stine hat geschrieben:Darth Nefarius hat geschrieben:Ich muss einen Zustand nicht bewusst wahrnehmen, um ihn berechtigt zu fürchten.
Wieso solltest du überhaupt etwas
fürchten müssen?
Ich muss nicht, es geht nur darum, ob es eine berechtigte Furcht ist. Wieso sie berechtigt ist, habe ich erwähnt.
Nanna hat geschrieben:Ah, ein Missverständnis: Meine Akzeptanz meiner eigenen Endlichkeit hat nichts mit Gering-, sondern im Gegenteil mit Wertschätzung des Lebens zu tun. Ich habe nur erkannt, dass es ein wichtiges Unterfangen ist, sich von der Angst um den Tod zu lösen, weil sie, und da sind wir uns ja auf verquere Weise einig, das eigentliche ist, was uns dabei im Weg steht, zu leben.
Darin sind wir uns keineswegs einig: Mein Umgang mit Angst ist die, dass ich aus ihr Kraft entnehme, deiner ist eher leidend. Der Tod ist es, der uns im Weg steht, zu leben. Während du dich von der Angst lähmen lässt, spüre ich den Rausch, den sie bietet.
Nanna hat geschrieben: Die Angst vor dem Tod wird mich, jedenfalls auf lange Sicht betrachtet, nicht retten.
Nur wenn du sie ignorierst und nicht als Antrieb nutzt.
Nanna hat geschrieben:Also verschwende ich nicht die wertvolle Zeit, die ich habe, mit dem Betrauern meines eigenen Todes.
Betrauern hat nichts mit Angst zu tun - von Betrauern hat hier niemand gesprochen.
Nanna hat geschrieben:Ich behaupte, dass du hier zwei Sachen vermischt: Die Akzeptanz des Todes als natürlichem Bestandteil des Lebens und die Akzeptanz eines gewaltsamen Todes durch Vorsatz oder Fahrlässigkeit.
Den meisten ist es egal, wie sie abkratzen - sie wollen es einfach nicht. Das ist keine Stilfrage - ein Mord kann auch so geplant werden, dass es für das Opfer relativ angenehm wird - ohne Gewalt aber doch mit Zielsetzung. Wenn es nur um die Gealt als unterscheidendes Merkmal ginge, wäre es nicht verwerflicher als eine allgemeine Körperverletzung. Der Schaden besteht aber im Verlust eines Lebens - darauf kommt es an.
Und was bedeutet schon natürlich? Ermordet ein Löwe eine Antilope? Ermordet HIV den Menschen? Ermorden Fettablagerungen in Blutgefäßen den Menschen durch Arteriosklerose? Alles eine Frage der Perspektive, und mit "Natürlichkeit" kann man da nicht argumentieren. Der Mord eines Menschen durch einen anderen Menschen ist nicht weniger natürlich als das Töten eines Beutetiers durch einen Räuber. Natürlich hat aber die Beute ein berechtigtes Interesse, diese Situation zu meiden. Der Räuber hat wiederum ein Interesse am Tod seiner Beute aus verschiedenen Gründen: Meist ist es nur Nahrung, aber bei Menschen kann es auch die Verwertung der Knochen, des Fells oder des Fettes sein. Unnatürlich? Ein Mörder kann auch Interesse am Tod seines Opfers haben - auch wenn er es nicht unbedingt essen will. Aber im es auf die Spitze zu treiben, könnte ich dich dann fragen (wenn der Verzehr für dich die relevante Unterscheidung ist), ob dann Mord und anschließender Kannibalismus für dich in Ordnung wären? Kannibalismus kommt in vielen fleischfressenden Spezies vor, kann also als etwas "natürliches" betrachtet werden. Ich habe nichts vermischt, du hast nur eine unsinnige Unterscheidung eingeführt.
Nanna hat geschrieben:Das erste ist unvermeidlich, und ein Großteil der Lebensweisheiten der Menschheit dreht sich um die Frage, wie man damit umgehen sollte.
Blödsinn. Früher war es natürlich und unvermeidlich vielleicht schon mit 40 zu sterben, an Gicht, vielleicht vorher schon an einer Infektion im Kindesalter oder durch Verhungern oder ähnliches. Irgendwann konnte man dann diverse Krankheiten fast vollständig auslöschen - es wurde vermeidlich an Pocken oder der Pest zu sterben. Es gibt für potentiell alles einen Weg, um diese Art von Tod zu meiden. Was uns gerade beschäftigt sind nur noch Alterskrankheiten, Erbkrankheiten und schwere Infektionen. Man hat für fast alles - selbst für die Verkürzung des Genoms an den Telomeren - gute Ansätze, die theoretisch zur Unsterblichkeit führen könnten. Es sind mittlerweile nur noch Detailfragen, ab wann es selbstverständlich wird, eine Gentherapie zu machen, sich die geklonten Organe einzusetzen, seine rekombinanten Viren zu nehmen, um die Telomerlänge konstant zu halten - dies könnte genauso selbstverständlich werden wie Impfungen und Aspirin. Abgesehen von Sekten wie den Zeugen Jehovas, hatte wohl schon jeder Kontakt mit der Medizin - kann man dann noch von einem "natürlichen" Tod sprechen, wenn er erst mit 80 oder 90 eintritt? Glaubst du, dass du dieses Alter ohne diese Fortschritte hättest erreichen können? Was wenn irgendwann 200 die Marke sein wird? Was wenn für spätere Generationen die genannten Dinge selbstverständlich werden? Würdest du aus heutiger Perspektive 200 Jahre als "natürlich" bezeichnen?
Nanna hat geschrieben:Moralvorstellungen haben damit nichts zu tun, denn der Mensch hat darüber keine Gewalt und damit auch keine Regelungskompetenz.
Natürlich hat er das - die Medizin und Biochemie beweist das täglich.
Nanna hat geschrieben:Aber es ändert ja nichts an der simplen Feststellung, dass die Angst das ist, was einen beeinträchtigt, nicht der Tod an sich.
Wieder Blödsinn. Die Angst ist nur eine Emotion, sie muss nicht zu Leid führen. Der Tod aber hindert dich in jedem Fall, etwas zu erleben.
Nanna hat geschrieben: Und damit kann man ja bewusst umgehen. Todesangst zu haben und das auch zu wissen muss nicht heißen, dass man sich ihr nicht stellen kann. Auch ein Soldat oder Feuerwehrmann geht ja unter Umständen dem sehr wahrscheinlichen Tod entgegen, und tut es trotz der Todesangst, weil er der Ansicht ist, dass es wichtigeres gibt als das individuelle Überleben.
Wie oft habe ich gehört, dass Extremsportler, Stuntmen oder eben solche Dienstleister einfach sagten, dass es Routine ist, dass sie gar nicht daran denken zu sterben oder es könnten und die Statistik auch für sie spricht - alles Verdrängungsmechanismen. Speziell bei Soldaten hört man sie so große Töne spucken nur wenn sie noch nicht im Einsatz waren - oder hast du noch nie etwas von Traumata der Veteranen gehört? Soldaten sind meist keine allzu reflektierenden Persönlichkeiten, ihnen wird erst die Situation bewusst, wenn neben ihnen eine Granate einschlägt und es den Kameraden zerreist.
Nanna hat geschrieben:Im Augenblick des Todes verstummt auch dein Verlangen nach Glück. Mir persönlich wäre es viel wichtiger, glücklich zu sterben, als ewig in Angst vor dem Tod zu leben.
Aber davor habe ich noch das Verlangen, den nächsten Tag zu erleben - wieso sollte ich nicht daran arbeiten, ihn zu erleben? Wieso sollte ich dann nicht das, was dem definitiv im Wege stehen könnte (das größte Hindernis wird immer der Tod sein) versuchen zu beseitigen? Wieso sollte nicht folglich auch dies in mir die größte Angst hervorrufen? Wie ich zur Angst stehe und sie wahrnehme, habe ich bereits gesagt. Die Angst vermiest es einem nicht zu leben, sondern nur der falsche Umgang mit ihr.
Nanna hat geschrieben:Wenn selbst Morphium am Dosierungslimit keine Linderung von Schmerzen mehr bringt, die keinen anderen Gedanken mehr zulassen, habe ich Verständnis dafür, dass es Menschen gibt, die den Tod ein paar Monate vorziehen möchten.
Schmerz kann man ertragen - wenn eben Morphium nicht mehr hilft, muss man seine eigenen Reserven mobilisieren, die schmerzhemmend wirken: Hormone, die in Angstzuständen ausgeschüttet werden wie Adrenalin, Noradrenalin usw..
Nanna hat geschrieben:Was die Motivation von Leuten angeht, die ihre Tiere einschläfern lassen, gehe ich weiterhin fest davon aus, dass Tötungen auch aus Mitgefühl geschehen.
Wie gesagt - wenn das so wäre, gäbe es ebenso viele Fälle von Krankenpflege von invaliden Haustieren wie bei Menschen. Aber ich habe nich nie einen komatösen Hund gesehen, den man an Beatmungsgeräte angeschlossen hat. Der medizinische Aufwand beweist das Gegenteil.
Nanna hat geschrieben:Wenn du heute jung und gesund bist und das Leben voller Möglichkeiten zu sein scheint, und du schließlich alt, schwach und gebrechlich wirst, vieles, was du gerne gemacht hast, nicht mehr tun kannst, geliebte Freunde längst tot sind und du vielleicht durch Hör- und Sehschwäche selbst im nächsten Umfeld schleichend isoliert wirst, dann kannst du selbstverständlich der Einstellung sein, dass das Leben immer noch grundsätzlich etwas Schönes ist. Aber auf die Frage "War es vor zehn Jahren einfacher und konnten Sie mehr machen?" würdest du wohl trotzdem ehrlich mit "ja" antworten.
Na und? Das bedeutet nicht, dass ich zu diesem Zeitpunkt nicht immer noch Ziele hätte! Ich würde auch für solche Situationen vorsorgen, diverse Pläne machen, die meine Schwächen ausgleichen, um nicht weniger Handlungsspielraum zu besitzen - ach moment mal, das tue ich ja!
Nanna hat geschrieben:Wirklich? Das Mein-Haus-mein-Auto-meine-Yacht-Spiel? Du wärst vielleicht erstaunter, als du denkst.
Ich werde nicht anfangen, mein Leben vor dir auszubreiten - die schmerzhaftesten Momente sind zu persönlich. Aber du kannst mir glauben, dass andere daran zerbrochen wären.
Nanna hat geschrieben:Warum etwas fürchten, was einen eh nicht berührt? Der Tod Anderer sollte einem viel mehr Angst machen als der eigene, wenn man logisch überlegt.
Keineswegs. Der Tod berührt dich ja, er kann dich daran hindern, das zu erleben, was du dir vorgenommen hast!
Nanna hat geschrieben:Diese Einstellung kann einem sicher über vieles hinweghelfen. Aber der Tod ist ein anderes Kaliber, den wirst du nicht besiegen, ihm höchstens schwere Rückzugsgefechte liefern.
Jede Minute, jedes Jahr, das ich gewinne, wird ein Sieg sein. Der eigentliche Sieg bestünde darin, nicht aufgegeben zu haben und nicht in Resignation zu sterben. Den Tod zu akzeptieren bedeutet nichts anderes als Resignation. Sobald das eintritt, hat man den Wert des morgigen Tages vergessen.
Nanna hat geschrieben:Natürlich ist Lebenswille etwas Gutes und ich habe nirgendwo die blanke Todesverachtung gelobt. Aber ich denke, dass man einen gesunden Realismus pflegen sollte, wenn es um die eigene Sterblichkeit geht.
Realismus ist nur dann angebracht, wenn man mit dem Zocken mehr zu verlieren hat als mit dem Realismus. Ich habe aber nichts zu verlieren, wenn ich möglichst lange leben will und alles dafür tue. Für mich ist es kein Verlust, nicht Bäcker, Philosoph, Politiker oder Künstler zu sein, was für mich keine Bedeutung hätte. Klar kann ich jetzt vieles nicht mehr machen, das andere tun, die nicht auf ein möglichst langes Leben hinarbeiten, aber das betrachte ich nicht als Verlust, da ich kein Verlangen danach verspüre.