Harter atheistischer Determinismus

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » Mi 5. Feb 2014, 13:05

Selbst wenn ich beschließe mich treiben zu lassen, ist das eine freie Entscheidung.
Aber genau das sehen andere wohl nicht so. Sie denken, ihre Figur wäre Schicksal. :wink:

Es scheint den Umfragen zufolge ja so zu sein, dass Erfolgreiche ihren Erfolg gerne auf ihr Zutun zurückführen während Erfolglose gerne auf ihr Schicksal verweisen. Vermutlich ist der freie Wille eine Sache des Engagements.

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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Do 6. Feb 2014, 00:20

Dr Fraggles hat geschrieben:Der Freiheitsbegriff des Kompatibilisten besagt nur soviel: es gibt Formen des Determiniertseins welche als Zwang bezeichnet werden und es gibt Formen des Determiniertseins welche als frei bezeichnet werden. D.h. die Scheidelinie verläuft nicht wie beim Indeterminismus zwischen determiniert und nicht-determiniert, sondern zwischen Zwang und nicht-Zwang. Das was nicht unter Zwang geschieht wird als durch den freien Willen verursacht bezeichnet.

Ich hatte gestern Abend vor dem Einschlafen noch ein kleines Heureka. Was der qualitative Unterschied von K1/K2 und K3 für Moore wohl sein könnte. Deine wieder einmal sehr hilfreichen und vor allem präzisen Ausführungen vertiefen das jetzt noch. Donnerwetter nochmal, ich glaube wirklich, in meinem verhärteten Schädel hat sich die letzten beiden Tage für mein Verständnis des Kompatibilismus mehr getan als vorher in Wochen und Monaten der sonstigen Diskussion hier. Vielen Dank Dr. Fraggles für diese mirakulösen Eye-Opener.

Heute Abend habe ich keine Lust mehr. Aber ich muss jetzt diesen Artikel mit den kompatibilistischen Positionen noch einmal durcharbeiten, wie das alles klingt, nachdem ich nun etwas mehr verstanden zu haben glaube.

Dr Fraggles hat geschrieben:Es spielt aber eine verdammt grosse Rolle ob ich durch K1 oder K3 eine Handlung ausführe (wobei K3 für mich nur Sinn macht wie ich's oben expliziert habe, also als etwas was mir eine Handlung von innen oder aussen aufzwingt).

Na ja, alle meine Fragen an das Universum sind also noch nicht gelöst :) Ich verstehe nicht, woraus die verdammt grosse Rolle besteht, die es für dich spielt, ob K1 oder K3 die Handlung determinieren.

Ich bleibe mal im Beispiel und füge ein paar Details hinzu: Auf dem Tisch vor mir ist ein Glas Orangensaft und ein Glas Tomatensaft. Es geht um die Entscheidung, was von beiden ich trinke.

Fall 1: Der kausale Faktor K1 determiniert mein Verhalten. K1 sei einfach mal, dass meine Geschmackserwartungsneuronen, welche mehr für "fruchtig" sind, mehr feuern und sich auf neuronaler Ebene ein Muster ergibt, dass "auf jeden Fall O-Saft" signalisiert. Diese unbewusste "Abstimmung" gelangt in mein Bewusstsein als ein nicht näher beleuchtetes : hm, O-Saft, lecker. Ich entscheide, den O-Saft zu trinken.

Fall 2: Der kausale Faktor K3 determiniert mein Verhalten. K3 sei einfach mal, dass ich bei näherem Betrachten der Gläser sehe, dass das Tomatensaft-Glas oben vollständig versiegelt ist (dämliche Idee, aber ich hoffe, es passt inhaltlich trotzdem). Es ist also eine Art Trick-Glas, welches meinetwegen Zauberer gerne benutzen. K3 ist also das Erkennen, dass ich diesen Tomatensaft nicht trinken kann (nicht ohne beträchtlichen Aufwand beim Entfernen des fest verschweißten Deckels). Ich entscheide, den O-Saft zu trinken.

Was ist denn nun der große Unterschied zwischen diesen beiden Fällen?
Subjektive Betrachtung: Ich glaube, in Fall 2 wird die Illusion, dass ich mich frei entscheiden kann, zerstört. Mir wird bewusst, dass ich hier nicht frei entscheiden kann. Ich erlebe einen Zwang. Ich spreche infolge dessen vielleicht auch von "mir blieb ja nichts anderes übrig, ich musste den O-Saft trinken".
Objektive Betrachtung: Im ersten Fall kommt es durch unbewusste, neuronale Vorgänge zu einer Entscheidung. Im zweiten Fall auch. In beiden Fällen war die erfolgte Entscheidung unausweichlich und alternativlos. Ich kann mich nicht für Tomatensaft entscheiden, wenn das dafür notwendige neuronale Muster nicht erzeugt wird (ich fasele da etwas nebulös Begriffe von Wolf Singer nach, eigentlich habe ich keine Ahnung, wie das genau abläuft, aber die Folgerung daraus sollte stimmen). Das ist vollständig unmöglich. Und mehr als vollständig unmöglich ist es auch im zweiten Fall nicht, wenn ich hauptsächlich bewusst mir kurz vorstelle, wie schwierig es wäre, den Deckel zu entfernen und ich relativ schnell die einzig verbleibende Alternative wähle.

Objektiv betrachtet erscheint mir also der Unterschied zwischen den beiden Fällen sehr gering. Das Ergebnis ist das gleiche, beide Entscheidungen dürften recht schnell erfolgen, recht klar sein und beide sind sehr unabänderlich. Subjektiv erlebe ich beide Entscheidungsvorgänge sehr unterschiedlich. Der Gedanke in Fall 1 "ich war frei in der Entscheidung, weil ich hätte ja auch Tomatensaft trinken können, wenn ich nur gewollt hätte" ist eine falsche Illusion. Es fällt mir leicht, mir die alternative Entscheidung vorzustellen, ja vielleicht habe ich vorgestern sogar wirklich einmal Tomatensaft getrunken. In Wirklichkeit war die Entscheidung für Tomatensaft 100% unmöglich. Diese Wirklichkeit, die auch in Fall 2 gilt, sieht man dort viel eher ein und so kommt gar nicht erst die Illusion von Fall 1 auf.

Was meinst du nun mit dem großen Unterschied zwischen K1 und K3? Geht das in die Richtung: großer Unterschied im subjektiven Erleben? Oder willst du darauf hinaus, dass da objektiv auch ein Unterschied besteht?

Dr Fraggles hat geschrieben:Selbst im Strafrecht wird solches berücksichtigt: ob ich in trunkenem Zustand oder nüchtern etwas tue, spielt in der Gewichtung einer Tat eine Rolle. Ebenso ob ich durch eine Kleptomanie zum Diebstahl verleitet wurde oder nicht.

Wenn ich mich nüchtern für etwas entscheide, dann aufgrund von neuronalen Vorgängen, die nicht beeinflussbar sind. Wenn ich trunken bin, sind einige der Neuronen vorübergehend außer Betrieb und es mögen ganz andere Entscheidung getroffen werden, aber es finden nach wie vor neuronale Vorgänge statt, die nicht beeinflussbar sind. Auch hier scheint mir der subjektiv erlebte Unterschied nur eine Illusion. Einmal war ich nüchtern, ich selber und hellwach, mein Gedächtnis hat einige Details des Vorgangs gespeichert. In trunkenem Zustand war ich wie benebelt, erinnere mich auch an nichts mehr, meine Entscheidungen kommen mir fremd und dumm vor. Und doch, in beiden Fällen hat das Gehirn (so gut es eben ging) neuronal was veranstaltet und eine determinierte Entscheidung getroffen, in beiden Fällen war es mein Gehirn, in beiden Fällen war also ich der Entscheider. Wieso sollte man vor Gericht einen Unterschied gelten lassen?

Es gibt ja zum Beispiel auch einen Unterschied in meinem Erleben, wenn ich einmal sehr fröhlich und optimistisch bin und etwas entscheide und ein andernmal eher traurig, widerwillig und zögerlich entscheide. Den Richter möchte ich mal sehen, der diese Unterschiede strafrechtlich relevant findet.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Do 6. Feb 2014, 02:45

ujmp hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Wieso ist es wichtig, wodurch eine Entscheidung determiniert wird? Ob durch K1 oder K3, spielt doch keine Rolle. Oder? Wichtig ist doch nur, dass die Entscheidung determiniert wird. Im Grunde fehlt jetzt bei Moore doch also genau das, was ich von Vollbreit auch nicht bekomme: eine Antwort, wieso er "nicht von K3 determiniert" mit "frei" gleichsetzt.

Wenn die Entscheidung von K2 abhängt, dann weil diese Entscheidung frei gegenüber K3 und außerdem frei gegenüber K4, K5,...,Kn ist. Wenn n gegen unendlich geht, geht die Abhängigkeit von K2 relativ gegen null. K1 aber ist der Wille. Wenn du Willensfreiheit möchtest, möchtest du nichts anderes, als dass dein Wille dein Handeln determiniert - und das kann der Wille. Er ist nicht immer frei, aber er kann frei sein und unter für ihn günstigen Bedingungen ist er es auch.


Sehr spezielle Wortwahl(en). "Frei gegenüber", heisst in Klartext, dass K2 (meinst du nicht K1?) im Vergleich mit K1 (resp. K2) die stärkere Determinante ist in der gegebenen Situation.
Was du mit Abhängigkeit gegen Null sagen willst, ist mir nicht ganz klar: dass eine Determinante die stärker als alle anderen ist sich (fast) immer "durchsetzen" wird? Wenn du das meinst, ja, aber das ist trivial, oder?
"Wenn du Willensfreiheit möchtest...", dieser Satz ist eben nur teilweise richtig, weil wir nicht nur tun können wollen, was wir wollen, sondern einige eben auch das Gefühl haben wollen ihr Leben wirklich lenken zu können, oder wirklich verantwortlich für ihr tun und lassen zu sein (im Guten wie im Bösen). Immerhin erntet man Lob und Belohnung resp. Tadel und Strafe für entsprechende Handlungen. Bin ich aber determiniert, wäre die Entschädigung durch solche Reaktionen irrational, welche ich dann auch von mir weisen müsste (zumindest würde mir das die unbestechliche Vernunft einflüstern).
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Do 6. Feb 2014, 03:11

Vollbreit hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Man weiß ja, als Entscheidender/Urteilender nicht, wie die eigene Entscheidung, die man in der abwägenden Entscheidungsfindung eben erst noch finden musst, ausfallen wird, dazu bräuchte man eine göttliche oder allumfassende Perspektive, die man nicht hat.
Man urteilt/entscheidet also aus der Warte der stets vorläufigen Perpektive, zu der man in der Lage ist.

Richtig, nur liesse sich diese Feststellung bestens auch als etwas anführen was, wenn auch nicht direkt gegen den freien Willen, so doch gegen dessen Werthaftigkeit spricht.
Was verstehst Du unter der Werthaftigkeit des freien Willens? Kann ich mir momentan nichts drunter vorstellen.

Dass man (oder besser: die Vernunft) in gewisser Hinsicht (so wie Dinge nun mal liegen, also von mir aus nur eine bedingte Werthaftigkeit) eine echte Willensfreiheit von Nöten hätte um Geschehnisse welche unser Handeln (aber auch Wünsche) betreffen in Einklang zu bringen: wenn ich bestraft werde (oder gelobt...wobei man das noch eher in Kauf nimmt), dann weil ich tatsächlich anders hätte handeln können. Wenn ich den Sinnanspruch habe tatsächlich mein Leben lenken zu können, und nicht nur die Illusion, dann setzt das einen echten freien Willen voraus. Diese Aspekte werden vom Kompatibilisten schlicht als nicht existent behandelt und darin liegt seine Verlogenheit (auch wenn's hart klingt). Oder aber der Kompatibilist ist das geborene (oder gewordene) Als-ob Individuum. Oder er ist bekennender Nihilist.

Dr Fraggles hat geschrieben:Aber faktisch Wissen wir jeweils recht gut wie wir entscheiden (zumindest in welcher Bandbreite der Optionen). Je disparater die nicht antizipierten Entscheidungsmöglichkeiten wären, desto absurder auch ein freier Wille.
Weil?

Nun, wenn das Nicht-Wissen die Bandbreite mörderischen wie heiligmässigen Handeln umfasste, wäre es auch ziemlich witzlos, oder? Das wäre dann mehr oder weniger deckungsgleich mit zufälligem Handeln.

Dr Fraggles hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Wenn Du sagst: ist doch eh alles determiniert, dann heisst das immer auch. Man weiss ja doch schon wie es enden wird. Wer weiss das? Ich nicht. Du? Gott?
Du willst aber nicht ernsthaft behaupten, dass ein epistemischer Indeterminismus einen ontologischen impliziert?!
Nein, die Behauptung ist, dass eine Unkenntnis des Ganzen, bei einer Kenntnis von Teilen, es uns ermöglicht frei, gemäß dessen, was wir aktuell für richtig, wahr und gut halten, abwägend und rartional zu entscheiden.

Wenn du das "Ich" eliminierst (ein Bündel von Determinanten gemäss dem Kompatibilisten) und "Abwägen" als pures Kräftespiel der Determinanten beschreibst und "rational" als mit determiniert vereinbar erachtest, könnte man über diese These diskutieren.

Dr Fraggles hat geschrieben:Wittgenstein meinte der epistemische Indeterminismus genüge um einen freien Willen behaupten zu können. Aber das ist Humbug. Keiner (einer findet sich immer) würde auf Grund der blossen nicht Vorhersehbarkeit eines (z.B. deterministisch chaotischen) Geschehens demselben einen freien Willen unterstellen.
M.W. Argumentiert Wittgenstein gar nicht so, kannst Du mal zitieren, woraus Du das ableistest.

Hm, das habe ich vor etlicher Zeit so gelesen. Ob ich die Quelle noch finden kann? Werde schauen...ich denke es war allerdings aus Sekundärliteratur, womit es wohl in deinen Augen schon mal desavouriert sein dürfte (und wohl nicht ganz zu unrecht).

Dr Fraggles hat geschrieben:Übrigens: argumentierst du für einen indeterministischen freien Willen (kommt mir so vor, auch wenn ich nicht alles genau gelesen habe) oder vertrittst du einen Kompatibilismus (das eine schliesst ja das andere aus)?
Ich bin Kompatibilist.
[/quote]
O.k., dann trifft meine Kritik dann tatsächlich "nur" (ein Missverstehen der eigenen Position scheint mir "verzeihlicher") den schon erwähnten Aspekt (dass es nicht wenigen Menschen nicht nur um die Handlungsfreiheit zu tun ist).
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Do 6. Feb 2014, 03:17

stine hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:„Ich habe Hunger.“ ist kein Unterschied zu „Ich weiß, dass ich Hunger habe.“ Dieses „Ich
weiß“ stellt nur eine leere Verdoppelung dar. Wenn Du sagst: „Ich habe Hunger und will was essen.“, so ist damit alles gesagt.
Wenn Du nun langatmige Nebensätze einfügst „... aber ich weiß, dass mein Hunger eigentlich auf eine Reaktion der Glukoserezeptoren zurückzuführen ist und mein Wollen ja eigentlich kausal davon abhängt, dass diese Rezeptoren irgendwo mein Hungerareal triggern“, dann zeigt das, dass Du biologisch informiert bist, aber was ändert es an Deinem Wollen? Was damit nur immer wieder gezeigt wird, ist, dass es Kausalketten gibt, aber das bestreitet ja niemand.

Nettes Beispiel weil es zeigt, dass man nach der Feststellung des Hungergefühls frei entscheiden kann, etwas zu essen, eine ganz bestimmte Mahlzeit einzunehmen oder noch abzuwarten, bis der Körper seine Reserven angreift. Also wenn das kein freier Wille ist?

LG stine


Wie bitte? Mal davon abgesehen, dass ich schlechterdings ausschliesse, dass es irgendein Beispiel oder Argument gibt welches einen freien Willen illustrieren oder begründen könnte, wo bleibt dein Argument?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Do 6. Feb 2014, 03:36

Vollbreit hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Nein, das verstehst du falsch. Der Kompatibilist setzt den Determinismus voraus (wohl weil zu viel gegen den Indeterminismus spricht), behauptet aber, dass seine Definition von Freiheit damit vereinbar ist. Der Freiheitsbegriff des Kompatibilisten ist nicht derselbe wie der des Indeterministen! Das muss man schon klar sehen, ansonsten man mit Notwendigkeit bei Widersprüchen endet. Ich frage mich ob Vollbreit das verstanden hat...

Ist mir vollkommen klar, weswegen ich mit fast so ausdauernder Hartnäckigkeit wie AgentProvocateur immer und immer und immer und immer und immer wieder frage, bitte, flehe, drohe und hoffe eine Definition von Freiheit von einem Inkompatibilisten zu erhalten.
Ausnahmslos alle Diskussionen über den freien Willen, in denen der Freiheitsbegriff der Kompatibilisten kritisiert wird, scheiterten letztlich daran, dass kein alternativer Freiheitsbegriff von Seiten der Kritiker vorgelegt wurde.
Hast Du einen parat?

Hast du Tomaten auf den Augen??? Mein Vorwurf an den Kompatibilismus habe ich KLARSTENS formuliert: dass die Bedürfnisse des Menschen mit dem kompatibilistischen Freiheitsbegriff nicht gedeckt werden (und schlimmstenfalls so getan wird als sei dies nicht so). Habe ich irgendwo einen Indeterminismus behauptet? Nein.

Da ich selbst mal ein Inkompatibilist – wenn auch der pro Willensfreiheit Fraktion - war, kenne ich die Probleme. Intuitiv widerstrebt einem der etwas dröge Freiheitsbegriff der Kompatibilisten. Nimmt man sich dann mal vor wirklich ernst zu machen und zu bestimmen was eigentlich fehlt, läuft es meistens – eigentlich immer, so auch bei mir – auf die Zutaten Zufall und/oder Willkür hinaus.

Was fehlt??? Nimm die Tomaten von deinen Augen und LIES was ich geschrieben habe. Mir fehlt am kompatibilistischen Freiheitsbegriff etwas sehr Wesentliches was zum Menschseinanspruch gehört, es sei denn man lebt im verdrängenden Modus des Als-ob oder hat sich mit dem Nihilismus arrangiert.Und dies gilt selbst dann wenn der kompatibilistische Freiheitsbegriff der einzig denkbare ist und der indeterministische völlig illusorisch sein ist (was er zweifelsohne auch ist, wesshalb ich ihn negiere wie auch einen entsprechenden freien Willen)

So weit, so gut. Nur, warum genau nun der Zufall oder die Willkür die Freiheit vergrößern, konnte ich nicht erklären.

Dumm und Schade nur, dass du dich auf diese Idee fixiert hast (weil er so offensichtlich unlösbar ist). Dass übrigens das nicht-Wissen (je grösser die Bandbreite möglicher Handlungen um so mehr) um künftige Entscheidungen sich dem Zufall annähert, ist dir wohl entgangen.
Dein Problem ist, dass du bei Argumenten welche die Begrenztheit des kompatibilistischen Freiheitsbegriffes thematisieren, offenbar willkürlich-instnktiv (welche Ironie!) Indeterminismus heraus hörst und ebenso willkürlich (aber immerhin folgerichtig) dein Zufalls-Argument herunterleierst.
Zuletzt geändert von Dr Fraggles am Do 6. Feb 2014, 03:58, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Do 6. Feb 2014, 03:41

stine hat geschrieben:Selbst wenn ich beschließe mich treiben zu lassen, ist das eine freie Entscheidung.
Aber genau das sehen andere wohl nicht so. Sie denken, ihre Figur wäre Schicksal. :wink:

Argumente oder anschauliche Beispiele bitte.

Es scheint den Umfragen zufolge ja so zu sein, dass Erfolgreiche ihren Erfolg gerne auf ihr Zutun zurückführen während Erfolglose gerne auf ihr Schicksal verweisen. Vermutlich ist der freie Wille eine Sache des Engagements.
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Das ist zweifellos ein recht valider Punkt. Aber wie kommst du dazu, den zweiten Satz aus dem ersteren zu folgern? Zudem scheint er schon rein formal zirkulär zu sein.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Do 6. Feb 2014, 03:43

@ganimed: Muss dich auf morgen vertrösten. Ich beantworte die Beiträge jeweils in ihrer Reihenfolge (um keine zu vergessen).
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Do 6. Feb 2014, 08:22

Dr Fraggles hat geschrieben:
Sehr spezielle Wortwahl(en). "Frei gegenüber", heisst in Klartext, dass K2 (meinst du nicht K1?) im Vergleich mit K1 (resp. K2) die stärkere Determinante ist in der gegebenen Situation.
Was du mit Abhängigkeit gegen Null sagen willst, ist mir nicht ganz klar: dass eine Determinante die stärker als alle anderen ist sich (fast) immer "durchsetzen" wird? Wenn du das meinst, ja, aber das ist trivial, oder?

Ich rede rein physikalisch. Und ich finde auch, dass "Determination" ein rein physikalischer Begriff ist.

Was bewirkt es in deinem Gehirn, wenn in China ein Sack Reis umfällt? Nix. Richtig! Dein Gehirn und der Sack sind autonome Prozesse. Auch Sack2, Sack3, ..., SackN, tangieren dich nicht. Die Säcke in China und dein Gehirn hängen von einigen Prozessen gemeinsam ab, z.B. von der Bewegung der Erde durch den Weltraum, aber sie sind gegenseitig unabhängig. Also: Es gibt Prozesse, die gegenseitig autonom ablaufen, die nicht wechselwirken. Man kann dazu auch als Analogie ein Trägheitssysstem betrachten: Wenn du in einem Zug, der mit 150kmh fährt, durch den Gang läufst, verhalten sich deine Beine genau so, als wenn du auf dem Bahnsteig läufst, - und dein Wille funktioniert in diesem Sinne natürlich auch autonom, also autonom gegenüber dem Zug.
Jetzt muss man noch klären, was "Wille" für ein Prozess ist, genauer gesagt, mit welchen Prozessen er nicht wechselwirkt - eben das macht seine Freiheit aus. Obwohl der Wille sich mit einigen anderen Prozessen das selbe Netzwerk im Gehirn teilt, muss man sozusagen nicht erst nach China fahren, um die Grenzen seiner Freiheit zu finden. Der Prozess des Willens hat nämlich schon innerhalb seines Gehirnes eine gewisse Autonomie. Rein physikalisch betrachtet stellt er eine kontinuierliche Struktur in innerhalb einer diskontinuierlichen Struktur dar, und er zwingt seine Ordnung der Umgebung auf.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » Do 6. Feb 2014, 08:47

Dr Fraggles hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Selbst wenn ich beschließe mich treiben zu lassen, ist das eine freie Entscheidung.
Aber genau das sehen andere wohl nicht so. Sie denken, ihre Figur wäre Schicksal. :wink:

Argumente oder anschauliche Beispiele bitte.


@ujmp hat das soeben sehr schön erklärt. Deswegen nochmal:

Zitat ujmp: "Es gibt Prozesse, die gegenseitig autonom ablaufen, die nicht wechselwirken (...) Jetzt muss man noch klären, was "Wille" für ein Prozess ist, genauer gesagt, mit welchen Prozessen er nicht wechselwirkt - eben das macht seine Freiheit aus. Obwohl der Wille sich mit einigen anderen Prozessen das selbe Netzwerk im Gehirn teilt, muss man sozusagen nicht erst nach China fahren, um die Grenzen seiner Freiheit zu finden. Der Prozess des Willens hat nämlich schon innerhalb seines Gehirnes eine gewisse Autonomie. Rein physikalisch betrachtet stellt er eine kontinuierliche Struktur in innerhalb einer diskontinuierlichen Struktur dar, und er zwingt seine Ordnung der Umgebung auf."

Heißt im Klartext: Auch du, Dr. Fraggles, kannst in deinem Leben einige Dinge selbstbestimmt regeln!

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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Do 6. Feb 2014, 10:01

Dr Fraggles hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Was verstehst Du unter der Werthaftigkeit des freien Willens? Kann ich mir momentan nichts drunter vorstellen.

Dass man (oder besser: die Vernunft) in gewisser Hinsicht (so wie Dinge nun mal liegen, also von mir aus nur eine bedingte Werthaftigkeit) eine echte Willensfreiheit von Nöten hätte um Geschehnisse welche unser Handeln (aber auch Wünsche) betreffen in Einklang zu bringen: wenn ich bestraft werde (oder gelobt...wobei man das noch eher in Kauf nimmt), dann weil ich tatsächlich anders hätte handeln können. Wenn ich den Sinnanspruch habe tatsächlich mein Leben lenken zu können, und nicht nur die Illusion, dann setzt das einen echten freien Willen voraus. Diese Aspekte werden vom Kompatibilisten schlicht als nicht existent behandelt und darin liegt seine Verlogenheit (auch wenn's hart klingt). Oder aber der Kompatibilist ist das geborene (oder gewordene) Als-ob Individuum. Oder er ist bekennender Nihilist.

Nein, da irrst Du Dich, auch wenn dieser Irrtum verständlich ist.
Dir kommt es so vor, als lebte man in der Illusion eine Wahl zu haben, die man tatsächlich aber nicht hat und das ist nicht richtig.
Damit kritisiert Du den Freiheitsbegriff der Kompatibilisten als unzureichend und müsstest ebenfalls eine erweiterte Definition anbieten.
Tatsächlich ist der Freiheitsbegriff der Kompatibilisten belastbar und umfassender als man zuerst meint.

Dr Fraggles hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Aber faktisch Wissen wir jeweils recht gut wie wir entscheiden (zumindest in welcher Bandbreite der Optionen). Je disparater die nicht antizipierten Entscheidungsmöglichkeiten wären, desto absurder auch ein freier Wille.
Weil?

Nun, wenn das Nicht-Wissen die Bandbreite mörderischen wie heiligmässigen Handeln umfasste, wäre es auch ziemlich witzlos, oder? Das wäre dann mehr oder weniger deckungsgleich mit zufälligm Handeln.
Finde ich eher nicht witzlos, sondern richtig. Die menschlichen Möglichkeiten umfassen genau dieses Spektrum, von mörderisch bis heiligmäßig.

Dr Fraggles hat geschrieben:Wenn du das "Ich" eliminierst (ein Bündel von Determinanten gemäss dem Kompatibilisten) und "Abwägen" als pures Kräftespiel der Determinanten beschreibst und "rational" als mit determiniert vereinbar erachtest, könnte man über diese These diskutieren.
Ich eliminiere das Ich nicht und habe auch nicht den Eindruck, dass der Kompatibilismus dies erzwingt.

Dr Fraggles hat geschrieben:
M.W. Argumentiert Wittgenstein gar nicht so, kannst Du mal zitieren, woraus Du das ableistest.

Hm, das habe ich vor etlicher Zeit so gelesen. Ob ich die Quelle noch finden kann? Werde schauen...ich denke es war allerdings aus Sekundärliteratur, womit es wohl in deinen Augen schon mal desavouriert sein dürfte (und wohl nicht ganz zu unrecht).
Nein, ich bin kein Primärquellenfetischist. Gerade Wittgenstein ist im Original oft kaum zu ertragen.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Do 6. Feb 2014, 10:41

Dr Fraggles hat geschrieben:Mein Vorwurf an den Kompatibilismus habe ich KLARSTENS formuliert: dass die Bedürfnisse des Menschen mit dem kompatibilistischen Freiheitsbegriff nicht gedeckt werden (und schlimmstenfalls so getan wird als sei dies nicht so).

Ich finde, dass ein technischer Freiheitsbegriff nicht unbedingt ein emotionales Wohlgefühl auslösen muss.
Aber darüber hinaus glaube ich nicht, dass der kompatibilistische Freiheitsbegriff unzureichend ist, sondern, wenn man – nach einem zugestandenen ersten Unbehagen – der Sache mal nachgeht, dieser Freiheitsbegriff vollkommen hinreichend ist.

Dr Fraggles hat geschrieben:Was fehlt??? Nimm die Tomaten von deinen Augen und LIES was ich geschrieben habe. Mir fehlt am kompatibilistischen Freiheitsbegriff etwas sehr Wesentliches was zum Menschseinanspruch gehört, ...
Okay, aber was?

Dr Fraggles hat geschrieben:
So weit, so gut. Nur, warum genau nun der Zufall oder die Willkür die Freiheit vergrößern, konnte ich nicht erklären.

Dumm und Schade nur, dass du dich auf diese Idee fixiert hast (weil er so offensichtlich unlösbar ist).
Ich habe mich nicht darauf fixiert, wenn Du mir zweigen kannst , wie oder durch was Zufalle oder Willkür die Freiheit vergößern, ich das verstehe und überzuegend finde, dann sattle ich auch wieder um.

Dr Fraggles hat geschrieben:Dass übrigens das nicht-Wissen (je grösser die Bandbreite möglicher Handlungen um so mehr) um künftige Entscheidungen sich dem Zufall annähert, ist dir wohl entgangen.
Ich finde, die Zahl der Optionen spielt kein größere Rollen, ob ich zwischen 2 oder 200.000 potentiellen Alternativen wählen kann, am Ende bleibt, dass Ich mich entscheide und dazu begründet stehen kann.

Dr Fraggles hat geschrieben:Dein Problem ist, dass du bei Argumenten welche die Begrenztheit des kompatibilistischen Freiheitsbegriffes thematisieren, offenbar willkürlich-instnktiv (welche Ironie!) Indeterminismus heraus hörst und ebenso willkürlich (aber immerhin folgerichtig) dein Zufalls-Argument herunterleierst.
Nein, mich interessiert einfach nur die Kritik. Wenn Du sagst, der Kompatibilismus würde Deiner Meinung nach dem menschlichen Bedürfnis nach Freiheit (darunter versteh ich: Das was ein Mensch meint, wenn er von Freiheit spricht) nicht gerecht, dann finde ich diese Kritik gravierend, gerade weil ich – wie Du vermutlich auch, glaube ich herauszulesen – den Menschen nicht für eine Rechenmaschine mit Ohren halte, die über ein paar basale Algorithmen zu erfassen ist.

Ich möchte diese Kritik nur verstehen und mir ist bisher klar, dass Du meinst, dass etwas durchaus Wesentliches fehlt, nicht verstanden haben ich, was dieses Wesentliche sein soll.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Fr 7. Feb 2014, 03:15

Vollbreit hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Wittgenstein meinte der epistemische Indeterminismus genüge um einen freien Willen behaupten zu können. Aber das ist Humbug. Keiner (einer findet sich immer) würde auf Grund der blossen nicht Vorhersehbarkeit eines (z.B. deterministisch chaotischen) Geschehens demselben einen freien Willen unterstellen.
M.W. Argumentiert Wittgenstein gar nicht so, kannst Du mal zitieren, woraus Du das ableistest.


- G. Keil "Willensfreiheit": (S.74) "Der epistemische Indeterminismus argumentiert weiter, dass die Nichtvorhersagbarkeit der jeweils eigenen Entscheidungen eine notwendige Bedingung der Willensfreiheit ist. Für Wittgenstein ist die Bedingung sogar hinreichend: Willensfreiheit besteht darin. Weitere Vertreter des epistemischen Indeterminismus neben MacKay und Wittgenstein sind Max Planck, Moore sowie in jüngerer Zeit Habermas und Bettina Walde."

- Wittgenstein "Tractatus logico-philosophicus": (Satz 5.1362) "Die Willensfreiheit besteht darin, dass zukünftige Handlungen jetzt nicht gewusst werden können."
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Fr 7. Feb 2014, 04:30

ganimed hat geschrieben:Ich hatte gestern Abend vor dem Einschlafen noch ein kleines Heureka. Was der qualitative Unterschied von K1/K2 und K3 für Moore wohl sein könnte. Deine wieder einmal sehr hilfreichen und vor allem präzisen Ausführungen vertiefen das jetzt noch. Donnerwetter nochmal, ich glaube wirklich, in meinem verhärteten Schädel hat sich die letzten beiden Tage für mein Verständnis des Kompatibilismus mehr getan als vorher in Wochen und Monaten der sonstigen Diskussion hier. Vielen Dank Dr. Fraggles für diese mirakulösen Eye-Opener.

Es geschehen Zeichen und Wunder...hoffe, dass dein Heureka kein illusorischer war. :gott:

Na ja, alle meine Fragen an das Universum sind also noch nicht gelöst :) Ich verstehe nicht, woraus die verdammt grosse Rolle besteht, die es für dich spielt, ob K1 oder K3 die Handlung determinieren.
Ich bleibe mal im Beispiel und füge ein paar Details hinzu: Auf dem Tisch vor mir ist ein Glas Orangensaft und ein Glas Tomatensaft. Es geht um die Entscheidung, was von beiden ich trinke.
Fall 1: Der kausale Faktor K1 determiniert mein Verhalten. K1 sei einfach mal, dass meine Geschmackserwartungsneuronen, welche mehr für "fruchtig" sind, mehr feuern und sich auf neuronaler Ebene ein Muster ergibt, dass "auf jeden Fall O-Saft" signalisiert. Diese unbewusste "Abstimmung" gelangt in mein Bewusstsein als ein nicht näher beleuchtetes : hm, O-Saft, lecker. Ich entscheide, den O-Saft zu trinken.
Fall 2: Der kausale Faktor K3 determiniert mein Verhalten. K3 sei einfach mal, dass ich bei näherem Betrachten der Gläser sehe, dass das Tomatensaft-Glas oben vollständig versiegelt ist (dämliche Idee, aber ich hoffe, es passt inhaltlich trotzdem). Es ist also eine Art Trick-Glas, welches meinetwegen Zauberer gerne benutzen. K3 ist also das Erkennen, dass ich diesen Tomatensaft nicht trinken kann (nicht ohne beträchtlichen Aufwand beim Entfernen des fest verschweißten Deckels). Ich entscheide, den O-Saft zu trinken.
Was ist denn nun der große Unterschied zwischen diesen beiden Fällen?
Subjektive Betrachtung: Ich glaube, in Fall 2 wird die Illusion, dass ich mich frei entscheiden kann, zerstört. Mir wird bewusst, dass ich hier nicht frei entscheiden kann. Ich erlebe einen Zwang. Ich spreche infolge dessen vielleicht auch von "mir blieb ja nichts anderes übrig, ich musste den O-Saft trinken".
Objektive Betrachtung: Im ersten Fall kommt es durch unbewusste, neuronale Vorgänge zu einer Entscheidung. Im zweiten Fall auch. In beiden Fällen war die erfolgte Entscheidung unausweichlich und alternativlos. Ich kann mich nicht für Tomatensaft entscheiden, wenn das dafür notwendige neuronale Muster nicht erzeugt wird (ich fasele da etwas nebulös Begriffe von Wolf Singer nach, eigentlich habe ich keine Ahnung, wie das genau abläuft, aber die Folgerung daraus sollte stimmen). Das ist vollständig unmöglich. Und mehr als vollständig unmöglich ist es auch im zweiten Fall nicht, wenn ich hauptsächlich bewusst mir kurz vorstelle, wie schwierig es wäre, den Deckel zu entfernen und ich relativ schnell die einzig verbleibende Alternative wähle.
Objektiv betrachtet erscheint mir also der Unterschied zwischen den beiden Fällen sehr gering. Das Ergebnis ist das gleiche, beide Entscheidungen dürften recht schnell erfolgen, recht klar sein und beide sind sehr unabänderlich. Subjektiv erlebe ich beide Entscheidungsvorgänge sehr unterschiedlich. Der Gedanke in Fall 1 "ich war frei in der Entscheidung, weil ich hätte ja auch Tomatensaft trinken können, wenn ich nur gewollt hätte" ist eine falsche Illusion. Es fällt mir leicht, mir die alternative Entscheidung vorzustellen, ja vielleicht habe ich vorgestern sogar wirklich einmal Tomatensaft getrunken. In Wirklichkeit war die Entscheidung für Tomatensaft 100% unmöglich. Diese Wirklichkeit, die auch in Fall 2 gilt, sieht man dort viel eher ein und so kommt gar nicht erst die Illusion von Fall 1 auf.
Was meinst du nun mit dem großen Unterschied zwischen K1 und K3? Geht das in die Richtung: großer Unterschied im subjektiven Erleben? Oder willst du darauf hinaus, dass da objektiv auch ein Unterschied besteht?

Zunächst: der Faktor K3 ist in obigem Beispiel in seinen Folgen, wie auch immer die sein mögen, also inwiefern auch immer dadurch meine Entscheidung beeinflusst wird oder auch nicht, unerheblich. Ob ich den Orangensaft oder den Tomatensaft trinke, dürfte keine nennenswerten Konsequenten irgend welcher Art haben (auch wenn solche nicht undenkbar sind, siehe unten). Ob ein Faktor K3 gravierende Konsequenzen hat (im Falle, dass er eine andere Entscheidung erzwingt als diese bei Fehlen von K3 wäre), ist natürlich mit entscheidend für seine Relevanz.
Falls, wie in deinem Beispiel, die Entscheidung durch K3 nicht modifiziert wird, dann ist zumindest was das "Resultat" des neuronalen Geschehens betrifft (also jenes neuronale Geschehen welches letztlich die entsprechende Handlung bedingt), kein relevanter Unterschied auszumachen.
Auf der subjektiven Ebene können natürlich sehr viele Ereignisse stattfinden welche ansonsten nicht stattgefunden hätten und dadurch eine ganze Ereigniskette in Gang setzen (bei gewisser (Über-)Strapazierung der Fantasie):
- Ohne Faktor K3 würde ich mehr oder weniger spontan den Orangensaft trinken. Nun bei Anwesenheit von Faktor K3: Ich werde auf den Verschluss aufmerksam und da ich ein begeisteter Houdini-Fan bin, kann ich nicht umhin, mich an der Öffnung des Deckels zu erproben. Leider verspritze ich beim Abreissen des Deckels den ganzen Saft über mein frischgestärktes weisses Hemd (welches ich angezogen habe um mich für ein Vorstellungsgespräch Event-gerecht zu präsentieren). Den Orangensaft trinke ich gemäss meiner momentanen Präferenz aus. Um die Geschichte abzukürzen: ich erscheine verspätet zum Gespräch und nur darum (was ich nicht notwendigerweise zu wissen brauche) erhalte ich den Job nicht.
- Auch könnte der Faktor K3 meine Entscheidung indirekt beeinflussen und mit dramatischsten Konsequenzen (wie oben vermittels der Auslösung einer "parallelen" Ereigniskette welche dann mit der Ereigniskette Orangensaft trinken interagiert): Wie oben sehe ich vor mir die beiden Getränke. Der Verschluss reizt meine Houdini-Ambitionen. Ich kriege den Deckel mit wenig Mühe vom Glas. Da ich nun das Getränk für andere unbrauchbar gemacht habe, entschliesse ich mich auf Grund meiner Einstellung keine Nahrungsmittel zu verschwenden, den Tomatensaft zu trinken (leider habe ich seit dem letzten Genuss von Tomatensaft eine tödliche Allergie dagegen entwickelt). Drei Tage später werde ich beerdigt.

Diese etwas künstlichen Beispiele sollen nur illustrieren, dass als irrelevant erachtete Faktoren selbst wenn sie nichts an der Wahl bezüglich der ursprünglichen Entscheidungsfrage ändern, anderweitig dennoch Folgen haben können (ausgehend von subjektiven Ereignissen, die nicht nur unser Gefühl von (Un-)Freiheit betreffen.

Dr Fraggles hat geschrieben:Selbst im Strafrecht wird solches berücksichtigt: ob ich in trunkenem Zustand oder nüchtern etwas tue, spielt in der Gewichtung einer Tat eine Rolle. Ebenso ob ich durch eine Kleptomanie zum Diebstahl verleitet wurde oder nicht.

Wenn ich mich nüchtern für etwas entscheide, dann aufgrund von neuronalen Vorgängen, die nicht beeinflussbar sind. Wenn ich trunken bin, sind einige der Neuronen vorübergehend außer Betrieb und es mögen ganz andere Entscheidung getroffen werden, aber es finden nach wie vor neuronale Vorgänge statt, die nicht beeinflussbar sind. Auch hier scheint mir der subjektiv erlebte Unterschied nur eine Illusion. Einmal war ich nüchtern, ich selber und hellwach, mein Gedächtnis hat einige Details des Vorgangs gespeichert. In trunkenem Zustand war ich wie benebelt, erinnere mich auch an nichts mehr, meine Entscheidungen kommen mir fremd und dumm vor. Und doch, in beiden Fällen hat das Gehirn (so gut es eben ging) neuronal was veranstaltet und eine determinierte Entscheidung getroffen, in beiden Fällen war es mein Gehirn, in beiden Fällen war also ich der Entscheider. Wieso sollte man vor Gericht einen Unterschied gelten lassen?

Mir geht es bei der Relevanz von Faktoren des Typus K3 nicht lediglich um mögliche Unterschiede in der Freiheit (wenn wir determiniert handeln, dann natürlich immer. Ob wir uns dabei frei fühlen oder nicht, ist diesbezüglich irrelevant, nicht notwendig was Folgerungen betrifft, siehe oben: Houdini-Effekt).
Die Fragestellung ist ja folgende gewesen (da ich Faktoren des Typus K3 unter Determinanten des Typus "Zwang" subsummiere bzw. damit gleichsetze): ist die Unterscheidung welcher der Kompatibilismus zwischen freien und zwingenden Determinanten macht relevant? In den Beispielen das Strafrecht betreffend, ist der Unterschied augenfällig und auch berechtigt. Ob ich unter Zwang handle oder nicht, wird bei vorliegen identischer Sachverhalte (gleiche Handlungen), massgebend. D.h. identisches Verhalten hat unterschiedliche Konsequenzen.

Es gibt ja zum Beispiel auch einen Unterschied in meinem Erleben, wenn ich einmal sehr fröhlich und optimistisch bin und etwas entscheide und ein andernmal eher traurig, widerwillig und zögerlich entscheide. Den Richter möchte ich mal sehen, der diese Unterschiede strafrechtlich relevant findet.

Hier thematisierst du aber lediglich die richtige Abgrenzung freier und zwingender Determinanten, stellst sie nicht grundsätzlich in Frage. Diesbezüglich herrscht ja auch im Kompatibilismus (so weit ich weiss) keine Einigkeit. Oben sprichst du Traurigkeit an: wenn angenommen werden kann, dass einer Straftat eine existentielle Verzweiflung zu Grunde lag, könnte das durchaus eine Rolle spielen bei der verhängten Strafe. Andere Faktoren des Typs K3 wären leicht zu nennen (formal z.B. die Unterscheidung zurechnungsfähig/unzurechnungsfähig).

PS: Bei deiner Frage nach der Relevanz von Faktor K3, hattest du evtl. auch an Überlegungen von H. Frankfurt gedacht, was dann gesondert zu thematisieren wäre.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Fr 7. Feb 2014, 04:49

ujmp hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:
Sehr spezielle Wortwahl(en). "Frei gegenüber", heisst in Klartext, dass K2 (meinst du nicht K1?) im Vergleich mit K1 (resp. K2) die stärkere Determinante ist in der gegebenen Situation.
Was du mit Abhängigkeit gegen Null sagen willst, ist mir nicht ganz klar: dass eine Determinante die stärker als alle anderen ist sich (fast) immer "durchsetzen" wird? Wenn du das meinst, ja, aber das ist trivial, oder?

Ich rede rein physikalisch. Und ich finde auch, dass "Determination" ein rein physikalischer Begriff ist.

Was bewirkt es in deinem Gehirn, wenn in China ein Sack Reis umfällt? Nix. Richtig! Dein Gehirn und der Sack sind autonome Prozesse. Auch Sack2, Sack3, ..., SackN, tangieren dich nicht. Die Säcke in China und dein Gehirn hängen von einigen Prozessen gemeinsam ab, z.B. von der Bewegung der Erde durch den Weltraum, aber sie sind gegenseitig unabhängig. Also: Es gibt Prozesse, die gegenseitig autonom ablaufen, die nicht wechselwirken. Man kann dazu auch als Analogie ein Trägheitssysstem betrachten: Wenn du in einem Zug, der mit 150kmh fährt, durch den Gang läufst, verhalten sich deine Beine genau so, als wenn du auf dem Bahnsteig läufst, - und dein Wille funktioniert in diesem Sinne natürlich auch autonom, also autonom gegenüber dem Zug.
Jetzt muss man noch klären, was "Wille" für ein Prozess ist, genauer gesagt, mit welchen Prozessen er nicht wechselwirkt - eben das macht seine Freiheit aus. Obwohl der Wille sich mit einigen anderen Prozessen das selbe Netzwerk im Gehirn teilt, muss man sozusagen nicht erst nach China fahren, um die Grenzen seiner Freiheit zu finden. Der Prozess des Willens hat nämlich schon innerhalb seines Gehirnes eine gewisse Autonomie. Rein physikalisch betrachtet stellt er eine kontinuierliche Struktur in innerhalb einer diskontinuierlichen Struktur dar, und er zwingt seine Ordnung der Umgebung auf.


Warum sollte Determination ein rein physikalischer Begriff sein. Das leuchtet nur ein wenn man einen Materialismus voraussetzt. Was aber wenn der Epiphänomenalismus falsch sein sollte? Dann wäre doch zu fragen ob das Mentale determiniert ist oder nicht (da vielfach angenommen wird, dass z.B. ein Dualismus schon genüge um einen freien Willen zu verbürgen).
Ich habe zudem Mühe mit dieser permanenten Reduktion der Beschreibungsebene auf das Physikalische (schon mal darum weil es zu voraussetzungsreich ist). Wenn man allerdings dein erstes Beispiel nimmt wo du sagst, dass wenn die Entscheidung von K2 abhängt, dann darum weil es frei gegenüber K2 etc. ist und wenn dies weiter bis Kn der Fall ist und n gegen unendlich geht, dass dann die Abhängigkeit von K2 relativ gegen Null gehe, so stimmt das psychologisch eben nicht. Es ist durchaus denkbar, dass K2 je gegenüber K3 etc. frei ist, aber nicht frei gegenüber dem Gesamt von K3 etc.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Fr 7. Feb 2014, 04:59

stine hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Selbst wenn ich beschließe mich treiben zu lassen, ist das eine freie Entscheidung.
Aber genau das sehen andere wohl nicht so. Sie denken, ihre Figur wäre Schicksal. :wink:

Argumente oder anschauliche Beispiele bitte.


@ujmp hat das soeben sehr schön erklärt. Deswegen nochmal:

Zitat ujmp: "Es gibt Prozesse, die gegenseitig autonom ablaufen, die nicht wechselwirken (...) Jetzt muss man noch klären, was "Wille" für ein Prozess ist, genauer gesagt, mit welchen Prozessen er nicht wechselwirkt - eben das macht seine Freiheit aus. Obwohl der Wille sich mit einigen anderen Prozessen das selbe Netzwerk im Gehirn teilt, muss man sozusagen nicht erst nach China fahren, um die Grenzen seiner Freiheit zu finden. Der Prozess des Willens hat nämlich schon innerhalb seines Gehirnes eine gewisse Autonomie. Rein physikalisch betrachtet stellt er eine kontinuierliche Struktur in innerhalb einer diskontinuierlichen Struktur dar, und er zwingt seine Ordnung der Umgebung auf."

Heißt im Klartext: Auch du, Dr. Fraggles, kannst in deinem Leben einige Dinge selbstbestimmt regeln!

LG stine


Nein, da verstehst du ujump falsch. Er sagt mit Sicherheit nicht, dass man indeterministisch frei entscheiden könne (was aber offensichtlich dein Standpunkt ist), sondern, dass Prozesse gegenseitig autonom ablaufen, was nicht mehr besagt, als dass gewisse Determinanten nicht notwendigerweise mit anderen wechselwirken müssen.
Was ujump mit "Wille" sagen will, ist mir allerdings schleierhaft. Entweder man redet physikalisch oder mental aber das Benutzen von mentalen Ausdrücken im Kontext des physikalischen Geschehens ist ein Unding. So täuscht man zunächst mal nur sich selbst (und natürlich des weiteren andere die naiv genug sind um darauf reinzufallen).
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Fr 7. Feb 2014, 05:27

Vollbreit hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Dass man (oder besser: die Vernunft) in gewisser Hinsicht (so wie Dinge nun mal liegen, also von mir aus nur eine bedingte Werthaftigkeit) eine echte Willensfreiheit von Nöten hätte um Geschehnisse welche unser Handeln (aber auch Wünsche) betreffen in Einklang zu bringen: wenn ich bestraft werde (oder gelobt...wobei man das noch eher in Kauf nimmt), dann weil ich tatsächlich anders hätte handeln können. Wenn ich den Sinnanspruch habe tatsächlich mein Leben lenken zu können, und nicht nur die Illusion, dann setzt das einen echten freien Willen voraus. Diese Aspekte werden vom Kompatibilisten schlicht als nicht existent behandelt und darin liegt seine Verlogenheit (auch wenn's hart klingt). Oder aber der Kompatibilist ist das geborene (oder gewordene) Als-ob Individuum. Oder er ist bekennender Nihilist.

Nein, da irrst Du Dich, auch wenn dieser Irrtum verständlich ist.
Dir kommt es so vor, als lebte man in der Illusion eine Wahl zu haben, die man tatsächlich aber nicht hat und das ist nicht richtig.
Damit kritisiert Du den Freiheitsbegriff der Kompatibilisten als unzureichend und müsstest ebenfalls eine erweiterte Definition anbieten.
Tatsächlich ist der Freiheitsbegriff der Kompatibilisten belastbar und umfassender als man zuerst meint.

Nein. Der kompatibilistische Freiheitsbegriff genügt gewissen meiner Ansprüche nicht (was du tatsächlich und offensichtlich nicht verstehst...wie kommst du dazu das zu bestreiten?! Ansonsten bist du dazu aufgefordert endlich das was du behauptest mal durch konkreteste Beispiele zu demonstrieren und nicht nur dauernd zu behaupten (und Beispiele wo der kompatibilistische Freiheitsbegriff zumindest mir nicht genügt, habe ich genannt). Ich warte. Und solltest du dem nicht nachkommen, dann weiss ich warum. Ich beharre darum auf diesen Punkt dermassen unnachgiebig weil er wirklich der entscheidende Kritikpunkt am Kompatibilismus ist. Und was soll "Wahl" im Rahmen des Kompatibilismus bedeuten (wiederum wird rein verbal suggeriert was nicht gemeint ist...sehr mühsam. Eine Parallele und wohl Ergänzung zu der Verwendung mentaler Ausdrücke in rein neuronal-physikalischen Kontexten)?!


Dr Fraggles hat geschrieben:Nun, wenn das Nicht-Wissen die Bandbreite mörderischen wie heiligmässigen Handeln umfasste, wäre es auch ziemlich witzlos, oder? Das wäre dann mehr oder weniger deckungsgleich mit zufälligm Handeln.
Finde ich eher nicht witzlos, sondern richtig. Die menschlichen Möglichkeiten umfassen genau dieses Spektrum, von mörderisch bis heiligmäßig.

Jetzt offenbarst du aber gewaltige argumentative Schwächen. Dass die Bandbreite des menschlichen (als Gattung) Verhaltens von mörderisch bis heilig reicht, ist schwerlich bestreitbar (nun, möglicherweise letzteres). Ich bezog mich auf das mögliche Handlungsspektrum eines einzelnen Menschen. Wenn man absolute Extremsituationen ausklammert (jeder kann zum Mörder werden), dann spielen sich Handlungsalternativen in absehbarem Rahmen ab. Wann wurdest du z.B. zuletzt von einer deiner Entscheidungen völlig auf dem falschen Fuss erwischt (falls überhaupt, vielleicht auch weil du mit unterdurchschnittlicher Fähigkeit zur Selbstbeobachtung ausgestattet bist) ?

Dr Fraggles hat geschrieben:Wenn du das "Ich" eliminierst (ein Bündel von Determinanten gemäss dem Kompatibilisten) und "Abwägen" als pures Kräftespiel der Determinanten beschreibst und "rational" als mit determiniert vereinbar erachtest, könnte man über diese These diskutieren.
Ich eliminiere das Ich nicht und habe auch nicht den Eindruck, dass der Kompatibilismus dies erzwingt.

Jede deterministische Freiheitstheorie lässt das Ich reichlich überflüssig erscheinen.

Dr Fraggles hat geschrieben:Hm, das habe ich vor etlicher Zeit so gelesen. Ob ich die Quelle noch finden kann? Werde schauen...ich denke es war allerdings aus Sekundärliteratur, womit es wohl in deinen Augen schon mal desavouriert sein dürfte (und wohl nicht ganz zu unrecht).
Nein, ich bin kein Primärquellenfetischist. Gerade Wittgenstein ist im Original oft kaum zu ertragen.

Hab es rausgesucht, siehe Antwort weiter oben.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Fr 7. Feb 2014, 06:11

Vollbreit hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Mein Vorwurf an den Kompatibilismus habe ich KLARSTENS formuliert: dass die Bedürfnisse des Menschen mit dem kompatibilistischen Freiheitsbegriff nicht gedeckt werden (und schlimmstenfalls so getan wird als sei dies nicht so).

Ich finde, dass ein technischer Freiheitsbegriff nicht unbedingt ein emotionales Wohlgefühl auslösen muss.
Aber darüber hinaus glaube ich nicht, dass der kompatibilistische Freiheitsbegriff unzureichend ist, sondern, wenn man – nach einem zugestandenen ersten Unbehagen – der Sache mal nachgeht, dieser Freiheitsbegriff vollkommen hinreichend ist.

Du stellst jeden der Einspruch gegen den k. Freiheitsbegriff erhebt, als Anfänger dar, der verständlicherweise sich noch daran gewöhnen muss. Wie oben bereits gesagt: ich würde langsam endlich Nägel (sprich: ad oculos Demonstration deiner Behauptung) mit Köpfen erwarten.
Bezüglich "technischem Freiheitsbegriff": dieser Einwand ist rein logisch gesehen falsch. Um etwas unzulänglich zu finden, muss man keineswegs eingestehen, dass deren Ursache behebbar sein muss (also in diesem Fall: einen sinnvollen indeterministischen Freiheitsbegriff=technischer Freiheitsbegriff in deiner Diktion). So kann ich das Leid auf der Welt widerwärtig finden, auch wenn ich weiss, dass es nicht zu eliminieren ist. Ebenso kann ich beklagen, dass kein sinnvoller Freiheitsbegriff denkbar ist, der mich tatsächlich frei entscheiden lässt (unter denselben Umständen etc.)...nicht um der Freiheit selber willen, sondern wegen der unzumutbaren Zuordnung von fehlendem Verdienst und Glück/Leid z.B. Mir bereitet nicht ein sinnloser Freiheitsgefühl an sich Wohlbefinden (aber, selbst wenn, wie kommst du dazu, bestimmen zu wollen, welche Vorstellungen Wohlgefühle auszulösen haben). Mir bereitet aber Unwohlgefühl, dass die einen, ohne dass ihr Ich es anders hätte lenken können, zum Leiden verurteilt sind und andere, ohne dass ihr Ich es hätte anders hätte lenken können, sich auf der Sonnenseite des Lebens befinden. Wer sich daran nicht stört, hat mein Verständnis mit Sicherheit nicht.

Dr Fraggles hat geschrieben:Was fehlt??? Nimm die Tomaten von deinen Augen und LIES was ich geschrieben habe. Mir fehlt am kompatibilistischen Freiheitsbegriff etwas sehr Wesentliches was zum Menschseinanspruch gehört, ...
Okay, aber was?

Siehe obige Antwort (um nur eines, aber ein wichtiges zu nennen).

Dr Fraggles hat geschrieben:Dumm und Schade nur, dass du dich auf diese Idee fixiert hast (weil er so offensichtlich unlösbar ist).
Ich habe mich nicht darauf fixiert, wenn Du mir zweigen kannst , wie oder durch was Zufalle oder Willkür die Freiheit vergößern, ich das verstehe und überzuegend finde, dann sattle ich auch wieder um.

Schenke Erbarmen!!! :gott: Im Ernst: willst du mich nicht begreifen oder kannst du nicht? Deine Fixierung besteht darin, dass du Angriffe auf den Kompatibilismus permanent mit der Alternative Inkompatibilismus assoziierst. Aber wenn du LESEN WÜRDEST was ich schreibe, dann müsstest du längst realisiert haben, dass der Einwand nichts damit zu tun hat (ich selber bin Determinist, den der komp. Freiheitsbegriff bezogen auf meine Vorstellung wie Dinge, Konstellationen sein sollten, nicht umfassend befriedigen kann, und DAS ist der Einwand!).

Dr Fraggles hat geschrieben:Dass übrigens das nicht-Wissen (je grösser die Bandbreite möglicher Handlungen um so mehr) um künftige Entscheidungen sich dem Zufall annähert, ist dir wohl entgangen.
Ich finde, die Zahl der Optionen spielt kein größere Rollen, ob ich zwischen 2 oder 200.000 potentiellen Alternativen wählen kann, am Ende bleibt, dass Ich mich entscheide und dazu begründet stehen kann.

"Ich finde": schon falsch. Hier geht es um Wahrscheinlichkeit und nichts anderes (und inwiefern und ob kleinste Wahrscheinlichkeiten etwas mit Zufall gemeinsam haben) . Aber demonstrieren tust du eines schon: dass deine Argumente nicht nur rational sind, sondern der kompatibilistische Freiheitsbegriff dir einfach ganz gut in den Kram passt (sprich deinen Werten, deinen Bedürfnissen genügt). Nur: damit ist der kompatibilistische Freiheitsbegriff nicht schon hinlänglich (also bezüglich umfassenderen Bedürfnissen) begründet, das dürfte wohl evident sein. Im Gegenteil: umfassend gerechtfertigt wäre er nur wenn er JEDES Bedürfnis abdecken würde. Und da nicht alle meine Ansprüche an die Rationalität der Verhältnisse durch diesen Freiheitsbegriff gedeckt sind, ist er faktisch nicht als umfassend genügender Freiheitsbegriff gerechtfertigt (hier gibt es nicht nur formal eine Parallele zur Theodizee).

Dr Fraggles hat geschrieben:Dein Problem ist, dass du bei Argumenten welche die Begrenztheit des kompatibilistischen Freiheitsbegriffes thematisieren, offenbar willkürlich-instnktiv (welche Ironie!) Indeterminismus heraus hörst und ebenso willkürlich (aber immerhin folgerichtig) dein Zufalls-Argument herunterleierst.
Nein, mich interessiert einfach nur die Kritik. Wenn Du sagst, der Kompatibilismus würde Deiner Meinung nach dem menschlichen Bedürfnis nach Freiheit (darunter versteh ich: Das was ein Mensch meint, wenn er von Freiheit spricht) nicht gerecht, dann finde ich diese Kritik gravierend, gerade weil ich – wie Du vermutlich auch, glaube ich herauszulesen – den Menschen nicht für eine Rechenmaschine mit Ohren halte, die über ein paar basale Algorithmen zu erfassen ist.

Hm, da spüre ich doch wieder etwas an Sympathie in mir hochsteigen. Es ist nicht das Bedürfnis nach einer indeterministischen Freiheit an sich, welche ich vermisse. Es geht darum, wie oben schon angedeutet, dass z.B. Glück und Leid auf dieser Welt dermassen unterschiedlich verteilt sind, und dass diese Tatsache für mich im Grunde unerträglich wäre (wenn ich nicht wie jeder permanent zur Seite schieben, verdrängen würde oder schlicht resigniert hätte) angesichts dessen, dass niemand etwas dafür kann, es keine wirkliche Wahl gibt. Der Böse lebt im Glück und der Gute im Leid um es sehr plakativ-ideologisch zu formulieren (aber irgendwie muss ich es dir verständlich machen können...).

Ich möchte diese Kritik nur verstehen und mir ist bisher klar, dass Du meinst, dass etwas durchaus Wesentliches fehlt, nicht verstanden haben ich, was dieses Wesentliche sein soll.

Falls du es immer noch nicht verstanden hast, werde ich mich um weitere Beispiele bemühen. Und nichts für ungut!
Zuletzt geändert von Dr Fraggles am Fr 7. Feb 2014, 06:18, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Fr 7. Feb 2014, 06:14

ps: Wer weitere Antworten will, muss sich allenfalls gedulden...spätestens aber Samstag Nacht.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 7. Feb 2014, 07:55

Dr Fraggles hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
M.W. Argumentiert Wittgenstein gar nicht so, kannst Du mal zitieren, woraus Du das ableistest.


- G. Keil "Willensfreiheit": (S.74) "Der epistemische Indeterminismus argumentiert weiter, dass die Nichtvorhersagbarkeit der jeweils eigenen Entscheidungen eine notwendige Bedingung der Willensfreiheit ist. Für Wittgenstein ist die Bedingung sogar hinreichend: Willensfreiheit besteht darin. Weitere Vertreter des epistemischen Indeterminismus neben MacKay und Wittgenstein sind Max Planck, Moore sowie in jüngerer Zeit Habermas und Bettina Walde."

- Wittgenstein "Tractatus logico-philosophicus": (Satz 5.1362) "Die Willensfreiheit besteht darin, dass zukünftige Handlungen jetzt nicht gewusst werden können."


Danke, für die Mühe des Belegens!

Das Buch von Keil, da sieht man mal, was man verdrängt, war mein letztes Buch als Inkompatibilist.
Ich dachte, Keil würde irgendwie die Lücke stopfen können, die mir nicht zu stopfen gelang.
In dieser Hinsicht ist das an sich lesenswerte Buch eine Enttäuschung gewesen.

Wittgenstein, ja, was er da schreibt, stimmt ja. Man kann den Kompatibilsimus auch kurz machen:

Die Welt könnte determiniert sein.
Wie und wodurch, wissen wir nicht, was kommen wird, auch nicht.
Wir tun unsere Bestes und begründen, warum wir es für das Beste halten. (Das ist die andere Seite des Nichtwissens.)

Wittgenstein, der geniale Impulse setzte, lässt m.E. zu viel im Nichtwissen verschwinden, insofern ist er mir zu pessimistisch.
Darunter das Subjekt und und den ganzen Freud.

Aber Deine Ausgangsbehauptung, vom epistemischen Indeterminismus könne man auf einen ontoligsichen schließen, taucht doch da gar nicht auf?
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