Dr Fraggles hat geschrieben:Der Freiheitsbegriff des Kompatibilisten besagt nur soviel: es gibt Formen des Determiniertseins welche als Zwang bezeichnet werden und es gibt Formen des Determiniertseins welche als frei bezeichnet werden. D.h. die Scheidelinie verläuft nicht wie beim Indeterminismus zwischen determiniert und nicht-determiniert, sondern zwischen Zwang und nicht-Zwang. Das was nicht unter Zwang geschieht wird als durch den freien Willen verursacht bezeichnet.
Ich hatte gestern Abend vor dem Einschlafen noch ein kleines Heureka. Was der qualitative Unterschied von K1/K2 und K3 für Moore wohl sein könnte. Deine wieder einmal sehr hilfreichen und vor allem präzisen Ausführungen vertiefen das jetzt noch. Donnerwetter nochmal, ich glaube wirklich, in meinem verhärteten Schädel hat sich die letzten beiden Tage für mein Verständnis des Kompatibilismus mehr getan als vorher in Wochen und Monaten der sonstigen Diskussion hier. Vielen Dank Dr. Fraggles für diese mirakulösen Eye-Opener.
Heute Abend habe ich keine Lust mehr. Aber ich muss jetzt diesen Artikel mit den kompatibilistischen Positionen noch einmal durcharbeiten, wie das alles klingt, nachdem ich nun etwas mehr verstanden zu haben glaube.
Dr Fraggles hat geschrieben:Es spielt aber eine verdammt grosse Rolle ob ich durch K1 oder K3 eine Handlung ausführe (wobei K3 für mich nur Sinn macht wie ich's oben expliziert habe, also als etwas was mir eine Handlung von innen oder aussen aufzwingt).
Na ja, alle meine Fragen an das Universum sind also noch nicht gelöst :) Ich verstehe nicht, woraus die verdammt grosse Rolle besteht, die es für dich spielt, ob K1 oder K3 die Handlung determinieren.
Ich bleibe mal im Beispiel und füge ein paar Details hinzu: Auf dem Tisch vor mir ist ein Glas Orangensaft und ein Glas Tomatensaft. Es geht um die Entscheidung, was von beiden ich trinke.
Fall 1: Der kausale Faktor K1 determiniert mein Verhalten. K1 sei einfach mal, dass meine Geschmackserwartungsneuronen, welche mehr für "fruchtig" sind, mehr feuern und sich auf neuronaler Ebene ein Muster ergibt, dass "auf jeden Fall O-Saft" signalisiert. Diese unbewusste "Abstimmung" gelangt in mein Bewusstsein als ein nicht näher beleuchtetes : hm, O-Saft, lecker. Ich entscheide, den O-Saft zu trinken.
Fall 2: Der kausale Faktor K3 determiniert mein Verhalten. K3 sei einfach mal, dass ich bei näherem Betrachten der Gläser sehe, dass das Tomatensaft-Glas oben vollständig versiegelt ist (dämliche Idee, aber ich hoffe, es passt inhaltlich trotzdem). Es ist also eine Art Trick-Glas, welches meinetwegen Zauberer gerne benutzen. K3 ist also das Erkennen, dass ich diesen Tomatensaft nicht trinken kann (nicht ohne beträchtlichen Aufwand beim Entfernen des fest verschweißten Deckels). Ich entscheide, den O-Saft zu trinken.
Was ist denn nun der große Unterschied zwischen diesen beiden Fällen?
Subjektive Betrachtung: Ich glaube, in Fall 2 wird die Illusion, dass ich mich frei entscheiden kann, zerstört. Mir wird bewusst, dass ich hier nicht frei entscheiden kann. Ich erlebe einen Zwang. Ich spreche infolge dessen vielleicht auch von "mir blieb ja nichts anderes übrig, ich musste den O-Saft trinken".
Objektive Betrachtung: Im ersten Fall kommt es durch unbewusste, neuronale Vorgänge zu einer Entscheidung. Im zweiten Fall auch. In beiden Fällen war die erfolgte Entscheidung unausweichlich und alternativlos. Ich kann mich nicht für Tomatensaft entscheiden, wenn das dafür notwendige neuronale Muster nicht erzeugt wird (ich fasele da etwas nebulös Begriffe von Wolf Singer nach, eigentlich habe ich keine Ahnung, wie das genau abläuft, aber die Folgerung daraus sollte stimmen). Das ist vollständig unmöglich. Und mehr als vollständig unmöglich ist es auch im zweiten Fall nicht, wenn ich hauptsächlich bewusst mir kurz vorstelle, wie schwierig es wäre, den Deckel zu entfernen und ich relativ schnell die einzig verbleibende Alternative wähle.
Objektiv betrachtet erscheint mir also der Unterschied zwischen den beiden Fällen sehr gering. Das Ergebnis ist das gleiche, beide Entscheidungen dürften recht schnell erfolgen, recht klar sein und beide sind sehr unabänderlich. Subjektiv erlebe ich beide Entscheidungsvorgänge sehr unterschiedlich. Der Gedanke in Fall 1 "ich war frei in der Entscheidung, weil ich hätte ja auch Tomatensaft trinken können, wenn ich nur gewollt hätte" ist eine falsche Illusion. Es fällt mir leicht, mir die alternative Entscheidung vorzustellen, ja vielleicht habe ich vorgestern sogar wirklich einmal Tomatensaft getrunken. In Wirklichkeit war die Entscheidung für Tomatensaft 100% unmöglich. Diese Wirklichkeit, die auch in Fall 2 gilt, sieht man dort viel eher ein und so kommt gar nicht erst die Illusion von Fall 1 auf.
Was meinst du nun mit dem großen Unterschied zwischen K1 und K3? Geht das in die Richtung: großer Unterschied im subjektiven Erleben? Oder willst du darauf hinaus, dass da objektiv auch ein Unterschied besteht?
Dr Fraggles hat geschrieben:Selbst im Strafrecht wird solches berücksichtigt: ob ich in trunkenem Zustand oder nüchtern etwas tue, spielt in der Gewichtung einer Tat eine Rolle. Ebenso ob ich durch eine Kleptomanie zum Diebstahl verleitet wurde oder nicht.
Wenn ich mich nüchtern für etwas entscheide, dann aufgrund von neuronalen Vorgängen, die nicht beeinflussbar sind. Wenn ich trunken bin, sind einige der Neuronen vorübergehend außer Betrieb und es mögen ganz andere Entscheidung getroffen werden, aber es finden nach wie vor neuronale Vorgänge statt, die nicht beeinflussbar sind. Auch hier scheint mir der subjektiv erlebte Unterschied nur eine Illusion. Einmal war ich nüchtern, ich selber und hellwach, mein Gedächtnis hat einige Details des Vorgangs gespeichert. In trunkenem Zustand war ich wie benebelt, erinnere mich auch an nichts mehr, meine Entscheidungen kommen mir fremd und dumm vor. Und doch, in beiden Fällen hat das Gehirn (so gut es eben ging) neuronal was veranstaltet und eine determinierte Entscheidung getroffen, in beiden Fällen war es mein Gehirn, in beiden Fällen war also ich der Entscheider. Wieso sollte man vor Gericht einen Unterschied gelten lassen?
Es gibt ja zum Beispiel auch einen Unterschied in meinem Erleben, wenn ich einmal sehr fröhlich und optimistisch bin und etwas entscheide und ein andernmal eher traurig, widerwillig und zögerlich entscheide. Den Richter möchte ich mal sehen, der diese Unterschiede strafrechtlich relevant findet.