stine hat geschrieben:Ich denke es ist heutzutage, vielleicht nicht gerade ein Muss, aber durchaus gehört es zum guten Ton, wenn man so tut, als wäre man auch im Alter noch immer und an Allem interessiert. Schließlich präsentiert man sich gerne jugendlich. Filmemacher, die keine Skrupel haben, alte Leiber in Lust vereint aufeinander zu stapeln, erregen damit wenigstens das langerhoffte Aufsehen.
Ich bin der Meinung: Sex wird hoffnungslos überbewertet und ist deswegen omnipräsent. Kinder und Jugendliche wissen daher eigentlich gar nicht mehr, was sie wollen sollen.
Das Problem ist, dass man das durchaus so empfinden kann und es dennoch ein kulturelles Klischee und Tabu berührt. Auch das ist bestens untersucht, aber eigentlich nicht aufzulösen. In kurzen Worten gesagt, gibt es ein Tabu, das die Möglichkeit der Integration von leidenschaftlicher Sexualität und umsorgender Liebe betrifft.
Noch viel tiefer als bei dem was jeder „weiß“: dass reife, umsorgende Liebe doch eigentlich keine Sexualität braucht und die Jugend sich eben die Hörner abstoßen muss und dann irgendwann auch zu dieser recht katholischen Ansicht kommt und dem ebenfalls bekannten Gegenpart, der sagt, wozu auf Partnerschaft festlegen, wenn man auch so Spaß haben kann, reden kann ich mit meinen Freunden, in der Sexualität will ich mich nicht einschränken, gibt es eine Verbotszone, die beide stillschweigend respektieren und die das eigentliche Tabu darstellt: Dass es nämlich nicht gelingen kann, eine emotional stabile und tiefe, umsorgende Beziehung und gleichzeitig eine sexuell aktive, experimentierfreudige und leidenschaftliche Beziehung zu haben. Das Tabu sagt uns ausdrücklich, dass beides nicht geht.
Transportiert wird dieses Klischee in tausenden von Bildern, Vorabendserien, Hollywoodfilmen, Überzeugungen, Nachbarschaftsgesprächen und so weiter. Konventionelle Ansichten, die größtes Verständnis haben, wenn es nach ein paar Jahren in der Beziehung sexuell nicht mehr so läuft, die das als Langeweile fehldeuten, es damit rationalisieren, dass man sich ja kennt, es bei der besten Freundin auch nicht anders ist und dass man irgendwann doch realistisch werden sollte, allenfalls sorgt eine Affäre für frischen Wind, die dann kulturell toleriert wird, auch wenn man Verständnis hat, dass sie geheim abläuft.
Die Paare, bei denen es anders läuft, die wirken verstörend, man glaubt ihnen nicht so richtig, ist aber dennoch neugierig.
Es ist schwer zu verstehen, dass eine Hypersexualität eine Hemmung nicht nur der Liebe, sondern auch der Sexualität ist, weil man bei einer immer intimeren Begegnung, immer mehr Grenzen überwinden kann, den anderen immer besser kennenlernt mit seine Ängsten, Grenzen, seinem Vertrauen. Entgegen dem, was man meint, ist die pornographische Übersexualisierung kein Zeichen sexueller Freiheit, sondern führt eher zu Hemmungen, Abstumpfungen und einer Alleinwichserei vorm Internet. Jederzeit verfügbar, aber immer mehr von der Realität abgekoppelt.
Wo allerdings die Sexualität offen neurotisch gehemmt wird, wie bei der überragenden Zahl kirchlicher Empfehlungen, ist das keinen Deut besser, man geht die Tabugrenze nur von der anderen Seite an und kapituliert. An diesen verschrobenen Empfehlungen, die sich an Reinheit und vorgeschobener Gesundheitsthematik orientieren und so die massive und lebenslustfeindliche sexuelle Hemmung nur rationalisieren, ist wirklich nichts dran, was bei näherer psychologischer Betrachtung Bestand hat oder überhaupt nur diskussionswürdig ist. Dass zwischen schrankenloser Promiskuität mit alle ihren Gefahren und schwerer neurotischer Hemmung noch eine sehr breite und sehr gesunde Mitte besteht, wird da gerne mal vergessen.