneller zum Schuss.

Lumen hat geschrieben:Außerdem würde ich erst einmal wissen wollen was die allgemein gültige Definition der Begriffe Egoismus und Altruismus sind.


Willkommen im Club. Mach das mal mit den Biologen aus.
Die meinen das wirklich so, dass die Grundmotivation allen Lebens der Egoismus ist und dass man nur dort und nur darum kooperiert, weil am Ende der größere Lohn rausspringt.
Du willst nicht glauben, wie primitiv die Argumentation ist, aber frag‘ mal Darth und dabei liegt es dieses mal nicht an ihm.
Du wirst, wie andere schnell zu dem gleichen Schluss kommen, dass eine umfassende Definition: – alles Egoismus – zu nichts zu gebrauchen ist. Stimmt.

Lumen hat geschrieben:Ansonsten ist eine Erörterung fruchtlos. Ich habe in dem anderen Thread eine mögliche und plausible Definition vorgelegt, die sich mit dem allgemeinen Verständnis der Begriffe deckt. Hierbei ist Egoismus ein eigennütziges Verhalten wohingegen Altruismus ein uneigennütziges Verhalten ist.


Jaja, kein Thema, ich unterschreib Dir das auch, Agent hatte auch eine sinnvollere Definition, ich vermute jedem Nichtbiologen ist das klar, nur: Standard bei den Biologen ist eine andere Geschichte, ein Kronzeuge ist hier glücklicherweise im Forum.

Lumen hat geschrieben: Jetzt kann zunächst uneigennütziges Verhalten über Umwege eigennützig werden. Das kommt daher, …


Ich bin nicht der, den Du überzeugen musst.

Lumen hat geschrieben:[Ich finde weder deine Darstellung noch die von Nefarius plausibel. Im Gegensatz zu euch habe ich meine Begründung vorgelegt und auch erklärt, wie ich die Begriffe verwende.
… Wo liegt jetzt der Fehler?


Frag die Biologen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Altruismus ... ssenschaft
Der reziporke Altruismus ist kein echter.

Lumen hat geschrieben:Dawkins hat selbst einen Vortrag darüber gehalten wie biologische Anlagen "unterminiert" werden, beispielsweise durch Kultur oder Erziehung. Somit also Biologie irgendwann nicht mehr nützlich ist, um Phänomene zu erklären. Selbst im Tierreich gibt es Beispiele wie den Kuckuck, oder die Prägung von Jungtieren auf ihre Eltern, oder das Kindchenschema. Ich erwähne Dawkins deshalb, weil ich den Eindruck habe, dass weder du noch Nefarius überhaupt verstanden habt, was er denn geschrieben hat und ihr seine Position meines Erachtens falsch wiedergebt.


Dawkins argumentiert mal so und mal so, das Zitat ist eindeutig, ist von ihm, nicht von mir.
De Waal wirft ihm ebenfalls vor, dass er mal so und mal so argumentiert.
Natürlich ist es vollkommen unzureichend zu betonen, Moral würde vererbt, insofern ist Dawkins, wenn er so argumentiert wie Du sagst zuzustimmen.
Er sagt halt nur zuweilen auch anderes.

Lumen hat geschrieben:Ich finde es gehört dazu, dass eine Position richtig dargestellt werden sollte, bevor man versucht sie zu verurteilen und sollte nicht mit Heiligenverehrung verwechselt werden.


Du hast das Zitat ja gelesen, was habe ich denn da falsch verstanden?
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Lumen » Do 19. Jul 2012, 19:50

Ich verstehe nicht was du willst. Du hast behauptet, dass "die" Biologen alles unter dem Gesichtspunkt von Egoismus sehen würden und hast behauptet, Nefarius würde das korrekt wiedergeben. Dazu hast du ein Zitat von Dawkins gebracht, was dies angeblich belegt und aus unerfindlichen Gründen auf überholte Arterhaltung verwiesen sowie auf was De Waal meint. Ich habe dir dazu erklärt, was ich selbst unter Egoismus und Altruismus verstehe und dir Beispiele gezeigt, wo dieses Verständnis sich auch auf Biologie-Seite niederschlägt, inklusive (und besonders auch) was Dawkins angeht.

Das Beispiel mit Löwen und das Beispiel mit der Brutpflege bei Krokodilen passen wunderbar und klar zusammen. Beides unterstreicht "egoistische" Gene, wobei einmal das Resultat ein "egoistisches" Verhalten (Löwe) ist, und einmal ein altruistisches (Krokodil). Ob Biologen Löwen, die Junge von anderen Männchen töten, wirklich im fachlichen Sinne "egoistisch" nennen, weiß ich nicht. Jedenfalls auf Dawkins Zitat angewendet wird hier klar, dass reziproker Altruismus keine umfassende Charaktereigenschaft ist, also gerade nicht "biologisiert" wird!

Es gibt außerdem gerade bei Dawkins ein Heer an Leuten, die Evolution nicht verstanden haben und das ganze verzerren und denen es dann willkommen ist, wenn Wissenschaften oder Wissenschaftler dann im Zusammenhang mit "Egoismus", "Biologismus" oder "Szientismus" gestellt werden (also etwas das amoralisch, emotional unangenehm usw erscheint).
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Darth Nefarius » Do 19. Jul 2012, 20:23

Vollbreit hat geschrieben:Möglich ist nämlich, dass Darth das was er gerade lernt korrekt wieder gibt, es aber trotzdem dummes Zeug ist, weil sich der Begriff des Egoismus irgendwann nicht mehr rechtfertigen lässt.

Eine Behauptung, wie nichts anderes, was hier folgt:
Vollbreit hat geschrieben:Es ist die Frage, warum man etwas noch Egoismus nennen soll, wenn es auch noch Altruismus umfasst.

Das stimmt ja nicht. Nichts kann widerspruchslos als selbstlos betrachtet werden, beim Egoismus geht das. Ob nun bewusst oder unbewusst wird von biologischen Systemen der eigene Vorteil angestrebt, nicht primär der des Gegenübers, höchstens sekundär.
Vollbreit hat geschrieben:Die Unterstellung jedes Verhalten als prinzipiell egoistisch zu deuten und etwaige rationale Motive damit kleinzureden – wie es die gesamte Biologenfraktion tut – ist schlicht dummes Zeug.

Eine Behauptung, die "die Biologenfraktion" nicht teilt.
Wem ist geholfen, wenn du einfach "dummes Zeug" ohne Argumente schreibst? Ich kann auch sagen: Vollbreit redet dummes Zeug. Und?
Vollbreit hat geschrieben:Verhalten von vorn herein durch die Brille „es muss egoistisch motiviert sein“ abzurastern, bis man was gefunden hat (oder sogar das altruistischste Verhalten dahingehend uminterpretiert hat) ist eine petitio principii von der Darth dann allerdings weder weiß was das ist, noch sie erkennt, noch ihre Brisanz.

Nein, es ist eine Methodik, die sich als nützlich herausgestellt hat. In der Praxis gehen wir überall im Leben mit einer Erwartungshaltung an eine Beobachtung heran, auch in der Wissenschaft, es ist unsinnig das Gegenteil zu fordern, weil es nicht möglich ist. Wenn du wenigstens etwas Mumm hättest, würdest du mich direkt anmachen, anstatt permanent über mich sonstwas zu sagen, während du meiner Antwort feige ausweichst.
Vollbreit hat geschrieben:Wo ist universeller Egoismus noch widerlegbar – alles was Darth bisher dazu geschrieben hat, ist für die Urne? Wo ist die Trennschärfe des Begriffs hin, wenn alles Verhalten egoistisch motiviert sein soll.

Ich hatte auch mit dir unzählige Diskussionen darüber, aber offensichtlich war nicht genug zwischen deinen Ohren, um wenigstens etwas davon zu behalten. Erinnerst du dich nicht?
Vollbreit hat geschrieben:Wäre es nur dumm, es wäre nicht der Rede wert, es ist aber obendrein auch noch gefährlich. Und ist ein entweder/oder wirklich die einzige Alternative?
Schau’s Dir mal in Ruhe an.

Was ist daran bitte gefährlicher als der Altruismus? Der Egoismus ist sicherer! Für mich ist ein Märtyrer, ein Selbstmordattentäter noch das altruistischte, was ich mir denken kann; jemand, dem sein eigenes Leben etwas bedeutet, wird sich umgänglicher verhalten als ein Mensch, der den eigenen Schaden nicht scheut, der keine Kompromisse eingeht, der nicht mit sich verhandeln lässt.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Lumen » Do 19. Jul 2012, 23:08

Vollbreit hat geschrieben:Lumen, Du bist intelligent genug. Und darum hast Du auch die Pflicht Dir bei all Deinem Hass auf Religionen mal ein paar Minuten lang zu überlegen, ob Du die Biologisierung oder biologisierende Ausdeutung der Welt wirklich wollen kannst. Genau diese Scheiße kommt dabei heraus, haufenweise Selbstwidersprüche, bei denen sich selbst kluge Menschen den Blick versperren lassen, weil da ja schöne bunte Bilder leuchten und man ja irgendwie gegen Religion ist. Wäre es nur dumm, es wäre nicht der Rede wert, es ist aber obendrein auch noch gefährlich. Und ist ein entweder/oder wirklich die einzige Alternative? Schau’s Dir mal in Ruhe an.


Zunächst sehe ich diese biologisierende Ausdeutung der Welt nicht, jedenfalls nicht bei Dawkins. Dieser betonte immer wieder, dass wir besser nicht auf die Natur schauen sollen um zu bestimmen, wie wir miteinander umgehen sollen. Dawkins ist außerdem Humanist. Nun sind mir Experten für meine eigene Sichtweise am Ende egal. Es ist nützlich auf Experten zu verweisen oder auf ihre Beispiele, da die Wahrscheinlichkeit, dass sie etwas richtiges zum Thema zu sagen hat, höher ist als bei Laien. Aber am Ende spielt es keine Rolle wer was meint, sondern ob das Gesagte sinnvoll oder nachvollziehbar ist. Interessanterweise sagen das auch wieder jene Prominenten, die von beiden Seiten unter Beschuss geraten (sowohl von Brights als auch von Supers). Hitchens etwa führt aus, dass es Atheisten egal ist, ob es Sokrates wirklich gegeben hat. Unser Weltbild steht und fällt nicht damit. Selbst wenn sich Darwin als Fabrikation herausstellen würde, hätte es keinen wirklichen Einfluss auf das Festgestellte. Im Gegensatz natürlich zu wesentlichen Religionen, die zusammenbrechen würden, wenn zweifelsfrei erwiesen wäre, dass es Jesus oder Mohammed nie gegeben hätte.

Wir können getrost davon ausgehen, dass Religionen keine Methode haben, um etwas über die Welt zu wissen, außer das, was die Anhänger selbst zu ihrer Zeit notiert haben, oder was andere in späteren Zeiten hinein interpretiert haben. Das kann stimmen, ist aber in der Tendenz veraltet und überholt. Wissenschaften haben sich als effektiveren Weg erwiesen, etwas über die Welt herauszufinden. Das Verhältnis von Religion zu Wissenschaft ist genau genommen wie das von Proto-Wissenschaft zu Wissenschaft, wie Alchemie zu Chemie, Astrologe zu Astronomie. Es gibt keine guten Grund dem Vorläufer den Vorzug zu geben.

In Wahrheit verfallen Menschen aus emotionalen Gründen auf diese Torheit. Es ist als ob Leute ihre Welt lieber mittels eines Comic-Heftes deuten würden, weil sie damit aufgewachsen sind, es ihnen Vertrautheit vermittelt, sie die Charaktere und die dort dargestellte Welt mit Wundern und höheren Wesen und Superkräften der akkuraten "Erwachsenenliteratur" vorziehen. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes infantil. Es geht und ging dabei nie um "Wahrheit", egal wie weit man den Begriff runterkocht oder relativiert. Für religiös Verwirrte ist ihr Comic immer wahr und sie schwelgen lieber in Fan-Diskussionen, wie die Superkräfte funktionieren könnten und warum der gottgleiche Superman nicht einfach alle Schurken weg-lasert. Wie in jeder Fan-Diskussionen kann jede beliebige Konstellation irgendwie "erklärt" werden. Jede noch so neue Entwicklung, von Quantenphysik bis Evolution kann eingearbeitet werden. Dann feuert Superman eben Photonen aus seinen Augen, die physikalisch korrekt von Atomen absorbiert werden bis sie tanzen. Eine infantile Fantasie kann alles einbauen.

Das ist infantil und wirkt auch so, sobald man sich davon weit genug distanziert und sich des anerzogenen "Respektes" entledigt hat und die Sache sieht, wie sie ist. Es sind Leute die hochgradig verrückte Dinge für wahr halten und dann zum Teil bizarre Dinge verlangen und ohne eine Miene zu verziehen vorbringen können: Wie jüngst dass man die Vorhaut abschneiden müsse, um einen Bund mit Gott zu besiegeln. Religion hat nichts mit Wirklichkeit oder Wissen zu tun. Am deutlichsten sichtbar ist es bei Kreationisten, die selbst keinerlei Thesen haben, sondern automatisch annehmen, dass wenn die wissenschaftliche Erklärung scheitert, dann automatisch Gott der große Zauberer dafür verantwortlich ist. Das ist keine Theorie, kein Wissen, nicht mal ein halbwegs funktionierender Gedanke der auch überhaupt nicht tragfähig ist. Ich kenne diese Frontlinie nun mittlerweile sehr gut und noch nie habe ich bei Gläubigen gesehen, dass sie ernsthaft an einer "Wahrheit" interessiert sind. Das ist gar nicht ihre Baustelle. Sie finden ihr Comic-Heft einfach schöner und darum soll es wahr sein.

Wenn es also einen Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion überhaupt gibt, was man bezweifeln kann, dann ist es der ob die Welt von den jeweiligen Theorien und Ansichten möglichst adäquat wiedergegeben wird. Also entweder Adam und Eva, oder Evolution. Entweder Urknall oder die Welt wurde von kosmischer Kuh aus dem Eis geleckt. Da hat die Religion, erwiesenermaßen, nichts mehr beizutragen und aus rein methodischen Gründen auch nichts mehr beitragen kann, geht der Punkt klar an so ziemlich alles andere, inklusive "Raten" und D20 würfeln (wobei die wissenschaftliche Methode dem Raten überlegen ist). Das Wissen was in Religiösen Schriften überliefert ist, wurde getestet und einverleibt, wenn es stimmte oder weggeschmissen, wenn es sich als falsch erwies. Das ist längst abgeschlossen.

Wie sieht es nun mit anderen Bereichen aus? Religionen stehen in allen anderen Bereichen im Kontrast zu Kunst, Kultur, Philosophie und anderen Erwägungen und Geschichten. Auch auf diesem zweiten Feld halte ich Religion selbst für für minderwertig. Es gibt bessere Regeln des Zusammenlebens als die von den religiösen propagierten. Es gibt bessere Geschichten als die in den heiligen Schriften. Obwohl Jesus stellenweise gute Dinge gesagt hat, ist er ein kleines Licht im Vergleich zu einem Konfuzius, der über 500 Jahre früher lebte. Daher halte ich auch die Einschätzung und Verehrung von Jesus für übertrieben. Sein Wahrheitsgehalt zweifelhaft, seine Thesen überschattet von anderen. Es gibt keinen Grund und keinen Platz mehr für Jesus. Er ist nicht wichtiger als Anaxagoras, Cicero oder König Arthus oder irgendeine andere Gestalt die es gegeben hat oder nicht. Selbst Sokrates ist wichtiger als Jesus. Wir könnten auf Jesus, als Person und auch was er gesagt hat komplett verzichten und würden praktisch als Menschheit keinen Verlust erleiden.

Wie du siehst ist die Wissenschaft kein Religionsersatz. Es gibt keinen Religionsersatz. Im Gegenteil, gerade die Eigenschaft mancher Religion etwas "allumfassendes" anbieten zu wollen, etwas das von Schlafzimmer bis Politik, von Ernährung bis Tagesplanung, von Spiritualität bis in den Alltag und von der Wiege bis über die Bahre hinaus reicht, ist das was ich totalitär finde und durch nichts ersetzt werden braucht oder sollte. Dieses "Monopol" gehört zerschlagen und durch bessere "Einzelmodule" ersetzt, die sich ergänzen. Wissenschaft ist dabei nur die Methode um etwas über die Welt herauszufinden. Für Moral und Ethik müssen Menschen miteinander reden, abwägen und verhandeln. Für Lebenskomfort müssen sie erfinderisch sein usw. Wissen über die Welt ist dabei nützlich, entbindet aber nicht von der Verantwortung die mit dem Wissen einher geht.

Das zeigt sich schon daran, dass wir immer älter werden. Wir kommen jetzt an eine Grenze, wo die Geräte uns zu lange am Leben erhalten. Nun treffen wir auf grausige Krankheiten wie Demenz und Krebs die sich vorher weit weniger zeigen konnten, da Menschen früher kaum alt genug wurden. Die Wissenschaft hat das ermöglicht, aber die Verantwortung das richtige zu tun liegt nicht in der Wissenschaft, und auch nicht in der Religion. Ich würde mich da auch nicht auf ein Superman-Comic verlassen. Was sollte mir das bringen? Jede Inspiration, religiös oder Comic-Heft kann mich natürlich auf Ideen bringen, das Richtige zu tun. Was das ist, müssen Menschen aber verhandeln und das am besten ohne übernatürliches Totschlagargument. Soweit mein Wort zum Freitag.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon laie » Fr 20. Jul 2012, 05:55

Das klingt für mich nach naiver Aufklärung. Du sagst, die Folgen wissenschaftlichen Fortschritts (höheres Alter, aber damit verbunden Krebs und Demenz) haben weder Wissenschaft noch Religion zu tragen? Du siehst die biologisierende Ausdeutung der Welt nicht bei Versicherungen, nicht in der Wirtschaft? Du kannst dir wirklich nicht vorstellen, daß auch die lauterste wissenschaftliche These und Theorie instrumentalisiert werden kann, um Mißstände zu rechtfertigen? Und wenn das dann doch der Fall sein sollte, dann hat die Wissenschaft deiner Meinung nach nichts damit zu tun?

Lumen hat geschrieben:Selbst wenn sich Darwin als Fabrikation herausstellen würde, hätte es keinen wirklichen Einfluss auf das Festgestellte.


Das verstehe ich nicht.

Lumen hat geschrieben:Im Gegensatz natürlich zu wesentlichen Religionen, die zusammenbrechen würden, wenn zweifelsfrei erwiesen wäre, dass es Jesus oder Mohammed nie gegeben hätte.


Was wäre dann? Jesus, Mohammed, die ganzen Propheten, spielen nicht primär deshalb eine so wichtige Rolle, weil sie wirklich gelebt haben. Sie sind nur wichtig in der jeweiligen Überlieferung. Und darin bzw. in dieser Rolle könnten sie auch Romanhelden sein.


Lumen hat geschrieben:Wir können getrost davon ausgehen, dass Religionen keine Methode haben, um etwas über die Welt zu wissen, außer das, was die Anhänger selbst zu ihrer Zeit notiert haben, oder was andere in späteren Zeiten hinein interpretiert haben. Das kann stimmen, ist aber in der Tendenz veraltet und überholt. Wissenschaften haben sich als effektiveren Weg erwiesen, etwas über die Welt herauszufinden. Das Verhältnis von Religion zu Wissenschaft ist genau genommen wie das von Proto-Wissenschaft zu Wissenschaft, wie Alchemie zu Chemie, Astrologe zu Astronomie. Es gibt keine guten Grund dem Vorläufer den Vorzug zu geben.


Apropos Astrologie: Kepler, der Astronom, stellte auch Horoskope aus, z.B. für Wallenstein.
Ich gehe nicht wie Du davon aus, daß Religion eine Protowissenschaft ist. Wer so denkt, der kann nur auf äußerst krummen Wegen zeigen, warum es noch Leute gibt, die gläubig sind, wo es sich doch bei ihrer Religion um eine Protowissenschaft handelt. Er kann sie dann nur milde belächeln oder sich furchtbar über solche Leute aufregen. Religion hat niemals den Anspruch, kausales oder handlungswirksames Wissen (wie funktioniert etwas, wie mache ich was usw.) über die Welt zu generieren.

Wo es protowissenschaftliches Wissen über die Welt gab oder gibt, ist dies Wissen der Menschen, die dieses Wissen haben. Ob diese Leute gläubig sind oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Wenn man vor 5000 Jahren noch nichts über Krebszellen wusste, dann wusste niemand etwas darüber, das kannst du schlecht der Religion anlasten. Man wusste damals, wie man ein Rad machte oder Feuer, man hatte gerade die Töpferei erfunden und das Weben gelernt. Man war dabei, die ersten grossen Steinbauten zu errichten. Ich bin gespannt, wie man über unsere Zeit in 5000 Jahren denken wird. Vielleicht wird es dann auch einen Lumen geben, der anderen erzählt, daß vor 5000 Jahren die Leute alle religiös und protowissenschaftlich waren.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Vollbreit » Fr 20. Jul 2012, 10:02

Lumen hat geschrieben:Ich verstehe nicht was du willst. Du hast behauptet, dass "die" Biologen alles unter dem Gesichtspunkt von Egoismus sehen würden und hast behauptet, Nefarius würde das korrekt wiedergeben. Dazu hast du ein Zitat von Dawkins gebracht, was dies angeblich belegt und aus unerfindlichen Gründen auf überholte Arterhaltung verwiesen sowie auf was De Waal meint.


Ich hatte den Punkt Arterhaltung angeführt um zu sagen, dass er bei den Biologen nicht mehr aktuell ist. Wenn Dir das vollkommen klar und allgemeiner Konsens ist, brauchen wir über diesen Punkt nicht mehr weiter zu reden.
Käme der nächste: Biologen behaupten, die Wurzel aller Lebensmotivation sei der Egoismus.
Du versuchst dabei eine Trennung aufzumachen zwischen den egoistischen Verhalten von Individuen, was sehr wohl von Biologen und Neurowissenschaftlern angenommen wird und den egoistischen Genen, die einfach nur ihr Muster weitergeben „wollen“ und den Menschen dabei als eine Art Wirt benutzen.
Egositisches Individualverhalten und egoistische Gene wäre somit zwei paar Schuhe und egostische Gene können sich durchaus in nichtegoistischem Individualverhalten niederschlagen.

Mit dem Zitat von Dawkins kann man belegen, dass die Trennung zwischen Individualverhalten und egoistischen Genen aber keinesfalls so rigide ist, wie behauptet wird. Dawkins leitet an dieser Stelle direkt egoistisches Individualverhalten aus unseren egoistischen Genen ab und versteigt sich auch noch in sonderbar anmutende Forderungen man soll sozusagen gegen seine egoistischen Gene angehen.

Nicht diese Haltung, dass wir in einer Spannung von Natur und Kultur leben ist sonderbar, Freud hat sich zig mal daran abgearbeitet, man könnte das runterkochen auf die Botschaft: Unser Verhalten ist zum Teil angeboren, aber keine Panik, durch die Kultur sind wir in der Lage verantwortunsgvoll mit dem, was uns biologisch gegeben wurde, umzugehen.
Ja, das ist die Grundeinstellung der bürgerlichen Gesellschaft.
Nur gerade von Seiten der Neuro- und Evolutionsbiologen wird ein riesen Tamtam darum gemacht wie sehr bis allumfassend wir doch von unserer biologischen Natur abhängig wären, überhaupt gäbe es nur Naturkräfte die wirklich etwas bewirken, der freie Wille wäre eine Illusion (an wen richtet sich denn dann der Aufruf gegen die egoistischen Gene vorzugehen: An unfreie Wesen? – um nur einen Widerspruch anzuführen) und alles Wesentliche sei ohnehin angeboren.
Wenn es nun heißt, ein bisschen Gene hier, ein bisschen Kultur dort, sehen wir zu, dass wir etwas Vernünftiges draus machen, habe ich kein Problem damit. Leider ist das nicht die Botschaft.

Lumen hat geschrieben:Ich habe dir dazu erklärt, was ich selbst unter Egoismus und Altruismus verstehe und dir Beispiele gezeigt, wo dieses Verständnis sich auch auf Biologie-Seite niederschlägt, inklusive
(und besonders auch) was Dawkins angeht.


Und ich habe Dawkins Aussage gepostet und einen link, der Dir zeigt, dass Biologen meinen, dass reziproker Altruismus kein wirklicher Altruismus ist.
Wenn Du die Auffassung vertrittst, das sie im Grunde großer Unsinn – mit dem: Alles ist Egoismus –, dann stimme ich Dir zu. Aber das ist nicht die Auffassung der Neuro- und Evolutionsbiologie.

Lumen hat geschrieben:Das Beispiel mit Löwen und das Beispiel mit der Brutpflege bei Krokodilen passen wunderbar und klar zusammen. Beides unterstreicht "egoistische" Gene, wobei einmal das Resultat ein "egoistisches" Verhalten (Löwe) ist, und einmal ein altruistisches (Krokodil). Ob Biologen Löwen, die Junge von anderen Männchen töten, wirklich im fachlichen Sinne "egoistisch" nennen, weiß ich nicht.


Versuch doch mal es herauszufinden.

Lumen hat geschrieben:Jedenfalls auf Dawkins Zitat angewendet wird hier klar, dass reziproker Altruismus keine umfassende Charaktereigenschaft ist, also gerade nicht "biologisiert" wird!


Ja, im Grunde ist die Aufforderung eine Banalität und kann sich nur an Menschen wenden, die von ihrer Biologie ohnehin nicht sonderlich beherrscht werden.
Einer Motte zu sagen, sie solle nicht ins Kerzenlicht fliegen, dort könnte sie sterben, wäre sinnlos.
Ein Appell an eine Verhaltensänderung oder Vorsicht setzt immer schon voraus, dass derjenige tatsächlich auch anders kann, mithin einen freien Willen hat und qua diesem seine Triebe kontrollieren kann. Die Vor- und Nachteile die daraus erwachsen hat Freud in „Das Unbehagen in der Kultur“ dargestellt.

Lumen hat geschrieben:Es gibt außerdem gerade bei Dawkins ein Heer an Leuten, die Evolution nicht verstanden haben und das ganze verzerren und denen es dann willkommen ist, wenn Wissenschaften oder Wissenschaftler dann im Zusammenhang mit "Egoismus", "Biologismus" oder "Szientismus" gestellt werden (also etwas das amoralisch, emotional unangenehm usw erscheint).


Du hast ja die Chance das mit einem Biologiestudenten hier zu erörtern. Der wird wohl wissen, was gerade gelehrt wird.
Zuletzt geändert von Vollbreit am Fr 20. Jul 2012, 10:46, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Vollbreit » Fr 20. Jul 2012, 10:10

Darth Nefarius hat geschrieben:Ich hatte auch mit dir unzählige Diskussionen darüber, aber offensichtlich war nicht genug zwischen deinen Ohren, um wenigstens etwas davon zu behalten. Erinnerst du dich nicht?


Darth, ich erinnere mich sehr gut.
Dir fehlt so ungefähr alles, um dieser Diskussion auch nur in Ansätzen gewachsen zu sein, darum erspare ich uns eine Neuauflage, da niemand etwas davon hat.
Übersetzung für Dich: Ich bin von der Wucht Deiner Argumente überrollt worden und traue mich deshalb nicht mit Dir in den Ring. :gott:
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Vollbreit » Fr 20. Jul 2012, 10:41

Lumen hat geschrieben:Zunächst sehe ich diese biologisierende Ausdeutung der Welt nicht, jedenfalls nicht bei Dawkins. Dieser betonte immer wieder, dass wir besser nicht auf die Natur schauen sollen um zu bestimmen, wie wir miteinander umgehen sollen. Dawkins ist außerdem Humanist. Nun sind mir Experten für meine eigene Sichtweise am Ende egal.


Um dann doch wieder welche zu zitieren und das Thema zu wechseln.
Nicht um Religion soll es gehen, sondern um eine umfassende Biologisierung als primäre Deutung nach „Nutzen“, laie hat Beispiele angeführt, denen ich mich anschließen kann.

Lumen hat geschrieben:Das Verhältnis von Religion zu Wissenschaft ist genau genommen wie das von Proto-Wissenschaft zu Wissenschaft, wie Alchemie zu Chemie, Astrologe zu Astronomie. Es gibt keine guten Grund dem Vorläufer den Vorzug zu geben.


Nö, eigentlich nicht. Religion war nie als Methode gedacht Erkenntnisgewinn im Sinne der Wissenschaft zu betreiben, das wird auch bei der 20. Wiederholung nicht richtiger.
Nebenbei ist es jenseits der aneinandergereihten Klischees längst nicht so leicht den Begriff der Pseudo-, Para- und Protowissenschaft zu bestimmen, ein Bild kannst Du Dir machen, wenn Du „Pseudowissenschaft“ von Rupnow, Lipphardt, Thiel und Wessely (Hrsg.) liest.

Lumen hat geschrieben:In Wahrheit verfallen Menschen aus emotionalen Gründen auf diese Torheit.


Das nächste Klischee, ebenfalls falsch.
Die Hirnforscherin Nina Azari hat vor einigen Jahren u.a. streng gläubige Evangelikale untersucht, die die Bibel wörtlich nehmen und die insbesondere über Psalme mit Gott in Kontakt treten können, in ihrer Selbstwahrnehmung. Genau diese Psalme ließ sie die Gläubigen rezitieren und untersuchte sie dabei. Wie nicht anders zu erwareten war, aktivierten die Psalme bei den Evangelikalen andere Hirnbereiche als bei Atheisten oder gemäßigt Gläubigen. Doch:
Ulrich Schnabel hat geschrieben:Erstaunlicherweise waren es nicht die sogenannten „Emotionszentren“, die bei den Gläubigen aktiv wurden (wie man vielleicht erwarten könnte), sondern eher socleh Hinrbereiche, die nüchterne, kognitive Aufgaben wahrnehmen – Steuerung von Aufmerksamkeit, Bewertung sozialer Relationen, Selbst- und Fremdwahrnehmung, Lernen und Erinnerungen.
(U.Schnabel, Die Vermessung des Glaubens, 3.Aufl. Pantheon 2010, S.262)


Dann steigerst Du Dich wieder in Dein Thema rein, bleib doch bei dem Thema, um das es gehen soll.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Lumen » Fr 20. Jul 2012, 11:24

Die Beitrage die noch oben dazu kamen, von Vollbreit und Nefarius, habe ich untenstehend noch nicht berücksichtigt, da ich das Antwortfenster früher geöffnet hatte.

laie hat geschrieben:Das klingt für mich nach naiver Aufklärung. Du sagst, die Folgen wissenschaftlichen Fortschritts (höheres Alter, aber damit verbunden Krebs und Demenz) haben weder Wissenschaft noch Religion zu tragen? Du siehst die biologisierende Ausdeutung der Welt nicht bei Versicherungen, nicht in der Wirtschaft? Du kannst dir wirklich nicht vorstellen, daß auch die lauterste wissenschaftliche These und Theorie instrumentalisiert werden kann, um Mißstände zu rechtfertigen? Und wenn das dann doch der Fall sein sollte, dann hat die Wissenschaft deiner Meinung nach nichts damit zu tun?


Das hängt davon ab, was bei dir Wissenschaft ist. Ich habe den Verdacht, ihr seht Wissenschaft als Ersatzreligion. Als Folge von diesem krassen Fehlverständnis findet ihr dann einerseits ein Defizit was moralische Instanzen oder Autorität angeht und denkt, ein Gläubiger dieser Ersatzreligion könne machen was er wolle, weil Wissenschaften keine Priester und Gottheiten kennen, die richtiges Verhalten einfordern. Andererseits führt diese Missverständnis dann dazu, beliebige Fehlentwicklungen auch dieser Ersatzreligion anzulasten. Vielleicht spiegelt das nicht vollständig deine Sichtweise wieder, aber es ist eine sehr verbreitete Ansicht unter streng Gläubigen.

Was ist Wissenschaft: "Wissenschaft ist die Erweiterung des Wissens durch Forschung. Forschung ist die methodische Suche nach neuen Erkenntnissen sowie deren systematische Dokumentation und Veröffentlichung in Form von wissenschaftlichen Arbeiten." Treffender könnte ich es nicht beschreiben, aber es ist wohl in Wirklichkeit trotzdem noch komplexer, weil das Zwischenspiel zwischen Wissen und allem anderen komplex ist. Wenn also Versicherungen mittels Versicherungsmathematik herausfinden, was ein Standort eines Chemiewerkes an Risiko und Entschädigungen kostet, dann mag das zynisch oder auch verwerflich sein—liegt das aber an Mathematik? Nicht einmal der von Waffenlobbyisten geäußerte Grund, dass nicht Waffen Menschen töten, sondern Menschen Menschen töten, passt auf Wissenschaften. Denn anders als Waffen, die zum Töten gebaut werden, ist die Anwendung von Wissenschaften offen und der Inhalt zumeist abstrakter Natur.

Aber die Forderung kann ja nicht sein, deshalb Jesus oder Mohammed zu befragen oder das Rechnen einzustellen. Und genau darauf läuft deine (und Vollbreits) Rhetorik am Ende hinaus, auch wenn ihr das natürlich so nicht formuliert. Mir ist der Zusammenhang ansonsten nicht ganz klar, was Religionen mit Wissenschaften überhaupt noch zu tun haben. Ich beobachte, dass ihr irgendwie Löcher sucht, oder Fehler feststellen wollt. Und dann erwähnt ihr die Religion, oder den Glauben. Warum? In dieser Haltung von euch wird die ganze Arroganz der Gläubigen sichtbar. Statt auf Unwissenheit zurückzufalen, wollen sie, dass man auf Gott oder heilige Bücher zurückfällt. Der Glaube als Default-Weltbild, ganz im gleichgeschalteten, totalitären Denken dass durch die großen Religionen wabert.

Inwiefern Religionen nicht Protowissenschaften sind, konnte von euch noch keiner darstellen. Es konnt von euch auch keiner darstellen, was denn die geheime Zutat der Religion sein soll. Gemeint ist jene geheime Zutat, die Texten von antiken und mittelalterliche Autoren das gewisse Etwas, den Geschichten das gewisse Quentchen Besonderheit verleihen. Weshalb sind religiöse Texte besser als konfuzianische, oder philosophische oder literarische aus anderen Bereichen? Was genau soll der veralteten Information eine Gültigkeit verleihen, die über andere alte Texte hinausgeht? Eine Tragödie wie die der Antigone könnte auch zeitlos oder modern sein. Deshalb würde aber niemand diesen religiösen Affentanz aufführen. Warum sollte also, beispielsweise, ein Jesus von Nazaret eine Sonderstellung einnehmen, wie das Gewese um Religionen und seine Person suggeriert?

Die geheime Zutat, und da brauchen wir uns nichts vormachen, nennt sich Glaube. Glaube ist eine krude Mischung aus blinden Annahmen, glühender Verehrung, Nostalgie und Irrationalität. Gläubige versuchen alles andere auf ihr niedriges Niveau herunterzuziehen und wollen dann durch Heimvorteil gewinnen. Wissenschaften sind Gläubigen ein Dorn im Auge, denn die Erkenntnisse rücken religiösen Texten immer stärker auf den Leib. Das totalitäre Default-Weltbild hat Risse erhalten, wurde eigentlich schon komplett demontiert. Weder gibt es einen Baum der Erkenntnis, noch kann ein vernunftbegabter Mensch das Opfer von Jesus ein Opfer nennen, wenn er doch wiederauferstanden und größtmöglich belohnt wurde. Mit der Evolution gibt es kein Adam und keine Eva, auch keine Sünde. Seelen gibt es nicht. Gebete funktionieren nicht. Ein Universumsschöpfer kann man in den Weiten des Raumes noch irgendwo verstecken, wenn man Lust dazu hat. Aber eben: wenn man Lust dazu hat. Man braucht ihn nicht und es würde keinen Unterschied machen. Anrufe von der Erde würde dieser Schöpfer sowieso nicht beantworten, geschweige denn verstehen.

Stark Gläubige gehen von vielen seltsamen, arroganten Annahmen aus, wie der, dass ohne Religion kein moralisches System möglich ist und behaupten dann, dass beispielsweise Atheisten Konzepte wie die Hölle garnicht verurteilen könnten, da sie im Atheismus garnicht die Begrifflichkeit von Gut und Böse kennen, diese also von Religionen borgen müssten. Es gibt viele solcher Argumente und dämlicher Ansichten von Menschen die ihren Blick dermaßen verstellt haben, dass man sie wirklich für wahnhaft halten muss, "Der Wahn ist eine die Lebensführung behindernde Überzeugung, an der der Patient trotz der Unvereinbarkeit mit der objektiv nachprüfbaren Realität unbeirrt festhält."

Ein Wissenschaftler hat keine Narrenfreiheit und ein Wissenschaftler ist auch kein Gläubiger, der nur aus einer einzigen Dimension besteht, wie ein Gläubiger. Es mag schockierend für dich sein, aber ein Wissenschaftlerin ist abends vielleicht Mutter, am Wochende vielleicht Musikerin. Diese eintönige, grenzdebile Art einen Beruf, eine Tätigkeit als allumfassend totalitäres System zu sehen—durch die Brille eines gleichgeschalteten Gläubigen also—geht mir gehörig auf den Geist. Wissenschaft füllt das Buch im Regal. Mit dem Buch im Regal kann der Mensch dann Wassermühlen bauen, zum Mond fliegen oder den Ertrag aus der Ernte erhöhen. Oder Einsichten zum Komponieren von Musik erhalten, oder seine Spachteltechniken für die Herstellung von Fresken verbessern.

Jemand kann das Wissen auch mißbrauchen, oder falsch anwenden. Was ist jetzt mit Moral und Ethik? Genau. Diese müssen sich Menschen erarbeiten, und haben das weitgehend bereits getan. Wenn es keinen Schöpfergott gibt, und davon ist auszugehen, dann sind religiöse Beiträge auch nichts anderes als "normale" von Menschen gemachte Beiträge. Religiöse kochen also auch nur mit Wasser! Was sollte also Menschen jeder Art davon abhalten, auch mit Wasser zu kochen und sich auf Standards zu einigen, die unserem angeborenen Empfinden, philosophischen Betrachtungen, Empathie, Spiegelneuronen etc. gerecht werden. Warum sollte irgendein Geist, eine Fantasiegeschichte ausgerechnet hilfreich sein? Warum nochmal? Glaube in unbewiesene Annahmen, Ignoranz und Vertrauen in Quacksalber und Auschneider kann jedenfalls nicht die Lösung sein.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Lumen » Fr 20. Jul 2012, 11:59

Vollbreit, die angerissene Darstellung auf Wikipedia, wonach reziproker Altruismus kein richtiger sei, habe ich oben mit dem Beispiel des Tauschgeschäfts beleuchtet. Natürlich kann man Altruismus idealisieren. Die Spinnen-Mutter die sich vom Nachwuchs auffressen lässt handelt altruistisch, dem Wortsinne nach uneigennützig. Jetzt können Leute, aus unerfindliche Gründen darüber sinnieren, dass es ja "nur" Instinkt sei. Eine Vampirfledermaus teilt ihr Futter, handelt in dem Moment altruistisch und hat möglicherweise kein Bewusstsein davon, dass es diesen Gefallen erwiedert bekommt. Wie kann das Verhalten also auf Stufe des Individums egoistisch sein? Der Begriff Egoismus ergibt an der Stelle keinen Sinn. Selbst ein Tausch von "ich fütter dich heute, du fütterst mich morgen" würden wir unter Menschen nicht egoistisch nennen. Das ist also Käse. Der Grund für die Verwirrung ist, weil Leute den guten Dawkins offenbar nicht verstanden oder das Konzept von egoistischen Genen nicht kapiert haben. Denn wenn das Verhalten angeboren, also instinktiv ist, dann wurde es von Genen bewirkt. Und wenn Gene ein Verhalten befördern was ihren Kopien (also "sich selbst") nutzt, dann kann man das salopp und plakativ (zumal als Buchtitel) als egoistisch bezeichnen. Gene haben aber keine Egos. Es sind bloß Moleküle. Egoistische Gene und reziprok altruistisches Verhalten sind also zwei Seiten derselben Medaille. Das reziprok, also wechselseitig, kommt daher, dass die Gene ein Verhalten bewirken, das ihren Kopien ("sich selbst") im anderen Individuum nützlich ist. Das Individuum, auch der gute Samariter, hat davon aber keine Kenntnis. Er handelt genuin altruistisch, wenn wir auf menschlicher Ebene sind. Wir nennen das dann vielleicht Empathie, oder (Nächsten-) Liebe.

Was wäre gewonnen, mit den Begriffen Sprachverwirrung zu betreiben?

Was eine Gemeinschaft an Biologen oder Neurowissenschaftler (angeblich) findet, kann ich nicht beurteilen. Dawkins halte ich nicht für mehrdeutig, sondern für sehr klar und verständlich. Jedenfalls was ich bisher gelesen habe. De Waal übrigens geht auch von angeborenem Altruismus aus und mit Dawkins stimmt er überein, dass "Umweltfaktoren" (Erziehung, Kultur...) einen erheblichen Einfluss haben. Heutzutage scheint das auch eher der Konsens zu sein.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon laie » Fr 20. Jul 2012, 13:20

@Lumen

Ich schätze deine langen Antworten. Du gibst dir wirklich Mühe, dich verständlich zu machen.

Lumen hat geschrieben:Jemand kann das Wissen auch mißbrauchen, oder falsch anwenden. Was ist jetzt mit Moral und Ethik? Genau. Diese müssen sich Menschen erarbeiten, und haben das weitgehend bereits getan. Wenn es keinen Schöpfergott gibt, und davon ist auszugehen, dann sind religiöse Beiträge auch nichts anderes als "normale" von Menschen gemachte Beiträge. Religiöse kochen also auch nur mit Wasser! Was sollte also Menschen jeder Art davon abhalten, auch mit Wasser zu kochen und sich auf Standards zu einigen, die unserem angeborenen Empfinden, philosophischen Betrachtungen, Empathie, Spiegelneuronen etc. gerecht werden. Warum sollte irgendein Geist, eine Fantasiegeschichte ausgerechnet hilfreich sein? Warum nochmal? Glaube in unbewiesene Annahmen, Ignoranz und Vertrauen in Quacksalber und Auschneider kann jedenfalls nicht die Lösung sein.


Dann ist ja alles in Ordnung. Wir haben das Wissen und die Ethik, um damit umzugehen. Passt.

Lumen hat geschrieben:Das hängt davon ab, was bei dir Wissenschaft ist. Ich habe den Verdacht, ihr seht Wissenschaft als Ersatzreligion.


Du solltest langsam verstanden haben, was Vollbreits und meine Auffassung von Wissenschaft ist. Aber ich behaupte, daß für manche Menschen Wissenschaft sehr wohl eine Art Ersatzreligion darstellt, und zwar genau in dem Sinne, wie du es in dem betreffenden Absatz beschrieben hast.

Lumen hat geschrieben:Aber die Forderung kann ja nicht sein, deshalb Jesus oder Mohammed zu befragen oder das Rechnen einzustellen. Und genau darauf läuft deine (und Vollbreits) Rhetorik am Ende hinaus, auch wenn ihr das natürlich so nicht formuliert. Mir ist der Zusammenhang ansonsten nicht ganz klar, was Religionen mit Wissenschaften überhaupt noch zu tun haben.


Drei Aussagen, drei Antworten: nein, nein, nichts: nein, wir befragen weder Jesus noch stellen wir das Rechnen ein. Nein, meine Rhetorik läuft nicht darauf hinaus. Religion hat mit Wissenschaft nichts zu tun.

Lumen hat geschrieben:Weshalb sind religiöse Texte besser als konfuzianische, oder philosophische oder literarische aus anderen Bereichen?


für mich sind die anderen Textgattungen auch in einer bestimmten Weise religiös zu nennen.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Vollbreit » Fr 20. Jul 2012, 16:46

Lumen hat geschrieben: Wie kann das Verhalten also auf Stufe des Individuums egoistisch sein? Der Begriff Egoismus ergibt an der Stelle keinen Sinn. Selbst ein Tausch von "ich fütter dich heute, du fütterst mich morgen" würden wir unter Menschen nicht egoistisch nennen. Das ist also Käse.


Natürlich ist der Begriff unsinnig, aber er wird dennoch in dieser unsinnigen Weise verwendet.
Die Art und Weise, wie Du möchtest, dass man Dakwins verstehen sollte, habe ich durchaus verstanden, ich versuchte darszustellen, dass Dawkins sich aber jenseits der Exegese auch durchaus anders ordnet und es gibt mehr als einen Menschen auf der Welt, der das merkt.

Lumen hat geschrieben:Der Grund für die Verwirrung ist, weil Leute den guten Dawkins offenbar nicht verstanden oder das Konzept von egoistischen Genen nicht kapiert haben.


Meinst Du wirklich, dass das niemand verstanden hat?
Der Gedanke ist nicht neu, man findet ihn bei Heidegger „Sprache spricht“ oder Luhmanns „Kommunikation kommuiniziert“. Hat immer was verstörend Entsubjektivierendes, wirst Du aber anders sehen. Auch Dawkins hat ihn nur übernommen, von Biologen-Kollegen, was keineswegs schlimm ist.

Lumen hat geschrieben: Dawkins halte ich nicht für mehrdeutig, sondern für sehr klar und verständlich. Jedenfalls was ich bisher gelesen habe. De Waal übrigens geht auch von angeborenem Altruismus aus und mit Dawkins stimmt er überein, dass "Umweltfaktoren" (Erziehung, Kultur...) einen erheblichen Einfluss haben. Heutzutage scheint das auch eher der Konsens zu sein.


Ein paar Wochen kann man die Sendung mit de Waal von 26.8.2011 noch nachhören:
http://www.wdr5.de/nachhoeren/das-philo ... radio.html
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Lumen » Fr 20. Jul 2012, 22:44

Vollbreit hat geschrieben:[..] Natürlich ist der Begriff unsinnig, aber er wird dennoch in dieser unsinnigen Weise verwendet. Die Art und Weise, wie Du möchtest, dass man Dakwins verstehen sollte, habe ich durchaus verstanden, ich versuchte darszustellen, dass Dawkins sich aber jenseits der Exegese auch durchaus anders ordnet und es gibt mehr als einen Menschen auf der Welt, der das merkt.


Das ist aber keine Sache zu der ich etwas beitragen kann. Weder kann ich wissen, was wer wie verstanden hat, noch kann ich gegen ominöse Personengruppen argumentieren, dich ich nicht kenne. Das sieht mir hier mehr wie Schlammwerfen aus.


Vollbreit hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben:Der Grund für die Verwirrung ist, weil Leute den guten Dawkins offenbar nicht verstanden oder das Konzept von egoistischen Genen nicht kapiert haben.


Meinst Du wirklich, dass das niemand verstanden hat? Der Gedanke ist nicht neu, man findet ihn bei Heidegger „Sprache spricht“ oder Luhmanns „Kommunikation kommuiniziert“. Hat immer was verstörend Entsubjektivierendes, wirst Du aber anders sehen. Auch Dawkins hat ihn nur übernommen, von Biologen-Kollegen, was keineswegs schlimm ist.


Ja, Dawkins hat das Konzept zusammengefasst und aufbereitet und einer breiten Masse zugänglich gemacht, dadurch aber auch die Fachwelt aufgerüttelt. Luhmann und Heidegger würde ich jetzt aber nicht als Vorläufer nennen. Was deine erste rhetorisch Frage angeht, nicht "niemand" aber doch definitiv und ganz eindeutig etliche. Man muss nicht weit suchen um dafür Hinweise zu finden. Leider läuft die Diskussion ja jetzt in zwei Threads, da Nefarius deinen Link nicht gesehen hat.

Vollbreit hat geschrieben:Ein paar Wochen kann man die Sendung mit de Waal von 26.8.2011 noch nachhören:
http://www.wdr5.de/nachhoeren/das-philo ... radio.html


Danke für den Hinweis. Werde ich mir anhören, wenn ich es nicht vergesse :)
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Vollbreit » Sa 21. Jul 2012, 13:30

Hallo Lumen.

Ich glaube Dir nicht, dass Du den Widerspruch bei Dawkins nicht siehst.
Davon mal abgesehen, dass mein „ordnet“ natürlich „äußert“ heißen muss, muss Dir von Deinen analytischen Fähigkeiten her klar sein, dass es nicht um irgendwelche Gruppen geht, die Dawkins irgendwie interpretieren, von denen Du natürlich nicht wissen kannst, was diese meinen – aber würde ich das wirklich von Dir fordern? –, sondern um den lesbaren Widerspruch bei Dawkins höchstselbst.

Dennoch bestehe ich nicht darauf, dass Du das öffentlich eingestehst, es reicht mir, phantasieren zu können, dass Du es im Grunde gesehen hast und wissen könntest, der Rest ist dann, durchaus im besten Sinne, Deine Sache.

Darüber hinaus habe ich den Eindruck, dass wir allmählich zu einer Diskussionsebene kommen, auf der man sich kontrovers austauschen kann, ohne einen Rattenschwanz vorheriger und nachfolgender Unterstellungen. Das finde ich erfreulich, weil man dann vom Wissen des jeweils anderes mehr profitieren kann.

Darum kann ich an dieser Stelle vielleicht einwerfen, dass es nicht um den großen Schlenker um Masterplan geht, sondern einfach um den Widerspruch in der Sache und den haben inzwischen etliche gesehen.

Wenn Du mich fragst, haben Dawkins und Co. auch vielen Atheisten einen Bärendienst erwiesen. Intellektuell hat er sich mit seiner Argumentation inzwischen diskreditiert, keiner nimmt Dawkins mehr ernst, wenn es um Religion geht. Da hat sich das Feuilleton ein paar Jahre dran abgearbeitet und auch das verstummt inzwischen.
Zwar bieten die Brights eine Form der Organisierung für ansonsten versprenkelte Atheisten an –
warum eigentlich auch nicht? –, zieht aber zugleich Interpreten mit einem merkwürdigen Blick auf die Religionen an.

Der Adressat bei Dawkins, leider oft auch bei Dir, ist nicht das Gegenüber, sondern ein immer wieder stereotyp errichteter typischer Gläubiger, der in das Muster zu pressen ist, wie Gläubige eben so sind. Entweder doof, oder gerissen. Das vergiftet den Diskurs. Dawkins ist das egal, der verdient sein Geld damit, Du nicht.

Vor allem ist nicht einzusehen, warum Biologen in diesem Diskurs die Deutungshoheit beanspruchen sollten oder könnten? Was legitimiert eine Biologisierung? Die anschließende Warnung Dawkins‘ auf unsere Gene acht zu geben, denn die sind ganz schön gerissen? Das ist auch dann ein Selbstwiderspruch, wenn es nicht um die Frage egoistische Gene vs. egoistische Individuen geht – und um die geht es eben auch.

Das de Waal Gespräch ist insofern interessant, weil es auch aufzeigt, wie (manche) Philosophen nicht wahr haben wollen, was ihrer Meinung nach nicht wahr sein darf. Hier sitzen einige Brights und einige Philosophen durchaus in einem Boot, das gerade absäuft. laie hat irgendwo schön beschrieben, das sei naive Aufklärung und das ist es. Naive Aufklärung heißt, in der stillen Überzeugung zu leben, dass immer mehr Vernunft das eigentliche Heilmittel der Welt ist. Wenn man den Menschen nur die Zusammenhänge erklärt, dann müssen sie unweigerlich zu bestimmten Schlüssen kommen – und genau das tun sie nicht. Man konnte noch viel auf die suboptimalen Rahmenbedingungen schieben, aber nicht mehr im modernen Europa. Von Kant über Marx bis Freud glaubte man an diesen Mythos, erledigt. Warum soll man mit Dawkins nun Leichenschändung begehen. Was bringt es dem intellektuellen Diskurs, wenn man noch immer irgendwelche Kreationsiten, Leute mit krudem Ufoglauben oder Taliban auf dem Hut zaubern kann. Klar kann man, aber wofür?
Das ist keine postmoderne Absage an jede Form von Rationalität – die nur ihrerseits einen Selbstwiderspruch darstellt – aber der Mensch ist kein sehr rationales Wesen. Er ist nicht irrational, nur ist das beschworene Ideal des immer rationaleren Menschen ein Illusion.

Man könnte einwenden, dass es sich bei dieser Form von Rationalität, mit der wir gerade Probleme haben, oft nur um die recht simple Stufe der Zweckrationalität handelt und diese Kritik stimmt. Vernunft im besten Sinne ist etwas anderes, an die diese Zweckrationalität erst gar nicht heranreicht.
Wenn Du sagst Dawkins – der Mann ist mit im Grunde egal, ich benutze ihn hier als Aufhänger – sei ja auch Humanist, dann muss mindestens der Spagat auffallen.
Man kann nicht einerseits von Moral, Würde, Menschenrechten usw. reden und andererseits rein egoistisch getrimmten Biomechanismen, bei denen es von Anfang bis Ende nur ums Überleben und Fortpflanzung geht, das Wort reden. „Die Natur“ die gute, ist im Kern zweckrational, sie – und ihre Produkte – kooperiert wenn es sich lohnt, sei’s für Individuen oder Gene und es gibt für einen höheren Altruismus dort nicht mal einen Begriff. Menschenrechte und biologisierte Menschenbilder haben noch nie zusammengepasst und man kann sie nur um den Preis des Synkretismus oder des Widerspruchs zusammenquälen.

Das dieses oder jenes Verhalten Ähnlichkeiten mit Balzritualen oder Brutpflege oder gockelhaftem Imponiergehabe haben mag, hat ja Morris schon episch ausgebreitet, aber inwiefern profitiert denn eine Gesellschaft, eine, die sich aufklären soll noch obendrein, von einer derart reduzierten Sicht auf den Menschen und seine (vermeintlichen) Motive?
Selbst wenn man es drei mal um die Ecke denkt, mit bunten Bildern und bedeutunsgsschgwangeren Begriffen peppt – oder gerade dem zur Schau gestellten Verzicht auf solche: Man ist ja rational, orientiert sich nur an Fakten und wie die Dinge objektiv und wirklich so sind – es bleibt primitiv. Was haben wir davon?
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Lumen » Sa 21. Jul 2012, 18:05

Ich sehe den Widerspruch bei Dawkins nicht, aber wohl in deinen Darstellungen. Dawkins hatte schon aus beruflichen Gründen mit Kreationisten zu tun und da kann ich es ihm nicht verdenken, dass er sich mit Glaubensvorstellungen dieser Leute auseinandersetzt und diese demontiert. Dass dabei Theologen und mancher Philosoph bisweilen leer ausgehen und keine neuen Anstöße bekommen haben, sei diesem Umstand geschuldet. Kreationisten, die Taliban und andere Gestalten sind leider keine unwichtige Randerscheinung. Ich möchte nicht wieder "mein Thema" daraus machen, aber dir ist bewusst, dass Kreationismus von vielen hochrangigen CDU Politikern befürwortet wurde, darunter Ministerpräsidenten wie Koch und Althaus? Es sollte auch konkret an Schulen in Hessen gebracht werden. Von der Situation in andern Ländern ganz zu schweigen. Oder Christian Wulff, mit seiner berühmtem Behauptung, die drei abrahmitischen Weltreligionen gehörten zu Deutschland.

Wenn du schreibst, man könne einerseits nicht von Biomechanismen und andererseits von Menschenrechten sprechen, dann liegst du damit falsch. Offenbar gibt es doch ein Missverständnis. Eine große Anzahl an Missverständnissen lass ich allerdings nicht als Beleg dafür gelten, dass etwas missverständlich ist, zumal nicht in dem Klima in dem Dawkins Schriften stehen. Wo wir bei "naiver Aufklärung" sind, wenn meine Ansichten naiv Aufklärerisch sind, dann sind eure romantische Verklärungen. Schon zu der damaligen Zeit meinte Vernunft nicht, dass man nicht mehr lieben dürfe, oder seinen Gefühl folgen durfte. Das ist eine naive, schematische Vorstellung davon, wie Menschen sind. Da sind wir uns wahrscheinlich über Umwege dann einig. Das Verständnis von Vernunft, verkörpert durch Mr. Spock ist ein Zerrbild. Dieses Zerrbild wird medial oft verbreitet, weshalb es natürlich bei TVTropes adäquat als eigene literarische Figur festhalten wurde, der "Straw Vulcan", also etwa "Strohmann Vulkanier" (siehe auch Strohmann-Argument). Spock ist nur scheinbar vernünftig. Der Strohmann besteht darin (und auch Kirks Überlegenheit), dass Spock Emotion komplett ausblendet, also auch die Kosten/Nutzen/Effekte von Emotionen ausblendet. Das hat der Figur auch oft die Komik verliehen. Aber mit wirklichen Menschen, oder echter Vernunft hat das nichts zu tun. Das sind im Grunde romantische (aus der Zeitepoche stammende) Vorstellungen.

Dawkins selbst weist doch sogar darauf hin, explizit, dass es keine Automation gibt. Dass das Vorhandensein von Empathie noch kein friedvolles Zusammenleben garantiert wissen wir alle. Ich hatte dir doch das Video sogar geschickt, vom Purpose of Purpose. Der recht aktuelle Beitrag handelt davon, wie genetische Anlagen kulturell unterminiert werden können, und mich beschleicht ein Deja Vu, dass ich darauf schon hingewiesen hatte. Das Video hänge ich unten nochmal an. Die Thematik kommt auch in der aktuellen Debatte um die sogenannte Group Selection durch. Siehe dazu Steven Pinker's recht druckfrischen Artikel: The False Allure of Group Selection.

Wir haben dank egoistischer Gene ein Gefühl für andere Menschen und sogar für andere Tiere. Die Gene sind bloß die Bits und Bytes des Lebens, sollen diese doch "egoistisch" sein. Sie haben kein Bewusstsein von ihrem Tun. Der begriff des "selfish" ist ein plakativer Buchtitel, der das Phänomen umschreibt, nichts mehr. Ich finde es bedenklich, wie das darüber hinaus ganz eindeutig instrumentalisiert wird. Aber weil die Gene sich identisch kopieren, können "wechselseitige" Eigenschaften entstehen. Deshalb können Verhaltensweisen wie das Füttern von Artgenossen entstehen und sich erfolgreich durchsetzen, wie wir bei uns Menschen sehen können.

Aber die Bits und Bytes, Gene oder Spiegelneuronen machen eben noch keine Menschenrechte.

Ich empfehle dir noch diesen Artikel, der im Grunde alles auf einen Punkt bringt, was an magisch-religiösen Denken verkehrt ist. Was du dort nicht finden wirst: Logik oder Belege. Dafür bekommst du Appelle an Emotion, verschiedene Vignetten die Markenkerne Atheismus und Religion abgrenzen (im Sinne des Autoren) und jede Menge Budenzauberei. Da hätte ich gerne eher noch mehr Dawkins, Harris, Dennett und Hitchens.


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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Vollbreit » Sa 21. Jul 2012, 18:44

@ Lumen:

Deinen jüngsten Beitrag hier habe ich noch nicht gelesen, werde das aber gleich nachholen, das Zitat hier habe ich von drüber (Zufall) importiert:

Darth Nefarius hat geschrieben:Ich definiere den Egoismus als ein Verhaltenskonzept, dass immer auf den eigenen Vorteil bedacht ist, was bedeuten kann (bei ausreichender Intelligenz), dass man auch die Umgebung, einschließlich Artgenossen zu seinen Gunsten nutzen kann. Dies kann bewusst geschehen, oder unbewusst, insinktiv, weil es sich letztlich als nütztlich herausgestellt hat (/die Fitness erhöhend).


Lies es, kapier es – dass er es so meint und eben nicht nur er – und glaub es.

Du denkst vielleicht, dass Darth einen an der Waffel hat oder meinetwegen jung und unerfahren ist, dass sich das auswächst. Warum meinst Du das? Der Grad an rücksichtslosem Narzissmus, der sich hier vollkommen unreflektiert seine Bahn bricht ist keine Altersfrage, sondern immer mehr auch eine Weltanschauung, in gar nicht so geringen Teilen des biologischen Lagers. Die „Unschuld“ und Ahnungslosigkeit der fragenden Haltung, wo denn das Problem sei, schließlich funktioniert die Welt doch genau so, macht es nicht besser, sondern schlimmer.

Die Leuts die „Pseudowissenschaft“ geschrieben haben, sind keine religiösen Fundamentalisten, das sich Philosophen und Wissenschaftler, darf ich noch mal?:
Michael Hagener hat geschrieben:Wenn man in Weiterführung der Überlegung Latours Argumente gegen eine fundamentalistische Bewegung wie den Kreationismus entwickeln kann, folgt daraus auch, dass man mit der Darlegung der Repräsentationen zu einer robusten Differenzierung zwischen wissenschaftlicher und nichtwissenschaftlicher Praxis gelangen könnte? So einfach ist es nicht, denn keineswegs entsprechen alle Episoden der Wissenschaft, einer solchen vollständigen Darlegung der Repräsentationen. Man denke – um im Bereich der Biologie zu bleiben – nur an den Sozialdarwinismus, Eugenik und Teile der Soziobiologie. Wenn im Namen der Evolutionslehre die Vergewaltigung von Frauen, Mord und wahlweise Egoismus oder Opferbereitschaft, Monogamie oder Polygamie als sinnvolle biologische Verhaltensweisen gedeutet werden;* wenn die Evolutionstheorie mehr sein will als eine wissenschaftliche Disziplin und sich zum Evolutionismus aufbläst, der behauptet für alle oder zumindest die meisten Facetten des menschlichen Lebens eine Erklärung parat zu haben, dann unterscheidet sich das nicht so grundlegend vom Verhalten derjenigen, die die Evolutionstheorie angreifen. Auch in den Naturwissenschaften herrscht bisweilen die Tendenz vor, die Schwach- und Leerstellen, Ungewissheiten und Unwissenheiten zu übertünchen. Das ist, wenn man so will, das Erbe ihres modernistischen Universalitätsanspruchs. In unserer Gegenwart, einer Zeit der zunehmenden Ökonomisierung und Kommerzialisierung der Wissenschaften, wird diese Tendenz auf bemerkenswerte Weise verstärkt.

*Um nur zwei aktuelle Beispiele zu geben: Eckart Voland, Die Natur des Menschen, Grundkurs Soziobiologie, München 2007; David M. Buss; Der Mörder in uns. Warum wir zum Töten programmiert sind, Heidelberg 2007.

(M. Hagner, Bye-bye science, welcome pseudoscience?, in Pseudowissenschaft, Hrsg. Rupnow, Lipphardt, Thiel, Wessely, Suhrkamp 2008, S. 46)


Darth ist kein durchgeknallter Exzentriker (auch wenn er natürlich den Rummel um seine Person genießt), sondern einfach Teil einer Bewegung die Du nicht wahr haben willst, weil Du meinst, wer antireligiös ist, ist schon auf der richtigen Seite. Mit dieser Primitivtaktik, sind durchgeknallte Linke auch jahrelang auch Stimmenfang gegangen: Hauptsache antifaschistisch. Stand diese Überschrift, war der Rest egal. Bist Du so billig zu haben?

Mich stört nicht die Kritik an den Religionen, die kritisiere ich selbst, mich stört die immense Einseitigkeit, bis zur Realitätsverzerrung. Warum diese albernen Konzepte, dass es Schuld nicht gibt, Moral ein Auslaufmodell, dass wird möglichst abschaffen sollten, weil alles Relevante ja eh angeboren ist. Schau hin und lies, die Protagonisten der Gegenwart gewähren Dir freimütig und 1 zu 1 einen Einblick in ihre Denkweise und ich bin Darth ausdrücklich dankbar, dass er das tut.

Und es ist nicht die Verschwörung einer geheimen Biologenfraktion, sonder es ist einfach der Trend der Zeit, gespeist aus etlichen Zutaten. Da Du das selbst akribisch referieren kannst, wenn Du willst, wirst Du es auch hier können. Es ist ein schleichender Narzissmus, der sich verbreitet, der sich kollektiv in einer Entwertung der Abgehängten äußert. Es ist eine Entindividualisierung der Bevölkerung, vor allem der moralischen Position. Auf mich kommt es doch gar nicht an, da gibt es anonyme Systeme, selbstorganisiert, die Meme und selfish genes, die mich mehr oder weniger versklaven. Freien Willen gibt es eh nicht, das haben die Biologen bewiesen, also kann ich auch tun und lassen was ich will, ich kann ja eh nichts dazu. Jo, aber wie war das noch mit Kant und der Aufklärung. Ach ja und was sagen die Humanisten? Es sind überzogene Leistungsideale, die Reduzierung von Sinn und Wert auf Nutzen, die die Frage nach nützlichen und unnützen Zeitgenossen aufwirft. Das wird natürlich so direkt nicht thematisiert. Aber wenn die Zeiten eng werden, dann darf man schon mal fragen, ob Opa noch ne neue Hüfte kriegt. Zum Bruttosozialprodukt wird der nichts mehr beitragen, was wollen wir mit dem sabbernden Greis?
Ökonomisierung und Kommerzialisierung, auch der Wissenschaften, haben genau diese Einstellung im Schlepptau.

Und Darth hat noch mal Recht. Der Kapitalismus (und nein, ich bin tendenziell kein Kapitalismuskritiker) in seiner etwas ekligen Form, die wir gerade erleben, der passt super zur modernen biologischen Weltausdeutung. Tenor: Nur die Harten komm‘ in‘ Garten. Der Rest hat halt verkackt, schade, aber es kann halt nicht jeder oben schwimmen. Das kommuniziert man nicht so offen, schließlich ist man geschickt und weiß, wann und wo man hübsch die Fresse hält, Manipulation, geschickte bitte, ist alles. So war das in der Evolution schon immer. Etwas Schummeln und Tricksen ist ein evolutionäres Prinzip und gegen seine Natur kann man eh nicht verstoßen.

Und Meme, lieber Lumen, sind die Fortsetzung der Biologisierung mit anderen Mitteln. Eigentlich ist es die heimliche Anerkennung, dass Gene und auch selfish genes dann eben erklärungstechnisch doch nicht sooo das gelbe vom Ei sind. Dann eben jene Begriffe der Meme und Memplexe, die die scienfitic communitiy schlicht ablehnt, weil sie inkonsistent und populärwissenschaftlich sind.
http://de.wikipedia.org/wiki/Mem#Kritik

Aber neben der inhaltlichen Kritik, warum sollte man sollen? Was bringt eine Biologisierung, wo sie doch immer wieder erkenntnistheoretisch versagt, denn genau das tut sie? In welches moralische Fahrwasser gerät man damit? Und Dir sind diese Fragen keineswegs egal. Als ich die Problematik der Mystik (und ihren manchmal platonischen Hintergrund) ansprach, hast Du die entscheidende Problematik sofort erkannt und den Finger in die Wunde gelegt, es war die richtige. Nur hatte ich die Kritik selbst vorgebracht und wollte gar nicht vertuschen, ich sehe es selbst als Problem. Du weißt also sehr wohl worum es geht und bist klug genug um diese Probleme konstruktiv zu diskutieren und könntest damit allen weiter helfen. Vielleicht liegt genau hier die Problematik, wenn ich mich nicht irre, macht Habermas sie genau dort fest, aber das ist ein ganz anderes Niveau, vor allem lohnender als sich über kleinliche Fakten und bronzezeitliche Götter zu ereifern.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon ujmp » Sa 21. Jul 2012, 20:08

Vollbreit hat geschrieben:
Darth Nefarius hat geschrieben:Ich definiere den Egoismus als ein Verhaltenskonzept, dass immer auf den eigenen Vorteil bedacht ist, was bedeuten kann (bei ausreichender Intelligenz), dass man auch die Umgebung, einschließlich Artgenossen zu seinen Gunsten nutzen kann. Dies kann bewusst geschehen, oder unbewusst, insinktiv, weil es sich letztlich als nütztlich herausgestellt hat (/die Fitness erhöhend).


Lies es, kapier es – dass er es so meint und eben nicht nur er – und glaub es.

Du denkst vielleicht, dass Darth einen an der Waffel hat oder meinetwegen jung und unerfahren ist, dass sich das auswächst. Warum meinst Du das? Der Grad an rücksichtslosem Narzissmus, der sich hier vollkommen unreflektiert seine Bahn bricht ist keine Altersfrage, sondern immer mehr auch eine Weltanschauung, in gar nicht so geringen Teilen des biologischen Lagers. Die „Unschuld“ und Ahnungslosigkeit der fragenden Haltung, wo denn das Problem sei, schließlich funktioniert die Welt doch genau so, macht es nicht besser, sondern schlimmer.


Obwohl der Ganze Beitrag von Darth Nefarius, aus dem das stammt m.E. recht gut ist und er in vielem Punkten recht hat, übersieht er m.E. genau wie du etwas ganz wichtiges.

Man kann einen Menschen durch Kultur oder Ideologie nicht beliebig formen- weder zum Guten noch zum Bösen. Darth überschätzt das m.E. maßlos. Ein Mensch wird vielmehr mit dem Gro seiner Preferenzen geboren. Es gab z.B. noch nie eine Gesellschaft, in der Mord oder Diebstahl gutgeheißen wurde, schon immer waren es marginale Minderheiten, die das tun. Einen Durchschnittsmenschen bekommst du nur dazu so etwas zu tun, indem du ihn so manipulierst, dass er übersieht dass er mordet oder stiehlt - das ist wohl machbar. Normalerweise ist ein Mensch aber ein hochsoziales Wesen und im Grunde ganz verträglich.

Das Bedürfnis nach Miteinander ist angeboren und viel stärker als das Bedürfnis nach Gegeneinander. Es stimmt nun zwar m.E. dass dieses Verhalten im biologischen Sinne vollständig mit Egoismus erklärt werden kann. Das spielt aber im sozialen Sinne keine Rolle. Der soziale Begriff des Egosimus ist ein ganz anderer und man kann m.E. einen sozialen Egoismus nicht mit dem biologischen Egoismus rechtfertigen.

Reden wir doch mal biologisch: Ein Teil der Menschen - Gruppe A - handelt egoistisch in der Weise, dass sie in ihre Gesellschaft investieren um etwas zurück zu erhalten. Ein anderer Teil -Gruppe B - handelt egoistisch in der Weise, dass sie die Gesellschaft möglichst nichts investieren und sie nur ausnutzen. Die Strategie der Gruppe A funktioniert nicht zusammen mit der Gruppe B (umgedreht geht es) und deshalb ächtet die Gruppe A die Gruppe B und bezeichnet sie als "Egoisten" - das ist halt nur der Name für ein objektiv unterschiedliches Verhalten.

Ich kann in Cesare Borgia nur ein Exempel für ein kleine Minderheit sehen, der die Killer dieser Welt angehören. War sein Verhalten ein Zeichen für seine Fitness? - Meinetwege! Aber meine Ablehnung solche Charktere ist ein Zeichen für meine Fitness und meine Spezies hängt solche Typen früher oder später auf!
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Vollbreit » Sa 21. Jul 2012, 20:21

Lumen hat geschrieben:Ich sehe den Widerspruch bei Dawkins nicht, aber wohl in deinen Darstellungen. Dawkins hatte schon aus beruflichen Gründen mit Kreationisten zu tun und da kann ich es ihm nicht verdenken, dass er sich mit Glaubensvorstellungen dieser Leute auseinandersetzt und diese demontiert.


Geschenkt, darf er machen, meinen Segen hat er.

Lumen hat geschrieben:Dass dabei Theologen und mancher Philosoph bisweilen leer ausgehen und keine neuen Anstöße bekommen haben, sei diesem Umstand geschuldet. Kreationisten, die Taliban und andere Gestalten sind leider keine unwichtige Randerscheinung. Ich möchte nicht wieder "mein Thema" daraus machen, aber dir ist bewusst, dass Kreationismus von vielen hochrangigen CDU Politikern befürwortet wurde, darunter Ministerpräsidenten wie Koch und Althaus? Es sollte auch konkret an Schulen in Hessen gebracht werden. Von der Situation in andern Ländern ganz zu schweigen. Oder Christian Wulff, mit seiner berühmtem Behauptung, die drei abrahmitischen Weltreligionen gehörten zu Deutschland.


Das kann man so und so bewerten, aber die Strategie gegen den Kreationismus kann nicht allein eine Frontstellung sein, einfach aus dem Grund, weil gemeinsame explizite Feinde die Reihen schließen. Kreationisten machen in meinen Augen den Fehler, den wohl auch laie als solchen ansieht, ich sag’s mal mit meinen Worten, sie ziehen Glaubensfragen oder theologischen Inhalte auf die Ebene der empirischen Wissenschaft.
Dort wo sie explizit so argumentieren, argumentieren sie schlecht (die x-te Kacke vom Turiner Grabtuch), aber an einer genüsslichen Demontage erfreuen sich vor allem die, die das ohnehin schon immer für dummes Zeug gehalten haben. Die Blödies, die wirklich von nichts eine Ahnung haben, können auch die Güte der jeweiligen Argumente gar nicht beurteilen und die Diskussion bleibt immer das, was es vorher war, eine Glaubensfrage. Da wird der smarte Dawkins dann irgendwann von einen dicken Ami mit Siegelring ausgepunktet werden, weil der britische Witz im Lande von schwarz und weiß nämlich komplett seine Wirkung verfehlt.

Lumen hat geschrieben:Wenn du schreibst, man könne einerseits nicht von Biomechanismen und andererseits von Menschenrechten sprechen, dann liegst du damit falsch. Offenbar gibt es doch ein Missverständnis. Eine große Anzahl an Missverständnissen lass ich allerdings nicht als Beleg dafür gelten, dass etwas missverständlich ist, zumal nicht in dem Klima in dem Dawkins Schriften stehen. Wo wir bei "naiver Aufklärung" sind, wenn meine Ansichten naiv Aufklärerisch sind, dann sind eure romantische Verklärungen.


Einverstanden. Ich stehe auf Romantik.

Lumen hat geschrieben:Schon zu der damaligen Zeit meinte Vernunft nicht, dass man nicht mehr lieben dürfe, oder seinen Gefühl folgen durfte. Das ist eine naive, schematische Vorstellung davon, wie Menschen sind. Da sind wir uns wahrscheinlich über Umwege dann einig.


Jepp. Sind wir.

Lumen hat geschrieben:Das Verständnis von Vernunft, verkörpert durch Mr. Spock ist ein Zerrbild. Dieses Zerrbild wird medial oft verbreitet, weshalb es natürlich bei TVTropes adäquat als eigene literarische Figur festhalten wurde, der "Straw Vulcan", also etwa "Strohmann Vulkanier" (siehe auch Strohmann-Argument). Spock ist nur scheinbar vernünftig. Der Strohmann besteht darin (und auch Kirks Überlegenheit), dass Spock Emotion komplett ausblendet, also auch die Kosten/Nutzen/Effekte von Emotionen ausblendet.


Ich stimme Dir ausdrücklich zu.

Lumen hat geschrieben:Das hat der Figur auch oft die Komik verliehen. Aber mit wirklichen Menschen, oder echter Vernunft hat das nichts zu tun. Das sind im Grunde romantische (aus der Zeitepoche stammende) Vorstellungen.


Meinetwegen, aber wenn wir uns einig sind, wie sagen wir’s der Welt? Bei einer Fokussierung auf Nutzen und Erfolg gelten Emotionen etc. pp als dummes Zeug. Das ist falsch, ändert aber nichts daran, dass es geglaubt wird und was Glauben heißen kann, darüber brauchst Du von mir keine Aufklärung.

Lumen hat geschrieben:Dawkins selbst weist doch sogar darauf hin, explizit, dass es keine Automation gibt. Dass das Vorhandensein von Empathie noch kein friedvolles Zusammenleben garantiert wissen wir alle. Ich hatte dir doch das Video sogar geschickt, vom Purpose of Purpose. Der recht aktuelle Beitrag handelt davon, wie genetische Anlagen kulturell unterminiert werden können, und mich beschleicht ein Deja Vu, dass ich darauf schon hingewiesen hatte. Das Video hänge ich unten nochmal an. Die Thematik kommt auch in der aktuellen Debatte um die sogenannte Group Selection durch. Siehe dazu Steven Pinker's recht druckfrischen Artikel: The False Allure of Group Selection.

Wir haben dank egoistischer Gene ein Gefühl für andere Menschen und sogar für andere Tiere. Die Gene sind bloß die Bits und Bytes des Lebens, sollen diese doch "egoistisch" sein. Sie haben kein Bewusstsein von ihrem Tun.


Wäre ich jetzt boshaft würde ich sagen, dass die Biologen ihre große Stärke vor allem in der nachträglichen Interpretation von dem haben, was sie so vorfinden. Und ich bin ein bisschen boshaft.
Aber gut, so viel Einigung hatten wir selten, ich will es nicht versauen, ich sehe es hier und da etwas anders. Genauer: Inhaltlich stimmt das, aber ich möchte schon auf den Umstand hinweisen, dass es immer wieder Biologen waren, die mit viel Aufwand das Ego demontierten um dann nachher überrascht festzustellen, dass eigentlich doch nur der Mensch Bewusstsein besitzt – jenes Bewusstsein was wir alltagssprachlich meinen. Dass sie das dann lautstark als neuesten Brüller kommunizieren zeugt immerhin von Selbstbewusstsein.

Lumen hat geschrieben:Der begriff des "selfish" ist ein plakativer Buchtitel, der das Phänomen umschreibt, nichts mehr. Ich finde es bedenklich, wie das darüber hinaus ganz eindeutig instrumentalisiert wird.


Also, ich habe verstanden, wie man Dawkins in diesem Punkt verstehen soll, dass er sich gelegentlich selbst widerspricht ist nun wirklich nicht mein Problem. Ich habe das Konzept der selfish genes kapiert und auch das, was Du darunter verstehst, nur ist die Problematik die ich dann nicht ausblenden möchte, doch die Entsubjektivierung. Und Du sagst sehr richtig, dass die Gene eben kein Bewusstsein von ihrem Tun haben. Das hat nur der Mensch, aber nervigerweise wird ihm das aus derselben Ecke immer wieder abgesprochen. Lassen wir die Hirnforscher mal raus, was heißt es denn nun, wenn die Gene sich zu ihrem Nutzen reproduzieren „möchten“ (ohne dass sie streng genommen etwas möchten können: Kein kleines Problem, man könnte, sagen, nur eine Metapher, aber neben Wolf Singer ist es gerade Daniel Dennett der sich für ein umfassende Objektivierung – d.h. den Verzicht auf die Sprache der 1.Person stark macht – dann muss man auch mal durchziehen und sein Heil nicht gleich an der nächsten Ecke in 1. Person Zuschreibungen suchen, was regelmäßig passiert.)?

Einerseits heißt das, dass der Mensch als Produkt der Gene dem ausgeliefert ist. Er ist gezwungen ein übergeordnetes Genmuster zu erfüllen, dass dem simplen Trieb der Reproduktion folgt und dem alles andere „egal“ ist, weil es eben unbewusster Naturvorgang ist.
Andererseits heißt es, dass der Mensch dem eben nicht komplett ausgeliefert ist, sonst wäre der Appell in sich sinnlos, wie schon ausgeführt.
Dass wir vielleicht irgendwo dazwischen sind, jo mei, wie oft ist dieses Motiv der zwei Seelen, ach in meiner Brust, denn schon bearbeitet worden? Abgegriffener geht’s nun nicht und worin der Vorteil liegt dass nun alles in Biosprech übersetzt zu bekommen (was nicht einmal gelingt) den kann ich nicht sehen.

Dawkins will uns vor unserer Natur warnen? Hallo? Religionen tun seit ein paar 1000 Jahren nichts anderes. Man kann über die Inhalte diskutieren, ob diese noch zeitgemäß sind oder es je waren.
Am Rande: Ich hab mir die Flossen wund gesucht und dann irgendwann resigniert kapituliert.
Russell – kein wirklicher Freund der Religionen – hat in seiner „Philosophie des Abendlandes“ irgendwo geschrieben, dass es noch zu griechischen Zeiten ziemlich entsetzliche Zustände gegeben hat, in die die Mythen und Religionen Ordnung brachen. Wenn einer die Stelle kennt, bitte melden, ich bin sicher es dort gelesen zu haben, finde es aber nicht mehr.
Die umfassende Legitimation kann dabei nicht sein, dass Gott das so wollte, aber wenn ich an einen gesellschaftlichen Diskurs glaube (was man ja nicht muss), muss ich akzeptieren, dass es einige Leute gibt, für die genau das ein Argument ist.

Und hier wiederholt sich eine Problematik. In dem Moment, wo ich gegen den Glauben wissenschaftlich argumentiere, vermische ich zwei Welten. Außerdem bearbeite ich dann den Glauben auf einer Ebene, der ihm nicht zukommt. Kreationisten vermischen das, aus Unwissenheit oder Strategie, keine Ahnung, aber auf dieser Ebene mit ihnen zu diskutieren, heißt ihnen auf falschem Terrain zu begegnen. Es ist allemal souveräner ihnen ihren Glauben zu lassen und darauf zu bestehen, dass weiterhin jeder glauben darf, was er will.
Aber es geht mir am Arsch vorbei, wenn jemand glauben will, dass der Mond aus Seife ist, er muss mich nur in Frieden lassen damit, wenn ich nicht will.

Lumen hat geschrieben: Aber weil die Gene sich identisch kopieren, können "wechselseitige" Eigenschaften entstehen. Deshalb können Verhaltensweisen wie das Füttern von Artgenossen entstehen und sich erfolgreich durchsetzen, wie wir bei uns Menschen sehen können.

Aber die Bits und Bytes, Gene oder Spiegelneuronen machen eben noch keine Menschenrechte.


Da kommt man dann wohl um Philosophen, Staatsrechtler, Soziologen und all die, die man mal eben abledern wollte, doch nicht rum.

Lumen hat geschrieben:Ich empfehle dir noch diesen Artikel, der im Grunde alles auf einen Punkt bringt, was an magisch-religiösen Denken verkehrt ist. Was du dort nicht finden wirst: Logik oder Belege. Dafür bekommst du Appelle an Emotion, verschiedene Vignetten die Markenkerne Atheismus und Religion abgrenzen (im Sinne des Autoren) und jede Menge Budenzauberei. Da hätte ich gerne eher noch mehr Dawkins, Harris, Dennett und Hitchens.


Ich finde, der Artikel trifft den Nagel auf den Kopf.
Ihr seid es nicht gewohnt, dass Euch der Wind ins Gesicht blässt, weil Ihr immer mit der Attitüde der etwas überheblichen good guys daherkommt, aber das wird mehr und mehr anders rezipiert. In der Geisteswissenschaft wird das meiste was die organisierten Atheisten von sich geben ohnehin als indiskutabel angesehen, d.h. man macht sich nicht mal die Mühe es zu widerlegen, jetzt kommt es auch im Mainstream an. Früher war man, wie es im Artikel heißt, Atheist aus Gewohnheit, heute ist Atheismus dabei eine Glaubensfrage zu werden, in der Tat.[/quote]
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