xander1 hat geschrieben:Und wer was gegen den Islam sagt ist ein rechter Glatzkopf und Nazi und will wieder den nächsten Weltkrieg. Deshalb muss sowas bekämpft werden, alles was irgendwie nach Rechts riecht.
Das Problem ist nicht, dass jemand kritische Worte für etwas findet, was er als potentiell gefährlich wahrnimmt. Das Problem ist die Vereinfachung auf simple Freund-Feind-Kategorien anhand der ziemlich willkürlichen Kategorie, dass jemand als Teil seiner Identität sich dem Islam zugehörig fühlt. Anders gesagt, das Problem besteht viel mehr darin, dass jemand etwas gegen "
den Islam" sagt, als dass jemand etwas gegen "den
Islam" sagt. Denn "
den Islam" als den einen, wahren, typischen Islam gibt es nicht. Das gilt übrigens für jede Kultur und für so ziemlich jedes Gruppenlabel. Auch "
den Deutschen", "
den Ausländer", "
den Weißen", "
den Rechten", "
den Linken", "
den CDU-Wähler", "
den Manager" usw. gibt es nicht. Gerade im Populismus wird aber ganz stark mit solchen Dichotomisierungen und Pauschalisierungen gearbeitet, bei denen
ein Merkmal als vorrangig prägend für alle anderen Eigenschaften eines Individuums angesehen wird; d.h., hat Person X das Merkmal "Ausländer", dann
muss sie nach dieser Logik auch faul, dumm, schmutzig, gierig, lügnerisch, ungebildet etc. sein, ungeachtet der Tatsache, ob das empirisch überhaupt halt wäre, was es in den meisten Fällen eben überhaupt nicht ist.
Zwar kann es sein, dass ein Merkmal (z.B. "Manager") mit einem anderen (z.B. "hohes Durchschnittseinkommen" oder auch "etwas häufigere Neigung zu narzisstischem Verhalten") in Korrelation steht, aber das festzustellen ist halt bei weitem etwas anderes, als alle Träger eines Merkmals für identisch und als ausschließlich über dieses eine Merkmal geprägt zu erklären. Das ist ungefähr so sinnvoll, wie zu behaupten, dass Schanghai, Rio de Janeiro und Wladiwostock identisch sind, weil alle drei am Wasser liegen.
Pauschalisierende Aussagen töten jede Möglichkeit, zu tieferen Einsichten zu kommen und drücken Menschen Label auf, die mit Dingen verbunden sind, die diese Menschen womöglich (sogar häufig) gar nicht vertreten. Terrorismus etwa ist etwas, was von durchschnittlichen Muslimen in etwa genauso häufig und stark abgelehnt wird wie von säkularen Deutschen. Umgekehrt sind nicht wenige, die heute "den Islam" beschimpfen, in ihrer 68er-Jugendzeit selbst Sympathisanten des RAF-Terrorismus gewesen, was die Behauptung, der Terrorismus wäre schon im Islam angelegt und westliche Kulturen wären immun gegen ihn, reichlich dement, absurd und selbstherrlich erscheinen lässt. Die Zeiten, dass Frauen von Gesetzes wegen als Bürger zweiter Klasse behandelt wurden, haben viele deutsche Bürger ja sogar noch mit eigener Anschauung erlebt (allerdings schon lang wieder vergessen, wie es aussieht; ist sicher auch angenehmer, sonst könnte man sich nicht so gut über Länder echauffieren, die da noch nicht so weit sind).
Aber um noch mal direkt auf den Islam zu kommen:
Der Punkt ist nicht, dass es innerhalb muslimisch geprägter Gesellschaften nicht viele hochgradig gefährliche und problematische Entwicklungen gäbe. Nicht wenig davon geht auch durchaus auf kulturelle Probleme und ein durch übermäßigen religiösen Traditionalismus ausgelöstes Sich-selbst-im-Weg-stehen zurück. Der Punkt ist, dass die zugrunde liegenden Zusammenhänge im Rahmen der sog. "Islamkritik" beinahe ausnahmlos populistisch verkürzt werden und man sich des Verdachts, dass es mehr darum geht, ein Feindbild aufzubauen, um sich seiner eigenen Identität zu vergewissern, kaum entziehen kann. Denn sachlich haltbar ist häufig das wenigste, was da so von sich gegeben wird. Leider scheint das viele Leute nicht zu interessieren, was man daran erkennt, dass Versuche der Differenzierung regelmäßig als "politische Korrektheit", "Denkverbot" usw. gelabelt, also auch ihrereseits wieder grob pauschalisiert werden. Bei der Islamkritik kann man offenbar nur für oder gegen den Islam sein. Sinnlos, wer braucht sowas? Solche Pseudoauseinandersetzungen wie die, die im Rahmen der "Islamkritik" geführt werden, sind mehrheitlich verschwendete Lebenszeit, weil das Hauptziel nicht der Erkenntnisgewinn, sondern das emotionale Abreagieren zu sein scheint.
Was Studien wie die oben zitierte angeht, so sehen wir da ja, dass es tatsächlich bestimmte, sehr ernste Probleme in muslimischen Communities gibt. Da ist auch nichts zu beschönigen. Nur dann gleich zu schreien "Der Islam ist schuld, wir haben's ja schon immer gewusst" hilft doch auch niemandem weiter. Vor die Wahl gestellt, die Religion komplett aufzugeben und radikale Atheisten zu werden, oder sich ganz und gar der Religion zu verschreiben, wofür werden sich junge Muslime auf der Suche nach Halt, Zugehörigkeit und Identität wohl entscheiden? Vielleicht hätten manche ja gerne beides, Religion und Beteiligung an der pluralen Zivilgesellschaft, würde man ihnen das ernsthaft anbieten. Aber da stehen zum einen die Elternhäuser, Großfamilien und die Communtiy insgesamt auf der einen, und die Mehrheitsgesellschaft, die ein Feindbild braucht, auf der anderen Seite dagegen. Indem man jungen Muslimen dauernd zuruft "Ihr könnt ja gar nicht anders als Fundamentalisten sein, das geht ja in eurer Religion gar nicht", braucht man sich nicht zu wundern, wenn die einem das am Ende glauben und sich entsprechend verhalten.