In dem Vortrag erklärt Blackmore die Parallelen, aber auch die Unterschiede von Genen, Memen und Temen (technischen Memen).
Die Parallele sieht sie in der Idee des Ausgeliefertseins. Analog der „selfish genes“ sind auch Meme und Teme Einheiten, die einfach Informationen sind und sich replizieren. Dass sie dies „wollen“, kann man nicht sagen, Blackmore bleibt hier klar auf der Darwinistischen Linie, die Evolution als einfach und ungerichtet ansieht.
Informationspakete in Konkurrenz zueinander, jeder im „Streit“ um die vorhandenen Lücken.
Wir Menschen sind sozusagen die Orte an und mit denen diese Streits ausgefochten werden.
So wie die Gene uns benutzen um sich zu replizieren, so benutzen uns auch Meme, Ideen, um sich durch uns zu replizieren und Teme tun dasselbe.
Es gibt das Internet, Blackmore zufolge, nicht, weil wir ein Internet haben wollten, sondern weil Teme dafür sorgen, dass wir immer mehr und mehr Technik reproduzieren. Damit haben wir die dritte sich replizierende Einheit im Spiel.
Die Gedanken sind erst einmal fremd, aber im Grunde von der Idee her analog. Wer versteht, was mit egoistischen Genen gemeint ist, der versteht auch, was mit Memen und Temen gemeint ist.
Wie mit Heidegger und Luhmann zuvor gezeigt, ist der Gedanke keineswegs neu und schon in „Sein und Zeit“ hat Heidegger wörtlich von der
Versklavung des Daseins (bei ihm ungefähr: Mensch) durch
das Man (in etwa: Gesellschaft) geschrieben. Aber es war weniger die Gesellschaft im sozialen Sinne, als vielmehr die Idee des Man, gemäß derer man eben tat, was man tat, sich empörte, wie man sich eben empörte und sich vergnügte, wie man sich eben vergnügte.
Das Dasein am Gängelband eines (konventionellen) Memes, könnte man auch sagen.
Verstörend ist bei all diesen frühen und späten Beschreibungen eines: die Entwertung des Subjekts.
Diese Idee, die in naiver Weise noch einmal von der Hirnforschung aufgegriffen wurde, dass das Subjekt eigentlich so ein marginales Etwas sei. Die Beschreibung ist attraktiv genug, um sich seit Jahrzehnten immer wieder halten zu können und an die Oberfläche zu kommen, was mich immer wundert ist, wie unbewusste Einheiten Herr über bewusste Einheiten werden sollten.
Attraktiv ist die Idee insofern, weil sie erklärt, warum Menschen bspw. in einen unwiderstehlichen Sog gezogen werden und sich z.B. Piercings machen lassen oder Kinderbücher von kleinen Zauberer lesen. Hier hat dann ein Mem die Kontrolle über den Menschen übernommen.
Oder wenn man Nachts Schlange steht, um das neueste iPad zu haben, dann ist es ein Tem, was den Menschen kontrolliert.
Ich bin da skeptisch. Denn es gibt auch andere Ansätze, die das erklären könnten.
Es könnten bestimmte Typen sein. Ich weiß nicht, welchem Typus das in dem von Lumen vorgestellten System entspricht, bei den Leuten von Sinus könnten es die „Expeditiven“ oder die „Performer“ sein. Alles in allem, kreative, spontan-offene und etwas verspielte und neugierige Menschen.
http://www.sinus-institut.de/loesungen/ ... lieus.htmlBestimmte Meme kapern also bestimmte Menschen, hier wären es Typen von Menschen.
Ich bin ziemlich sicher, dass „Traditionalisten“ nicht um Mitternacht in der Schlange auf ein neues Elektrospielzeug warten werden.
Das Problem ist eigentlich nicht, dass es keine Erklärungen für bestimmtes Verhalten gibt, sondern eher zu viele Ansätze. Daniel Goleman führte den Begriff des emotionalen Intelligenz ein, den es bis heute gibt und der sich grob gesagt, aus den Bausteinen
Affektkontrolle und
soziale Kompetenz zusammensetzt. Vielleicht habe die „Spielkinder“ der Nation einfach keine ausgeprägte Affektkontrolle.
Ich glaube, dass all das eine Rolle spielt, der Schlüssel aber letzten Endes im Bewusstseinsstadium liegt. Es spielt sicher eine Rolle, ob man extravertiert oder introvertiert ist, aber letztlich ist entscheidend, wie sehr man sich und sein Sosein kennt.
Ich kann ja von mir wissen, wie ich gestrickt bin. Das hilft nicht unbedingt nun die omnipotente Kontrolle über mich (und andere) zu haben, dies zu wollen ist aber ohnehin eher eine pathologisch narzisstische Größenphantasie. Aber wenn man weiß, wie man tickt, wo man anfällig ist, wo man seine Stärken und Schwächen hat, wo der Schatten liegt, was man mag und wie man sich Freude und Entspannung bereiten kann, dann weiß man sehr viel.
Die erste Intuition ist meist... „äh sorry, aber das weiß doch wohl jeder“. Verständlich, aber (leider) falsch. Es ist nahezu erschreckend, wenn man gestandene Menschen, die mitten im Leben stehen, fragt und sieht, wie wenig sie mitunter von sich wissen. Ich will das hier nur andeuten, weil es ein eigenes Thema wäre.
Das fällt sehr weitreichend mit dem Begriff des freien Willens zusammen. Ich muss nicht wissen, warum ich lieber Vanilleeis als Erdbeereis esse, aber wenn ich weiß, dass es so ist, kann ich mein Leben entsprechend einrichten und reflexiv und selbstbestimmt leben, was sich nahtlos auf weitere Themen wie, ob ich Familie will oder nicht, lieber in der Stadt oder im Blockhaus im Wald wohne usw. ausdehnen lässt.
Dieses sich kennen und dieser freie Wille entspricht fast vollständig dem, was man in der Psychologie ein reifes Ich nennt.
Dieses reife Ich hat nun selbst sehr viele Parallelen, die immer wieder beschrieben wurden:
Es ist das Ich was in die Freiheit, aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit gelangt ist, also das im besten Sinne aufgeklärte Ich das Kant beschreibt.
Es ist das moralisch postkonventionelle Ich, was Kohlberg beschreibt.
Es ist das orangene Mem, was Spiral Dynamics beschreibt.
Es ist das Ich von C.G. Jung, die Integration von Persona und Schatten.
Und es gibt unzählige andere Systeme, die diesen Schritt beschreiben.
Allen gemein ist, dass sie ein reifes, reflexives Ich skizzieren, das sich kennt, das seine Vorlieben und Abneigungen kennt und das in einem entspannten Verhältnis zu den eigenen Eingebundenheiten steht.
Das frühe, unreife Ich hat große Schwierigkeiten seine Abhängigkeiten anzuerkennen, es fürchtet diesen Autonomieverlust und diese empfundene Fremdbestimmung, wie der Teufel das Weihwasser (teilweise durchaus biographisch begründet und nachvollziehbar).
Das Ich, was diese Aufgaben der Autonomie nicht als Bedrohung empfindet, ist in der Lage etwas von der Wärme, dem Schutz und der Geborgenheit des Wir zu aufzusaugen und ist bereit Opfer zu bringen und das Opfer ist ein Teil seiner Individualität, um dazu zu gehören, dabei zu sein, Teil der Gruppe zu sein, sich mit ihr zu identifizieren. In aller Regel ist das zuerst die Familie, später dann eine Gruppe mit der man sich identifiziert, das Anhimmeln einer Popgruppe, eine Religionsgemeinschaft, eine Tierschutzorganisation, ein Fußballverein, eine Partei oder was auch immer es sei.
Irgendwann einmal macht man die Erfahrung, dass innerhalb jeder Gruppe bestimmte Normen und Gebote herrschen, die die eigene Freiheit und Individualität einschränken.
In dieser Phase kommt es typischerweise zu einer Rebellion mit eigenen Gefahren, die Apel schön beschreibt:
Karl-Otto Apel hat geschrieben:„Der Skeptiker – als Repräsentant philosophischer Aufklärung – kann mit scheinbar guten/oder wirklich guten Gründen jede Form der faktischen Sittlichkeit in Frage stellen und mit großem existentiellen Risiko auch verleugnen; aber, wenn es ihm gelingt, zu Ende zu denken (den „Skeptizismus zu vollbringen“ bzw. - frei nach Kohlberg - die Krisenstufe 4 ½ der „sophistischen“ Aufklärung hinter sich zu bringen), so kann er einsehen, dass er das Prinzip der Moralität im Sinne der Diskursethik nicht rational (d.h. nicht ohne einen performativen Selbstwiderspruch zu begehen) verleugnen kann. Dann hat er jenen Vernunftsmaßstab der Moralität gewonnen, den Habermas selbst in seiner Auseinandersetzung mit Bubner (1984) so überzeugend gegen die substanzialistische Versuchung verteidigt hat.“
(Apel, Auseinandersetzungen, Suhrkamp, 1998, S.660)
Die „Krisenstufe“ nach Kohlberg:
Wikipedia hat geschrieben:Zwischen- bzw. Übergangsstufe
4 1/2. Stufe: Bei der Auswertung einer Längsschnittstudie wurde festgestellt, dass High-School-Absolventen wieder moralische Urteile entsprechend der Stufe 2 fällten. Daraufhin wurde die Zwischenstufe nachträglich in die Theorie integriert.
In der Übergangszeit zum Erwachsenwerden befinden sich Jugendliche typischerweise in einer Übergangsphase. Um sich vom konventionellen Niveau des Moralbewusstseins zu lösen, ist es wichtig, moralische Normen zu hinterfragen und nicht blind Autoritäten zu folgen. In der Übergangsphase gelingt es dem Menschen noch nicht, die Begründung von Normen auf ein neues, intersubjektives Fundament zu stellen, er ist moralisch orientierungslos. Menschen dieser Stufe verhalten sich nach ihren persönlichen Ansichten und Emotionen. Ihre Moral ist eher willkürlich, Begriffe wie „moralisch richtig“ oder „Pflicht“ halten sie für relativ. Im günstigen Fall gelingt ihnen die Entwicklung zur 5. Stufe des Moralbewusstseins, es kann aber auch sein, dass sie in der Übergangsstufe verbleiben oder zur 4. Stufe zurückfallen. Die Zwischenstufe wird als postkonventionell angesehen, obwohl moralische Urteile auf diese Stufe noch nicht prinzipiengesteuert sind.
http://de.wikipedia.org/wiki/Stufentheo ... gangsstufe
In dieser Phase bemerkt man, dass Normen und Werte ihre Grenzen haben und versucht sie mitunter prinzipiell zu entwerten oder zu relativieren, was die große Gefahr dieser Stufe ist.
Was aber erkennt man, wenn man diesen Schritt gegangen ist und sich die neue Ordnung etabliert hat, wenn man gelernt hat seinen eignen rational begründbaren Prinzipien zu folgen?
Man ist nun kein Sklave der Moden, der Normen, der Konventionen und ich glaube auch kein Sklave der Gene, Meme und Teme mehr, sondern man ist selbst der Marionettenspieler, der die Rollen und Meme leitet und dirigiert.
Man kann diese Rollen als Angebote nutzen. Die etwas alberne und unreife Variante, aus Prinzip gegen das zu sein, was gerade Mode ist um seine Individualität nicht aufzugeben, ist unterreflektiert, da sie immer in der Negativvariante dessen landet, was die Mode gebietet und damit nur von der anderen Seite ums goldene Kalb tanzt.
Ein Ich was so gestrickt ist wird niemals im Bierzelt schunkeln, aber in seiner Ablehnung genauso an die Vorgaben gekettet sein und dabei nicht einmal den Gewinn der Gruppe haben. Es schaut mit Argwohn und immer etwas lästernd und entwertend auf die primitiven Herdentiere, kommt aber, selbst wenn es wollte, nie an die Freude der anderen heran, die es – vielleicht primitiv, aber in der Masse entspannt und glücklich – krachen lassen können. Ein Ich was so gepolt ist, wird sich immer wie von einer unsichtbaren Glaswand getrennt von den anderen erleben, es kann die Rolle des argwöhnischen Betrachters nicht ablegen, aus Angst vor Kontrollverlust.
Und das macht einen erkennbaren Unterschied aus. Das reife Ich kann, je nach Lust und Laune, sehr wohl in diese oder jene Mode oder Rolle eintauchen, weil es seinen Autonomieverlust nicht fürchtet, sonern ein zwischenzeitliches Abtauchen in die Masse auch genießen kann.
Es hat keine Angst vor dem Kontrollverlust, weil es sich seiner teilweisen Autonomie sicher ist und seine teilweise Abhängigkeit von anderen ertragen kann. Es weiß, dass es andere braucht und das macht dieses Ich nicht rasend, sondern eher bescheiden und dankbar.
Es weiß, dass es im Notfall auch gegen den Strom schwimmen kann. Es wird die Regeln und Normen der Gesellschaft in den meisten Fällen erfüllen, aber im begründeten Zweifel steht dieses Ich auf und schießt alle Normen in den Wind, wenn es eigenverantwortbare, übergeordnete gute Gründe gibt. Im Zweifel würde dieses Ich den eigenen reifen ethischen Prinzipien folgend auch Schwierigkeiten erdulden und billigend in Kauf nehmen, um seinem Gewissen zu folgen.
Ein solches Ich ist aber keines vom Mars, man muss dafür nicht übers Wasser gehen können, sondern einfach nur im besten Sinne erwachsen und intelligent sein und sein Herz am rechten Fleck haben.
Dieses Ich wird seine Eingebundenheit in diverse Normen, Rollen, Abhängigkeiten sehen, erkennen und anerkennen, aber schon ab dieser Stufe – wenn sie mal gefestigt ist - wird es im Normalfall niemals wieder den Rollen und Memen und Temen und Genen vollkommen verfallen.
Das ist meine Meinung dazu.