Harter atheistischer Determinismus

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 12. Jan 2014, 19:06

fopa hat geschrieben:Ich vertrete diesen Freiheitsbegriff nicht. Ich stelle fest, dass es im Zusammenhang mit "freiem Willen" keinen einheitlichen Freiheitsbegriff gibt, und dass (meiner Erfahrung nach) landläufig eher der PAP-Freiheitsbegriff etabliert ist.

Was auf eine rein empirische Frage hinausläuft: ist landläufig eher der PAP-Freiheitsbegriff oder der kompatibilistische Freiheitsbegriff etabliert? Um diese Frage testen zu können, muss PAP hinreichend definiert werden. D.h. Du kannst gar nicht zu Deiner Einschätzung kommen, solange Du das nicht tust.

fopa hat geschrieben:Der Kompatibilismus mag für sich einen anderen (plausiblen) Freiheisbegriff definieren, mit dem ich auch vollkommen einverstanden bin.

Eine nicht empirische Frage hingegen ist, ob der PAP-Freiheitsbegriff plausibel ist. Um diese Frage beantworten zu können, müsste PAP erst mal hinreichend definiert sein.

fopa hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Um überhaupt erst behaupten (und das ggf. z.B. durch Umfragen testen) zu können, dass PAP landläufig etabliert sei, muss man doch wohl PAP hinreichend ausbuchstabieren. Eine Behauptung derart: "ich weiß nicht, was PAP ist, aber erstens ist PAP notwendige Bedingung für Freiheit und zweitens ist PAP landläufig etabliert" hört sich mehr als merkwürdig an.
Dasselbe Problem besteht bei anderen Begriffen, beispielsweise "Gott". Hat denn jeder, der glaubt, es gäbe Gott oder es känne ihn geben, diesen Begriff "ausbuchstabiert" und auf logische Konsistenz geprüft? Nichtsdestotrotz sprechen die Menschen darüber und glauben daran.
Wenn du nun den Begriff "Gott" mit einem völlig anderen Inhalt füllst und anschließend mit Leuten über "Gott" redest, wird nichts als Missverständnis dabei herauskommen.

Ja, dasselbe Problem besteht bei allen Begriffen, nicht nur bei dem Begriff "Gott". Wenn nun jemand über Gott redet, ich aber nicht (zumindest ungefähr) weiß, was er darunter versteht, dann verstehe ich nicht, was er sagt. Missverständnisse können hier nur vermieden werden, wenn man halbwegs über dasselbe redet. So ist auch für Dritte unverständlich, wenn jemand sagt: "es gibt einen Gott" oder "es gibt keinen Gott", wenn unklar ist, was jeweils damit gemeint ist.

fopa hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:[... Hypnotiseur ...] Man kann sie doch einfach fragen. Wenn auch nur einer dann sagte: "oh, wusste nicht, dass der Hypotiseur mir das befahl, dann ist das wohl nicht auf meinem Mist gewachsen", dann ist Deine These wohl widerlegt.

Im Nachhinein, ja. Es geht aber um den Zeitpunkt der Entscheidung bzw. der Handlung.

Nein, wieso? Wenn jemand meinte, er habe nach bestem Wissen und Gewissen entschieden, nachträglich aber einsehen muss, dass er einer Manipulation unterlag, bzw. ihm wesentliche Umstände, die seine Entscheidung beeinflusst haben, nicht bekannt waren, dann erfordert es doch wohl wenig Phantasie, sich vorzustellen, dass derjenige dann seine Entscheidung nachträglich als weniger frei ansieht, als er zum Zeitpunkt der Entscheidung annahm.

fopa hat geschrieben:Im Nachhinein kann man immer Zwänge identifizieren, die einen zu jenem Zeitpunkt zu jener Handlung oder Entscheidung gebracht haben.

?

fopa hat geschrieben:Aber wenn man sie zum Zeitpunkt der Entscheidung gar nicht als Zwang empfunden hat, wie sollte man es dann zu diesem Zeitpunkt als Zwang bezeichnen können?

Nicht zu diesem Zeitpunkt, sondern später.

fopa hat geschrieben:Zwang ist letztlich doch nichts als das Gefühl des Gezwungen-Werdens. Wenn man im Nachhinein feststellt, dass man zu jenem Zeitpunkt unter Zwängen stand und so entscheiden musste, zieht dies das nachträgliche Gefühl einer unfreien Handlung nach sich.

Hm, wieso nur das Gefühl, wieso kann man nicht auch sagen, dass man sich geirrt hat über den Umfang der Unabhängigkeit der Entscheidung und insofern tatsächlich weniger frei war, als ursprünglich fälschlich angenommen?

fopa hat geschrieben:Wer sagt dir, dass all die Handlungen, die du als frei empfindest (darauf begründet sich ja dein Freiheitsbegriff), sich nicht im Nachhinein als Zwangshandlungen herausstellen?

Komische Frage. Niemand sagt mir das. Gegenfrage: warum sollte man annehmen, dass alle Entscheidungen und Handlungen gleichermaßen Zwangsentscheidungen und Zwangshandlungen seien? Was zwar logisch möglich ist, aber um das anzunehmen bräuchte man doch mindestens einen guten Grund, oder?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » So 12. Jan 2014, 19:58

fopa hat geschrieben:Das, was du "Bewertung" nennst, wird in Naturwissenschaften als "Beschreibung" verwendet, weil es in beschreibenden Naturwissenschaften überhaupt keine (moralischen) Bewertungen gibt.
Das ist mir bewusst, darum die Frage, wie man moralische und ästhetische Urteile oder allgemein Empfindunegn der ersten Person Perspektive deskriptiv einfangen will.
Wolf Singer hat geschrieben:Die zunehmende Verfeinerung neurobiologischer Messverfahren hat nun mehr die Möglichkeit eröffnet, auch die neuronalen Mechanismen zu analysieren, die höheren kognitiven Leistungen komplexerer Gehirne zugrunde liegen. Somit werden auch diese, auch als psychisch bezeichneten Phänomene zu objektivierbaren Verhaltensleistungen die aus der Dritten-Person-Perspektive vertraut sind und beschrieben werden können. Zu diesen mit naturwissenschaftliche Methoden untersuchbaren Leistungen zählen inzwischen auch solche, die uns bereits aus der Ersten-Person-Perspektive vertraut sind, darunter fallen Wahrnehmen, Vorstellen, Erinnern und Vergessen, Bewerten, Planen und Entscheiden, und schließlich die Fähigkeit Emotionen zu haben. Alle diese Verhaltensmanifestationen lassen sich operationalisieren, aus der Dritten-Person-Perspektive heraus objektivieren und im Sinne kausaler Verursachung auf neuronale Prozesse zurückführen. Somit erweisen sie sich als Phänomene, die in kohärenter Weise in naturwissenschaftlichen Beschreibungssystemen erfasst werden können.“
(Wolf Singer in Hirnforschung und Willensfreiheit, Hrsg. Chr. Geyer, Suhrkamp 2004, S.35)
So etwas meine ich damit.

fopa hat geschrieben:In beschreibenden Naturwissenschaften geht es um Sachverhalte, die keinen moralischen Kategorien unterliegen. Einen Geparden als "guten Jäger" zu bezeichnen, bedeutet nicht, dass man es gut findet, wenn es ihm gelingt, Antilopen zu reißen.
Mir ist bewusst, dass funktioniert gut, etwas anderes heißen soll als, findet er gut.
Hattest Du ernsthaft daran gezweifelt?

fopa hat geschrieben:In sauberer mathematischer Sprache gibt es keine Missverständnisse. Definitionen sind Definitionen, und Beweise sind entweder korrekt oder falsch.
Das ist richtig, die Frage ist: Ist (alles) menschliche Verhalten restlos auf eine Formelebene zu überführen?

fopa hat geschrieben:Wenn daraus jemand weltanschauliche Implikationen ableitet, liegt es an ihm und nicht an der Mathematik.
Letztlich ist es immer der Leser/Empfänger/Zuhörer, der moralisch interpretiert bzw. bewertet. Statt dich über ein "egoistisches Gen" zu beschweren, solltest du mal versuchen, naturwissenschaftliche Beschreibungen als solche - nämlich wertungsfrei - zu begreifen.
Ich beschwere mich nicht über egoistische Gene, mir ist das Konzept vertraut und ich behaupte, dass ich recht genau bescheid weiß, was damit gemeint ist.
Ich habe mal einen Thread dazu ins Leben gerufen, in dem ich mich mit dem Konzept auseinandersetze und zu dem ich nach wie vor stehe:
viewtopic.php?f=5&t=4195
Ich will Dir den nicht aufdrängen, aber wenn Du ernstlich daran zweifelst, dass ich das Konzept verstanden habe, kannst Du es hier vielleicht am besten widerlegt oder bestätig finden und mich ggf. kritisieren.

fopa hat geschrieben:In den meisten Publikationen, wie auch populärwissenschaftlichen Büchern, befindet sich der bewertende Teil - sofern überhaupt vorhanden - am Ende. So gut wie immer ist diese Bewertung jedoch nicht absolut oder moralisch formuliert, sondern relational/perspektivisch, bezogen auf konkrete Bewertungsmaßstäbe konkreter Subjekte - was letztlich ebenfalls deskriptiv ist.

Ich sehe überhaupt keinen Grund dafür, Begriffe, die etwas beschreiben sollen, moralisch zu interpretieren.
Das ist auch nicht meine Absicht.
Ich stelle lediglich fest, dass wir als Menschen urteilen, sogar in Bereichen, wo wir das nicht unbedingt als solches empfinden:
Robert Brandom hat geschrieben:„Für die vorkantische Tradition war ausgemacht, dass die semantische Erklärung mit einer Lehre von den Begriffen oder Termini (eingeteilt in singuläre und generelle) anzufangen sei. Auf dieser Grundlage erklärt dann eine Lehre von den Urteilen die Kombination von Begriffen zu Urteilen und wie die Richtigkeit der entstandenen Urteile davon abhängt, was wie kombiniert wurde. Schließlich erklärt eine Lehre von den Konsequenzen die Kombination von Urteilen zu Folgerungen und wie die Richtigkeit der Inferenzen davon abhängt, was wie kombiniert wurde.
Kant lehnt das ab. Eine seiner tiefgreifendsten Neuerungen ist die Behauptung, dass der Gegenstand des Bewusstseins oder der Erkenntnis, das kleinste Begreifbare, das Urteil sei. „Wir können aber alle Handlungen des Verstandes auf Urteile zurückführen, so dass der Verstand überhaupt als ein Vermögen zu urteilen vorgestellt werden kann.“ Etwas als Klassifiziertes oder Klassifizierendes aufzufassen ist für ihn nur als Bemerkung zu dessen Rolle im Urteil sinnvoll. Ein Begriff ist nichts anderes als ein Prädikat eines möglichen Urteils, und deshalb gilt: „Von diesen Begriffen kann nun der Verstand keinen anderen Gebrauch machen, als dass der dadurch urteilt.“ Für Kant muss also die Diskussion des Gehalts bei den Gehalten von Urteilen anfangen, denn alles andere hat nur insofern Gehalt, als es zu den Gehalten von Urteilen beträgt. Deshalb kann seine transzendentale Logik die Voraussetzungen des Gehaltverfügens anhand der Kategorien untersuchen, d.h. der „Funktion[en] der Einheit in den Urteilen.““
(Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt. 2000, Suhrkamp, S.139)

Selbst wenn man es nicht so fundamental sieht wie Kant oder Brandom, so ist es doch klar, dass wie in bestimmten Bereichen urteilen: ästhetisch, moralisch, weltanschaulich und so weiter.
Will man das Sosein des Menschen beschreiben, darf man diese Ebenen nicht auslassen.
Darum geht es mir, nicht ob nützlich = gut bedeutet oder ob egoistische Gene böse sind, weil sie so egoistisch sind.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon fopa » So 12. Jan 2014, 20:05

AgentProvocateur hat geschrieben:ist landläufig eher der PAP-Freiheitsbegriff oder der kompatibilistische Freiheitsbegriff etabliert? Um diese Frage testen zu können, muss PAP hinreichend definiert werden. D.h. Du kannst gar nicht zu Deiner Einschätzung kommen, solange Du das nicht tust.
Man kann die Menschen auch befragen, ob sie an Gott glauben, ohne dass deren Vorstellung von Gott in sich logisch und plausibel ist oder ihre Gottesbegriffe vollkommen identisch sind. Und ich kann die Einschätzung abgeben, dass bei einer Befragung X Prozent der Menschen angeben werden, dass sie an Gott glauben, ohne dass ich dabei von einem für mich plausiblen Gottesbegriff ausgehe und ohne dass ich selbst irgendeinen Gottesbegriff vertrete.
Die Definition von PAP hast du selbst in diesen Thread eingebracht, und ich habe sie noch einmal etwas umformuliert ("Frht_a"). Mit einer solchen Definition ließe sich problemlos eine Umfrage durchführen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn jemand meinte, er habe nach bestem Wissen und Gewissen entschieden, nachträglich aber einsehen muss, dass er einer Manipulation unterlag, bzw. ihm wesentliche Umstände, die seine Entscheidung beeinflusst haben, nicht bekannt waren, dann erfordert es doch wohl wenig Phantasie, sich vorzustellen, dass derjenige dann seine Entscheidung nachträglich als weniger frei ansieht, als er zum Zeitpunkt der Entscheidung annahm.
Fast das gleiche habe ich vorher geschrieben. Bloß dass ich die Handlung, die der Betroffene im Nachhinein als unfrei ansieht, zum Zeitpunkt ihrer Ausführung nicht als unfrei bezeichnen würde, weil sie ohne Anwesenheit von Zwängen entschieden und vollzogen wird.

Damit entspricht die Handlung zum Zeitpunkt ihrer Ausführung deiner Definition von Freiheit, nämlich als Abwesenheit bzw. Gegensatz von Zwang:
AgentProvocateur hat geschrieben:6. Der Gegensatz zu Freiheit ist Zwang.
[...]
Zwang ist: etwas tun müssen, was jemand nicht will.
Zum Zeitpunkt der Entscheidung hat er nichts getan, was er zu diesem Zeitpunkt nicht tun wollte.

AgentProvocateur hat geschrieben:
fopa hat geschrieben:Im Nachhinein kann man immer Zwänge identifizieren, die einen zu jenem Zeitpunkt zu jener Handlung oder Entscheidung gebracht haben.

?
Damit meine ich, dass die Retrospektive Einflüsse offenbaren kann, die dem Betroffenen seine Handlungen und Entscheidungen unfrei vorkommen lassen können, auch wenn er sie zum Zeitpunkt ihrer Ausführung als vollkommen frei empfunden hat. Für ihn waren sie frei, da er keinen Zwängen unterlag. Wäre er Zwängen unterlegen, hätte er sie zu jenem Zeitpunkt auch empfinden müssen - siehe deine Definition.

Es besteht also zu jedem konkreten Zeitpunkt eine völlige Äquivalenz von "Abwesenheit von Zwang", "Nichts tun zu müssen, was man nicht will", "Gefühl von Nicht-Gezwungen-Werden", "Gefühl von freier Entscheidungs- bzw Handlungsfähigkeit", "freie Entscheidungs- bzw Handlungsfähigkeit".

AgentProvocateur hat geschrieben:
fopa hat geschrieben:Aber wenn man sie zum Zeitpunkt der Entscheidung gar nicht als Zwang empfunden hat, wie sollte man es dann zu diesem Zeitpunkt als Zwang bezeichnen können?

Nicht zu diesem Zeitpunkt, sondern später.
Genau das ist der Punkt. Noch mal ein erzählerisches Beispiel:
Du triffst eine Entscheidung, von der du glaubst, sie sei frei.
Ich erzähle dir später, deine Entscheidung sei nicht frei gewesen, weil du von irgendwem manipuliert wurdest.
Dies entspricht aber gar nicht der Wahrheit, sondern es ist von mir erfunden!
Du glaubst mir und bewertest deine frühere Entscheidung im Nachhinein als unfrei bzw. erzwungen.

War deine Entscheidung nun frei oder unfrei? Was ist, wenn meine Geschichte doch der Wahrheit entspricht?

AgentProvocateur hat geschrieben:
fopa hat geschrieben:Zwang ist letztlich doch nichts als das Gefühl des Gezwungen-Werdens. Wenn man im Nachhinein feststellt, dass man zu jenem Zeitpunkt unter Zwängen stand und so entscheiden musste, zieht dies das nachträgliche Gefühl einer unfreien Handlung nach sich.

Hm, wieso nur das Gefühl, wieso kann man nicht auch sagen, dass man sich geirrt hat über den Umfang der Unabhängigkeit der Entscheidung und insofern tatsächlich weniger frei war, als ursprünglich fälschlich angenommen?
Ich nehme an, mit unabhängig meinst du hier zwangsfrei, denn unabhängig sind Entscheidungen ja in einer determinierten Welt nie.
Was ich deutlich zu machen versuche ist, dass deine Definition von Freiheit bzw. Zwang letztlich mit dem Gefühl von Freiheit bzw. Zwang identisch ist, weil sich deine Definition von Freiheit und Zwang nur auf dem Empfinden eines Betrachters, insbesondere des Entscheidenden/Handelnden selbst, begründen kann.

AgentProvocateur hat geschrieben:Gegenfrage: warum sollte man annehmen, dass alle Entscheidungen und Handlungen gleichermaßen Zwangsentscheidungen und Zwangshandlungen seien? Was zwar logisch möglich ist, aber um das anzunehmen bräuchte man doch mindestens einen guten Grund, oder?
Das habe ich nicht gemeint. Ich meinte, dass du nie sicher sein kannst, nicht manipuliert zu werden. Das beeinflusst aber nicht das Gefühl von freier Entscheidungsfähigkeit und wird es auch nicht beeinflussen, wenn du die Manipulation nicht entdeckst oder darauf hingewiesen wirst. Erst im Nachhinein wirst du die bis dahin getroffenen Entscheidungen als unfrei empfinden. Und da sie ohne Anwesenheit von Zwängen ("Zwang ist: etwas tun müssen, was jemand nicht will.") getroffen wurden, waren sie auch tatsächlich frei.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » So 12. Jan 2014, 21:05

AgentProvocateur hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Mir geht es in diesem Thread hauptsächlich um den harten atheistischen oder physikalischen Determinismus. Der schließt Freiheit definitionsgemäß aus, wenn wir uns auf obige Definition einigen: "Eine Welt ist dann determiniert, wenn alle Ereignisse in ihr (hypothetisch) eindeutig auf einen vorherigen Weltzustand und auf (Natur)-Gesetzmäßigkeiten zurückgeführt werden können." Der Weltzustand schließt alle Subjekte mit Bewusstsein mit ein. Daher sind auch diese Subjekte mit Bewusstsein determiniert.

Determinismus schließt Freiheit nicht definitionsgemäß aus. Hier fehlt daher die Definition von Freiheit, um eine Aussage über die Vereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit von Determinismus und Freiheit machen zu können.


Meine Definition:
Unter Freiheit verstehe ich die Möglichkeit, ohne inneren und äußeren Zwang denken, entscheiden und handeln zu können.

Determinismus (wie oben definiert) ist meiner Ansicht nach mit dieser Art von Freiheit nicht vereinbar, weil wir immer unter inneren und äußeren Zwängen/Einflüssen stehen - auch wenn wir diese Zwänge/Einflüsse nicht bewusst erleben. D.h. wir "fühlen" uns dann frei, wenn wir scheinbar unter keinem Zwang/Einfluss stehen. Es gibt aber viele unbewusste Zwänge/Einflüsse, die auf das Bewusstsein einwirken und unser Denken, Entscheiden und Handeln beeinflussen/festlegen. Ich nehme nun an, dass diese unzähligen Zwänge/Einflüsse wie alles in der Welt determiniert sind.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » So 12. Jan 2014, 21:41

ujmp hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Warum haben wir dann das "Gefühl" von Freiheit? Warum ist diese Freiheit so wichtig für uns? Lässt sich das vielleicht evolutionstheoretisch irgendwie erklären? Wann ist dieses "Gefühl" entstanden? Welchen Zweck verfolgt die Natur/das Gehirn mit diesem "Gefühl"?

Was du da erlebst ist dein "narrative Network" - tippe ich. Mal von vorne: Der Selektionsvorteil der Sprache besteht u.a. darin, dass du von Erfahrungen profitieren kannst, ohne sie selbst gemacht haben zu müssen. Deine Eltern stellen sie dir aus Gründen der Reproduktionsoptimierung zur Verfügung, indem sie sie dir erzählen. Es gibt noch andere Vorteile, aber der eine reicht schon. Diese mitgeteilten Erfahrungen sind in deinem Gehirn letztlich im selben Format abgespeichert, wie deine eigenen Erfahrungen. Sie können daher auch den selben Einfluss auf das Verhalten deines Organismus ausüben. Denken besteht zu großen Anteilen aus innerem Sprechen. Wenn du über etwas bewusst nachdenkst und dann eine Entscheidung triffst, sprichst du dir Gründe vor - oder besser gesagt, du erlebst den Begründungsprozess mit (anders ausgedrückt: du erlebst den Determinationsprozess mit). Das kann man mit bildgebenden Verfahren sichtbar machen. Wenn ein Mensch mit sich redet flackern bestimmte Bereiche im Gehirn auf, die "narrative Network" genannt werden (heißt wohl "erzählendes Netzwerk", das ist z.B. nicht aktiv, wenn du einfach nur wahrnimmst). Das ist - vermute ich - das Ding, was du für deinen Willen hältst. Es ist ein Prozess, der deinen Organismus lenkt. Du erlebst es genau so, wie du "Rot" erlebst, wenn du Rot siehst. Rot ist eine Projektion einer physikalischen Realität und dein "freier Wille" ist eine Projektion einer determinierten Realität. Dein Sprechen ist das Zünglein an der Waage, dass deinem physikalisch instabilen Organismus die Richtung vorgibt(nicht nur das was Behavioristen "Sprachverhalten" nennen). Du bist sozusagen der Zuschauer deiner Vernunft. Du hast nämlich keinen Einfluss darauf, was du für vernünftig hältst und kannst auch nicht wollen, was du willst.


Ja, danke. Das klingt alles sehr einleuchtend und plausibel.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon fopa » So 12. Jan 2014, 22:00

Vollbreit hat geschrieben:
fopa hat geschrieben:Das, was du "Bewertung" nennst, wird in Naturwissenschaften als "Beschreibung" verwendet, weil es in beschreibenden Naturwissenschaften überhaupt keine (moralischen) Bewertungen gibt.
Das ist mir bewusst, darum die Frage, wie man moralische und ästhetische Urteile oder allgemein Empfindunegn der ersten Person Perspektive deskriptiv einfangen will.
Wolf Singer hat geschrieben:...
So etwas meine ich damit.
Eben hatten wir noch von Evolution gesprochen. Wir kamen ja vom evolutionären Nützlichsein des Verstandes.
Aber OK, ich mache den Schwenk gerne mit. In der Tat wäre man auf Korrelationen angewiesen zwischen dem objektiv Erfassten und dem Geäußerten des subjektiv Empfundenen. Letzteres könnten verbale Beschreibungen des Probanden oder dessen nonverbale Verhaltensweisen sein, die auf sein subjektives Empfinden schließen lassen. Ich gebe dir Recht, dass hier eine Menge Fehleranfälligkeiten drinstrecken.

Davon bleibt jedoch unberührt...
Vollbreit hat geschrieben:die Frage ist: Ist (alles) menschliche Verhalten restlos auf eine Formelebene zu überführen?
Ich meine, prinzipiell ja. Allerdings unter der Voraussetzung, dass weder das Messergebnis noch das zu vermessende Objekt durch weder das Messverfahren noch durch die Anwesenheit des die Messung Durchführenden unkorrigierbar beeinflusst wird (Stichwort Heisenbergsche Unschärfe).
Allein, wenn man eine vollständige formale Beschreibung des menschlichen Verhaltens hätte, bedürfte es immer noch der Korrelation mit dem subjektiven Empfinden des Probanden, um eine Interpretation bzw. ein Nachvollziehen zu ermöglichen.

[Zum Thema "Urteile" schreibe ich gerne morgen etwas... heute ist's mir zu spät.]
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 12. Jan 2014, 23:33

fopa hat geschrieben:Man kann die Menschen auch befragen, ob sie an Gott glauben, ohne dass deren Vorstellung von Gott in sich logisch und plausibel ist oder ihre Gottesbegriffe vollkommen identisch sind. Und ich kann die Einschätzung abgeben, dass bei einer Befragung X Prozent der Menschen angeben werden, dass sie an Gott glauben, ohne dass ich dabei von einem für mich plausiblen Gottesbegriff ausgehe und ohne dass ich selbst irgendeinen Gottesbegriff vertrete.

Nehmen wir einmal an, Du meinstest, X Prozent der Menschen würden an Gott glauben, und Du meintest, Y Prozent der Menschen würden an einen freien Willen in Deinem Sinne glauben, Umfragen ergäben aber, dass X - 10 % der Menschen an einen Gott glauben und Y - 50 % der Menschen an einen freien Willen in Deinem SInne. Würdest Du dann Deine Auffassung bezüglich X und Y revidieren oder dabei bleiben?

fopa hat geschrieben:Die Definition von PAP hast du selbst in diesen Thread eingebracht, und ich habe sie noch einmal etwas umformuliert ("Frht_a"). Mit einer solchen Definition ließe sich problemlos eine Umfrage durchführen.

Ja, solche Umfragen gibt es, die bestätigen aber nun mal nicht Deine Annahme, dass der Glaube an einen freien Willen in Deinem Sinne (einem, der mit Determismus unvereinbar ist) mehrheitlich vorherrscht. Was nun, wem soll man eher glauben? Dir oder diesen Umfragen?

fopa hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn jemand meinte, er habe nach bestem Wissen und Gewissen entschieden, nachträglich aber einsehen muss, dass er einer Manipulation unterlag, bzw. ihm wesentliche Umstände, die seine Entscheidung beeinflusst haben, nicht bekannt waren, dann erfordert es doch wohl wenig Phantasie, sich vorzustellen, dass derjenige dann seine Entscheidung nachträglich als weniger frei ansieht, als er zum Zeitpunkt der Entscheidung annahm.

Fast das gleiche habe ich vorher geschrieben. Bloß dass ich die Handlung, die der Betroffene im Nachhinein als unfrei ansieht, zum Zeitpunkt ihrer Ausführung nicht als unfrei bezeichnen würde, weil sie ohne Anwesenheit von Zwängen entschieden und vollzogen wird.

Nach meinem Begriff von "Freiheit" ist die Aussage: "Handlung H war eine freie Handlung" entweder immer wahr oder immer unwahr. Sie kann ihren Wahrheitswert aber nicht ändern, d.h. nicht z.B. heute wahr und morgen unwahr sein, (oder umgekehrt), so wie das Deiner Auffassung nach wohl der Fall sein könnte.

fopa hat geschrieben:Es besteht also zu jedem konkreten Zeitpunkt eine völlige Äquivalenz von "Abwesenheit von Zwang", "Nichts tun zu müssen, was man nicht will", "Gefühl von Nicht-Gezwungen-Werden", "Gefühl von freier Entscheidungs- bzw Handlungsfähigkeit", "freie Entscheidungs- bzw Handlungsfähigkeit".

Nein, nochmal: daraus, ein Gefühl bezüglich X zu haben, folgt nicht, dass X auch der Fall ist. Allgemeiner gesagt: aus "P meint X" folgt nicht "X". Mag zwar sein, dass Du nun aus irgendwas, was ich weiter oben gesagt habe, etwas Gegenteiliges herausinterpretierst, aber dann sei eben an dieser Stelle nochmal ausdrücklich gesagt, dass ich das explizit so nicht meine, wie von Dir interpretiert.

fopa hat geschrieben:Genau das ist der Punkt. Noch mal ein erzählerisches Beispiel:
Du triffst eine Entscheidung, von der du glaubst, sie sei frei.
Ich erzähle dir später, deine Entscheidung sei nicht frei gewesen, weil du von irgendwem manipuliert wurdest.
Dies entspricht aber gar nicht der Wahrheit, sondern es ist von mir erfunden!
Du glaubst mir und bewertest deine frühere Entscheidung im Nachhinein als unfrei bzw. erzwungen.

War deine Entscheidung nun frei oder unfrei? Was ist, wenn meine Geschichte doch der Wahrheit entspricht?

Das scheint mir aber nun eher ein Beispiel gegen Deine Ansicht zu sein. Meiner Ansicht nach kommt es hier dabei darauf an, was tatsächlich der Fall ist, und nicht darauf, was ich im Beispiel (evtl. fälschlich) glaube. Es gibt mE einen Unterschied zwischen diesen beiden Aussagen: "P glaubte, seine Handlung H war frei" und "P's Handlung war frei", die sind nicht einfach synonym, so wie Du annimmst. Es liegt kein logischer Widerspruch darin, dass die erste Aussage wahr, die zweite Aussage jedoch falsch ist, was nicht sein könnte, wenn die beiden Aussagen synonym wären.

fopa hat geschrieben:Was ich deutlich zu machen versuche ist, dass deine Definition von Freiheit bzw. Zwang letztlich mit dem Gefühl von Freiheit bzw. Zwang identisch ist, weil sich deine Definition von Freiheit und Zwang nur auf dem Empfinden eines Betrachters, insbesondere des Entscheidenden/Handelnden selbst, begründen kann.

Nein, mitnichten, siehe oben.

fopa hat geschrieben:Ich meinte, dass du nie sicher sein kannst, nicht manipuliert zu werden.

Bezüglich was kann man sich schon mit absoluter Sicherheit sicher sein? Dass unsere Welt determiniert ist zum Beispiel?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 12. Jan 2014, 23:50

ice hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Determinismus schließt Freiheit nicht definitionsgemäß aus. Hier fehlt daher die Definition von Freiheit, um eine Aussage über die Vereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit von Determinismus und Freiheit machen zu können.

Meine Definition:
Unter Freiheit verstehe ich die Möglichkeit, ohne inneren und äußeren Zwang denken, entscheiden und handeln zu können.

Das ist aber die kompatibilistische Freiheitsdefinition, d.h. die ist mit Determinismus vereinbar.

ice hat geschrieben:Determinismus (wie oben definiert) ist meiner Ansicht nach mit dieser Art von Freiheit nicht vereinbar, weil wir immer unter inneren und äußeren Zwängen/Einflüssen stehen - auch wenn wir diese Zwänge/Einflüsse nicht bewusst erleben.

Oh, hier gibt es wohl noch ein kleines Missverständnis: der kompatibilistische Freiheitsbegriff ist kein binärer Begriff, (d.h.: es gilt nicht: entweder total frei von allen Zwängen/Einflüssen oder total unfrei), sondern man muss sich das als ein Kontinuum zwischen zwei Extrempolen vorstellen.

ice hat geschrieben:D.h. wir "fühlen" uns dann frei, wenn wir scheinbar unter keinem Zwang/Einfluss stehen. Es gibt aber viele unbewusste Zwänge/Einflüsse, die auf das Bewusstsein einwirken und unser Denken, Entscheiden und Handeln beeinflussen/festlegen. Ich nehme nun an, dass diese unzähligen Zwänge/Einflüsse wie alles in der Welt determiniert sind.

Du sagst hier:

1. Es gibt viele unbewusste/unerkannte Zwänge/Einflüsse, die unser Denken, Entscheiden und Handeln beeinflussen/festlegen
2. Diese Zwänge/Einflüsse sind determiniert

Nun stimme ich der 1 zu und ich stimme auch zu, dass das Freiheitseinschränkungen gemäß der obigen Definition bedeutet, (Freiheitseinschränkung im kompatibilistischen Sinne). Aber die 2 ist dabei irrelevant, fügt dem nichts mehr hinzu. Es ist doch wohl völlig egal, spielt keinerlei zusätzliche Rolle, ob die Freiheitseinschränkung aus 1 determiniert oder indeterminiert erfolgte, das machte schlicht keinen Unterschied.

Falls Du das anders siehst: inwiefern könnte die 2 hier zusätzlich eine Rolle spielen, was fügt sie der 1 Wesentliches hinzu?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Mo 13. Jan 2014, 07:55

ice hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Warum haben wir dann das "Gefühl" von Freiheit? Warum ist diese Freiheit so wichtig für uns? Lässt sich das vielleicht evolutionstheoretisch irgendwie erklären? Wann ist dieses "Gefühl" entstanden? Welchen Zweck verfolgt die Natur/das Gehirn mit diesem "Gefühl"?

Was du da erlebst ist dein "narrative Network" - tippe ich. Mal von vorne: Der Selektionsvorteil der Sprache besteht u.a. darin, dass du von Erfahrungen profitieren kannst, ohne sie selbst gemacht haben zu müssen. Deine Eltern stellen sie dir aus Gründen der Reproduktionsoptimierung zur Verfügung, indem sie sie dir erzählen. Es gibt noch andere Vorteile, aber der eine reicht schon. Diese mitgeteilten Erfahrungen sind in deinem Gehirn letztlich im selben Format abgespeichert, wie deine eigenen Erfahrungen. Sie können daher auch den selben Einfluss auf das Verhalten deines Organismus ausüben. Denken besteht zu großen Anteilen aus innerem Sprechen. Wenn du über etwas bewusst nachdenkst und dann eine Entscheidung triffst, sprichst du dir Gründe vor - oder besser gesagt, du erlebst den Begründungsprozess mit (anders ausgedrückt: du erlebst den Determinationsprozess mit). Das kann man mit bildgebenden Verfahren sichtbar machen. Wenn ein Mensch mit sich redet flackern bestimmte Bereiche im Gehirn auf, die "narrative Network" genannt werden (heißt wohl "erzählendes Netzwerk", das ist z.B. nicht aktiv, wenn du einfach nur wahrnimmst). Das ist - vermute ich - das Ding, was du für deinen Willen hältst. Es ist ein Prozess, der deinen Organismus lenkt. Du erlebst es genau so, wie du "Rot" erlebst, wenn du Rot siehst. Rot ist eine Projektion einer physikalischen Realität und dein "freier Wille" ist eine Projektion einer determinierten Realität. Dein Sprechen ist das Zünglein an der Waage, dass deinem physikalisch instabilen Organismus die Richtung vorgibt(nicht nur das was Behavioristen "Sprachverhalten" nennen). Du bist sozusagen der Zuschauer deiner Vernunft. Du hast nämlich keinen Einfluss darauf, was du für vernünftig hältst und kannst auch nicht wollen, was du willst.


Ja, danke. Das klingt alles sehr einleuchtend und plausibel.


Nanna hat mit seiner Kritik daran (oben) teilweise recht. Es soll aber auch nur ein Modell sein, dass es erlaubt Determinismus und Willensfreiheit widerspruchsfrei zu vertreten. Auch wenn ich nicht weiß, wie es wirklich ist - das wissen ja die Gegner dieser Haltung auch nicht.

Diese Darstellung beinhaltet m.E. dass du eben nicht frei von inneren Zwängen entscheiden kannst, dein Wille ist ein Innerer Zwang. (Ich find übrigens das Schopenhauers "Welt als Wille..." ein Werk ist, von dem man auch in der zeitgenössischen Diskussion sehr profitieren kann)
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » Mo 13. Jan 2014, 10:30

AgentProvocateur hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Unter Freiheit verstehe ich die Möglichkeit, ohne inneren und äußeren Zwang denken, entscheiden und handeln zu können.

Das ist aber die kompatibilistische Freiheitsdefinition, d.h. die ist mit Determinismus vereinbar.


Okay, aber wie ist diese so verstandene Freiheit mit dem allumfassenden Determinismus vereinbar?
Ich habe noch nicht verstanden, wie das ein Kompatibilist sieht.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Determinismus (wie oben definiert) ist meiner Ansicht nach mit dieser Art von Freiheit nicht vereinbar, weil wir immer unter inneren und äußeren Zwängen/Einflüssen stehen - auch wenn wir diese Zwänge/Einflüsse nicht bewusst erleben.

Oh, hier gibt es wohl noch ein kleines Missverständnis: der kompatibilistische Freiheitsbegriff ist kein binärer Begriff, (d.h.: es gilt nicht: entweder total frei von allen Zwängen/Einflüssen oder total unfrei), sondern man muss sich das als ein Kontinuum zwischen zwei Extrempolen vorstellen.


Ich glaube aber, dass wir total unfrei sind, aber diese Unfreiheit meist gar nicht spüren.

"Ketten, die ich nicht spüre, sind keine Ketten!" (Gerhard Roth in "Aus Sicht des Gehirns")

"Ein Meisterstück der Schöpfung ist der Mensch auch schon deswegen, dass er bei allem Determinismus glaubt, er agiere als freies Wesen." (Georg Christoph Lichtenberg)

AgentProvocateur hat geschrieben:
ice hat geschrieben:D.h. wir "fühlen" uns dann frei, wenn wir scheinbar unter keinem Zwang/Einfluss stehen. Es gibt aber viele unbewusste Zwänge/Einflüsse, die auf das Bewusstsein einwirken und unser Denken, Entscheiden und Handeln beeinflussen/festlegen. Ich nehme nun an, dass diese unzähligen Zwänge/Einflüsse wie alles in der Welt determiniert sind.

Du sagst hier:

1. Es gibt viele unbewusste/unerkannte Zwänge/Einflüsse, die unser Denken, Entscheiden und Handeln beeinflussen/festlegen
2. Diese Zwänge/Einflüsse sind determiniert

Nun stimme ich der 1 zu und ich stimme auch zu, dass das Freiheitseinschränkungen gemäß der obigen Definition bedeutet, (Freiheitseinschränkung im kompatibilistischen Sinne). Aber die 2 ist dabei irrelevant, fügt dem nichts mehr hinzu. Es ist doch wohl völlig egal, spielt keinerlei zusätzliche Rolle, ob die Freiheitseinschränkung aus 1 determiniert oder indeterminiert erfolgte, das machte schlicht keinen Unterschied.


Ja, da gebe ich Dir Recht. Ich wollte mit diesem Satz nur noch einmal ausdrücken, dass ich wirklich an einen allumfassenden Determinismus glaube. Aber er ist für obige Argumentation irrelevant.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon fopa » Mo 13. Jan 2014, 14:48

AgentProvocateur hat geschrieben:Nehmen wir einmal an, Du meinstest, X Prozent der Menschen würden an Gott glauben, und Du meintest, Y Prozent der Menschen würden an einen freien Willen in Deinem Sinne glauben, Umfragen ergäben aber, dass X - 10 % der Menschen an einen Gott glauben und Y - 50 % der Menschen an einen freien Willen in Deinem SInne. Würdest Du dann Deine Auffassung bezüglich X und Y revidieren oder dabei bleiben?
Welches ist denn "freier Wille in meinem Sinne"? Es passiert dasselbe wie bei unserer letzten Diskussion: du unterstellst mir Ansichten und Vorstellungen, die ich in keiner Weise vertrete.
Ich behaupte lediglich, dass der Begriff von "Willensfreiheit" in der Gesellschaft unterschiedlich verstanden wird, und ich schätze, dass zumindest ein großer Teil darunter eine Entscheidungsfreiheit im Sinne Frht_a (PAP) versteht. Wenn repräsentative, sauber durchgeführte Umfragen etwas anderes sagen, gebe ich diese Einschätzung gerne auf.

Allerdings hattest du mir schon beim letzten Mal Umfragen präsentiert. Diese wurden jedoch in philosophischen Proseminaren an US-amerikanischen Universitäten durchgeführt - mit einer Handvoll Befragten. Ich denke, da ist etwas Skepsis angebracht, ob sich diese Ergebnisse auf die deutsche Bevölkerung übertragen lassen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nach meinem Begriff von "Freiheit" ist die Aussage: "Handlung H war eine freie Handlung" entweder immer wahr oder immer unwahr. Sie kann ihren Wahrheitswert aber nicht ändern, d.h. nicht z.B. heute wahr und morgen unwahr sein, (oder umgekehrt), so wie das Deiner Auffassung nach wohl der Fall sein könnte.
Nein, da hast du mich missverstanden. Mir fallen bald keine Worte mehr ein, mit denen ich noch irgendwie anders versuchen könnte, das deutlich zu machen.
Vielleicht liest du dir meine vorherigen Versuche noch mal gründlicher durch...

AgentProvocateur hat geschrieben:Nein, nochmal: daraus, ein Gefühl bezüglich X zu haben, folgt nicht, dass X auch der Fall ist. Allgemeiner gesagt: aus "P meint X" folgt nicht "X".
Das habe ich in dieser Allgemeinheit auch nicht behauptet.

AgentProvocateur hat geschrieben:Es gibt mE einen Unterschied zwischen diesen beiden Aussagen: "P glaubte, seine Handlung H war frei" und "P's Handlung war frei", die sind nicht einfach synonym, so wie Du annimmst. Es liegt kein logischer Widerspruch darin, dass die erste Aussage wahr, die zweite Aussage jedoch falsch ist, was nicht sein könnte, wenn die beiden Aussagen synonym wären.
Weil du in der Vergangenheitsform formulierst. Formuliere sie im Präsens und erkläre, was an P's Handlung unfrei sein kann, wenn P sie als frei empfindet. ("Der Gegensatz zu Freiheit ist Zwang. Zwang ist: etwas tun müssen, was jemand nicht will.") Oder erkläre anders herum, wie P seine Handlung als unfrei empfinden könnte, wenn sie tatsächlich frei ist.

AgentProvocateur hat geschrieben:
fopa hat geschrieben:Ich meinte, dass du nie sicher sein kannst, nicht manipuliert zu werden.

Bezüglich was kann man sich schon mit absoluter Sicherheit sicher sein? Dass unsere Welt determiniert ist zum Beispiel?
Es wirken immer Einflüsse auf deine Entscheidungen oder Handlungen - sie sind niemals vollkommen unabhängig. Es liegt lediglich in deinem Empfinden, ob du Einfluss A als Zwang und Einfluss B nicht als Zwang empfindest oder umgekehrt. Ebenfalls liegt es in deinem Empfinden, ob du in der Retrospektive einen (früheren) Einfluss C auf deine zurückliegende Entscheidung nachträglich als Zwang bzw. Manipulation empfindest oder nicht.
Erst durch das Empfinden des Gezwungen-Werdens wird ein Einfluss zu einem Zwang und damit eine Handlung unfrei.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Mo 13. Jan 2014, 15:09

ujmp hat geschrieben:Es soll aber auch nur ein Modell sein, dass es erlaubt Determinismus und Willensfreiheit widerspruchsfrei zu vertreten. Auch wenn ich nicht weiß, wie es wirklich ist - das wissen ja die Gegner dieser Haltung auch nicht.

Es gibt dieses Modell, es heißt Kompatibilismus.
Und die Befürworter des Kompatibilismus wissen auch, wie man das wirklich vereinen kann.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon fopa » Mo 13. Jan 2014, 15:20

fopa hat geschrieben:Mir fallen bald keine Worte mehr ein, mit denen ich noch irgendwie anders versuchen könnte, das deutlich zu machen.
Ich habe mal ein Bildchen gemalt. :mg:
Bild
Vielleicht macht es das etwas deutlicher.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Mo 13. Jan 2014, 21:06

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Es soll aber auch nur ein Modell sein, dass es erlaubt Determinismus und Willensfreiheit widerspruchsfrei zu vertreten. Auch wenn ich nicht weiß, wie es wirklich ist - das wissen ja die Gegner dieser Haltung auch nicht.

Es gibt dieses Modell, es heißt Kompatibilismus.
Und die Befürworter des Kompatibilismus wissen auch, wie man das wirklich vereinen kann.

Es gibt Kompatibilismus. Der beinhaltet aber nicht dieses Modell. Wenn ich es richtig sehe, ist es eigentlich sogar "harter Determinismus", denn ich sage ja, dass die Begründungsprozesse determinierte Prozesse sind, die ich als frei erlebe. "Frei" muss aber trotzdem nicht in Anführungszeichen stehen, es ist m.E. wirkliche Freiheit.

Wenn man nämlich eine Freiheit beurteilt, muss man nicht nur fragen "Frei - wozu?" sondern auch "Frei - wovon?". Mein Wille ist z.B. frei von Gravitation, frei von Temperatur, frei von Masse und Trägheit usw. Ein Apfel fällt, weil ihn die Gravitation zwingt. Ein Mensch kann sich dieser Kraft entziehen, in dem er mit seinem Verstand andere Kräfte gegen sie ausspielt.
Mein Wille scheint aber nicht ganz frei von den Bedürfnissen meines Organismus zu sein, wobei man sagen muss, dass praktisch jedes Bedürfnis, dass man sich denken kann, schon vom menschlichen Verstand überwunden wurde, bis hin zum Bedürfnis zu leben überhaupt.

Evtl. kann man sagen, dass der Wille frei von allem ist, außer von der Vernunft des Organismus, in dem er sich befindet. Diese Vernunft ist dabei aber ein hundertprozentig determinierter Prozess.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Di 14. Jan 2014, 01:14

ice hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Unter Freiheit verstehe ich die Möglichkeit, ohne inneren und äußeren Zwang denken, entscheiden und handeln zu können.

Das ist aber die kompatibilistische Freiheitsdefinition, d.h. die ist mit Determinismus vereinbar.

Okay, aber wie ist diese so verstandene Freiheit mit dem allumfassenden Determinismus vereinbar?

Öhm. Was an diesem Verständnis von Freiheit siehst Du als unvereinbar mit Determinismus an?

ice hat geschrieben:Ich glaube aber, dass wir total unfrei sind, aber diese Unfreiheit meist gar nicht spüren.

Verstehe nun nicht, wieso Du das meinst. Aus der obigen Definition von Freiheit folgt das nun nicht.

ice hat geschrieben:"Ketten, die ich nicht spüre, sind keine Ketten!" (Gerhard Roth in "Aus Sicht des Gehirns")

"Ein Meisterstück der Schöpfung ist der Mensch auch schon deswegen, dass er bei allem Determinismus glaubt, er agiere als freies Wesen." (Georg Christoph Lichtenberg)

Falls Du da irgendwo ein Argument dafür sehen kannst, dass sich Determinismus und Freiheit ausschlössen: ich kann das leider nicht sehen. Die Aussage von Roth ist so falsch, die Aussage von Lichtenberg ist nur ein reines Postulat eines Indeterministen, bar jeden Argumentes. Auf die Dauer nervt Argumentlosigkeit nun doch ein bisschen.

Mal ganz, ganz, ganz böse gesagt; so böse, wie es mir möglich ist: das mag ja zwar in einem religiösen Forum durchgehen, hier aber nicht. Wenn der Inkompatibilist nicht über das reine Postulat: "ich glaube aber tief in mir drinnen ganz fest, dass sich Determinismus und Freiheit ausschließen" hinauskommt, dann muss er sich nicht wundern, wenn man ihn in die gleiche Kategorie wie einen Gläubigen einordnet.

ice hat geschrieben:Ja, da gebe ich Dir Recht. Ich wollte mit diesem Satz nur noch einmal ausdrücken, dass ich wirklich an einen allumfassenden Determinismus glaube. Aber er ist für obige Argumentation irrelevant.

Aber Du willst doch argumentieren, dass Determinismus und Freiheit sich ausschließende Gegensätze seien; dass, wenn unsere Welt determiniert sei, es darin keine freien Entscheidungen geben könne. Nicht? Und dafür musst doch mindestens ein einziges Argument vorbringen können.

Schau dafür doch z.B. mal dort, (SEP - Arguments for Incompatibilism [Argumente für Inkompatibilismus]), vielleicht findest ja dort eines, das Du vorbringen kannst. Bitte aber nicht mehr den Appell an die Intuition, (wenn Determinismus wahr ist, dann sind wir wie Blätter im Wind, wie Billardkugeln, wie Marionetten etc.), dieses Argument ist schlicht ungültig.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Di 14. Jan 2014, 01:47

fopa hat geschrieben:Ich behaupte lediglich, dass der Begriff von "Willensfreiheit" in der Gesellschaft unterschiedlich verstanden wird, und ich schätze, dass zumindest ein großer Teil darunter eine Entscheidungsfreiheit im Sinne Frht_a (PAP) versteht. Wenn repräsentative, sauber durchgeführte Umfragen etwas anderes sagen, gebe ich diese Einschätzung gerne auf.

O-kay.

fopa hat geschrieben:Allerdings hattest du mir schon beim letzten Mal Umfragen präsentiert. Diese wurden jedoch in philosophischen Proseminaren an US-amerikanischen Universitäten durchgeführt - mit einer Handvoll Befragten. Ich denke, da ist etwas Skepsis angebracht, ob sich diese Ergebnisse auf die deutsche Bevölkerung übertragen lassen.

Naja, aber noch mehr Skepsis ist doch wohl angebracht, ob Du das besser einschätzen kannst als diese Studien. Ich finde die Einstellung: "ich glaube fest, dass die meisten Leute an einen freien Willen in meinem Sinne (= Determinismus und die meist geglaubte Willensfreiheit sind sich ausschließende Gegensätze) glauben und werde erst dann von diesem meinem Glauben abrücken, wenn es unanfechtbare Beweise dagegen gibt" für einen rationalen Menschen unhaltbar. Das mag man bei einer einzigen Studie noch sagen können, aber wenn es mehrere Studien gibt, die alle der persönlichen Ausgangsintuition widersprechen, dann wäre es irgendwann rational, diese fallen zu lassen. Meine ich zumindest.

fopa hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Es gibt mE einen Unterschied zwischen diesen beiden Aussagen: "P glaubte, seine Handlung H war frei" und "P's Handlung war frei", die sind nicht einfach synonym, so wie Du annimmst. Es liegt kein logischer Widerspruch darin, dass die erste Aussage wahr, die zweite Aussage jedoch falsch ist, was nicht sein könnte, wenn die beiden Aussagen synonym wären.

Weil du in der Vergangenheitsform formulierst. Formuliere sie im Präsens und erkläre, was an P's Handlung unfrei sein kann, wenn P sie als frei empfindet.

Kein Problem: "P nimmt fälschlich an, dass er Kontrolle über die Situation habe, diese steuern könne, es (zu einem großen Teil) an ihm läge, was weiterhin geschieht, dass es von seiner Entscheidung abhinge, was im Folgenden passiere".

Kein logischer Widerspruch weit und breit.

fopa hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:
fopa hat geschrieben:Ich meinte, dass du nie sicher sein kannst, nicht manipuliert zu werden.

Bezüglich was kann man sich schon mit absoluter Sicherheit sicher sein? Dass unsere Welt determiniert ist zum Beispiel?

Es wirken immer Einflüsse auf deine Entscheidungen oder Handlungen - sie sind niemals vollkommen unabhängig.

Selbstverständlich, wie wäre es auch anders auch nur denkbar? Aber: Freiheit bedeutet nicht: völlige Unabhängigkeit von der Welt.

fopa hat geschrieben:Es liegt lediglich in deinem Empfinden, ob du Einfluss A als Zwang und Einfluss B nicht als Zwang empfindest oder umgekehrt.

Nein, das liegt nicht nur in meinem Empfinden, das ist entweder tatsächlich der Fall oder nicht. Egal, ob ich das gerade erkennen kann oder nicht.

fopa hat geschrieben:Ebenfalls liegt es in deinem Empfinden, ob du in der Retrospektive einen (früheren) Einfluss C auf deine zurückliegende Entscheidung nachträglich als Zwang bzw. Manipulation empfindest oder nicht.
Erst durch das Empfinden des Gezwungen-Werdens wird ein Einfluss zu einem Zwang und damit eine Handlung unfrei.

Vielleicht gibt es hier noch einen Punkt, der noch unklar ist. Ich bin Realist, d.h. ich glaube, dass es in der Welt Tatsachen gibt, die unabhängig von meinem Empfinden, meiner Erkenntnis, allgemeiner gesagt: von meinen Gedanken sind. Oder so gesagt: ich bin zwar ein Teil der Welt, aber nicht die Welt. Die Welt ist so, wie sie ist, aber sie ist nicht so, wie ich will, dass sie ist; ich mache nicht die Welt, meine Gedanken sind nicht die Welt.

Wenn Du das anders siehst, ein Idealist bist, meinst, die Welt sei Deine Gedanken, dann werden wir hier eh nicht zusammenkommen können, dann gäbe es einen prinzipiellen, nicht überbrückbaren Dissens bezüglich unserer Ontologie.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Di 14. Jan 2014, 02:01

ujmp hat geschrieben:Evtl. kann man sagen, dass der Wille frei von allem ist, außer von der Vernunft des Organismus, in dem er sich befindet. Diese Vernunft ist dabei aber ein hundertprozentig determinierter Prozess.

Zwei Anmerkungen dazu:

1. anzunehmen, ein Wille sei ein eigenständiges Ding, das als solches unabhängig von allen anderen Dingen sein könne, ist eine Reifikation, (was ein logischer Fehler ist, der jedoch nicht aus der Annahme einer determinierten Welt folgt, eine solche mag durchaus konsistent sein - eine Reifikation ist es jedoch nicht). Ein Wille ist schlicht nicht kein eigenständiges Ding, ein Wille ist das, was jemand will; es ist daher völlig absurd, anzunehmen, ein Wille könne überhaupt unabhängig davon sein. Ebenso absurd, wie anzunehmen, eine Handlung sei unabhängig davon, was jemand tut, sei nicht genau das, was jemand tut. Eine bestimmte Handlung ist schlicht das, was jemand bestimmtes in einer bestimmten Situation tut und nichts anderes, nicht Zusätzliches, nichts, was zusätzlich existiert.

2. wenn wir nun den Zusammenhang zwischen "Wille" und "Verantwortung" betrachten, wäre es mE sehr merkwürdig, jemandem, der einen irgendwie von seiner Vernunft unabhängigen Willen entwickeln würde, (falls das überhaupt Sinn macht ), genau deswegen Verantwortung (und/oder Schuld) zuweisen zu wollen. -> "Sein Wille hatte keinen Zusammenhang mit seinen Überlegungen, Meinungen, Entscheidungen und seiner Vernunft und deswegen ist er nun verantwortlich/schuldig".

Genau das Gegenteil wäre dann mE der Fall: diesen Menschen würde man genau deswegen nicht als verantwortlich und daher auch als nicht schuldfähig ansehen.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon fopa » Di 14. Jan 2014, 08:21

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich finde die Einstellung: "ich glaube fest, dass die meisten Leute an einen freien Willen in meinem Sinne (= Determinismus und die meist geglaubte Willensfreiheit sind sich ausschließende Gegensätze) glauben und werde erst dann von diesem meinem Glauben abrücken, wenn es unanfechtbare Beweise dagegen gibt" für einen rationalen Menschen unhaltbar.
Warum tust du das? Warum dichtest du mir jedes Mal an, ein freier Willen in diesem Sinne wäre in meinem Sinne? :irre:
Hast du nicht verstanden, dass ich diese Vorstellung nicht vertrete oder willst du mich bloß provozieren? :o0:
Auch die Unterstellung "ich glaube fest" muss ich mir nicht gefallen lassen. Lies dir durch, was ich geschrieben habe...
fopa hat geschrieben:Wenn repräsentative, sauber durchgeführte Umfragen etwas anderes sagen, gebe ich diese Einschätzung gerne auf.

---
AgentProvocateur hat geschrieben:
fopa hat geschrieben:Formuliere sie im Präsens und erkläre, was an P's Handlung unfrei sein kann, wenn P sie als frei empfindet.
Kein Problem: "P nimmt fälschlich an, dass er Kontrolle über die Situation habe, diese steuern könne, es (zu einem großen Teil) an ihm läge, was weiterhin geschieht, dass es von seiner Entscheidung abhinge, was im Folgenden passiere".
Kein logischer Widerspruch weit und breit.
Begründe bitte das "fälschlich".

AgentProvocateur hat geschrieben:
fopa hat geschrieben:Es liegt lediglich in deinem Empfinden, ob du Einfluss A als Zwang und Einfluss B nicht als Zwang empfindest oder umgekehrt.
Nein, das liegt nicht nur in meinem Empfinden, das ist entweder tatsächlich der Fall oder nicht. Egal, ob ich das gerade erkennen kann oder nicht.
Dann erkläre doch bitte noch mal, was "Zwang" zu einem konkreten Zeitpunkt bedeutet - und am besten auch, worin der Unterschied zwischen "Zwang" und dem "Gefühl des Gezwungen-Werdens" zu einem konkreten Zeitpunkt besteht.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn Du das anders siehst, ein Idealist bist, meinst, die Welt sei Deine Gedanken, dann werden wir hier eh nicht zusammenkommen können, dann gäbe es einen prinzipiellen, nicht überbrückbaren Dissens bezüglich unserer Ontologie.
Nein, ich würde mich als Materialisten bezeichnen. Bloß sind manche Begriffe nicht ohne subjektives Empfinden denkbar. Das Wort Glück ist nichtssagend, wenn man es nicht auf dem "Zustand des Glücklich-Seins" begründet - welcher sich aus dem Empfinden eines Subjekts definiert.

Es geht um Begriffe. Kann Entscheidungsfreiheit bzw. Zwang aus Sicht des Determinismus anders beschrieben werden als durch die Empfindungen des handelnden/entscheidenden Subjekts?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Di 14. Jan 2014, 08:34

AgentProvocateur hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Evtl. kann man sagen, dass der Wille frei von allem ist, außer von der Vernunft des Organismus, in dem er sich befindet. Diese Vernunft ist dabei aber ein hundertprozentig determinierter Prozess.

Zwei Anmerkungen dazu:

1. anzunehmen, ein Wille sei ein eigenständiges Ding, das als solches unabhängig von allen anderen Dingen sein könne, ist eine Reifikation, (was ein logischer Fehler ist, der jedoch nicht aus der Annahme einer determinierten Welt folgt, eine solche mag durchaus konsistent sein - eine Reifikation ist es jedoch nicht). Ein Wille ist schlicht nicht kein eigenständiges Ding, ein Wille ist das, was jemand will; es ist daher völlig absurd, anzunehmen, ein Wille könne überhaupt unabhängig davon sein. Ebenso absurd, wie anzunehmen, eine Handlung sei unabhängig davon, was jemand tut, sei nicht genau das, was jemand tut. Eine bestimmte Handlung ist schlicht das, was jemand bestimmtes in einer bestimmten Situation tut und nichts anderes, nicht Zusätzliches, nichts, was zusätzlich existiert.

2. wenn wir nun den Zusammenhang zwischen "Wille" und "Verantwortung" betrachten, wäre es mE sehr merkwürdig, jemandem, der einen irgendwie von seiner Vernunft unabhängigen Willen entwickeln würde, (falls das überhaupt Sinn macht ), genau deswegen Verantwortung (und/oder Schuld) zuweisen zu wollen. -> "Sein Wille hatte keinen Zusammenhang mit seinen Überlegungen, Meinungen, Entscheidungen und seiner Vernunft und deswegen ist er nun verantwortlich/schuldig".

Genau das Gegenteil wäre dann mE der Fall: diesen Menschen würde man genau deswegen nicht als verantwortlich und daher auch als nicht schuldfähig ansehen.


Meistens versuche ich menschliches Verhalten inkl. sein Bewusstsein von seinem Organismus her zu erklären. Das ist natürlich eine sehr elementare Ebene und kann daher auch nur elementares Verhalten erklären. Man könnte es auch als ein "Nachkonstruieren" verstehen.

Es fällt heute bestimmt kaum jemandem schwer, sich den Menschen als einen besonders komplexen Roboter vorzustellen, dessen äußerlich wirksamen Kräfte durch mikroskopisch kleine Transistoren in Schach gehalten werden. Die Vernunft dieses Gerätes, sind die Programme, die in diese seine elektronische Schaltzentrale kopiert wurden oder die sie auch selbst modifizieren kann. Das Ergebnis dieser Programme ist determiniert. Evtl. gibt es noch ein Unentschieden ("weiß nicht" oder "egal"), voraus sich ein Verhalten ergibt, das nicht durch das Programm selbst determiniert ist (dann aber durch etwas anderes). Soweit, so gut.

Das eigentlich Schwierige aber - und ich gebe zu, dass es mir selbst nicht leicht fällt - ist der Gedankenschritt, wo sich in diesem Automaten das Bewusstsein befindet: Das Bewusstsein ist nämlich nicht ein Ich, welches auf einen Monitor schaut, der an diesen Automaten angeschlossen ist um die einprogrammierte Steuerung zu visualisieren. Nein. Das Ich ist dieser Monitor!
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Di 14. Jan 2014, 09:24

ujmp hat geschrieben:Es gibt Kompatibilismus. Der beinhaltet aber nicht dieses Modell. Wenn ich es richtig sehe, ist es eigentlich sogar "harter Determinismus", denn ich sage ja, dass die Begründungsprozesse determinierte Prozesse sind, die ich als frei erlebe.
Der Kompatibilismus ist harter Determinismus, denn er geht (als Gedankenexperiment) davon aus, dass alles zu 100% ddeterminiert ist

ujmp hat geschrieben:"Frei" muss aber trotzdem nicht in Anführungszeichen stehen, es ist m.E. wirkliche Freiheit.

Wenn man nämlich eine Freiheit beurteilt, muss man nicht nur fragen "Frei - wozu?" sondern auch "Frei - wovon?". Mein Wille ist z.B. frei von Gravitation, frei von Temperatur, frei von Masse und Trägheit usw. Ein Apfel fällt, weil ihn die Gravitation zwingt. Ein Mensch kann sich dieser Kraft entziehen, in dem er mit seinem Verstand andere Kräfte gegen sie ausspielt.
Darum geht es nicht.
Bei einer solchen Argumentation hättest Du das Problem, dass irgendwer daher kommt und sagt, der Verstand, das sind doch nur Hirnzellen und die unterleigen der Schwerkraft, also unterliegt der Verstand der Schwerkraft.

ujmp hat geschrieben:Mein Wille scheint aber nicht ganz frei von den Bedürfnissen meines Organismus zu sein, wobei man sagen muss, dass praktisch jedes Bedürfnis, dass man sich denken kann, schon vom menschlichen Verstand überwunden wurde, bis hin zum Bedürfnis zu leben überhaupt.
Hier kommst Du selbst ins Grübeln, dabei ist die Sache klar:
Der Kompatibilismus sagt, dass man genau dann frei ist, wenn man auf der Basis seiner eigenen Prämissen entscheiden kann (und daran nciht durch Zwang gehondert wird). Diese Prämissen sind ihrerseits nicht ursachenlos, es hat seinen Grund warum wir a lieber mögen als b. Ob wir diesen Grund kennen, ist belanglos, wichtig ist, dass wir wissen, was wir wollen:
Herr X will Urlaub machen, das tut er gerne. Er will nach Ägypten, denn da fühlt er sich wohl, da war er öfter schon. Gleichzeitig ist er beunruhigt wegen der instabilen Lage in Ägypten. Er hat Angst, dass er zwischen die Fronten geraten könnte. So telefoniert er hin und her, liest, informiert sich, wägt Freude und Risiken ab und trifft auf der Basis alter Gewohnheit und neuer Erkenntnisse seine Entscheidung.
Das wäre eine freie Entscheidung, die Gewohnheiten, Emotionales, Rationales, neue Informationen, private Risikofreudigkeit und so weiter beinhaltet.
Die Entscheidung ist determiniert, sie hängt nicht nur von privaten Empfidungen, sondern auch der politischen Lage in Ägypten ab und dennoch ist die Entscheidung frei.Er kann bei Abwägung zu dem Urteil kommen, dass das Risiko überschaubar ist und die Freude und der Erholungswert groß oder er gehört zu den Menschn die versuchen unnötige Risiken zu minimieren und der Gedanken, was sein könnte, könnte so stsark sein, dass er (so wie er sich kennt) die Urlaubsfreude zu sehr trüben würde.

ujmp hat geschrieben:Evtl. kann man sagen, dass der Wille frei von allem ist, außer von der Vernunft des Organismus, in dem er sich befindet. Diese Vernunft ist dabei aber ein hundertprozentig determinierter Prozess.
Neben der lesenwerten Antwort von Agent:
Das „Ich will“ ist ja etwas, was schon dem Worte nach von Dir ausgeht. Jedes wollende Subjekt setzt hier neue Schwerpunkte, wenn Du so willst, fügt es die vielen Stränge zu einer Entscheidung zusammen. Man muss nicht wissen, warum einem Ägypten besser gefällt als Schottland oder Bier besser als Cola, vieles liegt hier für das Subjekt im Dunkeln und das ist auch kein Problem. Wenn Du beim Italiener Dein Essen bestellst und Meeresfrüchte eklig findest, aber Salami liebst, bestellt Du vielleicht Salamipizza, muss dafür aber nicht wisen, ob Deine Vorlieben/Abneigungen genetisch disponiert sind oder es nach Meeresfrüchten roch, als Deine Elterneien gewaltigen Streit hatten der Dich mit 2 Jahren fürchterlich geängstigt hat. Das kann alles interessant sein, aber für Deien aktuelle Entscheidung ist es belanglos, es würde auch nichts ändern, wenn Du von frühkindlichen Meeresfrüchtetrauma wüsstest, mögen würdest Du sie dennoch nicht.
Bei der Frage, was man essen will, reicht es zu wissen, was man mag und was gerade da ist und was der Koch gut kann, eine Genanalyse oder tiefenpsychologische Ausgrabungen sind unnötig.

Die Verwirrung liegt darin, dass oft behauptet will, ein (mehr als epiphänomenales) Ich gäbe es gar nicht und es sei bestenfalls in die Rolle des Zuschauers gedrängt, Entscheidungen könne es schon gar nicht treffen. Handeln tun die Arme, entscheiden tut wahlweise das Gehirn oder die Emotionen, das Ich sitzt irgendwie außerhalb, schaut zu und meint aus Gründen der biologischen Nützlichkeit (die bei diesem Konstrukt worin genau besteht?), dass es selbst entscheide. Das wird von denen formuliert, die ansonsten den Dualismus jeder Art als Teufelszeug ansehen.
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