Die Konsenstheorie der Wahrheit

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Mo 3. Dez 2012, 23:41

Vollbreit hat geschrieben:Woher nehmen wir den Kompass, der uns zeigt, ob wir uns nun gerade der Wahrheit annähern, parallel zu ihr segeln oder uns sogar volle Kraft entfernen? Ich kann mit dieser merkwürdigen Mischung ein Kriterium zu benennen, dass man dann doch nicht überprüfen kann, so wenig anfangen.


Wie kann man von der subjektiven Anerkenntnis der Wahrheit einer Aussage/eines Gedankens (= das Glauben an die Wahrheit) zur objektiven Erkenntnis derselben (= das Wissen um die Wahrheit) gelangen? Antwort: Indem man auf die einem zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zurückgreift.

"Als Erkenntnisquelle sehe ich das an, wodurch die Anerkennung der Wahrheit, das Urteil, gerechtfertigt ist." – G. Frege

Unsere natürlichen Erkenntnisquellen:

1. Erfahrung/(sinnliche) Wahrnehmung:
1.1. Äußere Wahrnehmung (Perzeption)
1.2. Innere Wahrnehmung/Selbstwahrnehmung (Proprioception/Interoception/Introspektion)
2. Vernunft/Verstand (rationale, intellektuelle Intuition)
3. Erinnerung/Gedächtnis
4. (sprachliche oder bildliche) Zeugnisse /Zeugenaussagen

Supernaturalisten behaupten, dass es zusätzliche Erkenntnisquellen gibt:

5. Außer-/Übersinnliche Wahrnehmungen
6. Mystische/Religiöse Eingebungen oder Offenbarungen (irrationale Intuitionen)
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Mo 3. Dez 2012, 23:55

Buchempfehlung:

* Kutschera, Franz von. Gottlob Frege: Eine Einführung in sein Werk. Berlin: de Gruyter, 1989.

Das ganze Buch, das im Buchhandel 30€ kostet, kann unter dem folgenden Link kostenlos heruntergeladen werden:

http://epub.uni-regensburg.de/12582/1/ubr05469_ocr.pdf
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Di 4. Dez 2012, 00:24

Vollbreit hat geschrieben:Bei Frege ist man wieder bei der Korrespondenz (obwohl er ihr an anderer Stelle so wie ich ihn vertanden habe, widerspricht), denn was macht einen Gedanken wahr, wenn nicht, die Übereinstimmung mit irgendwas außerhalb von ihm? Mir ist nicht klar, wie er das auflösen will, woran ich praktisch den Unterschied zwischen einem falschen Gedanken und einem Urteil über einen Gedanken, von dem ich glaube, dass er falsch ist, erkennen kann.
Hast Du das kapiert?


Es geht erkenntnistheoretisch um die Frage nach der "Berechtigung der Urteilsfällung" (Frege).

"Man rechtfertigt ein Urteil entweder durch Zurückgehen auf schon anerkannte Wahrheiten oder ohne Benutzung andrer Urteile. Nur der erste Fall, das Folgern, ist Gegenstand der Logik." – G. Frege

Wenn eine Aussage B nachweislich aus einer bereits als wahr erkannten Aussage A logisch folgt (weil B von A impliziert wird: A –› B), dann ist das Fürwahrhalten von B gerechtfertigt. Aber nicht alles Wissen ist logisches Ableitungs- oder Folgerungswissen; denn schließlich landet man bei unabgeleiteten Erkenntnissen, unserem Grundwissen, welches unmittelbar in einer Erkenntnisquelle gründet, z.B. der Sinneswahrnehmung. So ist z.B. mein Glauben, dass vor mir ein Computer steht, dadurch gerechtfertigt, dass ich einen Computer vor mir sehe. Ich weiß, dass vor mir ein Computer steht, weil ich sehe, dass vor mir ein Computer steht. Allerdings ist dieses Wissen nicht unfehlbar, da ich ja einer Sinnestäuschung unterliegen könnte.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Di 4. Dez 2012, 01:18

Vollbreit hat geschrieben:Woher nehmen wir den Kompass, der uns zeigt, ob wir uns nun gerade der Wahrheit annähern, parallel zu ihr segeln oder uns sogar volle Kraft entfernen?
Ich kann mit dieser merkwürdigen Mischung ein Kriterium zu benennen, dass man dann doch nicht überprüfen kann, so wenig anfangen.

Das Kriterium ist, ob du dort hin segelst, wo du hinwillst. Es kommt darauf an, was du herausfinden willst. Angenommen, du hast die Vorstellung, du müsstet "20 Grad Süd-West" segeln um eine bestimmte Insel zu erreichen. Die Wahrheit der Vorstellung "20 Grad Süd-West" hängt einerseits davon ab, wo du dich befindest und wo die Insel tatsächlich liegt, also von Tatsachen. Sie hängt andererseits auch ein wenig, davon ab, was du mit "20 Grad Süd-West" meinst, aber darüber solltest du mit dir selbst einig sein. Wenn du nun direkt am Strand deiner Insel landest, kannst du sagen "20 Grad Süd-West - stimmt". Wenn du die Insel knapp verfehlt hast, kannst du z.B sagen "20 Grad war etwas daneben, das nächtse Mal probiere ich 21 Grad". Jetzt kann man einwenden, dass "20 Grad" evtl gestimmt hätte, wenn da nicht dieser Seitenwind gewesen wäre. Das würde aber lediglich die Kursbeschreibung um den Parameter "Seitenwind" komplexer machen, prinzipiell bliebe es dasselbe. Wir können aber nie wissen, ob irgend ein unbekannter bisher konstanter Parameter plötzlich variiert - daher bleibt "20 Grad Süd-West" eine Vermutung. Wir können aber auch nicht wissen ob es überhaupt einen unbekannten Parameter gibt - daher könnte "20 Grad Süd-West" durchaus die Wahrheit sein. Das Kriterium ist, ob du dein Ziel erreichst. Die Newtonsche Physik führt mit unglaublicher Präzision zum Ziel, z.B. kann man damit auf Hunderte Millionen Kilometer entfernten Planeten wie dem Mars oder der Vesus landen.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Di 4. Dez 2012, 02:22

Myron hat geschrieben:Wenn eine Aussage B nachweislich aus einer bereits als wahr erkannten Aussage A logisch folgt (weil B von A impliziert wird: A –› B), dann ist das Fürwahrhalten von B gerechtfertigt. Aber nicht alles Wissen ist logisches Ableitungs- oder Folgerungswissen; denn schließlich landet man bei unabgeleiteten Erkenntnissen, unserem Grundwissen, welches unmittelbar in einer Erkenntnisquelle gründet, z.B. der Sinneswahrnehmung.


Auch logisches Wissen gründet in einer Erkentnisquelle, nämlich der Vernunft/dem Verstand. Wenn ich z.B. erkenne, dass (A & B) –› A, dann ist dies eine Vernunftseinsicht/Verstandeseinsicht, die den Glauben, dass (A & B) –› A, rechtfertigt.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Di 4. Dez 2012, 08:38

Vollbreit hat geschrieben:Woher nehmen wir den Kompass, der uns zeigt, ob wir uns nun gerade der Wahrheit annähern, parallel zu ihr segeln oder uns sogar volle Kraft entfernen?
Ich kann mit dieser merkwürdigen Mischung ein Kriterium zu benennen, dass man dann doch nicht überprüfen kann, so wenig anfangen.


1) Du kannst du das Kriterium sehr leicht Prüfen: vergleiche die Vorstellung deiner Prognose mit der Vorstellung deiner Erfahrung.
2) Du hast kein besseres Kriterium und solltest diese Desillusionierung als Chance betrachten! ;-)
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Di 4. Dez 2012, 10:41

Erst mal besten Dank, für den Link, ist gespeichert (und hoffentlich komme ich auch zum Lesen).

Myron hat geschrieben:Wie kann man von der subjektiven Anerkenntnis der Wahrheit einer Aussage/eines Gedankens (= das Glauben an die Wahrheit) zur objektiven Erkenntnis derselben (= das Wissen um die Wahrheit) gelangen? Antwort: Indem man auf die einem zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zurückgreift.

"Als Erkenntnisquelle sehe ich das an, wodurch die Anerkennung der Wahrheit, das Urteil, gerechtfertigt ist." – G. Frege

Unsere natürlichen Erkenntnisquellen:


Unterschreibe ich alles, bleibt das Problem (falls man es als eines ansieht) wie man aus dem eigenen Kokon hinauskommt. Wenn all diese Quellen gleichberechtigt und dynamisch nebeneinanderstehen – oder begründet gezeigt werden kann, dass und wie sie hierarchisiert werden müssen – ist ja alles in Butter, aber das scheint mir so ein Idealtypus zu sein.
Man kann sich ja schrecklich in der Folgerichtigkeit der eigenen Weltsicht verirren, denn den Zwang auf Kritik zu reagieren, gibt es nicht.
Ich kann ein konsistentes Weltbild haben, in dem ich mich, als den einzigen mit Durchblick betrachte und alle anderen für Idioten halte. Das könnte man zwar psychoanalytisch auch theoretisch kritisieren, aber der kurze Weg das abzuwürgen, wäre dann auch die Analyse als idiotisch und unwissenschaftlich links liegen zu lassen.
Ich könnte sogar anerkennen – und das ist eher häufig als selten – dass bestimmte Einstellungen problematisch sind, diese minutiös kritisieren ohne zu erkennen, dass ich selbst unter diese Menge falle.

Es gibt massig Konstellationen, in denen ich jemanden nicht mehr erreiche, bei denen der Betreffende aber Stein und Bein schwören würde, er würde sich aller (oder zumindest der ersten 4) Quellen ausgewogen bedienen oder in denen er die Kritikwürdigkeit seiner Sicht kalt ignoriert.

Kurz, das Problem scheint mir ein offener Transfer zwischen Innen- und Außenwelt zu sein (falls es das gibt).

Das ist zum einen Grenze rationaler Möglichkeiten (in einer Gesellschaft, deren Ansprechbarkeit für den Zwang der besseren Argumente – die eben kein Naturgesetz ist – sinkt), zum anderen sichert sie m.E. auch beim Individuum nicht, dass man der Wahrheit wirklich näher kommt, womit das skizzierte Problem weiter besteht. Ich muss die Sache mit der Wahrheit mit mir ausmachen.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Di 4. Dez 2012, 11:03

Myron hat geschrieben:Es geht erkenntnistheoretisch um die Frage nach der "Berechtigung der Urteilsfällung" (Frege).

"Man rechtfertigt ein Urteil entweder durch Zurückgehen auf schon anerkannte Wahrheiten oder ohne Benutzung andrer Urteile. Nur der erste Fall, das Folgern, ist Gegenstand der Logik." – G. Frege


Aber dann sind wir doch wieder bei dem Problem der ursprünglichen Tatsachen (oder Fakten oder Evidenzen). Damit importiere Ich ja dann doch den Konsens in meine Sicht der Welt, denn alle sind sich einig, dass man das Rad nicht immer wieder neu erfinden muss (was wohl auch kontraevolutionär wäre), sondern Berechtigungen erben kann.

Myron hat geschrieben:Wenn eine Aussage B nachweislich aus einer bereits als wahr erkannten Aussage A logisch folgt (weil B von A impliziert wird: A –› B), dann ist das Fürwahrhalten von B gerechtfertigt. Aber nicht alles Wissen ist logisches Ableitungs- oder Folgerungswissen; denn schließlich landet man bei unabgeleiteten Erkenntnissen, unserem Grundwissen, welches unmittelbar in einer Erkenntnisquelle gründet, z.B. der Sinneswahrnehmung. So ist z.B. mein Glauben, dass vor mir ein Computer steht, dadurch gerechtfertigt, dass ich einen Computer vor mir sehe.
Ich weiß, dass vor mir ein Computer steht, weil ich sehe, dass vor mir ein Computer steht. Allerdings ist dieses Wissen nicht unfehlbar, da ich ja einer Sinnestäuschung unterliegen könnte.


Ja, das sehe ich auch so.
Die Berechtigung Dir diese Kompetenz abzusprechen bestünde allerdings erst, wenn es begründete Hinweise gibt, dass Deiner Sinneswahrnehmung nicht zu trauen ist. Aber prinzipiell besteht diese Berechtigung eben und das stellt Deine (und jede andere) Selbstwahrnehmung, wieder in einen größeren sozialperspektivischen Kontext.
Es könnte ja auch jemand sicher sein, einen Engel zu sehen oder einen prophetischen Traum haben, aus dem er eine bestimmte Legitimation ableitet.

Was mir in dem Zusammenhang ehrlich gesagt wachsend unklar ist, ist, ob die Wucht eigener Überzeugungen etwas was, was grundsätzlich überwunden werden muss – man könnte sagen, zugunsten einer erhöhten Ansprechbarkeit gegenüber rationaler Kritik – oder ob diese Überzeugung in begründeten Fällen gepflegt werden sollte.

Eine rationale Argumentation hat es zwar im Vergleich zum prophetischen Traum oder einer Nahtoderfahrung schwer, aber dass es schwer ist, das einzuordnen, kann kein Argument sein.
Ein Argument ist aber m.E. dass durchaus nicht in allen Fällen die Erfahrung begründet als pathologisch angesehen werden kann und auch bei anderen Ereignissen das Ergebnis der kritischen Prüfung nach bestem Gewissen (und mehr geht nicht) nicht zwingend sein muss, dass das was (nach allgemeiner Übereinkunft) nicht gehen sollte, auch (nach eigener Erfahrung) nicht geht.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Di 4. Dez 2012, 11:11

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Woher nehmen wir den Kompass, der uns zeigt, ob wir uns nun gerade der Wahrheit annähern, parallel zu ihr segeln oder uns sogar volle Kraft entfernen?
Ich kann mit dieser merkwürdigen Mischung ein Kriterium zu benennen, dass man dann doch nicht überprüfen kann, so wenig anfangen.

Das Kriterium ist, ob du dort hin segelst, wo du hinwillst. Es kommt darauf an, was du herausfinden willst.


Das ist aber eine zirkuläre Argumentation, denn es setzt voraus, dass ich bereits die Karte in der Hand halte, die zu schreiben ich im Begriff bin.

ujmp hat geschrieben:Angenommen, du hast die Vorstellung, du müsstet "20 Grad Süd-West" segeln um eine bestimmte Insel zu erreichen. Die Wahrheit der Vorstellung "20 Grad Süd-West" hängt einerseits davon ab, wo du dich befindest und wo die Insel tatsächlich liegt, also von Tatsachen.


So hat Kolumbus bekanntlich Indien gefunden.
Die Theorie war da, das Land auch. Als Wahrheitskriterium keine gute Idee.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Di 4. Dez 2012, 19:39

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Woher nehmen wir den Kompass, der uns zeigt, ob wir uns nun gerade der Wahrheit annähern, parallel zu ihr segeln oder uns sogar volle Kraft entfernen?
Ich kann mit dieser merkwürdigen Mischung ein Kriterium zu benennen, dass man dann doch nicht überprüfen kann, so wenig anfangen.

Das Kriterium ist, ob du dort hin segelst, wo du hinwillst. Es kommt darauf an, was du herausfinden willst.


Das ist aber eine zirkuläre Argumentation, denn es setzt voraus, dass ich bereits die Karte in der Hand halte, die zu schreiben ich im Begriff bin.

Es ist weder zirkulär noch fehlt dir eine Karte. Du wurdest schon mit einer Karte geboren, und zwar mit einer ziemlich detailierten. Dein Bewusstsein fäng nicht bei Null an, wenn du beginnst, die Welt zu entdecken.


Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Angenommen, du hast die Vorstellung, du müsstet "20 Grad Süd-West" segeln um eine bestimmte Insel zu erreichen. Die Wahrheit der Vorstellung "20 Grad Süd-West" hängt einerseits davon ab, wo du dich befindest und wo die Insel tatsächlich liegt, also von Tatsachen.


So hat Kolumbus bekanntlich Indien gefunden.
Die Theorie war da, das Land auch. Als Wahrheitskriterium keine gute Idee.

Erstens belegt dies nur, dass man sich auch irren kann. Und zweitens ist das dennoch die intelligenteste Methode - oder was schälgst du als Alternative vor?
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Mi 5. Dez 2012, 08:26

Vollbreit hat geschrieben:So hat Kolumbus bekanntlich Indien gefunden.
Die Theorie war da, das Land auch. Als Wahrheitskriterium keine gute Idee.


...auf so etwas zielte übrigens mein Hinweis ab, dass es eine überzogene Vorstellung davon gibt, was menschliche Erkenntnis leisten kann. Es ist eine Studierstubenkritik ohne Bezug zum wirklichen Leben. Das beste Werkzeug das wir haben, wird komplett mies gemacht, nur weil es nicht perfekt ist. Wir haben also Amerika nicht wirklich entdeckt? Und bald darauf folgt dann das Märchen von Atlantis, das als genau so gut begründet gelten soll, wie die Koordinaten von New York...

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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Mi 5. Dez 2012, 13:39

ujmp hat geschrieben:Es ist weder zirkulär noch fehlt dir eine Karte. Du wurdest schon mit einer Karte geboren, und zwar mit einer ziemlich detailierten. Dein Bewusstsein fäng nicht bei Null an, wenn du beginnst, die Welt zu entdecken.


Ja, ein Kind ist kein unbeschriebenes Blatt, wenn es auf die Welt kommt.
Aber selbst wenn es ein internes Programm hätte Wahrheiten zu generieren, könnten diese keine Theorien oder Aussagen über Fakten sein, oder Du würdest den Theoriebegriff sehr sehr weit fassen.


ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:So hat Kolumbus bekanntlich Indien gefunden.
Die Theorie war da, das Land auch. Als Wahrheitskriterium keine gute Idee.

Erstens belegt dies nur, dass man sich auch irren kann. Und zweitens ist das dennoch die intelligenteste Methode - oder was schälgst du als Alternative vor?


Dass man sich auch irren kann, ist für die Praxis belanglos, aber nicht für die Theorie.
Ich kann dem Begriff Wahrheit im Allgemeinen wenig abgewinnen.
M.E. hat er seine Relevanz beim Alltagskram, der auf Konventionen zurückgeht.
Heute ist Mittwoch, das stimmt fraglos, aber das Faktum, dass heute tatsächlich Mittwoch ist, ist nicht mehr als eine Konvention, innerhalb derer ich dann navigiere.
Da macht es dann schon einen Unterschied, ob ich mich darin zurechtfinde oder nicht und wie geschickt oder ungeschickt und ich habe auch nichts dagegen das Fakten zu nennen und die Behauptungen „Heute ist Mittwoch“ „Frau Merkel ist Kanzlerin“ und „Schnee ist weiß und Tomaten sind rot“ als wahr gelten zu lassen, nur sehe ich in diesen Fakten selten mehr als weitere Übereinkünfte und nur über diese kann man sich austauschen und bei spezielleren Dingen sind es dann eben Experten, deren Meinung wir vertrauen, viel mehr kann ich da auch nicht sehen.

In diesem beschränkten Sinne kann ich mit der Korrespondenztheorie etwas anfangen, sehe aber keine bedeutenden Unterschied zur Konsenstheorie, die die Korrespondenz implizit enthält, insofern überlappen die beiden sind, wer da den Vorrang hat oder ob man den überhaupt formulieren kann, ist mir nicht klar, vermutlich kann man es auch beiden Richtungen sehen.

Nur ist Wahrheit oft ein größeres Wort und da sehe ich nicht, wie man über den Konsens je hinausgelangen soll, selbst wenn ich anerkenne, dass, falls es eine Wahrheit „da draußen“ gibt, die Definition der Wahrheit als Korrespondenz der ihre Gültigkeit nicht einbüsst, man nur eben nicht weiß – und das ist ja unser Subthema – ob man nun auf Kurs Wahrheit ist.
Intuitiv würde ich Dir (und von Weizsäcker) sogar zustimmen, wer Raketen auf den Mars schickt, oder die Ablenkung von Lichtstrahlen durch Masse (des Merkur) richtig prognostiziert, der kann auf diesem Teilstück schwer falsch liegen, möglich ist es dennoch und darum taugt der Funktionalismus als echtes Wahrheitskriterium logisch eben nicht.

Es ergeben sich bestimmte Wahrheiten aus unseren Konventionen, bspw. über logische Systeme, ansonsten sehe ich das mit der Wahrheit eher als Metaphysik an.

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:So hat Kolumbus bekanntlich Indien gefunden.
Die Theorie war da, das Land auch. Als Wahrheitskriterium keine gute Idee.


...auf so etwas zielte übrigens mein Hinweis ab, dass es eine überzogene Vorstellung davon gibt, was menschliche Erkenntnis leisten kann. Es ist eine Studierstubenkritik ohne Bezug zum wirklichen Leben. Das beste Werkzeug das wir haben, wird komplett mies gemacht, nur weil es nicht perfekt ist.


Wenn so viel von Fakten und Wahrheiten geredet wird, wüsste ich schon gerne, was ich da einkaufe.
Wenn es nur Wahrscheinlichkeiten und Vermutungen sind, sollte man sie auch so benennen.
Aber wie gesagt, ich kann da manche Alltagswahrheiten problemlos anerkennen, ich bin auch überhaupt kein Erkenntnisskeptizist.

ujmp hat geschrieben:Wir haben also Amerika nicht wirklich entdeckt?


Falsche Frage. Die richtige müsste lauten: Hat Kolumbus Indien entdeckt.
Er hatte die Theorie, die Karte und er hat ein neues Land entdeckt, für ihn war die Sache klar, dass das Indianer (also Inder) sind, die da rumlaufen. In seiner Welt stimmen von der Theorie bis zum empirischen Beweis alles… leider nur vorläufig und darum war es eben nicht die Wahrheit und darum verliert der Funktionalismus seine wahrmachende Kraft.

ujmp hat geschrieben:Und bald darauf folgt dann das Märchen von Atlantis, das als genau so gut begründet gelten soll, wie die Koordinaten von New York...

(Bitte nicht persönlich nehmen, es ist bloß Philosophie ;-))


Ich nehme das sehr wohl persönlich, aber ich habe keine Einwände gegen begründete Kritik. Insofern bin ich da nicht beleidigt, falls Du das meinst.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Mi 5. Dez 2012, 21:41

Jetz bin ich sehr gespannt auf dein Atlantis... :mg:
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Fr 7. Dez 2012, 14:53

@Vollbreit: Im Großen und Ganzen stelle ich fest, dass du der Agrumentation nicht folgen kannst.
Vollbreit hat geschrieben:Dass man sich auch irren kann, ist für die Praxis belanglos, aber nicht für die Theorie.
Ich kann dem Begriff Wahrheit im Allgemeinen wenig abgewinnen.
M.E. hat er seine Relevanz beim Alltagskram, der auf Konventionen zurückgeht.

Was du hier abschätzig als "Alltagskram" abtust, ist das, was das Leben seit Hunderten Millionen von Jahren vorangebracht hat. Und selbstverständlich ist es dummes Zeug, das sich irren zu können für die Praxis belanglos ist. Das Komplizierte am Wahrheitsbegriff sind lediglich die vielen Lügen, die er mitschleifen soll. Irgendwann sind mal kombinatorisch begabte Charaktere auf die Idee gekommen, dass man auch "höhere", "tiefere", "geistige", "göttliche", "ewige" Wahrheiten entdecken könnte. Ich schätze, das fiel in eine Zeit, als man auch sowas für glaubwürdig hielt...:

Bild

...Und jetzt haben wir den Salat: Die Wahrheit soll etwas sein, das unfehlbar das "Universum", das "Ganze" und ähnlich bekiffte Konzepte umfasst. Und weil sie das nicht kann, ist es nur "Kram".

Vollbreit hat geschrieben: In diesem beschränkten Sinne kann ich mit der Korrespondenztheorie etwas anfangen, sehe aber keine bedeutenden Unterschied zur Konsenstheorie, die die Korrespondenz implizit enthält, insofern überlappen die beiden sind, wer da den Vorrang hat oder ob man den überhaupt formulieren kann, ist mir nicht klar, vermutlich kann man es auch beiden Richtungen sehen.

In der Korrespondenztheorie ist Konsens irrelevant.

Vollbreit hat geschrieben:Nur ist Wahrheit oft ein größeres Wort und da sehe ich nicht, wie man über den Konsens je hinausgelangen soll, selbst wenn ich anerkenne, dass, falls es eine Wahrheit „da draußen“ gibt, die Definition der Wahrheit als Korrespondenz der ihre Gültigkeit nicht einbüsst, man nur eben nicht weiß – und das ist ja unser Subthema – ob man nun auf Kurs Wahrheit ist.

Wahrheit gibt es „da draußen“ nicht, sondern wir nehmen an, dass es eine Realität „da draußen“ gibt, die von unseren Vorstellungen unabhänig exsitiert, was besonders dann deutlich wird, wenn sich unsere Vorstellungen als falsch erweisen. "Wahr" oder "falsch" ist das Urteil über die Korrespondenz einer Vorstellung mit dieser Realität
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » So 9. Dez 2012, 08:49

Vollbreit hat geschrieben:ansonsten sehe ich das mit der Wahrheit eher als Metaphysik an.


Das Problem an deiner Denkweise ist, dass du den Begriff Wahrheit gebrauchst, ohne selbst eine klare Definition davon zu haben. Eine klare Definition ist zwar keine Voraussetzung um über Wahrheit nachzudenken, sie soll sich ja aus dem Nachdenken ergeben. Man darf aber dann den zu definierenden Begriff in der Definition nicht verwenden - was du leider unentwegt tust. Du sagst selbst, dass du mit dem Begriff Wahrheit nichts anfangen kannst, betrachtest ihn aber als Metaphysik - und was das ist, vermagst du vermutlich erst recht nicht zu sagen.


Vollbreit hat geschrieben:Es ergeben sich bestimmte Wahrheiten aus unseren Konventionen, bspw. über logische Systeme,

Ein verbreitete Ungenauigkeit im Denken entsteht dadurch, das der Begriff Wahrheiten unbemerkt synonym für unterschiedliche Dinge gebraucht wird. Wir reden einerseits von Wahrheit als einer Eigenschaft von Sätzen, die zwei Werte annhemen kann, "wahr" oder "falsch". Und andererseits meinen wir mit Wahrheiten Sätze, die den Wahrheitswert "wahr" haben. Es gibt aber nur eine einzige Eigenschaft "Wahrheit" und theoretisch unzählige Sätze, die diese Eigenschaft haben.

"Wahrheiten, die sich aus Konventionen ergeben" ist ganz übler Nebel. Etwas kann einer Konvention entsprechen oder auch nicht. Die Behauptung, dass etwas einer Konvention entspreche, kann dagegen wahr oder falsch sein. Aus der Konvention selbst kann sich aber keine Wahrheit ergeben. Wenn eine Konvention Wahrheit sein soll, nennt man das Ideologie - und da wir im 21. Jhd. zurückschauend auf sehr viele Ideologien unsere Unschuld diesbezüglich längst verloren haben, würde ich es sogar als Betrug bezeichnen.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » So 9. Dez 2012, 10:02

ujmp hat geschrieben:Das Problem an deiner Denkweise ist, dass du den Begriff Wahrheit gebrauchst, ohne selbst eine klare Definition davon zu haben.


Das ist eine Kritik, mit der ich etwas anfangen kann, aber ich kann es schwer ändern.
Im Grunde bin ich ein Anhänger der Mischung aus Korrespondenztheorie und Konsenstheorie, mit einem Spritzer Kohärenz, denn man sollte sich nicht selbst widersprechen.

Ich glaube schon, dass die Übereinstimmung eine, eben für den Alltag, sinnvolle Definition ist, doch an den Kanten unseres Wissens erweist sie sich als zunehmend unbrauchbar. Zwar mag man die Definition beibehalten, nur ist sie kaum mehr zu überprüfen, m.M.n. fehlt und da eben der Kompass, der uns sagt, in welche Richtung zur Wahrheit wir unterwegs sind. Aber das wäre eine Frage des Kriteriums.

ujmp hat geschrieben:Eine klare Definition ist zwar keine Voraussetzung um über Wahrheit nachzudenken, sie soll sich ja aus dem Nachdenken ergeben.


Das ist sicher wünschenswert, aber wohl nicht immer möglich, da der Gebrauch von Begriffen (im Alltag) notwendig unscharf ist. Jeder assoziiert mit einem Begriff etwas andere weitere Begriffe.
Die Lösung könnte in dem Versuch der Vereinheitlichung und Normierung der Begriffe liegen (Fachterminologien sind ja so ein Versuch), aber auch das klappt aus zwei Gründen nicht, wenn man es auf die Spitze treibt:
Erstens, würden präzise Zuschreibungen zu einer Verarmung der Sprache führen (die gerade von der Mehrdeutigkeit lebt, man denke an Metaphern), zudem ist auch Fachsprache wieder in den Kontext einer Alltagssprache eingebunden
Zweitens, lauert bei einer harten Reglementierung immernoch die Unschärfe der Interpretation und jede weitere Regel der Regel würde für ihre Anwendung eine Regel der Regel der Regel erfordern und in einem Regress enden.

ujmp hat geschrieben:Man darf aber dann den zu definierenden Begriff in der Definition nicht verwenden - was du leider unentwegt tust. Du sagst selbst, dass du mit dem Begriff Wahrheit nichts anfangen kannst, betrachtest ihn aber als Metaphysik - und was das ist, vermagst du vermutlich erst recht nicht zu sagen.


Was Metaphysik ist, kann man sagen, der wiki-Artikel darüber ist sehr gut:
http://de.wikipedia.org/wiki/Metaphysik

Dass die Korrespondenztheorie als metaphysisch angesehen wird, findest Du ebenfalls bei wiki, unter Wahrheit:
http://de.wikipedia.org/wiki/Wahrheit#S ... 9Cberblick

Mein Anlass den Wahrheitsbegriff dem man sich annähert als metaphysisch darzustellen, war einfach die Überlegung, dass diese Wahrheit, der man sich da annähert, auf die man sich zubewegt, immer im Verborgenen liegt. Wir rennen ihr stets hinterher, aber die Fakten, so meinen wir, bestehen immer schon ohne uns. Wenn Fakten oder Tatsachen nur Gegenstände sind – das was man empirisch vorfindet –, ist es schwer mit der Aussage: „ujmp hat Vollbreit einen Beitrag geschrieben, indem er ihm unterstellt, die Wahrheit nicht angemessen zu definieren“, die ja sicher eine Tatsache ist, umzugehen.

Vielleicht kommst Du irgendwann zu der Auffassung, dass es sich nicht mehr lohnt, mit mir über Wahrheit zu reden und antwortest nicht mehr. Dann wäre der Satz: „ujmp denkt sich, dass es sich nicht mehr lohnt mit Vollbreit über Wahrheit zu diskutieren“ ein wahrer Satz, da den Tatsachen entsprechend, aber was für eine Wahrheit wäre das dann? Sicher keine der Gegenstände, es sei denn, man ist der Auffassung, Gedanken seien ja auch nur elektrochemische Zustandsformen und dementsprechend physikalisch darstellbar, in einer antizipierten Einheitssprache/-wissenschaft, zu der man durch Reduktionen irgendwann gelangen müsste.

Scheint also, dass der Weg beim Gehen entsteht, zumindest ein Stück weit und dass das was gerade Tatsache ist, z.B. davon abhängt, was Du tust, sagst, denkst. Da sehe ich dann keine Wahrheit mehr, die starr und monolithisch als Gesamtheit aller was auch immer, auf uns wartet.

Wahrheit als austauschbare Segmente, über die man sich einigen kann, druchaus auch im Sinne der Korrespondenz, kein Problem, aber was darüber hinaus geht bedarf m.E. einer weiteren Klärung. Die meisten hier sehen das anders und haben keinen weiteren Gesprächsbedarf.

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Es ergeben sich bestimmte Wahrheiten aus unseren Konventionen, bspw. über logische Systeme,

Ein verbreitete Ungenauigkeit im Denken entsteht dadurch, das der Begriff Wahrheiten unbemerkt synonym für unterschiedliche Dinge gebraucht wird.


Ich würde eher sagen, dass Problem sind die Tatsachen, die schwer mehrdeutig sind.

ujmp hat geschrieben:Wir reden einerseits von Wahrheit als einer Eigenschaft von Sätzen, die zwei Werte annhemen kann, "wahr" oder "falsch".


Eigentlich nur davon.

ujmp hat geschrieben:Und andererseits meinen wir mit Wahrheiten Sätze, die den Wahrheitswert "wahr" haben.


Gib mir mal ein Beispiel dafür, was Du damit meinst, mit einem solchen Satz.

ujmp hat geschrieben:Es gibt aber nur eine einzige Eigenschaft "Wahrheit" und theoretisch unzählige Sätze, die diese Eigenschaft haben.


Dass es nur eine einzige Wahrheit gibt ist eine metaphysische Behauptung.
Wenn Hans und Franz ins Kino gehen und Hans den Film platt und öde, franz aber spannend und tiefgründig fand, wo liegt dann die einzige Wahrheit? Darin, dass ein Film gelaufen ist und der Rest ist nur „Meinung über“? Kann man so sehen, ist aber die Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Simpler Sensualismus, der dann als übergeordnete Wahrheit herhalten muss, das ist schon ein Spagat der weh tut.

ujmp hat geschrieben:"Wahrheiten, die sich aus Konventionen ergeben" ist ganz übler Nebel.


Du benutzt sie öfter, als Dir bewusst sein dürfte.

ujmp hat geschrieben:Etwas kann einer Konvention entsprechen oder auch nicht. Die Behauptung, dass etwas einer Konvention entspreche, kann dagegen wahr oder falsch sein.


Du kannst die Behauptung, dass etwas eine Konvention entspricht oder nicht, nur aufstellen, wenn Du bereits sehr viele Konventionen über Sprache anerkannt hast. Die Rede über Wahrheit setzt die Beherrschung von Konventionen voraus, ansonsten verliert Sprache ihre Anschlussfähigkeit – also nicht prinuzipiell, wenn sich genügend andere darauf einlassen, aber sehr wahrscheinlich.

ujmp hat geschrieben:Aus der Konvention selbst kann sich aber keine Wahrheit ergeben. Wenn eine Konvention Wahrheit sein soll, nennt man das Ideologie - und da wir im 21. Jhd. zurückschauend auf sehr viele Ideologien unsere Unschuld diesbezüglich längst verloren haben, würde ich es sogar als Betrug bezeichnen.


Dass man Schnee weiß nennt, ist eine Konvention, dass man hier rechts fährt ebenfalls, dass man sich in der Schlange am Supermarkt hinten anstellt ebenfalls… alles Ideologie?
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon AgentProvocateur » So 9. Dez 2012, 11:01

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Es gibt aber nur eine einzige Eigenschaft "Wahrheit" und theoretisch unzählige Sätze, die diese Eigenschaft haben.

Dass es nur eine einzige Wahrheit gibt ist eine metaphysische Behauptung.

Das Problem ist wohl, dass Du den Begriff "Wahrheit" anders verwendest als die anderen hier, daher verstehst Du ujumps Satz nun so falsch. Du springst immer wieder zu einer mir unverständlichen Bedeutung über. Was soll a) "es gibt nur eine einzige Wahrheit" und (von weiter oben) b) "diese Wahrheit, der man sich da annähert, auf die man sich zubewegt" bedeuten?

Soll a) bedeuten: "es gibt genau eine endlich große Menge von wahren Aussagen"?
Und soll b) bedeuten: "wir sind auf dem Weg, die Aussagen aus a) zu finden"?

Wenn nicht: was sonst?
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » So 9. Dez 2012, 11:37

AgentProvocateur hat geschrieben:Das Problem ist wohl, dass Du den Begriff "Wahrheit" anders verwendest als die anderen hier, daher verstehst Du ujmps Satz nun so falsch. Du springst immer wieder zu einer mir unverständlichen Bedeutung über. Was soll a) "es gibt nur eine einzige Wahrheit" und (von weiter oben) b) "diese Wahrheit, der man sich da annähert, auf die man sich zubewegt" bedeuten?

Soll a) bedeuten: "es gibt genau eine endlich große Menge von wahren Aussagen"?
Und soll b) bedeuten: "wir sind auf dem Weg, die Aussagen aus a) zu finden"?

Wenn nicht: was sonst?


Hm, eigentlich beides nicht.
Es ist vielmehr so, dass ich glaube, dass viele glauben, und einer davon wäre ujmp, dass es „irgendwo da draußen“ eine Wahrheit in Form von Fakten gibt und diese Fakten – so meine Unterstellung – sind für diejenigen, die das behaupten (also auch für ujmp), ein „Zustand“ der Gegenstände der Welt, also all dessen, was man empirisch vorfindet und beobachten und beschreiben kann.
Hier ging es dann darum, sich durch falsifizierbare Theorien und deren empirische Überprüfung der Wahrheit schrittweise immer weiter anzunähern.
(Vielleicht bin ich da, bezüglich ujmps Einstellung völlig auf dem Holzweg, aber das müsste er uns sagen.)

Diese Dinge gibt es in einem kleinen Rahmen: „Da steht ein Haus.“ Aber es gibt auch die Zusammenhänge der Einzeldinge untereinader und man könnte sich vorstellen, dass die Menge der kleinsten Teilchen und ihrer Zustandsformen begrenzt ist und es so eine endliche Zahl an Möglichkeiten gibt, die die Potenz des Möglichen und in ihrer Ausprägung die Konkretisierung des Möglichen darstellt.


Wenn ich die Fragen beantworten sollte, dann gehe ich a) nicht davon aus, dass es eine endliche Menge von wahren Aussagen gibt, weil ich Tatsachen nicht auf Gegenstände beschränke und mit jeder Abstraktionsstufe neue Tatsachen, (z.B. Betrachtungsweisen und sich daraus ergebende Schlüsse) und in die Welt kommen.
Insofern glaube ich auch b) nicht, dass wir auf dem Weg sind, diese Aussagen zu finden, weil es in meiner Vorstellung immer wieder Emergenzsprünge gibt, die neue Kombinationen, Optionen und Perspektiven ergeben und damit auch die Zahl der möglichen Aussagen und Tatsache vervielfacht.

Im Rahmen einer reduktionistischen Sichtweise die für mich eine mögliche, aber begrenzte Erkenntnisstrategie ist, für manche aber der einzig ernstzunehmende Ansatz, ließen sich Aussagen aller Art auch physikalische Zuständen zurückführen und durch Emergenzen käme nichts Neues in die Welt.
Diese Auffassung halte ich für unzutreffend. Insofern sehe ich Wahrheit selbst als dynamisch, beweglich, veränderbar an und der Weg entsteht immer wieder neu, beim Gehen.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » So 9. Dez 2012, 11:58

Vollbreit hat geschrieben:Ich glaube schon, dass die Übereinstimmung eine, eben für den Alltag, sinnvolle Definition ist, doch an den Kanten unseres Wissens erweist sie sich als zunehmend unbrauchbar. Zwar mag man die Definition beibehalten, nur ist sie kaum mehr zu überprüfen, m.M.n. fehlt und da eben der Kompass, der uns sagt, in welche Richtung zur Wahrheit wir unterwegs sind. Aber das wäre eine Frage des Kriteriums.

Die Wahrheitsdefinition der Korrespondenztheorie ist eine eben eine Definition und keine Behauptung, daher kann man sie auch nicht sinnvoll "überprüfen". Diese Definition beinhaltet den Kompass, eine Vorstellung kommt der Wahrheit um so näher, je stärker sie mit der Realität korrespondiert.


Vollbreit hat geschrieben:
Das ist sicher wünschenswert, aber wohl nicht immer möglich, da der Gebrauch von Begriffen (im Alltag) notwendig unscharf ist. Jeder assoziiert mit einem Begriff etwas andere weitere Begriffe.

Das ist ein Kommunikationsproblem und kein Wahrheitsproblem.

Vollbreit hat geschrieben:Mein Anlass den Wahrheitsbegriff dem man sich annähert als metaphysisch darzustellen, war einfach die Überlegung, dass diese Wahrheit, der man sich da annähert, auf die man sich zubewegt, immer im Verborgenen liegt. Wir rennen ihr stets hinterher, aber die Fakten, so meinen wir, bestehen immer schon ohne uns.

Das Problem ist, dass wir keine bessere Möglichkeit haben. "Falschheit" könnte man m.E. empirisch definieren. Wer z.B. die Vorstellung hat, dass ein brennender Zweig sich genau so anfasst wie ein nichtbrennender wird u.U. empirisch eines Besseren belehrt. Die Vorstellung stimmt nicht mit der Erfahrung überein. Die Erfahrung hat noch keinen Namen, sie bekommt evtl. den Namen "brennend" und wird zu einer neuen Vorstellung. Wo kommt abder diese Vorstellung her, wodurch wurde ihre Entstehung bewirkt ? - Durch die Wirklichkeit! Glücklicherweise hat diese Wirklichkeit ein hohes Maß Kontinuität - so hoch, dass manche den Mut haben, an eine Theory of everything zu glauben.

Vollbreit hat geschrieben: es sei denn, man ist der Auffassung, Gedanken seien ja auch nur elektrochemische Zustandsformen und dementsprechend physikalisch darstellbar, in einer antizipierten Einheitssprache/-wissenschaft, zu der man durch Reduktionen irgendwann gelangen müsste.

Theoretisch nicht ausgeschlossen, aber praktisch sind wir davon noch Lichtjahre entfernt.

Vollbreit hat geschrieben:Scheint also, dass der Weg beim Gehen entsteht,

Zustimmung, der Organismus schafft sich seine Nische (Popper hat mal was in der Art gesagt).

Vollbreit hat geschrieben: Da sehe ich dann keine Wahrheit mehr, die starr und monolithisch als Gesamtheit aller was auch immer, auf uns wartet.

Ich versuche hartneckig, diese Verdrehung zurechtzurücken: Wahrheit ist eine vom Menschen bestimmten menschlichen Vorstellungen zugeordnete Eigenschaft. Die Korrespondenztheorie betrachtet Vorstellungen als wahr, wenn sie mit einer als von uns unabhängig gedachten Wirklichkeit übereinstimmen und als falsch, wenn nicht. Ob diese Wirklich starr ist oder nicht, ist dabei unerheblich - aber wie gesagt, sie scheint in beruhigendem Maß kontinuierlich zu sein.

Vollbreit hat geschrieben:
Wahrheit als austauschbare Segmente, über die man sich einigen kann, druchaus auch im Sinne der Korrespondenz, kein Problem,


Ich hab das Gefühl, dass du meine Argumente ignorierst. Du wirst doch für dich selbst feststellen können, ob der Schnee draußen heute die selbe Farbe hat wie gestern und ob dieser Anblick deinen Vorstellungen entspricht oder eben nicht. Du musst dich doch darüber mit niemandem einigen! Das wäre für die Beteiligten auch sinnlos, wenn ihr keine eigenen Urteile habt!



Vollbreit hat geschrieben: Ich würde eher sagen, dass Problem sind die Tatsachen, die schwer mehrdeutig sind.

Jede Tatsache hat potentiell unendlich viele Deutungen. Zwei Punkte in der Ebene kannst du durch unendlich viele Funktionen verbinden. Aber nicht mit jeder Funktion, dehalb gibt es richtige und falsche Funktionen.

Vollbreit hat geschrieben: Gib mir mal ein Beispiel dafür, was Du damit meinst, mit einem solchen Satz.

a²+b²=c²

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Es gibt aber nur eine einzige Eigenschaft "Wahrheit" und theoretisch unzählige Sätze, die diese Eigenschaft haben.


Dass es nur eine einzige Wahrheit gibt ist eine metaphysische Behauptung.
Wenn Hans und Franz ins Kino gehen und Hans den Film platt und öde, franz aber spannend und tiefgründig fand, wo liegt dann die einzige Wahrheit? Darin, dass ein Film gelaufen ist und der Rest ist nur „Meinung über“?

Obwohl es unzählige rote Gegenstände gibt, gibt es nur ein Rot, weil Rot ein Signal ist, das die Netzhaut in deinem Auge sendet, wenn sie von bestimmten elektromagnetischen Wellen angeregt wird. Vergleich es mit deiner Türklingel: Es ist immer dieselbe Klingel, ganz egal, wer wie oft klingelt. Genau so klingelt es in deinem Kopf, wenn du Rot siehst oder wenn du zwei Dinge für gleich hältst. Wenn sich eine Vorstellung mit einer Erfahrung deckt, klingelt immer diesselbe Wahrheitsklingel. Ob zwei Farben gleich sind oder zwei Töne oder zwei Vorstellungen - es ist ein und dieselbe Klingel für "Gleichheit".


Vollbreit hat geschrieben:[
ujmp hat geschrieben:Aus der Konvention selbst kann sich aber keine Wahrheit ergeben. Wenn eine Konvention Wahrheit sein soll, nennt man das Ideologie - und da wir im 21. Jhd. zurückschauend auf sehr viele Ideologien unsere Unschuld diesbezüglich längst verloren haben, würde ich es sogar als Betrug bezeichnen.


Dass man Schnee weiß nennt, ist eine Konvention, dass man hier rechts fährt ebenfalls, dass man sich in der Schlange am Supermarkt hinten anstellt ebenfalls… alles Ideologie?

Solche Benennungen oder Vereinbahrungen sind keine Wahrheitsbehauptungen. Wohl aber z.B. "Jesus ist die Wahrheit" oder "Kommunismus ist die Wahrheit"
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon AgentProvocateur » So 9. Dez 2012, 12:00

Vollbreit hat geschrieben:Es ist vielmehr so, dass ich glaube, dass viele glauben, und einer davon wäre ujmp, dass es „irgendwo da draußen“ eine Wahrheit in Form von Fakten gibt und diese Fakten – so meine Unterstellung – sind für diejenigen, die das behaupten (also auch für ujmp), ein „Zustand“ der Gegenstände der Welt, also all dessen, was man empirisch vorfindet und beobachten und beschreiben kann.

Aber wenn ich das recht verstehe, redest Du jetzt nicht von Wahrheit, sondern von Realismus (es gibt "da draußen" eine Realität, die von unseren Gedanken unabhängig ist, die Eigenschaften hat, die nicht durch unsere Gedanken hervorgerufen werden).

Ich bin nun auch ein solcher Realist.

Vollbreit hat geschrieben:Hier ging es dann darum, sich durch falsifizierbare Theorien und deren empirische Überprüfung der Wahrheit schrittweise immer weiter anzunähern.

Folglich müsste es auch hier anstatt "Wahrheit" "Realität" heißen, also in etwa so: "unsere Theorien und Aufassungen passen immer besser zur Realität, z.B. insofern als sie bessere Voraussagen ermöglichen". In dem Sinne würde ich dem Satz zustimmen.

Vollbreit hat geschrieben:Im Rahmen einer reduktionistischen Sichtweise die für mich eine mögliche, aber begrenzte Erkenntnisstrategie ist, für manche aber der einzig ernstzunehmende Ansatz, ließen sich Aussagen aller Art auch physikalische Zuständen zurückführen und durch Emergenzen käme nichts Neues in die Welt.
Diese Auffassung halte ich für unzutreffend. Insofern sehe ich Wahrheit selbst als dynamisch, beweglich, veränderbar an und der Weg entsteht immer wieder neu, beim Gehen.

"Reduktionismus" halte ich an dieser Stelle nun für ein anderes Thema, sehe den Zusammenhang nicht.

Und Deinen letzten Satz verstehe ich mal wieder nicht. Ich bin davon überzeugt, dass es sehr hilfreich wäre, wenn Du nicht immer so unbestimmt von "Wahrheit", sondern von "wahren Aussagen" reden würdest. Wie würde dann Dein letzter Satz aussehen?
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